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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Bewährungsentscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB, Vorliegen besonderer Umstände, Prüfungsanforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 05.07.2023 - 202 StRR 49/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Beurteilung, ob besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, die für die Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erforderlich sind, hat das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten vorzunehmen.
2. Besondere Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, was sich auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben kann.
3. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand, wenn das Tatgericht trotz Vorliegens mehrerer gewichtiger Milderungsgründe diesen ohne Begründung von vornherein jede Bedeutung für die nach § 56 Abs. 2 StGB zutreffende Entscheidung abspricht und auch die gebotene Gesamtbetrachtung unterlässt.
4. Will das Tatgericht die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung darauf stützen, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe im Sinne des § 56 Abs. 3 StGB gebietet, ist auch hierfür eine umfassende Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich.


In pp.

I. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 14. Februar 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht – Strafrichter – Gemünden a. Main verurteilte die Angeklagte im ersten Rechtsgang am 05.11.2018 wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer aus Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und einem Jahr gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten. Gegen dieses Urteil legten die Angeklagte und – beschränkt auf das Strafmaß – die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Nachdem das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft hinsichtlich einer der beiden vom Amtsgericht abgeurteilten Taten in der Berufungshauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO eingestellt worden war, beschränkte die Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft ihre Berufung auf die Frage der Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung, woraufhin die Staatsanwaltschaft ihre Berufung mit Zustimmung der Angeklagten zurücknahm. Auf die Berufung der Angeklagten setzte das Landgericht Würzburg mit Urteil vom 27.11.2019 die Vollstreckung der wegen des nach der Teileinstellung verbleibenden Tatvorwurfs der Misshandlung von Schutzbefohlenen gegen die Angeklagte festgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zur Bewährung aus. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hob der Senat mit Urteil vom 03.07.2020 (Geschäftszeichen: 202 StRR 20/20) das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 27.11.2019 mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurück. Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht Würzburg mit Urteil vom 14.02.2023 die Berufung der Angeklagten als unbegründet verworfen. Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat unter dem 25.05.2023 beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge erfolgt, sodass es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt. Die Entscheidung der Berufungskammer zur Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung, über die aufgrund der wirksamen Beschränkung der Berufung allein zu befinden war, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Die im zweiten Verfahrensgang angestellten Erwägungen, mit denen die Berufungskammer besondere Umstände verneint hat, die nach § 56 Abs. 2 StGB für eine Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich sind, nachdem die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten in Rechtskraft erwachsen ist, sind in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Das Landgericht nennt zwar einzelne Gesichtspunkte, die für die Entscheidung im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB von maßgeblicher Bedeutung sein können, spricht diesen aber ohne Begründung und in der Sache zu Unrecht von vornherein eine Entscheidungserheblichkeit ab, übersieht im Übrigen maßgebliche Aspekte, denen zusätzliche Bedeutung beizumessen ist, stellt stattdessen in breitem Umfang Überlegungen an, die für die Entscheidung bedeutungslos sind, und unterlässt auch die im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB gebotene Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls.

a) Die Berufungskammer erwähnt zwar, dass die Angeklagte „strafrechtlich nicht vorbelastet“ ist, ihre Berufung auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt hat, worin eine „Geständnisfiktion“ zu sehen sei, die „Tatzeiten“ sehr lange zurückliegen und auch das Verfahren lange gedauert habe.

aa) Diesen Gesichtspunkten, von denen jeder für sich schon ganz erheblich zugunsten der Angeklagten spricht und die auch im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB relevant sind, misst die Berufungskammer ohne Begründung und im Ergebnis auch zu Unrecht keine Bedeutung zu. Besondere Umstände im Sinne dieser Vorschrift sind Milderungsgründe von besonderem Gewicht, die eine Strafaussetzung trotz des Unrechts- und Schuldgehalts, der sich in der Strafhöhe widerspiegelt, als nicht unangebracht erscheinen lassen; allerdings verlangt § 56 Abs. 2 StGB keine „ganz außergewöhnlichen“ Umstände. Vielmehr können sich dessen Voraussetzungen auch aus dem Zusammentreffen durchschnittlicher Milderungsgründe ergeben (vgl. nur BGH, Urt. v. 06.07.2017 – 4 StR 415/16 = NJW 2017, 3011 = VRS 132, 22 [2017] = VRS 132, Nr 4 = NStZ 2018, 29 = BGHR StGB § 56 Abs 3 Verteidigung 23 = StV 2018, 411 = BeckRS 2017, 116709 m.w.N.).

