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Entscheidungen

Haftfragen

Rechtmäßigkeit der Organisationshaft, Anspruch auf zeitnahe Unterbringung im Maßregelvollzug

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 07.11.2022 - 1 Ws 629/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Maßregelvollstreckung nach § 64 StGB ist unverzüglich nach Rechtskrafteintritt einer hierauf lautenden Entscheidung einzuleiten.
2. Wird ein Therapieplatz erst mittelfristig frei, ist die Vollstreckungsbehörde gehalten, sich um einen (zeitlich früher) verfügbaren Behandlungsplatz, notfalls auch außerhalb des zuständigen Landschaftsverbands zu bemühen und, sofern dies erfolglos ist, ggf. auch um einen solchen außerhalb des jeweiligen Bundeslandes.
3. In der Regel darf die Organisationshaft über 3 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der auf Unterbringung nach § 64 StGB lautenden Entscheidung und 2 Monate nach der Mitteilung der Maßregelvollzugseinrichtung, dass ein Therapieplatz erst mittelfristig frei wird, nicht aufrechterhalten werden.
4. Die Frage, ob die Rechtmäßigkeit der Fortdauer der Organisationshaft einer Abwägung zwischen dem Gewicht der Verletzung des Interesses des Verurteilten an der unverzüglichen Umsetzung der konkret angeordneten Vollstreckungsreihenfolge einerseits und dem Schutz der Allgemeinheit andererseits zugänglich ist, bleibt offen.


In pp.

I. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Landgerichts – Strafvollstreckungskammer - vom 23.09.2022 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die gegen den Verurteilten vollstreckte Organisationshaft mit Ablauf des 12.07.2022 bis 26.09.2022 rechtswidrig war und sich die Beschwerde gegen die Anordnung der Unterbrechung der Organisationshaft mit der Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug am 27.09.2022 erledigt hat.
II. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Mit Urteil des Landgerichts vom 30.03.2022, rechtskräftig seit 07.04.2022, wurde der Verurteilte, der am 09.07.2021 festgenommen worden war und sich seit 10.07.2021 in Untersuchungshaft befand, wegen Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von 1 Jahr 6 Monaten verurteilt. Daneben wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit Verfügung vom 06.05.2022 wurde die Vollstreckung des vorgenannten Urteils eingeleitet. Wegen der Einzelheiten des Vollstreckungsgangs wird auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 23.09.2022 verwiesen. Am 12.09.2022 beantragte der Verurteilte die Feststellung, dass die weitere Vollstreckung der Organisationshaft unzulässig ist, die Unterbrechung der Organisationshaft sowie die sofortige Entlassung des Verurteilten aus der Haft. Mit Beschluss vom 23.09.2022 stellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts fest, dass die gegen den Verurteilten vollstreckte Organisationshaft mit Ablauf des 12.07.2022 rechtswidrig ist, ordnete die Unterbrechung der Organisationshaft an und erklärte, dass mit Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug vor Rechtskraft des Beschlusses das Verfahren erledigt ist. Mit Verfügung vom 26.09.2022, dem Landgericht per Fax zugegangen am 27.09.2022, hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Am 27.09.2022 wurde der Verurteilte im Bezirkskrankenhaus zum Maßregelvollzug aufgenommen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 18.10.2022 beantragt, auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft den Beschluss der Strafvollstreckungskammer aufzuheben und den Antrag des Verurteilten vom 12.09.2022 zurückzuweisen. Der Verurteilte äußerte sich mit Anwaltsschriftsatz vom 03.11.2022.

II.

