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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Haftgrund der Wiederholungsgefahr, Beschleunigung, Ruhensvorschrift

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 26.05.2023 - 1 Ws 40/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten. Es sind daher aus verfassungsrechtlichen Gründen strenge Anforderungen an den Haftgrund und die Qualität des Anlassdeliktes zu stellen.
2. Als die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Taten nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO kommen nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes in Betracht bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, wobei jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach den erforderlichen Schweregrad aufweisen muss.
3. Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet sein, die eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die naheliegende Gefahr besteht, er werde noch vor rechtskräftiger Verurteilung in der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache weitere gleichartige Taten begehen. Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens, wobei auch Indiztatsachen zu berücksichtigen sind.
4. Betrugstaten nach § 263 StGB können auch dann taugliche Anlasstaten nach § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StPO darstellen, wenn lediglich aufgrund der in der Baubranche geltenden Beitragspflicht zur Sozialkasse Bau der § 263 StGB hier nicht von dem nicht im Katalog der Anlasstaten genannten spezielleren § 266a StGB verdrängt wird.
5. Die Ruhensvorschrift des § 121 Abs. 3 StPO findet Anwendung auch auf die Frist nach § 122a StPO für den Vollzug einer auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Untersuchungshaft.



OLG Bremen

Beschluss

In der Strafsache
pp. u.a.

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht
am 26. Mai 2023 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten pp. vom 20.04.2023 gegen den Haftfortdauerbeschluss der Strafkammer 32 des Landgerichts Bremen vom 17.04.2023 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht Bremen erließ unter dem Aktenzeichen pp. am 09.05.2022 einen Haftbefehl gegen den Angeklagten pp. wegen des Tatvorwurfes der bandenmäßigen Beitragsvorenthaltung, des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges sowie der Steuerhinterziehung jeweils in einer Vielzahl von Fällen, gestützt auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Der Angeklagten wurde am 19.05.2022 vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag in Untersuchungshaft aufgrund des vorstehend genannten Haftbefehls.

Im Einzelnen hat das Amtsgericht dem Haftbefehl vom 09.05.2022 einen dringenden Tatverdacht bezüglich der folgenden Vorwürfe zugrunde gelegt: Der Angeklagte pp. ist verdächtig, seit Januar 2019 gemeinschaftlich handelnd mit weiteren Beschuldigten als pp. Arbeitnehmer beschäftigt zu haben, welche nicht oder nur in geringerem Umfang zur Sozialversicherung gegenüber der SOKA-BAU und dem Finanzamt angemeldet worden sind, wodurch Gesamtsozialversicherungs- und Sozialkassenbeiträge sowie Lohnsteuern zum jeweiligen Fälligkeitstag nicht in der richtigen Höhe abgeführt bzw. Urlaubskassenbeiträge seitens der zuständigen Stelle täuschungsbedingt zu niedrig festgesetzt worden sind. Um die tatsächliche Arbeitgebereigenschaft der entsprechenden Firmen sowie die Bezahlung der Arbeitnehmer für die über ihre Anmeldung hinaus geleistete Arbeit zu verschleiern, soll der Angeklagte Rechnungen von vermeintlichen Subunternehmern, welche als Scheinfirmen fungiert haben sollen, eingebucht haben, denen tatsächlich keine Leistungen zugrunde lagen. Durch die Begleichung dieser Rechnungen sollen die überwiesenen Geldbeträge in Höhe von mehreren Millionen Euro dem offiziellen Wirtschaftskreislauf dergestalt entzogen worden sein, dass diese nach Abhebung durch weitere Beschuldigte in bar – nach Abzug einer Provision – an den Angeklagten zurückgeflossen sein sollen, so dass diesem hierdurch die Bezahlung der nicht oder nicht in vollem Umfang angemeldeten Arbeitnehmer möglich war.

In rechtlicher Hinsicht begründete dies nach dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 09.05.2022 einen dringenden Tatverdacht gegen den Angeklagten wie folgt: pp.

2. Am 25.05.2022 beantragte der Verteidiger des Angeklagten pp., Termin zur mündlichen Haftprüfung anzuberaumen, wobei er darlegte, der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sei nicht gegeben. Nach Durchführung des Haftprüfungstermins am 08.06.2022 wurde der Antrag auf Haftprüfung am 09.06.2022 zurückgenommen. Ein in Unkenntnis der Antragsrücknahme ergangener Beschluss das Amtsgericht Bremen vom 13.06.2022, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 09.05.2022 nach erfolgter Haftprüfung aufrechterhalten und in Vollzug bleibt, ist wegen der Antragsrücknahme gegenstandslos.

Mit Datum vom 14.06.2022 legte der Verteidiger des Angeklagten pp. Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 09.05.2022 ein, wobei er erneut ausführte, der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr sei nicht gegeben. Nach mündlicher Anhörung des Angeklagten am 06.07.2022 hob die Strafkammer 32 (Wirtschaftsstrafkammer II) des Landgerichts Bremen mit Beschluss vom 14.07.2022 den Haftbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 09.05.2022 auf, wobei sie sich darauf stützte, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr nicht bestehe. Die Kammer ordnete im Rahmen ihrer Beschwerdeentscheidung mit neuerlichem Haftbefehl vom 14.07.2022 die Untersuchungshaft gegen den Angeklagten wegen des Tatvorwurfes des gewerbs- und bandenmäßigen Betruges in 45 Fällen an, wobei sie anstelle des Haftgrundes der Verdunkelungsgefahr den subsidiären Haftgrund der Wiederholungsgefahr als gegeben erachtete. Die weitere Beschwerde des Angeklagten gegen diesen Beschluss, die der Angeklagte darauf stützte, dass er das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr verneinte, wurde mit Beschluss des Senats vom 19.08.2022 als unbegründet zurückgewiesen.

3. Mit Anklageschrift vom 30.11.2022 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Angeklagten pp. und weitere Angeklagte zum Landgericht Bremen. Darin wird der Angeklagte angeklagt wie folgt:
pp.

Bereits mit Verfügung vom 09.11.2022 hatte die Staatsanwaltschaft Bremen gegenüber dem Amtsgericht – Vorermittlung – Bremen beantragt, die gegen den Angeklagten pp. und weitere Angeklagte bestehenden Untersuchungshaftbefehle dergestalt zu erweitern, dass diese der gemeinschaftlichen Begehung von gewerbs- und bandenmäßigen Betrugstaten in 56 Fällen dringend tatverdächtig seien. Eine Entscheidung auf diesen Antrag ist bisher nicht ergangen.

4. Die Akten wurden auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Bremen am 11.11.2022 und somit vor Ablauf der Sechsmonatsfrist dem Senat vorgelegt zur Prüfung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft (§§ 121, 122 StPO). Mit Beschluss vom 21.12.2022 hat der Senat die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten pp. angeordnet. Der Senat hat in diesem Beschluss festgestellt, dass der Angeklagte der ihm mit Haftbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 09.05.2022 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 S. 1 StPO) ist und dass gegen ihn der Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO) besteht.