bb) Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass das straffreie Vorleben (vgl. nur BGH, Beschl. v. 06.06.2023 – 4 StR 133/23 bei juris; 17.01.2023 – 4 StR 229/22 = StV 2023, 384; 21.09.2022 – 1 StR 479/21 bei juris), der Zeitabstand zwischen Tatbegehung und Aburteilung (vgl. nur BGH, Beschl. v. 05.07.2022 – 2 StR 158/22 bei juris; 01.06.2022 – 6 StR 191/22 bei juris; 02.03.2022 – 2 StR 541/21 = StV 2022, 572), die lange Verfahrensdauer (vgl. nur BGH, Beschl. v. 28.03.2023 – 2 StR 61/23 bei juris; 17.08.2022 – 4 StR 472/21 bei juris; vom 05.07.2022 – 2 StR 158/22 a.a.O.) und ein Geständnis (vgl. nur BGH, Urt. v. 20.07.2022 – 5 StR 29/22 bei juris; Beschl. v. 27.10.2022 – 2 StR 438/21 = NStZ 2023, 22624.05.2022 – 4 StR 72/22 = NStZ 2023, 95) sehr wohl gewichtige Milderungsgründe darstellen, denen damit auch im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB Bedeutung zukommt.

b) Darüber hinaus lässt die Strafkammer einen erheblichen Milderungsgrund gänzlich außer Acht. Trotz Bejahung einer günstigen „Sozialprognose“ (richtig: Legalprognose), wird dieser Gesichtspunkt rechtsfehlerhaft bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB gar nicht mehr erwähnt. Die Strafkammer übersieht, dass auch eine günstige Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB zu berücksichtigen ist (vgl. zuletzt nur BayObLG, Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22 bei juris m.w.N.). Dies ist umso beachtlicher, als die Berufungskammer ebenfalls nicht in den Blick genommen hat, dass die Angeklagte nicht nur nicht vorbestraft war, sondern sich auch nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat, mithin seit mehr als 10 Jahren, straffrei geführt hat (vgl. hierzu nur BGH, Beschl. v. 31.05.2022 – 6 StR 128/22 = NStZ 2023, 48 = BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 47 = StV 2023, 457; 22.03.2023 – 6 StR 98/23 bei juris = BeckRS 2023, 13827).

c) Die breiten Ausführungen der Berufungskammer im zweiten Rechtsgang dazu, welche Umstände „trotz intensiver Bemühungen“ des Gerichts nicht vorliegen, wobei insbesondere darauf abgehoben wird, dass sich die Angeklagte nicht zu einer „ehrlich empfundenen, unmissverständlich geäußerten Entschuldigung durchringen konnte“ und dass die Schuldfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit nicht eingeschränkt war, gehen ebenfalls fehl. Die Berufungskammer verkennt, dass es bei § 56 Abs. 2 StGB allein auf das Vorhandensein besonderer Umstände ankommt, das Fehlen weiterer Gesichtspunkte deshalb denknotwendig nicht ausschlaggebend sein kann. Darauf, dass die Berufungskammer der Frage nach einer eingeschränkten Schuldfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit nachgegangen ist, obwohl sich aus dem teilrechtskräftigen Ersturteil kein Anhaltspunkt für eine rechtlich erhebliche Einschränkung der Schuld ergibt, kommt es daher nicht an.

d) Unabhängig von diesen bereits für sich genommen zur Rechtsfehlerhaftigkeit der vom Landgericht getroffenen Entscheidung führenden Mängeln, nimmt die Berufungskammer die im Rahmen des § 56 Abs. 2 StGB erforderliche Gesamtwürdigung von Tat und Täterpersönlichkeit (BayObLG, Beschl. v. 08.12.2020 – 202 StRR 123/20 = Blutalkohol 58, 34 [2021] = StV 2021, 257 = VerkMitt 2021, Nr 22 = StV 2022, 27 = BeckRS 2020, 35557) nicht vor.

2. Schließlich ist auch die zusätzliche Erwägung der Berufungskammer, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe sei zur Verteidigung der Rechtsordnung im Sinne des § 56 Abs. 3 StGB geboten, schon deswegen durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil eine Begründung hierfür unterbleibt. Auch zur Beurteilung dieser Frage ist eine umfassende Gesamtwürdigung von Tat und Täter erforderlich (vgl. nur BGH, Urt. v. 06.07.2017 – 4 StR 415/16 = NJW 2017, 3011 = VRS 132, 22 [2017]) = VRS 132, Nr 4 = NStZ 2018, 29 = BGHR StGB § 56 Abs 3 Verteidigung 23 = StV 2018, 411; Beschl. v. 13.04.2011 – 2 StR 665/10 = StraFo 2011, 324 = BGHR StGB § 56 Abs 3 Verteidigung 21; BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg StGB § 56 Rn. 26; Fischer StGB 70. Aufl. § 56 Rn. 17; LK/Hubrach StGB 13. Aufl. § 56 Rn. 57), die dem Tatgericht obliegt.

3. Die Entscheidung der Berufungskammer über die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Beachtung bei der gebotenen Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit der Angeklagten die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt hätte, zumal mittlerweile ein weiterer gewichtiger Milderungsgrund, nämlich die inzwischen zusätzlich verstrichene Zeit und die damit verbundene weitere Verlängerung der Verfahrensdauer, ohne dass die Angeklagte die Verzögerung zu vertreten hätte, hinzugekommen ist.

III.

Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler ist das angefochtene Urteil mitsamt den zugehörigen Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und über die Frage einer Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung erneut zu befinden. Die Sache wird zu diesem Zweck zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere (kleine) Strafkammer des Landgerichts Würzburg zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO).


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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