Die nach §§ 462 Abs. 1, Abs. 3, 458 StPO statthafte (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 07.05.2019 – 1 Ws 209/19 bei juris = BeckRS 2019, 39077) sowie form- und fristgerecht eingelegte (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 1, Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat lediglich insoweit Erfolg, dass nach der Aufnahme des Verurteilten in den Maßregelvollzug am 27.09.2022 nunmehr festzustellen ist, dass die Organisationshaft bis 26.09.2022 rechtswidrig war und sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Anordnung der Unterbrechung der Organisationshaft mit der Aufnahme des Verurteilen in den Maßregelvollzug erledigt hat. Die Voraussetzungen für Feststellung der Rechtswidrigkeit der Organisationshaft liegen, auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Staatsanwaltschaft sowie der Generalstaatsanwaltschaft vor. Der Senat kann insoweit auf die Ausführungen im Beschluss vom 23.09.2022 Bezug nehmen. Im Hinblick auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft ist ergänzend Folgendes auszuführen:

1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG [3. Kammer des 2. Senats], Beschl. v. 26.09.2005 – 2 BvR 1019/01 bei juris = StV 2006, 420 = NJW 2006, 427 = BeckRS 2005, 31115) hat für Fälle der Organisationshaft folgende verfassungsrechtlichen Vorgaben gemacht:

„a) Den verfassungsrechtlichen Maßstab für die ‚Organisationshaft‘ bilden Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und 3 GG sowie Art. 104 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz1 GG.
aa) Danach darf die Freiheit der Person nur aus besonders gewichtigen Gründen und nur unter strengen formalen Gewährleistungen eingeschränkt werden. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe stellt stets einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Person dar (vgl. BVerfGE 29, 312 [316]). Dabei gilt auch für die Strafvollstreckung, dass der Gesetzgeber in Ausfüllung des Gesetzesvorbehalts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG die materiellen Maßstäbe für die Art und Dauer der Vollstreckung festzulegen hat (vgl. BVerfGE 86, 288 [326]).

bb) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung, fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des förmlichen Gesetzes (vgl. BVerfGE 83, 24 [32] zu dem hiermit verbundenen Analogieverbot) und den zur Verfassungspflicht erhobenen freiheitsschützenden Formen gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative GG (vgl. hierzu BVerfGE 58, 208 [220], 65, 317 [321 f.]) den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht (vgl. BVerfGE 10, 302 [323]). Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. BVerfGE 105, 239 [248]). Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG gibt aber lediglich eine Voraussetzung für die Entscheidung über die Zulässigkeit und Dauer der Freiheitsentziehung an. Auf die Form des Vollzugs der Freiheitsstrafe bezieht sich die Bestimmung nicht (vgl. BVerfGE 64, 261 [280], Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 1993 – 2 BvR 213/93 -, NJW 1994, S. 1339, für den Arrest im Rahmen einer Freiheitsentziehung).

cc) Die Freiheitsstrafe und die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgen verschiedene Zwecke. Sie können deshalb auch nebeneinander angeordnet werden. Beide staatliche Reaktionen auf eine Tat sind indes mit Freiheitsentziehung verbunden. Das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG erfordert es deshalb, sie einander so zuzuordnen, dass die Zwecke beider möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dabei in das Freiheitsrecht des einzelnen Betroffenen mehr als notwendig einzugreifen (vgl. BVerfGE 91, 1 [31]).

dd) In dem durch den Schuldausgleich vorgegebenen Rahmen sieht das Bundesverfassungsgericht auch die Prävention sowie die Resozialisierung des Täters als verfassungsrechtlich geboten an(vgl. BVerfGE 45, 187 [253 f.] m.w.N.). Da der Freiheitsstrafe vom Schuldprinzip her Grenzen gesetzt sind, reicht sie indes - ungeachtet der Ausrichtung des Vollzugs auf das Resozialisierungsziel (§ 2 Satz 1 StVollzG, vgl. auch BVerfGE 45, 187 [238 f.]) - vielfach nicht aus, den erforderlichen Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen rechtswidrigen Taten rauschmittelabhängiger Straftäter zu verwirklichen. Dieser Schutz soll durch die Behandlung der Rauschmittelabhängigkeit in Vollzug der zusätzlich zur Strafe verhängten Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erreicht werden.