5. Am 07.02.2023 ließ die Strafkammer 32 (Wirtschaftsstrafkammer II) des Landgerichts Bremen die Anklage der Staatsanwaltschaft Bremen vom 30.11.2022 im Hinblick auf sämtliche Angeklagte zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren. Des Weiteren ordnete die Strafkammer Haftfortdauer sowohl hinsichtlich des Angeklagten pp. als auch hinsichtlich der weiteren beiden in Untersuchungshaft befindlichen Mitangeklagten an. Mit Verfügung vom selben Tag beraumte die Vorsitzende der Strafkammer 32 zwischen dem 01.03. und dem 20.12.2023 insgesamt 52 Hauptverhandlungstermine an. Die Hauptverhandlung hat am 01.03.2023 begonnen und ist seither fortgesetzt worden.

6. Mit Schriftsatz vom 06.04.2023, vorgebracht im Hauptverhandlungstermin vom 12.04.2023, beantragte die Verteidigerin des Angeklagten pp., den Haftbefehl des Landgerichts Bremen vom 14.07.2022 aufzuheben und ihren Mandanten sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen; hilfsweise diesen gegen geeignete Auflagen, die in das Ermessen des Gerichts gestellt werden, außer Vollzug zu setzen. Zur Begründung führte sie aus, dass der dem Haftbefehl des Landgerichts Bremen vom 14.07.2022 zugrundeliegende Haftgrund der Wiederholungsgefahr jedenfalls mit Beginn und weiterem Fortgang der Hauptverhandlung entfallen sei. Zudem genüge sowohl die gerichtliche Terminierung der Hauptverhandlung als auch deren bisheriger Ablauf nicht den Anforderungen, welche sich aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen ergäben.

Mit Beschluss vom 17.04.2023 hat die Strafkammer 32 den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls des Landgerichts Bremen vom 14.07.2022 sowie den hilfsweise gestellten Antrag auf Außervollzugsetzung dieses Haftbefehls zurückgewiesen und angeordnet, dass der Haftbefehl des Landgerichts Bremen vom 14.07.2022 aufrechterhalten und in Vollzug bleibt.

Gegen diesen Haftfortdauerbeschluss wendet sich der Angeklagte pp. mit seiner Beschwerde vom 20.04.2023. Die Beschwerde hat er wiederum damit begründet, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei und dass die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft gegen den Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verstoße.

Die Strafkammer 32 hat der Beschwerde am 24.04.2023 nicht abgeholfen. Die Akten wurden von der Staatsanwaltschaft Bremen mit Verfügung vom 28.04.2023 der Generalstaatsanwaltschaft Bremen übergeben, wobei die Staatsanwaltschaft in dieser Verfügung vom weiteren Vorliegen einer Wiederholungsgefahr ausging.

Mit Stellungnahme vom 03.05.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Bremen beantragt, die Beschwerde des Angeklagten pp. als unbegründet zu verwerfen. Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 16.05.2023 zu diesem Antrag Stellung genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft Bremen hat mit Verfügung vom 23.05.2023 erklärt, auch unter dem Eindruck dieses weiteren Vorbringens an ihrem Antrag vom 03.05.2023 festzuhalten.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten pp. vom 20.04.2023 gegen den Haftfortdauerbeschluss der Strafkammer 32 des Landgerichts Bremen vom 17.04.2023 ist statthaft und formgerecht eingelegt und erweist sich infolge der sich aus der angefochtenen Entscheidung ergebenden Beschwer als zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO).

Die Beschwerde ist aber in der Sache nicht begründet. Nach den insoweit für die Nachprüfung durch die Beschwerdeinstanz geltenden Maßstäben ist die Annahme eines dringenden Tatverdachts durch das Landgericht nicht zu beanstanden (siehe unter 1.) und dasselbe gilt für das Vorliegen des Haftgrunds der Wiederholungsgefahr (siehe unter 2.). Die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch verhältnismäßig, dies auch im Hinblick an die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Haftentscheidungen im Lichte des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (siehe unter 3.). Zudem kommt auch eine Außervollzugsetzung gemäß § 116 StPO vorliegend nicht in Betracht (siehe unter 4.).

1. Es ist nach den für die Nachprüfung durch die Beschwerdeinstanz bei laufender Hauptverhandlung geltenden Maßstäben nicht zu beanstanden, dass das Landgericht das Vorliegen des nach § 112 Abs. 1 S. 1 StPO für die Aufrechterhaltung des Haftbefehls erforderlichen dringenden Tatverdachts gegen den Angeklagten hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Taten als gegeben angesehen hat und es genügt insoweit auch die Begründung der Haftfortdauerentscheidung vom 17.04.2023 zusammen mit der Nichtabhilfeentscheidung vom 24.04.2023 den hierzu bestehenden besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen.

a) Dringender Tatverdacht besteht dann, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat und eine Verurteilung wegen dieser Straftat mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (siehe BGH, Beschluss vom 05.05.1992 – StB 9/92, juris Rn. 4, BGHSt 38, 276; LR/Hilger, 27. Aufl., § 112 StPO Rn. 17 m.w.N.; ebenso auch die ständige Rechtsprechung des Senats, siehe zuletzt u.a. Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 03.01.2018 – 1 Ws 143/17 - 145/17, juris Rn. 16, OLGSt StPO § 112 Nr 23; Beschluss vom 24.04.2019 – 1 Ws 44/19, juris Rn. 18, OLGSt StPO § 112 Nr. 26). Dabei hat das Gericht im Freibeweiswege zu prüfen, ob der dringende Tatverdacht aufgrund bestimmter Tatsachen besteht, wobei insbesondere bloße Vermutungen außer Betracht zu bleiben haben und kriminalistische oder sonstige Erfahrungen lediglich zur Beurteilung und Bewertung der Tatsachen herangezogen werden dürfen, diese jedoch nicht zu ersetzen vermögen (vgl. LR/Hilger, 27. Aufl., § 112 StPO Rn. 20 m.w.N.; ebenso auch die st. Rspr. des Senats, siehe zuletzt Hanseatisches OLG in Bremen, a.a.O.).

b) Wie der Senat bereits an anderer Stelle dargelegt hat, sind für die Beurteilung des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts durch das Oberlandesgericht im Rahmen laufender Hauptverhandlung die folgenden wesentlichen Vorgaben der höchst- und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu beachten (siehe hierzu zuletzt Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 24.04.2019 – 1 Ws 44/19, juris Rn. 9 ff., OLGSt StPO § 112 Nr. 26 m.w.Nachw.).

