Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

Corona

Corona, Volksverhetzung, Verharmlosen der NS-Verbrechen, Zusammenhang mit der Corona-Impfpflicht

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Urt. v. 13.02.2023 – (2) 121 Ss 140/22 (44/22)

Leitsatz des Gerichts:


Die Abbildung des Tores eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug „Impfung macht frei“ stellt ein Verharmlosen einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Hand-lung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB dar.


KAMMERGERICHT

Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer:
(2) 121 Ss 140/22 (44/22)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Volksverhetzung

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin aufgrund der Hauptverhandlung vom 13. Februar 2023, an der teilgenommen ha-ben:

pp.

für Recht erkannt:


1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 19. Mai 2022 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten mit Urteil vom 19. Mai 2022 vom Vorwurf der Volksverhetzung freige-sprochen, weil es die Eignung der Tat-handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht verneint hat. Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft (Sprung-)Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

2. Das Amtsgericht hat zu dem verfahrensgegenständlichen Ge-schehen die folgen-den Feststellungen getroffen:

„Am 13.04.2021 befand sich der zu diesem Zeitpunkt 52 Jahre al-te und in Oldenburg lebende Angeklagte mit Bekannten in Berlin, um an der angemeldeten Versammlung „Nein zum lfsG 28b“ im Be-reich des Regierungsviertels teil-zunehmen. Der Angeklagte und seine Begleiter erreichten den Versammlungs-ort allerdings erst am frühen Mittag, als die Versammlung bereits beendet war. Bei sich führte der Angeklagte insgesamt 17 Sticker in der Größe 11 × 7,5 cm, auf denen auf weißem Grund der in einen schwarzen Torbogen eingebrachte Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ zu sehen ist. Einen dieser Sticker klebte der Angeklagte im Bereich der …-Allee / Ecke …allee in … Berlin gegen 12:35 Uhr auf einen dort aufgestellten gläsernen Informationskasten. Dem Angeklag-ten war dabei bewusst, dass der Schriftzug angelehnt war an den Spruch „Arbeit macht frei“, welcher während der NS-Zeit als Torbogenaufschrift an mehreren nationalsozialistischen Konzent-rationslagern angebracht war, unter anderem auch in dem Lager-komplex Auschwitz. Der Aufkleber ließ sich rückstands-los wie-der entfernen.

II.

Die zulässige, insbesondere statthafte (§ 335 Abs. 1 StPO) und fristgerecht erhobene (§ 341 StPO) Sprungrevision der Staatsan-waltschaft hat (vorläufigen) Erfolg. Der Freispruch hält recht-licher Nachprüfung nicht stand.

1. Zutreffend hat das Amtsgericht allerdings in dem Anbringen eines Aufklebers, auf dem in zeichnerischer Form ein in einen schwarzen „Torbogen“ eingebrachter Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ zu sehen ist, das Verharmlosen einer unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB gesehen.

a) Die Tathandlung bezieht sich aufgrund der offensichtlichen Abbildung des Tores eines Konzentrationslagers auf eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art, nämlich den massenhaften Mord und die auf Vernichtung angelegte Deportation von Juden in Konzentrationslager im Sinne des § 6 Abs. 1 Nrn. 1 und 3 VStGB (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 34; Hoven/Obert NStZ 2022, 331, 333 f.). Es bedarf insoweit keiner vertieften Erläu-terung, dass damit erkennbar die historische Inschrift „ARBEIT MACHT FREI“, die an den Toren mehrerer nationalsozialistischer Konzentrationslager angebracht war, ab-gewandelt werden soll (vgl. ArbG Berlin, Urteil vom 12. September 2022 – 22 Ca 223/22 –, juris Rn. 116).

b) In einer entsprechenden Äußerung ist, wie vom Amtsgericht angenommen, grundsätzlich auch ein Verharmlosen einer solchen Handlung gemäß § 130 Abs. 3 StGB zu sehen.

aa) Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde den Holocaust herunterspielt, beschönigt, in sei-nem wahren Gewicht verschleiert oder in seinem Unwertgehalt (quantitativ oder qualitativ) bagatellisiert bzw. relativiert (vgl. BGH NJW 2000, 2217, 2218; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Ok-tober 2015 – III-1 RVs 66/15 –, juris Rn. 14; OLG Rostock, Be-schluss vom 23. Juli 2007 – 1 Ss 80/06 I 42/06 –, juris Rn. 7). Dabei ist im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG der inhaltliche Ge-samtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Be-trachters durch genaue Bild- bzw. Textanalyse unter Berücksich-tigung der Begleitumstände zu ermitteln (vgl. BGH, a. a. O.). Ist eine Äußerung mehrdeutig, so darf nicht allein die zur Ver-urteilung führende Deutung zugrunde gelegt werden, ohne dass andere Auslegungsvarianten mit schlüssigen Gründen ausgeschlos-sen werden (vgl. BVerfG NJW 2001, 61, 62).

bb) Gemessen daran liegt es fern, in der bildlichen Darstellung eines schwarzen Tores mit dem Schriftzug „IMPFUNG MACHT FREI“ etwas anderes zu sehen als eine Bagatellisierung der Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung.