ee) Die mit der ‚Organisationshaft‘ verbundene Problematik der Vollstreckungsreihenfolge berührt die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheit der Person. Dieses Freiheitsrecht beeinflusst als objektive, für alle Bereiche des Rechts geltende Wertentscheidung (vgl. BVerfGE 10, 302, 322) auch die Auslegung und Anwendung von Vorschriften, die auf die rechtstechnische Umsetzung und die Kontrolle freiheitsentziehender Maßnahmen gerichtet sind (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 1825/03 -, juris, zur Veröffentlichung in BVerfGK vorgesehen).

b) Die angegriffenen Entscheidungen haben diesen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung getragen. […]

cc) Die unterschiedlichen Zwecke der Maßregel der Besserung und Sicherung einerseits und der Freiheitsstrafe andererseits finden unter anderem in der Regelreihenfolge des Vorwegvollzugs der Maßregel einen gesetzlichen Ausdruck. Die ‚Organisationshaft‘ bereitet zum Zweck der Nutzung der ‚therapeutisch fruchtbaren‘ Zeit (vgl. BTDrucks V/4095, S. 31, Wolf, in: Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 7. Aufl., § 44a Rn. 2) die nach der gesetzlichen Regelreihenfolge und dem richterlichen Erkenntnis vorweg zu vollziehende Maßregel vor. Von einer unter dem Gesichtspunkt des Freiheitsgrundrechts unmaßgeblichen bloßen Form des Vollzugs der Freiheitsstrafe oder der Maßregel kann wegen deren unterschiedlicher Zwecke jedenfalls bei einer Umkehrung des Vollzugs nicht ausgegangen werden.

dd) Eine gesetzeswidrige und dem zu vollstreckenden Urteil widersprechende Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge liegt bei der ‚Organisationshaft‘ aber dann vor, wenn die Vollstreckungsbehörde in Umsetzung des gerichtlichen Rechtsfolgenausspruchs nicht unverzüglich die Überstellung des Verurteilten in den Maßregelvollzug einleitet und herbeiführt (vgl. hierzu Brandenburgisches OLG, StV 2001, S. 23 [25]).

(1) In der Strafprozessordnung ist aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen eine durch Anrechnung auszugleichende zeitliche Verzögerung der Vollstreckung eines Strafurteils angelegt. Der Beginn der Vollstreckung setzt neben der Rechtskraft des Urteils die vom hierfür zuständigen Vollstreckungsrechtspfleger (vgl. § 31 Abs. 2 RPflG) zu erstellende Bescheinigung der Vollstreckbarkeit voraus. Etwaige Vollstreckungshindernisse gemäß §§ 455 ff. StPO müssen geprüft werden. Ungeachtet der Frage, ob zum Zeitpunkt des Vollstreckungsbeginns überhaupt ein für den Verurteilten geeigneter Therapieplatz vorhanden ist, bedarf es zudem eines verwaltungstechnischen Vollzugs der Überstellung des Verurteilten in die Maßregeleinrichtung. Bei den hierfür erforderlichen Abläufen ist in Rechnung zu stellen, dass die Maßregeleinrichtungen nicht der für die Strafvollstreckung zuständigen Justizverwaltung unterstellt sind. In Nordrhein-Westfalen sind die der Aufsicht des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales unterworfenen Landschaftsverbände zuständig.

(2) Da die durch die Maßregelanordnung bezweckte, sowohl der Resozialisierung des Verurteilten als auch der Sicherheit der Allgemeinheit dienende Behandlung des Verurteilten (vgl. § 137 StVollzG) in der Justizvollzugsanstalt nicht gewährt werden kann, kann die ‚Organisationshaft‘ mit wachsender Dauer einer der Gesetzeslage und der richterlichen Anordnung widersprechenden Umkehrung der Vollstreckungsreihenfolge mit dem Risiko von deren Zweckverfehlung nahe kommen. Die von Verfassungs wegen noch vertretbare Organisationsfrist kann daher nur im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Bemühungen der Strafvollstreckungsbehörde um eine beschleunigte Unterbringung des Verurteilten im Maßregelvollzug bestimmt werden.