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 21.04.2016 – StB 5/16, juris Rn. 11, NStZ-RR 2016, 217; Beschluss vom 29.09.2016 – StB 30/16, juris Rn. 5, NJW 2017, 341). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen, unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen (vgl. BGH, a.a.O.), denn es hat in gleicher Weise wie das Tatgericht alle Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft festzustellen und ist daher nicht auf die Überprüfung der Haftgründe und der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschränkt (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2016, a.a.O.). Allerdings ist im Hinblick auf den nur eingeschränkten Umfang der Nachprüfung dem Beschwerdegericht ausschließlich eine Prüfung dahingehend möglich und insoweit auch geboten, ob das Tatgericht eine vertretbare Würdigung vorgenommen hat, insbesondere ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass wesentliche tatsächliche Umstände nicht berücksichtigt wurden, oder ihr Stellenwert verkannt worden ist. Dies setzt aber wenigstens voraus, dass das erstinstanzliche Gericht dem Beschwerdegericht das Ergebnis seiner bisherigen Beweiserhebungen zumindest in zusammenfassend knapper Form zur Kenntnis bringt, damit dieses in eigener Verantwortung aus einer Zusammenschau des bisher erzielten Ergebnisses der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung mit den noch nicht in diese eingeführten, nach den Ermittlungen aber zur Verfügung stehenden weiteren Beweisen beurteilen kann, ob der dringende Tatverdacht weiter zu bejahen ist (vgl. BGH, a.a.O.).

Nur so kann auch den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen werden. Nach diesen Grundsätzen unterliegen Haftfortdauerentscheidungen der Notwendigkeit einer erhöhten Begründungstiefe, da der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass in der Regel in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit enthalten sind, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrer Gewichtigkeit verschieben können. Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 16.03.2006 – 2 BvR 170/06, juris Rn. 32, BVerfGK 7, 421; Beschluss vom 30.07.2014 – 2 BvR 1457/14, juris Rn. 25, StV 2015, 39; Beschluss vom 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, juris Rn. 19; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 43, NJW 2019, 915). Unterbleibt eine entsprechende Abwägung, so hat dies regelmäßig eine Verletzung des Grundrechts der persönlichen Freiheit zur Folge. Gleiches gilt, wenn die Abwägung erkennbar unvollständig ist oder einzelne Belange fehlgewichtet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.10.2006 – 2 BvR 1815/06, juris Rn. 17, BVerfGK 9, 306). Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts genügt zur Begründung einer Haftfortdauerentscheidung nicht (vgl. BVerfG, a.a.O.).

bb) Im Einzelnen bedeutet dies insbesondere hinsichtlich der Begründung des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts Folgendes: Ist die Beweiserhebung bereits fortgeschritten, so genügt es regelmäßig nicht, wenn das Tatgericht auf frühere Haftfortdauerentscheidungen oder das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen verweist und lediglich festhält, dass der dort beschriebene Tatverdacht durch die Beweisaufnahme nicht entkräftet worden sei. Ein dringender Verdacht ist nicht für das ganze Verfahren gleich und kann sich bereits im Ermittlungsverfahren oder auch mit fortschreitender Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung nach dem sich in der Regel stetig ändernden Stand der Ermittlungen verstärken oder aber abschwächen bzw. ganz entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2016 – StB 30/16, juris Rn. 6, NJW 2017, 341; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 13.05.2009 – 2 BvR 388/09, juris Rn. 24, BVerfGK 15, 474; Beschluss vom 20.12.2017 – 2 BvR 2552/17, juris Rn. 19). Um dem Beschwerdegericht eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen, bedarf es deshalb einer – wenn auch knappen – Darstellung, ob und inwieweit sowie durch welche Beweismittel sich der zu Beginn der Beweisaufnahme vorliegende Verdacht bestätigt hat und welche Beweisergebnisse noch zu erwarten sind. Dies bedeutet nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten und das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 22.09.2016 – StB 29/16, juris Rn. 7, NStZ-RR 2017, 18; Beschluss vom 29.09.2016, a.a.O., juris Rn. 7). Es genügt, wenn das erkennende Gericht darlegt, auf welche in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise es den dringenden Tatverdacht stützt, ohne dass es regelmäßig deren Bewertung bedürfte. Auch kann – schon zur Vermeidung ausschließlicher und damit überflüssiger Schreibarbeit – insbesondere bezüglich des noch zu erwartenden Beweisergebnisses in geeigneten Fällen grundsätzlich auf frühere Entscheidungen oder die Anklage Bezug genommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.10.2006 – 2 BvR 1815/06, juris Rn. 9, BVerfGK 9, 306; BGH, a.a.O.).

d) Nach diesen Grundsätzen ist die Annahme eines dringenden Tatverdachts durch die Strafkammer in der angefochtenen Entscheidung vom 17.04.2023 in Verbindung mit der Begründung der Nichtabhilfeentscheidung vom 24.04.2023 nicht zu beanstanden.

Wie bereits in der Entscheidung des Senats vom 21.12.2022 dargelegt wurde, ergibt sich aus den in den Haftbefehlen des Amtsgerichts Bremen vom 09.05.2022 und des Landgerichts Bremen vom 14.07.2022 sowie der Beschwerdeentscheidung des Senats vom 19.08.2022 getätigten Ausführungen bzw. den in den vorgenannten Entscheidungen dargelegten Beweismitteln und Erkenntnissen (u.a. Auswertung der Kontoumsätze der betroffenen Firmen; Überwachung der Telekommunikation (Gesprächsprotokolle); Observationsmaßnahmen; Handelsregisterauszüge; Gewerberegisterauszüge; mehrere anonyme Hinweise; Einlassung des Angeklagten pp.) ein dringender Tatverdacht gegen den Angeklagten pp. wegen der gemeinschaftlichen Begehung von gewerbs- und bandenmäßigen Betrugstaten in 45 Fällen. Ergänzend kann zum weiteren Verlauf der laufenden Hauptverhandlung auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Bremen in ihrer Stellungnahme vom 03.05.2023 verwiesen werden:

Diesen Ausführungen, denen auch der Angeklagte im Rahmen der Beschwerde weiterhin nicht entgegengetreten ist, tritt der Senat bei.

2. Es liegt gegen den Angeklagten der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO vor.

a). Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr setzt voraus, dass der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat im Sinne des § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO begangen zu haben und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist.

