Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 13.06.2023 - 3 Qs 60/23
Eigener Leitsatz:
Auch bei einer überschaubaren zu erwartenden Rechtsfolge in einem Strafbefehl von 30 Tagessätzen Geldstrafe ist bei Gesamtstrafenfähigkeit die Bestellung eines Verteidigers erforderlich.
Landgericht Halle
3 Qs 60/23
In pp.
Verteidiger:
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hat die 3. Große Strafkammer des Landgerichts Halle als Beschwerdekammer durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht pp., die Richterin am Landgericht pp. und den Richter pp. am 13.06.2023 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 03.04.2023 — Az.: 5 Cs 353 Js 31917/22 —aufgehoben.
Dem Angeklagten wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt,
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Merseburg verhängte gegen den Angeklagten mit Strafbefehl vom 15.09.2022 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Tatzeit 05.05.2022) eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 EUR, gegen den der Angeklagte rechtzeitig Einspruch einlegte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.03.2023 beantragte der Angeklagte unter Hinweis auf weitere anhängige, seiner Ansicht nach gesamtstrafenfähige Straf- bzw. Ermittlungsverfahren, u. a. das hei der Staatsanwaltschaft Halle, Zweigstelle Naumburg, anhängige Verfahren 560 Js 205230/21, ihm seinen Verteidiger als Pflichtverteidiger beizuordnen, da insgesamt eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten sei.
Das Amtsgericht Merseburg wies den Beiordnungsantrag mit Beschluss vorn 03.04.2023 zurück und begründete dies damit, dass weder die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO noch diejenigen des § 140 Abs. 1 StPO gegeben seien.
Gegen diesen, seinem Verteidiger am 20.04.2023 zugestellten, Beschluss legte der Angeklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 20.04.2023, welches am 24.04.2023 beim Amtsgericht Merseburg einging, sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung verwies er auf die Begründung des Beiordnungsantrags.
Auf Nachfrage der Kammer teilte die Staatsanwaltschaft Halle, Zweigstelle Naumburg, mit, dass im Verfahren 560. Js 205230/21 am 12.04.2023 Anklage zum Amtsgericht Naumburg -- Schöffengericht — erhoben wurde. Dem Angeklagten wird in dem dortigen Verfahren bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln und vorsätzliches Fahren ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen in der Zeit vom 19.02.2021 bis zum 14.11.2022 vorgeworfen.
II,
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist gemäß §§ 304, 311 Abs. 2 StPO i. V. m. § 142 Abs. 7 S. 1 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO sind gegeben, da wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.
Da das Datum sowohl der dem Angeklagten hier vorgeworfenen Tat als auch der ihm im Verfahren 560 Js 205230/21 vor dem Amtsgericht Naumburg vorgeworfenen Taten jeweils nach dem Erlass des zuletzt gegen den Angeklagten ergangenen Strafbefehls des Amtsgerichts Naumburg vom 08.02.2021 liegt, sind die Taten aus dem Verfahren 560 Js 205230/21 mit der dem Angeklagten hier vorgeworfenen Tat gesamtstrafenfähig. Auch wenn die Kammer aufgrund der dortigen Anklage vor dem Schöffengericht davon ausgeht, dass dem Angeklagten in Bezug auf das bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG ein — aus Sicht der Staatsanwaltschaft - minder schwerer Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG vorgeworfen wird und ihm im Verfahren vor dem Amtsgericht Naumburg daher nicht die nach § 30a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 BtMG vorgesehene Mindeststrafe von fünf Jahren droht, so ist doch angesichts der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe für das dem Angeklagten im Verfahren vor dem Amtsgericht Naumburg ebenfalls vorgeworfene Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG — welches zudem auch für das minder schwere bewaffnete Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Sperrwirkung entfaltet — für den Fall einer Verurteilung insgesamt die Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr zu erwarten. Drohen einem Beschuldigten aber in mehreren Parallelverfahren Strafen, die letztlich gesamtstrafenfähig sind und deren Summe voraussichtlich eine Höhe erreicht, welche das Merkmal der „Schwere der Rechtsfolge", also mindestens ein Jahr (Gesamt-)Freiheitsstrafe, im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO begründet, so ist die Verteidigung in jedem Verfahren notwendig (vgl. KG Berlin, Beschluss vorn 13. 12. 2018 — 3 Ws 290/18 Rn. 2; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 22. 05. 2013 - 2 Ss 65/13 -, Rn. 6; jeweils zitiert nach juris).
Nach alledem war der Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und dem Angeklagten
Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger zu bestellen,
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA J.-R. J. Funck, Braunschweig
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