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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Koblenz, Beschl. v. 10.07.2023 - 30 Gs 5496/23

Eigener Leitsatz:

Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung ist dann zulässig, wenn der Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Vor-aussetzungen des § 140 StPO vorliegen und die Entscheidung über die Beiordnung nicht unverzüglich erfolgte, sondern wegen justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte.


30 Gs 5496/23

Amtsgericht Koblenz

Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger

wegen Nachstellung

hat das Amtsgericht Koblenz durch den Richter pp. am 10.07.2023 beschlossen:

Dem Beschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 2 StPO I. V. m. § 142 StPO Rechtsanwältin pp. nachträglich als Pflichtverteidigerin bestellt.

Gründe:

1. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers dient allein der ordnungsgemäßen Verteidigung eines Beschuldigten sowie der Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs in schwerwiegenden Fällen (LG Stuttgart Beschl. v. 14.07.2022 — 18 Qs 36/22).
2. Eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung dient dagegen dem Kosteninteresse des Be-schuldigten und des Verteidigers. Dem Verteidiger wird durch die rückwirkende Bestellung für einen bereits abgeschlossenen Verfahrensabschnitt ein Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse verschafft. Eine ordnungsgemäße Verteidigung respektive ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf in schwerwiegenden Fällen kann mit der rückwirkenden Bestellung gerade nicht gewährleistet werden, weshalb sie sich auf etwas Unmögliches richtet (LG Oldenburg Beschl. v. 07.03 2022 - 4 Qs 76/22). Daher ist eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung grundsätzlich nicht zulässig.

3. Allerdings würde eine generelle Versagung der rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung trotz rechtzeitigen Antrags auf Pflichtverteidigerbeiordnung dazu führen, dass ein mittelloser Beschuldigter auf die notwendige Verteidigung, und eben nicht nur auf die Kostenerstattung, verzichten müsste (LG Stuttgart Beschl. V. 14.07.2022 -18 Qs 36/22). Denn Rechtsanwälte dürften in Kenntnis der Versagung rückwirkender Bestellung in der Endphase eines Verfahrens nicht mehr zur Übernahme der Verteidigung mittelloser Beschuldigter bereit sein (LG Stuttgart Beschl. v. 14.07.2022 - 18 Qs 36/22).

4. Somit ist eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung dann angebracht, wenn der Antrag auf Pflichtverteidigerbeiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Vor-aussetzungen des § 140 StPO vorliegen und die Entscheidung über die Beiordnung nicht unverzüglich erfolgte, sondern wegen justizinterner Vorgänge unterblieben ist, auf die der (ehemalige) Beschuldigte keinen Einfluss hatte (LG Stuttgart Beschl. v. 14.07.2022 - 18 Qs 36/22; LG Gera Beschl. v. 10.11.2021 - 11 Qs 309/21).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

a) Der Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin wurde von Rechtsanwältin Ferger am 14.12.2022 und damit rechtzeitig vor Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Koblenz am 30.05.2023 gestellt (vgl. LG Stuttgart Beschl. v. 14.07.2022 - 18 Qs 36/22).

b) Zudem liegen die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vor. Vorliegend ist ersichtlich, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Ein Fall der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung liegt unter anderem dann vor, wenn der Beschuldigte Lernschwierigkeiten und andere kognitive Einschränkungen aufweist (vgl. MüKoStPO/Kämpfer/Travers StPO § 140 Rn. 49).

Der Beschuldigte weist eine Lernbehinderung sowie eine deutliche Entwicklungsverzögerung im Bereich der Persönlichkeit auf. Infolge dieser Lernbehinderung ist der Beschuldigte nach ärztlicher Einschätzung - wie das Landgericht Koblenz im Beschluss vom 28.02.2023, Az. 14 Qs 19/22, bereits festgestellt hat (BI. 51 f. d.A.) - mit der Regelung seiner administrativen Angelegenheiten überfordert.

c) Die Entscheidung über die Beiordnung erfolgte ferner auch nicht unverzüglich.

Dabei wird der Justiz eine Überlegungs- und Prüfungsfrist von ein bis zwei Wochen eingeräumt (LG Gera, Beschl. v. 10.11.2021 - 11 Qs 309/21).

Diese Überlegungs- und Prüfungsfrist ist vorliegend bereits weit abgelaufen. Rechtsanwältin pp. hat am 14.12.2022 den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin gestellt. Erst mit Verfügung vom 16.06.2023 ist der Vorgang von der Staatsanwaltschaft Koblenz zum Amtsgericht Koblenz abgegeben worden.

d) Dieser Verzug ist auch auf justizinterne Vorgänge zurückzuführen, auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hatte.


Einsender: RÄin L. Ferger, Westerburg

Anmerkung:


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