Die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist kein Mittel der Verfahrenssicherung, sondern eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind daher strenge Anforderungen an den Haftgrund und die Qualität des Anlassdeliktes zu stellen (siehe BVerfG, Beschluss vom 30.05.1973 – 2 BvL 4/73, juris Rn. 19, BVerfGE 35, 185; so auch die st. Rspr. des Senats, siehe zuletzt u.a. in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschlüsse vom 01.08.2016 – 1 Ws 108/16 und vom 06.11.2018 – 1 Ws 107/18, jeweils n.v.). Da die Katalogtaten nach § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO schon generell schwerwiegender Natur sind, kann das Merkmal „die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigend“ vom Gesetzgeber nur als weitere Einschränkung des Haftgrundes gemeint sein. Es können daher nur Taten überdurchschnittlichen Schweregrades und Unrechtsgehaltes bzw. solche, die mindestens in der oberen Hälfte der mittelschweren Straftaten liegen, als Anlasstaten in Betracht kommen, wobei jede einzelne Tat ihrem konkreten Erscheinungsbild nach den erforderlichen Schweregrad aufweisen muss (siehe BVerfG, a.a.O., so auch die st. Rspr. des Senats, a.a.O.). Hierfür kommt es auch auf Art und Umfang des jeweiligen angerichteten Schadens an und maßgeblich ist weiter, ob die betreffende Tat nach ihrem konkreten Erscheinungsbild geeignet ist, in weiten Teilen der Bevölkerung das Vertrauen in Sicherheit und Rechtsfrieden zu beeinträchtigen (so die st. Rspr. des Senats, a.a.O.). Die Wiederholungsgefahr i.S.d. § 112a Abs. 1 StPO muss durch bestimmte Tatsachen begründet sein, die eine so starke Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die naheliegende Gefahr besteht, er werde noch vor rechtskräftiger Verurteilung in der den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache weitere gleichartige Taten begehen. Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens. Dabei sind auch Indiztatsachen zu berücksichtigen und zu würdigen, wie die Vorstrafen des Angeklagten, die zeitlichen Abstände zwischen den Taten sowie Persönlichkeitsstruktur und Lebensumstände des Beschuldigten (so die st. Rspr. des Senats, siehe zuletzt Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 11.05.2020 – 1 Ws 44/20, juris Rn. 12, OLGSt StPO § 112a Nr 7; siehe ferner Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 112a StPO Rn. 14 m.w.N.).

b) Bei Anwendung dieses Maßstabs ergibt eine zusammenfassende Würdigung der aus der Akte ersichtlichen Umstände, dass die Annahme des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr in Bezug auf den Angeklagten im vorliegenden Fall ausreichend belegt ist. An der diesbezüglichen Einschätzung in den Beschlüssen vom 19.08.2022 und 21.12.2022 hält der Senat fest. Es kann zudem weiterhin auf die Ausführungen in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 16.11.2022 verwiesen werden, an welchen die Generalstaatsanwaltschaft auch in ihrer letzten Stellungnahme vom 03.05.2023 festgehalten hat:

Diesen Ausführungen tritt der Senat weiterhin bei. Auch das Vorbringen des Angeklagten im vorliegenden Beschwerdeverfahren steht dieser Würdigung nicht entgegen. Im Einzelnen sind hierzu die folgenden Ausführungen veranlasst:

Soweit der Angeklagte meint, dass keine tauglichen Anlasstaten i.S.d. § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO vorlägen, da lediglich in der Baubranche aufgrund der Beitragspflicht zur Sozialkasse Bau der § 263 StGB nicht von § 266a StGB verdrängt werde, der aber ebenso wie § 370 AO keine taugliche Anlasstat i.S.d. § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO darstelle, ist dem nicht zu folgen. Zwar entspricht es der Wertentscheidung des Gesetzgebers, dass § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB dem § 263 StGB als lex specialis vorgehen (siehe die Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 02.03.2004, BT-Drucks. 15/2573, S. 28), und es trifft auch zu, dass weder § 266a StGB noch § 370 AO als taugliche Anlasstaten in § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO genannt sind. Es kann hier aber bereits dahinstehen, ob im Fall eines bloßen Zurücktretens einer im § 112a StPO genannten Katalogtat im Wege der Gesetzeskonkurrenz (im Gegensatz insbesondere zu einer Privilegierung) generell davon auszugehen ist, dass keine taugliche Anlasstat im Sinne der Vorschrift gegeben ist. Jedenfalls ist aus dem genannten Konkurrenzverhältnis nicht zu folgern, dass im Fall einer – wie hier – nicht erfolgten Verdrängung des § 263 StGB durch den § 266a StGB nicht vom Vorliegen einer tauglichen Anlasstat i.S.d. § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO auszugehen wäre, da der Gesetzgeber vielmehr in Kenntnis dieser Regelung bei der Neufassung des § 266a StGB von einer Änderung auch des § 112a StPO abgesehen hat.

Ebenso ist der Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht durchgreifend entgegenzuhalten die Berufung des Angeklagten darauf, dass er nicht vorbestraft sei und dass das frühere Ermittlungsverfahren zum Az. pp. nach Anklageerhebung gemäß § 153a StPO eingestellt worden und das weitere Verfahren zum Az. pp. nicht abgeschlossen sei. Wie vorstehend ausgeführt wurde, ist die Annahme einer Wiederholungsgefahr im Sinne einer Gefahrenprognose auch auf Indiztatsachen zu stützen, zu denen bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente auch die wiederholte Führung von Ermittlungsverfahren zählen kann, ohne dass es notwendigerweise auch in diesen Verfahren zu einer Verurteilung gekommen sein müsste.

Wie bereits zuletzt im Beschluss vom 21.12.2022 ausgeführt, hält der Senat schließlich auch weiter an der Auffassung fest, dass eine Wiederholungsgefahr nicht bereits deswegen nicht länger anzunehmen sei, weil der Angeklagte in der Baubranche „verbrannt“ sei. Der Senat hat vielmehr bereits im Beschluss vom 21.12.2022 ausgeführt, dass er namentlich in den vorstehend genannten Vorgängen aus dem Mai und Juni 2022 durchaus Anhaltspunkte dafür begründet sieht, dass der Angeklagte im Fall seiner Entlassung in der Baubranche tätig werden will und dabei auch das ihm vorgeworfene Geschäftsverhalten fortsetzen würde. Auch wenn die pp. selbst derzeit Schwierigkeiten in der Fortsetzung ihrer Tätigkeit am Markt ausgesetzt und bei Ausschreibungen mehrfach nicht berücksichtigt worden sein sollte, wie die Verteidiger vorbringen, schließt dies eine Fortsetzung der Geschäftstätigkeit unter anderer Firmierung nicht aus, wobei wiederum insbesondere auf die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft zur Geschäftsfortführung nach dem Abschluss des früheren Strafverfahrens zum Az. .. sowie zur damaligen Änderung des Firmennamens und der Einsetzung des pp. als Geschäftsführer zu verweisen ist. Auf eine fortbestehende Geschäftsführertätigkeit des in der pp. kommt es dabei nicht notwendigerweise an, da letztlich auch beliebige andere Unternehmen für diese Tätigkeit genutzt werden könnten.