(3) Einem eindeutigen Gesetzesbefehl darf die Gefolgschaft nicht deshalb versagt werden, weil die Exekutive nicht die zu seiner Durchführung erforderlichen Mittel bereit hält (vgl. BGHSt 28, 327, 329). Von Verfassungs wegen geboten ist es aber im Hinblick auf das Freiheitsgrundrecht nicht, dass bereits zum Zeitpunkt des im Einzelfall nicht vorhersehbaren Vollstreckungsbeginns ein für den jeweiligen Verurteilten geeigneter Platz in einer Maßregeleinrichtung vorgehalten wird. Von den Vollstreckungsbehörden sowie den Landschaftsverbänden kann der auf den konkreten Einzelfall bezogene Behandlungsbedarf nicht ohne weiteres antizipiert werden.

(4) Verfassungsrechtlich geboten ist es indes, dass die Vollstreckungsbehörden auf den konkreten, von der Rechtskraft des jeweiligen Urteils abhängigen Behandlungsbedarf unverzüglich reagieren und in beschleunigter Weise die Überstellung des Verurteilten in eine geeignete Einrichtung, welche sich unter Umständen auch außerhalb des jeweiligen Bundeslandes befinden kann, herbeiführen (zur restriktiven, auf das Beschleunigungsgebot und den Einzelfall abstellenden Tendenz in der obergerichtlichen Rechtsprechung vgl. OLG Dresden, NStZ 1993, S. 511 f., Brandenburgisches OLG, StV 2001, S. 23 ff., OLG Celle, StV 2003, S. 32 f., OLG Celle, NStZ-RR 2003, S. 316 f., OLG Hamm, NStZ-RR 2004, S. 381 ff.) […].“

2.a) Bei der erforderlichen Einzelfallprüfung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts zu Recht darauf aufgestellt, dass die Vollstreckungsbehörde erst einen Monat nach Rechtskraft des Urteils das Aufnahmeersuchen verfügte. Ein rechtlich vertretbarer Grund für diese Verzögerung lag nicht etwa in dem Umstand, dass der Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft die schriftlichen Urteilsgründe erst nach der am 04.05.2022 erfolgten Ausfertigung der schriftlichen Urteilsgründe des Landgerichts vorlagen. Zu einen hätte der zum Zeitpunkt des Urteils absehbare Zeitpunkt der Rechtskraft von der Staatsanwaltschaft spätestens nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beim Landgericht erfragt werden können. Zum anderen hätte auch das Landgericht ungefragt den Eintritt der Rechtskraft der Staatsanwaltschaft mitteilen können. Ungeachtet der erforderlichen Prüfung sämtlicher Vollstreckungsvoraussetzungen hätte die Staatsanwaltschaft somit schon mit dem Zeitpunkt der Rechtskraft bei den für den Maßregelvollzug zuständigen Stellen den konkreten Unterbringungsbedarf - auch fernmündlich oder per Telefax - anmelden können (so: BVerfG a.a.O.).

b) Wird ein Behandlungsplatz – wie dies angesichts des Schreibens des Bezirkskrankenhauses vom 12.05.2022 der Fall war, das einen Therapieplatz für den 27.09.2022 in Aussicht stellte - erst mittelfristig frei, ist die Vollstreckungsbehörde gehalten, sich um einen (zeitlich früher) verfügbaren Behandlungsplatz außerhalb des zuständigen Landschaftsverbands zu bemühen und, sofern dies erfolglos ist, ggf. auch um einen solchen außerhalb des jeweiligen Bundeslandes (vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 18.03.2021 – III-2 Ws 37/21 bei juris = NStZ 2021, 442, BVerfG a.a.O.). Die Vollstreckung von Organisationshaft stellt sich nur während des Zeitraumes als rechtmäßig dar, den die Vollstreckungsbehörde unter Berücksichtigung des in Haftsachen geltenden Beschleunigungsgrundsatzes realistischerweise benötigt, um in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Rechtskraft des Urteils und eines etwaigen Vorwegvollzuges einen Vollzugsplatz - ggf. auch in einem anderen Bundesland - zu finden und den Verurteilten dorthin zu überführen. Steht ein solcher Platz nicht zur Verfügung, muss der Verurteilte freigelassen werden (vgl. OLG Oldenburg Beschl. v. 18.09.2020 – 1 Ws 357/20 [bei juris] m.w.N.).

