Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 24.07.2023 - 3 Ss OWi 1316/22
Eigener Leitsatz:
1. Es ist grundsätzlich gerechtfertigt, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, wenn die Tat lange zurückliegt, die Verzögerung nicht dem Betroffenen anzulasten ist und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat.
2.Es ist dem Rechtsbeschwerdegericht im Ordnungswidrigkeitsverfahren versagt, eigenständig die Ursachen für eine lange Verfahrensdauer festzustellen, vielmehr bedarf es der Darlegung in den Urteilsgründen bedarf.
3 Ss-OWi 1316/22
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
BESCHLUSS
in der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen Straßenverkehrsordnungswidrigkeit,
hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main — 3. Senat für Bußgeldsachen — durch die Einzelrichterin gern. § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 3, § 80a Abs. 1 OWiG,
am 24.Juli 2023 beschlossen:
1. Der Beschluss des Senats vom 30. Januar 2023 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 08. Februar 2023 wird aufgehoben.
2. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, die vor dem Erlass der Entscheidung vom 30. Januar 2023 bestand (§ 33 a StPO).
3. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vorn 19. Juli 2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen darin entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht Rüsselsheim zurückverwiesen.
4. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde verworfen.
Gründe
Das Regierungspräsidium Kassel hat mit Bußgeldbescheid vom 6.1.2020 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 55 km/h bei erlaubten 80 km/h eine Geldbuße in Höhe von 240,- Euro festgesetzt und - verbunden mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Den dagegen erhobenen Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Rüsselsheim durch Urteil vom 22.6.2021 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ohne Verhandlung zur Sache verworfen, da der von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen nicht entbundene Betroffene zur Hauptverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war (BI. 85 ff. d.A.). Auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 25.11.2021 (Aktenzeichen: 1 Ss-OWi 1336/21) das Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 22.6.2021 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Rüsselsheim zurückverwiesen.
Mit Urteil vom 19.7 2022 hat das Amtsgericht Rüsselsheim nunmehr gegen den Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 480,- Euro festgesetzt sowie - verbunden mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.
Gegen dieses Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese ebenso mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
Die Rechtsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 30. Januar 2023 verworfen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs.
Der Antrag auf Nachholung des rechtlichen Gehörs ist begründet, da der Senat seine Entscheidung vom 30. Januar 2023 nicht begründet hatte, obwohl die Generalstaatsanwaltschaft auf die erhobene Sachrüge hin beantragt hatte, den Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zu neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bad Hersfeld zu verweisen.
Der Senat hat daher in der Sache neu entschieden.
Die statthafte (§ 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG), form- und fristgerecht eingelegte (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 341 StPO) und fristgerecht begründete (§§ 79 Abs. 3 OWiG, 344, 345 StPO) Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat - wie aus dem Tenor ersichtlich —hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs einen vorläufigen Erfolg. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unbegründet.
1. Soweit der Betroffene gegenüber dem Urteil des Amtsgerichts Rüsselsheim vom 19. Juli 2022 die Verletzung formellen Rechts in Form einer Verletzung des § 265 StPO rügt, ist die Verfahrensrüge nicht in zulässiger Weise erhoben. Die Rechtsbeschwerdebegründung trägt unzutreffend vor, indem er den rechtlichen Hinweis des Gerichtes vom 06. Mai 2020, mit dem der Betroffene auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Begehungsweise hingewiesen wurde, verschweigt.
2. Der auf die allgemeine Sachrüge des Betroffenen hin zu überprüfende Schuldspruch ist nicht zu beanstanden. Insofern lässt die Nachprüfung des Urteils in sachlich-rechtlicher Hinsicht keinen den Betroffenen beschwerenden Rechtsfehler erkennen. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften gemäß den §§ 41 Abs. 1 i.V.m. 49 StVO, 24, 25 StVG, § 4 abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.8 der Tabelle 1c des Anhangs zum BKat.
3. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs deckt das Urteil auf die Sachrüge hin einen Rechtsfehler auf. Die Urteilsgründe leiden an einem Erörterungsmangel:
Das Amtsgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung in seinen Urteilsgründen nicht damit auseinandergesetzt, ob ein Fahrverbot trotz des Zeitablaufes zwischen Tatbegehung und Urteil von mehr als zwei Jahren noch seinen erzieherischen Zweck erfüllen kann. Auf diesen Erörterungsmangel beruht das Urteil.
a) Nach allgemeiner Auffassung kann grundsätzlich als gerechtfertigt angesehen werden, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, wenn die Tat lange zurückliegt, die Verzögerung nicht dem Betroffenen anzulasten ist und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat (siehe BayObLG Beschluss vom 09.10.2003 —1 ObOWi 270/03, juris Rn. 10; OLG Bamberg, Beschluss vom 16.07.2008 — 2 Ss OWi 835/08, juris Rn. 10 f.; OLG Celle, Beschluss vom 23.12.2004 - 211 Ss 145/04 (OWi), juris Rn. 18 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 08.02.2005 —Ss (OWi) 32/05, juris Rn. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 24.01.2012 — III-3 RBs 364/11, juris Rn. 9; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 31.03.2014 — Ss (B) 18/2014 (15/14 OWi), juris Rn. 17).
Grundlage dieser Argumentation ist, dass das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion hat und als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.11.1991 —4 StR 366/91, juris Rn. 30, BGHSt 38,125; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 30.12.2020 — 1 OLG 53 Ss-OWi 630/20), deren Verhängung bei langer Verfahrensdauer wegen des Zeitablaufes allein oder zusammen mit anderen Umständen nach der gebotenen Einzelfallprüfung als nicht mehr geboten angesehen werden könnte.
b) Aus den Urteilsgründen geht hervor, dass die Tat am 21.10.2019 begangen wurde und das Urteil am 19.07.2022 ergangen ist; die Tat liegt somit deutlich mehr als zwei Jahre zurück. Den Urteilsgründen ist aber eine Prüfung, ob das Fahrverbot wegen dem Zeitablauf ganz zu entfallen hat, oder ob es lediglich zu mildern ist oder ob andere Umstände nach wie vor die Notwendigkeit der Verhängung eines Fahrverbotes erforderlichen machen, nicht zu entnehmen. Andere Umstände können auch darin zu sehen sein, dass ein Betroffener bzw. sein Verteidiger durch sein prozessuales Verhalten zu einem erheblichen Teil zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hat, indem er etwa mehrfach eine Verlegung des Hauptverhandlungstermins veranlasst oder Verfahrensakten nicht rechtzeitig zurückgibt und darin eine Verzögerungstaktik liegt. Denn in diesem Fall hat der Betroffene die lange Verfahrensdauer selbst zu vertreten und es ist ihm verwehrt, sich bei der Prüfung der Frage eines Absehens von der Verhängung eines Fahrverbotes auf den langen Zeitablauf zu berufen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2014 — 2 Ss-OWi 1030/14; OLG Frankfurt am Main -2 Ss-OWi 48/06-; Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.; OLG Hamm NZV 2004, 600).
Der Erörterungsmangel zwingt zur Aufhebung des Fahrverbotes. Anders als in der aufgehobenen Entscheidung folgt der Senat nunmehr im Verfahren nach § 33a StPO der Auffassung des 2. Strafsenates, wonach es dem Rechtsbeschwerdegericht im Ordnungswidrigkeitsverfahren versagt ist, eigenständig die Ursachen für eine lange Verfahrensdauer festzustellen, sondern es der Darlegung in den Urteilsgründen bedarf (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12.11.2014 — 2 Ss-Owi 1030114). Da keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen worden sind, konnte der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden.
c) Aufgrund der Wechselwirkung zwischen der — vom Amtsgericht festgesetzten erhöhten - Geldbuße und dem Fahrverbot war das angefochtene Urteil im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.
Die Sache war daher im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Rüsselsheim zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts oder ein anderes Amtsgericht besteht kein Anlass.
Einsender: RA Tobias Rößler, LL.M., M.A., Düsseldorf
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