3. Die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft genügt auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§§ 112 Abs. 1 S. 2, 120 Abs. 1 S. 1 StPO), dies auch im Hinblick an die verfassungsrechtlichen Anforderungen an Haftentscheidungen im Lichte des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen. Wie der Senat bereits an anderer Stelle dargelegt hat, ist nach den Vorgaben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bei der Anordnung und Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft stets das Spannungsverhältnis zwischen dem grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsrecht und dem unabweisbaren Bedürfnis einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (siehe hierzu zuletzt Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 24.04.2019 – 1 Ws 44/19, juris Rn. 9 ff., OLGSt StPO § 112 Nr. 28 m.w.Nachw.). Im Einzelnen sind dem die nachfolgenden Anforderungen zu entnehmen:

a) Die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft ist grundsätzlich nach der Dauer der Strafe zu beurteilen, die der Angeklagte mutmaßlich zu verbüßen haben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 55, NJW 2019, 915; Beschluss vom 01.12.2020 – 2 BvR 1853/20, juris Rn. 26, NStZ-RR 2021, 50; BGH, Beschluss vom 21.04.2016 – StB 5/16, juris Rn. 16, NStZ-RR 2016, 217). Neben der Straferwartung sind dabei auch die Schwere des Eingriffs in die Lebenssphäre des Angeklagten, die Art des verletzten Rechtsguts, der konkrete Geschehensablauf, sowie tatbezogene Umstände aus der Person des Beschuldigten zu berücksichtigen. Gleichzeitig sind im Rahmen der von Gerichten vorzunehmenden Abwägung auch Kriterien wie die Komplexität der einzelnen Rechtssache, die Vielzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung von Bedeutung (siehe BVerfG, a.a.O.; siehe auch BGH, a.a.O.).

b) Mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung vergrößert sich dann das Gewicht des Freiheitsanspruchs regelmäßig gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftdauer rechtfertigenden Grund zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07, juris Rn. 40, StV 2008, 198; Beschluss vom 22.01.2014 – 2 BvR 2248/13, 2 BvR 2301/13, juris Rn. 33; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 55, NJW 2019, 915; Beschluss vom 01.12.2020 – 2 BvR 1853/20, juris Rn. 27, NStZ-RR 2021, 50). Dabei findet das Beschleunigungsgebot grundsätzlich ungeachtet der geringeren Eingriffswirkung auch dann Anwendung, wenn ein Haftbefehl wegen Strafhaft in anderer Sache nicht vollzogen wird und lediglich Überhaft vermerkt ist, da auch die Überhaft wegen der sich aus Gründen des Haftrechts ergebenden Einschränkungen als Grundrechtseingriff auf das sachlich vertretbare Mindestmaß zu beschränken ist (siehe BVerfG, Beschluss vom 22.01.2014, a.a.O.).

c) Der Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt im Besonderen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und zur Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Haft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht worden ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008, a.a.O.; Beschluss vom 22.01.2014, a.a.O.; Beschluss vom 23.01.2019, a.a.O.; Beschluss vom 01.12.2020, a.a.O.).

d) Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist vor diesem Hintergrund zur Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes daher insbesondere stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit mehr als einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05, juris Rn. 64, BVerfGK 7, 21; Beschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07, juris Rn. 52, StV 2008, 198; Beschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12, juris Rn. 41, StV 2013, 640; BGH, Beschluss vom 22.10.2012 – StB 12/12, juris Rn. 15, NJW 2013, 247; Beschluss vom 29.09.2016 – StB 30/16, juris Rn. 16, NJW 2017, 341; Beschluss vom 09.02.2023 – StB 4/23, juris Rn. 21). Ist bei bereits langer Hauptverhandlungsdauer ein Ende des Strafverfahrens weiterhin – noch – nicht abzusehen, betont dies die Bedeutung des Beschleunigungsgrundsatzes weiter (siehe BVerfG, Beschluss vom 05.12.2005, a.a.O., juris Rn. 87, 102). Bei der Berechnung der durchschnittlichen Terminsdichte sind sich in einem angemessenen Rahmen zu haltende Unterbrechungszeiten bspw. zum Zweck des Erholungsurlaubs der Verfahrensbeteiligten oder auch zum Zweck des Antritts einer Kur herauszurechnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008, a.a.O., juris Rn. 53; Beschluss vom 17.01.2013, a.a.O., juris Rn. 51; Beschluss vom 23.01.2019, a.a.O., juris Rn. 64; siehe auch BGH, Beschluss vom 22.10.2012, a.a.O.; Beschluss vom 29.09.2016, a.a.O., juris Rn. 17; Beschluss vom 05.10.2018 – StB 45/18, juris Rn. 11; Beschluss vom 09.02.2023 – StB 4/23, juris Rn. 21). Ein Unterschreiten dieser Terminsdichte kann nur aus besonderen Gründen gerechtfertigt sein, die ihre Ursache allein in dem konkreten Strafverfahren haben, und kann nicht etwa allein mit einer Komplexität des Verfahrens oder besonders schwerwiegenden Tatvorwürfen begründet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008, a.a.O., juris Rn. 56 f.; Beschluss vom 23.01.2019, a.a.O., juris Rn. 68 ff.).

e) Das Beschleunigungsgebot kann nicht nur durch eine mangelnde Terminsdichte verletzt werden, sondern auch dadurch, dass an den jeweiligen Sitzungstagen nur kurze, den Sitzungstag nicht ausschöpfende Zeit verhandelt und das Verfahren dadurch nicht entscheidend gefördert wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05, juris Rn. 102, BVerfGK 7, 21; Beschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12, juris Rn. 52, StV 2013, 640; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 63, NJW 2019, 915; siehe auch BGH, Beschluss vom 05.10.2018 – StB 45/18, juris Rn. 13). Insbesondere kann dies Fälle betreffen, in denen ein Verfahren symptomatisch dadurch gekennzeichnet ist, dass Sitzungen bei Abweichungen vom gedachten Idealverlauf sofort geschlossen werden, ohne dass ein Alternativkonzept für solche Fälle zur Verfügung stünde, in denen jederzeit mit einem solchen Abweichen zu rechnen ist (siehe BVerfG, Beschluss vom 05.12.2005, a.a.O., juris Rn. 92). Kommt hierin das generelle Fehlen eines Bemühens um eine effiziente Ladung von Beteiligten und um die Festlegung eines straffen Verhandlungsplans zum Ausdruck, so kann dies eine Verletzung des Beschleunigungsgebots begründen (siehe BVerfG, a.a.O., juris Rn. 102). Dagegen begründet es keine unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen durchgreifenden Bedenken, wenn einzelne Sitzungstage früher als erwartet zu beenden waren, z.B. bei einer früher als erwartet erfolgenden Entlassung von Zeugen, die insbesondere bei schwierigen Umfangsverfahren nicht ungewöhnlich ist (siehe BGH, Beschluss vom 05.10.2018, a.a.O.).

f) Insgesamt ist hinsichtlich der Frage der Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2008 – 2 BvR 2652/07, juris Rn. 44, StV 2008, 198; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 56, NJW 2019, 915). Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17.01.2013 – 2 BvR 2098/12, juris Rn. 43, StV 2013, 640; BGH, Beschluss vom 21.04.2016 – StB 5/16, juris Rn. 17, NStZ-RR 2016, 217; Beschluss vom 23.02.2017 – StB 4/17, juris Rn. 11; Beschluss vom 05.10.2018 – StB 45/18, juris Rn. 10). Erst noch bevorstehende, aber schon jetzt hinreichend deutlich absehbare Verfahrensverzögerungen stehen bereits eingetretenen gleich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.2005 – 2 BvR 1737/05, juris Rn. 42, BVerfGK 6, 384; Beschluss vom 05.12.2005 – 2 BvR 1964/05, juris Rn. 77, BVerfGK 7, 21).

Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann eine Verzögerung nicht rechtfertigen, dies auch dann nicht, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973 – 2 BvR 558/73, juris Rn. 25, BVerfGE 36, 264; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 59, NJW 2019, 915). Anderes gilt – auch im Hinblick auf ein Unterschreiten der gebotenen Terminsdichte – bei einer erst im Verlauf des konkreten Verfahrens unvorhersehbar eingetretenen und auch bei Ergreifen ausreichender Abhilfemaßnahmen unvermeidbaren Überlastung des Spruchkörpers (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.2019, a.a.O., juris Rn. 68 ff.). Erkrankungen von Verfahrensbeteiligten als schicksalhafte Ereignisse können dagegen die Fortdauer einer Untersuchungshaft trotz objektiv feststehender Verzögerung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1973, a.a.O., juris Rn. 27; Beschluss vom 23.01.2019, a.a.O.).

Schließlich ist noch zwischen der Dauer der Verzögerung zu unterscheiden: Bei kleineren Verfahrensverzögerungen kann die Fortdauer der Untersuchungshaft noch durch das Gewicht der zu ahndenden Straftat gerechtfertigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005 – 2 BvR 109/05, juris Rn. 41, BVerfGK 5, 109; Beschluss vom 13.05.2009 – 2 BvR 388/09, juris Rn. 30, BVerfGK 15, 474; Beschluss vom 11.06.2018 – 2 BvR 819/18, juris Rn. 29, NJW 2018, 2948;). Dagegen kann die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung der Fortdauer einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft dienen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Maßgeblich kommt es für diese Unterscheidung nicht auf die Dauer der einzelnen Verzögerung durch eine bestimmte Verfahrenshandlung an, sondern darauf, ob die vorliegenden Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit eine Schwelle erreichen, die im Rahmen der Abwägung die Anordnung der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.02.2005, a.a.O., juris Rn. 32; Beschluss vom 13.05.2009, a.a.O., juris Rn. 19).

Auch in Bezug auf die Frage der Beachtung des Beschleunigungsgebotes gilt das Erfordernis einer erhöhten Begründungstiefe der jeweiligen Haftentscheidung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 13.05.2009, a.a.O., juris Rn. 26 ff.; Beschluss vom 22.01.2014 – 2 BvR 2248/13, juris Rn. 40 ff.; Beschluss vom 23.01.2019 – 2 BvR 2429/18, juris Rn. 43, NJW 2019, 915).

g) Nach diesen Maßstäben ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft gegen den Angeklagten nicht unverhältnismäßig und es sind insbesondere auch nicht die Anforderungen des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen verletzt.

aa) Die Dauer der Untersuchungshaft insgesamt und deren weitere Fortdauer verstößt im Hinblick auf die Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwürfe noch nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hier ist – wie bereits im Beschluss des Senats vom 21.12.2022 ausgeführt – zu berücksichtigen, dass dem Haftbefehl gegen den Angeklagten ein dringender Tatverdacht bezüglich der gemeinschaftlichen Begehung von gewerbs- und bandenmäßigen Betrugstaten in 45 Fällen zugrunde liegt. Bereits nach den Angaben im Haftbefehl gegen den Angeklagten sollen hierdurch Geldbeträge in Höhe von mehreren Millionen Euro dem offiziellen Wirtschaftskreislauf entzogen worden sein. Das Gesetz sieht für derartige Taten jeweils eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vor, so dass der Angeklagte eine nicht unerhebliche – mehrjährige - Gesamtfreiheitsstrafe zu erwarten hat. Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von nunmehr etwas mehr als 12 Monaten steht hierzu noch nicht außer Verhältnis.

bb) Eine abweichende Beurteilung im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft ergibt sich im vorliegenden Fall im Ergebnis auch nicht daraus, dass der Angeklagte, wie er zuletzt im Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 16.05.2023 geltend macht, Hauptbezugsperson für pp. sei. Dieses Vorbringen berücksichtigt bereits nicht
den Umstand, dass erforderlichenfalls auf anderweitige institutionelle
Betreuungsmöglichkeiten zurückgegriffen werden kann, wozu nach dem vorgelegten ärztlichen Bericht bereits ein Hilfebedarf pp. angemeldet wurde.

cc) Entgegen der Auffassung der Verteidigung steht der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft auch nicht die Regelung des § 122a StPO entgegen, wonach in den Fällen des § 121 Abs. 1 StPO der Vollzug der Haft nicht länger als ein Jahr aufrechterhalten werden dürfe, wenn sie – wie hier seit dem 14.07.2022 der Fall – auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützt wird. Vielmehr ruht in Anwendung des § 121 Abs. 3 StPO wegen der erfolgten Vorlage an den Senat vor Ablauf der Sechsmonatsfrist der Fristenlauf. Zwar wird in der Rechtsliteratur teilweise die Auffassung vertreten, dass die Ruhensvorschrift des § 121 Abs. 3 StPO keine Anwendung auf die Jahresfrist des § 122a StPO fände, da dies mit dem Ziel der Begrenzung der Dauer des Vollzugs einer auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Untersuchungshaft unvereinbar sei und zudem der § 122a StPO nicht ausdrücklich auch auf den § 121 Abs. 3 StPO verweise (siehe LR/Gärtner, 27. Aufl., § 122a StPO Rn. 13; einschränkend auch MK/Böhm, 2. Aufl., § 122a StPO Rn. 6). Dies überzeugt aber nicht, da dies im Ergebnis zu einer uneinheitlichen Anwendung der Vorschriften über den Fristenlauf führen würde (so zu Recht LR/Hilger, 26. Aufl., § 122a StPO Rn. 10). In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird daher die Anwendbarkeit des § 121 Abs. 3 StPO auch auf die Frist nach § 122a StPO bejaht (siehe OLG Celle, Beschluss vom 25.05.2021 – 2 Ws 150-152/21, juris Rn. 37, OLGSt StPO § 122a Nr 1; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28.09.1989 – 1 HEs 82/89, juris Ls., NStE Nr. 1 zu § 122a StPO; ebenso BeckOK/Krauß, 47. Ed., § 122a StPO Rn. 2; KK/Gericke, 9. Aufl., § 122a StPO Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 122a StPO Rn. 2), was auch im Hinblick darauf überzeugt, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr typischerweise Verfahren mit einer Vielzahl von Tatvorwürfen und einem dementsprechenden besonderen Umfang und einer oftmals aufwändigen Beweisaufnahme betrifft, bei denen auch bei zügiger Verhandlungsführung eine Verfahrensdauer von mehr als einem Jahr erforderlich und nicht vermeidbar sein kann. Der Senat tritt daher der letztgenannten Auffassung bei. Wegen der Anwendbarkeit der Ruhensvorschrift des § 121 Abs. 3 StPO ist die Regelung des § 122a StPO der weiteren Fortdauer der seit dem 14.07.2022 auf den Haftgrund der Wiederholungsgefahr gestützten Untersuchungshaft daher auch dann nicht entgegenzuhalten, wenn in Kürze die Untersuchungshaft über ein Jahr auf diesen Haftgrund gestützt sein sollte.
dd. Es sind auch keine Verfahrensverzögerungen der Strafverfolgungsbehörden zu erkennen, die zu einer Unverhältnismäßigkeit der weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft führen würden.