Die obergerichtliche Rechtsprechung geht hierbei - ungeachtet der notwendigen Betrachtung des Einzelfalles – teilweise sogar davon aus, dass der weitere Vollzug der Organisationshaft im Regelfall nur innerhalb einer Zeitspanne von nicht mehr als sechs Wochen ab Eintritt der Rechtskraft als zulässig anzusehen ist, innerhalb derer ein geeigneter Therapieplatz gefunden, die Überführung des Verurteilten in den Maßregelvollzug herbeizuführen und damit der Vollzug der Organisationshaft zu beenden ist (OLG Hamm Beschl. v. 07.05.2019 – III- 1 Ws 209/19 bei juris). Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde darauf hinweist, dass in ihrem Gerichtsbezirk eine Dauer der Organisationshaft von 4 Monaten „eher die Ausnahme als die Regel“ ist, steht diese Praxis im Widerspruch zu der aufgezeigten gefestigten verfassungsrechtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung.

Nachdem die Vollstreckungsbehörde, soweit ersichtlich, nach der Mitteilung des Bezirkskrankenhauses vom 12.05.2022 keinerlei Aktivitäten in Richtung einer Unterbringung des Verurteilten vor dem 27.09.2022 entfaltet hat, entsprach der weitere Vollzug der Organisationshaft spätestens nach Ablauf der für diese Aktivitäten erforderlichen Frist, den die Strafvollstreckungskammer mit etwa 3 Monaten ab Rechtskraft der Entscheidung (vgl. OLG Oldenburg a.a.O. m.w.N.) und exakt 2 Monaten ab der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses vom 12.05.2022 keinesfalls zu knapp bemessen hat, nicht mehr den gesetzlichen Vorgaben.

Es ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, dass die von der Staatsanwaltschaft zitierten Verwaltungsvorschriften davon ausgehen, dass es nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde, sondern Aufgabe der örtlich zuständigen Maßregelvollzugseinrichtung ist, Anfragen an weitere Maßregelvollzugseinrichtungen vorzunehmen, falls sich der von der zuständigen Maßregeleinrichtung zugesagte Aufnahmetermin als zu weit in der Ferne liegend erweist. Zwar normieren die zitierten Verwaltungsvorschriften im Regelfall eine sinnvolle Aufgabenverteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Maßregelvollzugsbehörde. Anders als für die Staatsanwaltschaft werden für eine Maßregelvollzugseinrichtung jedoch im Regelfall keine Juristen, sondern Ärzte und sonstiges Personal tätig, welchem die Details der verfassungsrechtlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung kaum vollständig vertraut sein dürften. Gleichwohl ist deren Verhalten der Sphäre der Justiz zuzurechnen. Dies führt dazu, dass allein die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde die im Spannungsverhältnis zwischen tatsächlich knappen Ressourcen im Maßregelvollzug und dem Recht der Verurteilten auf zügige Unterbringung auftretenden Konflikte zu einem rechtlich einwandfreien Ausgleich bringen kann und dass ihr insoweit gegenüber der Maßregelvollzugseinrichtung im Konfliktfall eine richtunggebende Funktion zukommt.

