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Entscheidungen

Haftfragen

Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, Rechtsmittel, gewünschter Verteidigerwechsel

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.06.2023 – 7 Ws 114/23

Eigener Leitsatz:

1. Der für das Rechtsmittelverfahren selbst benötigte Zeitablauf kann für sich genommen regelmäßig keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung begründen (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 21.01.2004 - 2 BvR 1471/03; BGH, Urteil vom 08.03.2006 - 2 StR 565/05).
2. In Unterbringungssachen führt zudem nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs, die eine Überschreitung der einschlägigen Fristvorgaben zur Folge hat, automatisch zu einer Grundrechtsverletzung durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Voraussetzung ist vielmehr, dass die Fristüberschreitung auf einer nicht mehr vertretbaren Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht sichernden Verfahrensrecht beruht (im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 13.08.2018 - 2 BvR 2071/16).
3. Wird die Fristüberschreitung dadurch ausgelöst, dass die persönliche Anhörung des Untergebrachten nur deshalb später erfolgen kann, weil dieser einen anderen Pflichtverteidiger wünscht und sich dessen Bestellung aus in seiner Sphäre liegenden Gründen verzögert, kann darin keine Fehlhaltung des Gerichts im vorgenannten Sinne gesehen werden.


In pp.

Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der 11. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg vom 29. März 2023 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe

Die gemäß §§ 463 Abs. 3 S. 1, Abs. 6, 454 Abs. 3 S. 1, 462 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Marburg hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf welche zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die mit Urteil des Landgerichts Kassel vom 14. Januar 2020 angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht zur Bewährung ausgesetzt und auch nicht für erledigt erklärt.

Die Unterbringung des Beschwerdeführers ist - auch unter Berücksichtigung der Unterbringungsdauer - weiterhin verhältnismäßig. Weder kann die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers verantwortet werden (§ 67d Abs. 2 S.1 StGB) noch ist die Maßregel für erledigt zu erklären (§ 67 d Abs. 6 S. 1 StGB).

Die Legalprognose ist bei dem Beschwerdeführer weiterhin negativ. Denn trotz des Umstands, dass er sich seit Dezember 2022 auf die Einnahme eines Depotmedikaments eingelassen und auch im Übrigen eine zunehmende Behandlungsbereitschaft an den Tag gelegt hat, ist die Behandlung noch nicht so weit fortgeschritten, dass eine sofortige Entlassung verantwortet werden kann. Vielmehr bedarf es der Erarbeitung einer Krankheitseinsicht und der Festigung der derzeit nur im hochstrukturierten Setting der Klinik formal gezeigten Behandlungseinsicht, um die Medikamentencompliance auch künftig aufrecht zu erhalten.

Die Strafvollstreckungskammer hat zutreffend festgestellt, dass die Überprüfungsfrist des § 67e StPO vorliegend um sechs Monate und zehn Tage überschritten wurde. Eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ist allerdings nicht eingetreten (vgl. zum Maßstab: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 3. Strafsenat, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 3 Ws 456+457/19).

Die Strafvollstreckungskammer hat zunächst mit Beschluss vom 26. September 2022 über die Fortdauer der Unterbringung entschieden. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers hat der 3. Strafsenat diesen Beschluss mit Beschluss vom 29. November 2022 aufgehoben, da die nach § 463 Abs. 3 S. 1 StPO i.V.m. § 454 Abs. 1 S. 3 StPO vorgeschriebene mündliche Anhörung des Untergebrachten nicht vor der vollbesetzten Kammer erfolgt war. Der im Zusammenhang mit der Durchführung des (ersten) Beschwerdeverfahrens bis zur Entscheidung des 3. Strafsenats am 29. November 2022 eingetretene Zeitablauf begründet keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Denn der für das Rechtsmittelverfahren selbst benötigte Zeitablauf ergibt sich aus der Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems und kann deshalb für sich allein nicht als rechtsstaatswidrig angesehen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Januar 2004 - 2 BvR 1471/03). Anders kann dies zu beurteilen sein, wenn die Zurückverweisung Folge eines Verfahrensverstoßes ist, der im Licht der rechtsstaatlichen Gesamtverfahrensordnung schlechterdings nicht nachvollziehbar und als unvertretbarer Akt objektiver Willkür erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2006 - 2 StR 565/05). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Auch der weitere Zeitablauf nach der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 29. November 2022 bis zur erneuten Entscheidung durch die Kammer am 29. März 2023 lässt keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung besorgen. Denn es führt nicht jede Verzögerung des Geschäftsablaufs in Unterbringungssachen, die zu einer Überschreitung der einschlägigen Fristvorgaben führt, automatisch auch zu einer Grundrechtsverletzung, weil es zu solchen Verzögerungen auch bei sorgfältiger Führung des Verfahrens kommen kann (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2016 - 2 BvR 1103/16). Das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten kann aber dann verletzt sein, wenn die Fristüberschreitung auf einer nicht mehr vertretbaren Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht sichernden Verfahrensrecht beruht (BVerfG, Beschluss vom 13. August 2018 - 2 BvR 2071/16; Beschluss vom 10. Oktober 2016 - 2 BvR 1103/16). Die Verfahrensführung der Kammer lässt eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht sichernden Verfahrensrecht nicht erkennen. Vielmehr hat die Vorsitzende das Verfahren - insbesondere nach Rückkehr der Akten aus der Beschwerdeinstanz - stets ausreichend gefördert. So hat sie umgehend nach Rückkehr der Akten mit Verfügung vom 13. Dezember 2022 eine ergänzende Stellungnahme der Klinik angefordert, mit Verfügung vom 10. Januar 2023 die Klinik hieran erinnert. Die persönliche Anhörung und Beschlussfassung ist dann zwar nicht zeitnah nach Eingang der Stellungnahme der Klinik vom 25. Januar 2023 erfolgt, sondern erst am 29. März 2023. Diese weitere zeitliche Verzögerung ist indes dem von dem Untergebrachten gewünschten Verteidigerwechsel geschuldet. Die Aufhebung der Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers und Beiordnung des neuen Pflichtverteidigers konnte erst mit Beschluss vom 27. Februar 2023 erfolgen, nachdem der neue Verteidiger - nach mehreren Erinnerungen seitens der Vorsitzenden - erklärt hatte, auf die Geltendmachung bereits entstandener und abgerechneter Gebühren zu verzichten. Sodann war dem neuen Pflichtverteidiger auf seinen Antrag hin noch Akteneinsicht zu gewähren, so dass die am 29. März 2023 erfolgte persönliche Anhörung und Beschlussfassung nicht veranlasst, auf eine nicht mehr vertretbare Fehlhaltung der Kammer gegenüber dem das Freiheitsgrundrecht des Untergebrachten sichernden Verfahrensrecht zu schließen.


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