(a) Hier ist zunächst festzustellen, dass dem Verfahrensablauf bis zum Beginn der Hauptverhandlung keine Verzögerungen zu entnehmen sind, die der Fortdauer der Untersuchungshaft entgegenstehen würden.

Hinsichtlich des Verfahrensverlaufs bis zum 21.12.2022 kann hierzu auf die Ausführungen im Beschluss des Senats vom 21.12.2022 verwiesen werden und auch die Beschwerde macht keine Verzögerungen bis zu diesem Zeitpunkt geltend.

Auch der weitere Verfahrensablauf bis zum Beginn der Hauptverhandlung ist zügig erfolgt. Die Anklageschrift vom 30.11.2022 wurde, nachdem zuvor der Senat mit Beschluss vom 21.12.2022 über die Haftfortdauer entschieden hatte, mit Eröffnungsbeschluss der Strafkammer 32 vom 07.02.2023 zur Hauptverhandlung zugelassen und es wurde am 01.03.2023 mit der Hauptverhandlung begonnen. Dies lässt keinerlei Verzögerungen erkennen.

(b) Eine Verfahrensverzögerung ist auch für den Zeitraum ab dem Beginn der Hauptverhandlung nicht festzustellen hinsichtlich der besonderen Anforderungen in Bezug auf die gebotene Terminsdichte bei umfangreichen Verfahren. Auch diesbezüglich ist für das vorliegende Strafverfahren eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht festzustellen. Abzustellen ist nach den vorstehenden Grundsätzen insoweit auf die durchschnittliche Zahl von Hauptverhandlungsterminen pro verstrichener Woche der Hauptverhandlungsdauer, wobei Urlaubs- und Fortbildungszeiten nach den obigen Maßstäben ebenso herauszurechnen sind wie das unerwartete, insbesondere krankheitsbedingte Ausfallen einzelner Hauptverhandlungstermine. Hinsichtlich der Einzelheiten kann hierzu auf die Ausführungen in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Bremen vom 03.05.2023 verwiesen werden:

„Die Beschwerde des Angeklagten bringt vor, bereits die seitens der Vorsitzenden taggleich mit der Eröffnung des Hauptverfahrens anberaumte Terminierung von 52 Sitzungstagen in einem Zeitraum von 42 Wochen genüge nicht den Anforderungen an das Beschleunigungsgebot. Zudem hätten seit Beginn der Hauptverhandlung am 01.03.2023 bereits zwei vorgesehene Termine nicht stattgefunden. Zwei weitere zunächst anberaumte Hauptverhandlungstermine (05.05. und 16.05.2023) seien zwischenzeitlich bereits aufgehoben worden. Zwar seien zum Ausgleich der aufgehobenen Termine zwei weitere Hauptverhandlungstermine vereinbart worden, das Vorhaben der Strafkammer, darüber hinaus eine Vielzahl an weiteren Terminen mit den Verfahrensbeteiligten zu vereinbaren, zeige jedoch, dass die avisierte Terminplanung von vornhinein den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zureichend Rechnung getragen habe.

Bereits aus dem tatsächlichen Vorbringen der Beschwerdebegründung vermag unter Zugrundelegung der zuvor dargelegten Grundsätze eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen nicht erkannt zu werden. Ungeachtet dessen, dass aus unterschiedlichen Gründen zunächst anberaumte einzelne Hauptverhandlungstermine nicht stattgefunden haben oder nicht stattfinden werden, genügt die aus der Akte ersichtliche Terminierung den Anforderungen, die vor dem Hintergrund des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen an eine zügige Durchführung der Hauptverhandlung in Umfangsverfahren zu stellen sind. Denn es ist nicht erkennbar, dass die derzeitige Terminierungsdichte dem Erfordernis von mehr als durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag pro Woche nicht in hinreichendem Maße Rechnung trägt. Soweit die Beschwerde des Angeklagten eine vermeintlich unzureichende Terminierungsdichte aufzuzeigen beabsichtigt, versäumt sie zudem, Abwesenheitszeiten von Kammermitgliedern in Folge von Urlaub oder Fortbildungen, welche bei einer für einen Zeitraum von 42 Wochen terminierten Hauptverhandlung zwangsläufig eintreten werden, bei der dargelegten Berechnung unberücksichtigt zu lassen. Es mithin vorliegend von einer Terminierungsdichte auszugehen, die deutlich oberhalb von durchschnittlich einem Hauptverhandlungstag pro Woche liegt. Insoweit ist es auch unbeachtlich, dass nach dem Vorbringen der Beschwerde zwischen Anfang März und Ende August 2023 in neun Kalenderwochen – sei es auf aufgrund von Urlaubsabwesenheiten oder sonstigen Gründen – überhaupt kein Hauptverhandlungstag stattfindet. Soweit die Kammer zwischenzeitlich beabsichtigt hat, über die derzeitige Terminplanung hinaus weitere Hauptverhandlungstermine mit den Verfahrensbeteiligten abzustimmen, da sie diese nach Beginn der Hauptverhandlung am 01.03.2023 offensichtlich bereits zum jetzigen Zeitpunkt absehbar für erforderlich erachtet, kann dieser Umstand nicht zu einer Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes in Haftsachen führen. Denn auch ohne entsprechende zusätzliche Termine wird die derzeitige Terminplanung den von Verfassung wegen gebotenen Anforderungen gerecht. Dass seit Beginn der Hauptverhandlung am 01.03.2023 bis zum Zeitpunkt der hiesigen Antragstellung und mithin über einen Zeitraum von etwa neuneinhalb Wochen bisher erst acht Hauptverhandlungstage stattgefunden haben, führt nicht schon jetzt zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Hauptverhandlung derzeit für einen Zeitraum von mehr als 40 Wochen vorgesehen ist, sodass eine Durchschnittsberechnung nicht bereits wenige Wochen nach Hauptverhandlungsbeginn angezeigt erscheint. Aus welchen Gründe während der bisherigen Hauptverhandlung anberaumte Termine vereinzelt aufgehoben worden sind oder nicht wie zunächst geplant stattgefunden haben, hat die zuständige Strafkammer in seiner Nichtabhilfeentscheidung vom 24.04.2023 ausführlich und nachvollziehbar erläutert. Weitergehende Ausführungen erscheinen diesbezüglich nicht geboten.“

Dem tritt der Senat bei und auch das Vorbringen des Angeklagten in der Beschwerde ist nicht geeignet, eine anderweitige Beurteilung zu begründen.