c) Die Frage, ob im Falle eines Versäumnisses der Vollstreckungsbehörden im Rahmen der Prüfung, ob die rechtskräftig verhängte Freiheitsstrafe weiter vollstreckt werden darf, eine Abwägung zwischen dem Gewicht der Verletzung des Interesses des Verurteilten an der unverzüglichen Umsetzung der konkret angeordneten Vollstreckungsreihenfolge einerseits und dem Schutz der Allgemeinheit andererseits zu erfolgen hat (bejahend OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.10.2021 – 3 Ws 616/21 bei juris = NStZ-RR 2022, 95 = BeckRS 2021, 39934), kann dahinstehen, denn selbst die Vornahme einer solchen Abwägung würde im konkreten Fall offenkundig dazu führen, dass die Interessen des Verurteilten an einer zügigen Vollstreckung der Unterbringung ist Sicherungsinteressen des Staates überwiegen.

aa) Der Verurteilte wurde zu einer nicht sehr hohen Freiheitsstrafe verurteilt, die, ausweislich der Urteilsgründe des Landgerichts, bereits die prognostizierte Dauer seiner Therapie von 2 Jahren bis zur Erreichung eines Behandlungserfolgs deutlich unterschreitet und nicht wie im vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe (dort: 5 Jahre 4 Monate).

bb) Soweit die Staatsanwaltschaft zu bedenken gibt, dass der Verurteilung ein bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zugrunde lag, wird dieser rein abstrakte Ansatz bei konkreter Betrachtungsweise entscheidend relativiert durch den Umstand, dass der Verurteilte nur wegen Beihilfe und dies auch nur in Anwendung eines minder schweren Falls verurteilt wurde.

cc) Zudem befand sich der Verurteilte bis zum Erlass des Urteils bereits seit fast 9 Monaten in Untersuchungshaft. Nach § 67 Abs. 4 StGB kann nun aber die Dauer der Unterbringung nur bis zu 2/3 auf die Dauer der Strafe angerechnet werden, wobei Untersuchungshaft (§ 51 StGB) und Organisationshaft ebenfalls auf die verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen sind. Dies wirkt sich im konkreten Fall dahingehend aus, dass jeder Tag des Vollzugs der Organisationshaft die Gesamtdauer der Freiheitsentziehung des Verurteilten (Haft plus Maßregelvollzug) verlängert. Die Aussicht wiederum, dass jeder Tag des Wartens auf die angeordnete Unterbringung und jeder Tag des Vollzugs der Therapie die Gesamtdauer der Freiheitsentziehung verlängert, kann dazu führen, dass sich, wie vom Verurteilten im vorliegenden Fall auch geltend gemacht, seine Therapiemotivation mindert, was gerade nicht mit dem Sinne und Zweck der Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB zu vereinbaren ist. Insofern liegt eine Fallkonstellation vor, die die zügige Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt ganz besonders dringlich erscheinen lässt.

dd) Soweit der Verurteilte, wahrscheinlich aufgrund der aufgezeigten Verlängerung der Gesamtdauer seiner Freiheitsentziehung, mehrfach schriftlich seine Therapieunwilligkeit bekundet hat, ist dieser Umstand – anders als die Staatsanwaltschaft meint – kein Gesichtspunkt, der im Rahmen der Abwägung einzustellen wäre. Da die verbal geäußerte fehlende Therapiebereitschaft eines Angeklagten für sich genommen kein Grund ist, von der Anordnung einer Unterbringung gemäß § 64 StGB abzusehen (st.Rspr. vgl. zuletzt nur BGH Beschl. v. 31.03.2020 - 1 StR 639/19, 01.06.2021 - 6 StR 212/21 und 23.11.2021 - 4 StR 289/21, jew. bei juris), ist sie – zumal vor dem Hintergrund, dass das anordnende Gericht sie in mündlicher Verhandlung geprüft und verneint hat - erst recht kein Grund, die Aufnahme in eine Therapieeinrichtung nicht zügig zu betreiben, denn es ist gerade die ureigene Aufgabe der Therapieeinrichtung, eine mangelnde Therapiebereitschaft zu wecken. Der Schluss, dass eine solche dauerhaft nicht herzustellen ist, kann erst nach Ablauf einer gewissen Zeit im Rahmen der Unterbringung gezogen werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt § 473 Abs. 1, Abs. 2 StPO.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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