Soweit seitens der Verteidigerin des Angeklagten im Schriftsatz vom 16.05.2023 gerügt wird, dass der Verfahrensbeginn im Frühjahr 2023 für die Mitglieder der Kammer bereits seit geraumer Zeit abzusehen gewesen sei, so dass es als eine für den Angeklagten nicht hinnehmbare Verfahrensverzögerung anzusehen sei, wenn aufgrund von teilweise mehrwöchigen Resturlauben der Kammermitglieder nicht verhandelt werden könne, kann dies der Beschwerde nicht zu Erfolg verhelfen. Wie die Verteidigung in der Beschwerdebegründung selbst ausführt, war bereits vor der Anberaumung zweier zusätzlicher Verhandlungstermine nach der vorgesehenen Zahl von Verhandlungsterminen im Zeitraum von 42 Wochen eine durchschnittliche Zahl von 1,1 Verhandlungsterminen pro Kalenderwoche erreicht. Auch ohne das für diese Berechnung gebotene Herausrechnen von Urlaubszeiten hat die Kammer mithin die verfassungsrechtlich gebotenen Standards der Terminsdichte hinreichend erfüllt, so dass sich die von der Verteidigung aufgeworfene Frage der Angemessenheit der Urlaubsplanung bereits im Ansatz nicht stellt.

Ebenso geht das Vorbringen der Verteidigung ins Leere, dass im ersten Vierteljahr der Hauptverhandlung in einem Zeitraum von 13 Kalenderwochen lediglich 12 Verhandlungstermine durchgeführt worden seien, womit die durchschnittliche Verhandlungsdichte unter die Zahl von einem Termin pro Kalenderwoche gesunken sei: Hierzu hat bereits die Generalstaatsanwaltschaft in ihren vorstehend zitierten Ausführungen zutreffend festgestellt, dass bei einer längeren Verhandlungsdauer nicht kürzere Einzelphasen isoliert zu betrachten sind, sondern vielmehr die Gesamtplanung über den längeren Zeitraum maßgeblich ist.

Im Hinblick auf den Umstand, dass die Kammer ohnehin die verfassungsrechtlich gebotenen Standards der Terminsdichte hinreichend erfüllt hatte, begründet es daher auch keine der Fortdauer der Untersuchungshaft entgegenstehende Verletzung des Beschleunigungsgebots, wenn die Kammer, wie die Verteidigung geltend macht, anstelle 13 weiterer angebotener Termine letztlich nur 2 zusätzliche Hauptverhandlungstermine anberaumt hat.

(c) Eine der Fortdauer der Untersuchungshaft entgegenstehende Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen ist auch nicht im Hinblick darauf festzustellen, dass – wie die Verteidigung geltend macht – das Verfahren auch an den einzelnen bisherigen Hauptverhandlungstagen inhaltlich nur unzureichend gefördert worden sei.

Der Angeklagte hat hierzu in der Beschwerde vom 20.04.2023 folgendes geltend gemacht: Am ersten Hauptverhandlungstag sei die Angeklagte pp. nicht erschienen; am zweiten Hauptverhandlungstag seien im Wesentlichen Besetzungsfragen geklärt und die Anklage verlesen worden; am dritten und vierten Hauptverhandlungstag hätten Einlassungen der Angeklagten pp. stattgefunden, ohne dass die anschließenden Befragungen hätten auch nur annähernd abgeschlossen werden können; am fünften Hauptverhandlungstag habe eine nennenswerte Befragung des Zeugen pp. nicht stattfinden können; der sechste Hauptverhandlungstag habe nach zwei Stunden mangels Alternativprogramm abgebrochen werden müssen; der siebte Hauptverhandlungstag sei auf 13.00 Uhr verlegt worden, so dass nur bis 16.00 Uhr habe verhandelt werden können; die Hauptverhandlung sei zudem von zahlreichen Unterbrechungen geprägt.

In ihrer Nichtabhilfeentscheidung vom 24.04.2023 hat demgegenüber die Kammer die geschilderten Vorgänge im Einzelnen erläutert, auf diese Ausführungen kann hier Bezug genommen werden:
Diesem Vorbringen ist der Angeklagte im weiteren Beschwerdeverfahren nicht mehr entgegengetreten. Damit kommt in den geschilderten Vorgängen aber im Sinne der oben genannten Maßstäbe nicht das generelle Fehlen eines Bemühens um eine effiziente Ladung von Beteiligten und um die Festlegung eines straffen Verhandlungsplans zum Ausdruck. Vielmehr ist hier lediglich zu konstatieren, dass an einzelnen Sitzungstagen aus unerwarteten Gründen kein den Sitzungstag ausschöpfendes Verhandlungs- und Beweisprogramm durchgeführt werden konnte, was nach den vorstehenden Maßstäben eine relevante Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht begründet.

(d) Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist schließlich auch der Umstand der nicht erfolgten Abtrennung des Verfahrens gegen die Angeklagten pp. nicht dahingehend zu bewerten, dass dies zu einer vermeidbaren Verzögerung des Verfahrens geführt hätte. Die Verteidigung verweist insoweit bereits nicht auf relevante hierdurch verursachte Verzögerungen, die nicht bereits in den vorstehenden Ausführungen berücksichtigt worden wären (namentlich den Umstand, dass dann weitere Verhandlungstermine zur Verfügung gestanden hätten und dass die Angeklagte pp. zu einem Hauptverhandlungstermin nicht bzw. anreisebedingt erst verspätet erschienen ist) und die daher schon aus diesen Gründen nicht als eine der Fortdauer der Untersuchungshaft entgegenstehende Verfahrensverzögerung zu bewerten sind. Dasselbe gilt für die von der Verteidigerin des Angeklagten pp. gerügte unterbliebene Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers für den Angeklagten pp.

4. Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls gemäß § 116 Abs. 1 StPO kommt vorliegend nicht in Betracht. Bei dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr kann eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls gemäß § 116 Abs. 3 StPO nur in besonderen Ausnahmefällen verantwortet werden (so die st. Rspr. des Senats, siehe zuletzt u.a. in Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 11.05.2020 – 1 Ws 44/20, juris Rn. 26, OLGSt StPO § 112a Nr 7; siehe auch Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Aufl., § 116 StPO Rn. 17). Vorliegend kommt dies nicht in Betracht, da keine hinreichend begründete Erwartung besteht, dass der Angeklagte bestimmte Anweisungen befolgen wird und dadurch der Zweck der Haft erreicht wird. Wie bereits im Beschluss des Senats vom 21.12.2022 ausgeführt wurde, kommt dies auch nicht in Betracht im Hinblick auf die seitens der Verteidigung im Rahmen des früheren Haftbeschwerdeverfahrens angeregte Auflage, dem Angeklagten aufzugeben, tägliche Aufzeichnungen über die auf den Baustellen eingesetzten eigenen Arbeitnehmer sowie über die Arbeitnehmer von Subunternehmen gegenüber dem Hauptzollamt zu erbringen. Eine derartige Weisung wäre nicht zuverlässig zu überprüfen und kann daher nicht geeignet erscheinen, die Begehung weiterer Straftaten zu unterbinden.


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