(1) Auch unter Zugrundelegung der dem Angeklagten günstigsten Deutungsmöglichkeit der hier relevanten Äußerung ist eine Wür-digung dergestalt, dass er mit der Ab-bildung etwas anderes ausdrücken wollte als einen Vergleich der unterstellten Benach-teiligung Ungeimpfter mit dem nationalsozialistischen Völker-mord an Millionen Juden (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris Rn. 8; bestätigt durch BVerfG, Beschluss vom 21. September 2021 – 1 BvR 1787/20 –, ju-ris), kaum denkbar. Es dürfte insbesondere auch nahezu unmög-lich sein, die Formulierung „ARBEIT MACHT FREI“ in dem (hier bildlich eindeutig hergestellten) Kontext ihrer Verwendung in den Konzentrationslagern abwandelnd aufzugreifen, ohne damit ihren historischen Hintergrund in das Bewusstsein eines ver-ständigen Betrachters zu heben (vgl. auch ArbG Berlin, Urteil vom 12. September 2022 – 22 Ca 223/22 –, juris Rn. 118 m. w. N. auch zum historischen Kontext der Formulierung [vgl. dort auch Rn. 135]; vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 12. April 2017 – [1] 53 Ss 17/17 [13/17] –, juris Rn. 7 zu einer bildli-chen Darstellung des Vernichtungslagers Ausschwitz-Birkenau mit dem sich darunter befindlichen, in Frakturschrift gesetzten Kommentar „Jedem das Seine“).

(2) Ein derartiger Vergleich entbehrt jedoch offenkundig jegli-cher Tatsachengrundlage. Die Situation ungeimpfter Personen während der Corona-Pandemie ist nicht ein-mal ansatzweise mit der von Gefangenen in Konzentrationslagern unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vergleichbar und bagatellisiert die Qualität der damals begangenen Gräueltaten. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass ungeimpfte Personen in Deutschland weder einer derartigen Verfolgung noch gar der Ermordung ausge-setzt sind (vgl. auch LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –, LG Würzburg, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 1 Qs 80/22 –, juris Rn. 15).

(3) Der Senat teilt schließlich auch nicht die teilweise ver-tretene Auffassung, dass Impfgegner durch entsprechende Ver-gleiche das den Juden unter der Herrschaft der Nationalsozia-listen zugefügte Unrecht gerade nicht bagatellisieren, sondern das eigene Leid lediglich im Sinne einer überzogenen Dramati-sierung aufwerten wollen, was voraussetze, dass die Verbrechen gegen die Juden anerkannt werden (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 35 ff.; Hoven/Obert NStZ 2022, 331, 334). Denn es geht bei dem Verharmlosen – an-ders als beim Leugnen im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB – gerade nicht darum, ob die NS-Verbrechen anerkannt oder bestritten werden, sondern um eine quantitative oder qualitative Abwertung derselben. Eine qualitative Bagatellisierung findet jedoch of-fen-sichtlich statt, wenn die Einschränkungen, denen Ungeimpfte während der Corona-Pandemie unterlagen, verglichen werden mit dem unvorstellbaren Leid von Gefangenen in Konzentrationslagern unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, da dadurch das wahre Gewicht der damaligen Verfolgung und Vernichtung der Ju-den in eklatanter Weise verschleiert wird (so zutreffend LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –; LG Köln, Beschluss vom 4. April 2022 – 113 Qs 6/22 –). Die Situa-tion gestaltet sich insoweit auch anders als bei dem Singen des sogenannten „U-Bahn-Liedes“ (vgl. dazu Fischer, StGB, 70. Auf-lage 2023, § 130 Rn. 31a). Soweit diesbezüglich teilweise ver-treten wird, es liege keine Bagatellisierung des Holocausts vor, da unter gerade nicht relativierender Bezugnahme auf das historische Geschehen einer gegnerischen Fußballmannschaft oder deren Anhängern die Vernichtung angedroht werde (vgl. OLG Dres-den, Urteil vom 31. August 2020 – 1 OLG 24 Ss 71/19 –, juris; OLG Rostock, Beschluss vom 23. Juli 2007 – 1 Ss 80/06 I 42/06 –, juris; a. A. OLG Hamm, Beschluss vom 1. Oktober 2015 – III-1 RVs 66/15 –, juris; BeckOK StGB/Rackow, 55. Ed. 1.11.2022, StGB § 130 Rn. 35.3), ist dies mit dem vorliegenden Fall der Gleich-setzung zweier sich nicht ansatzweise ähnelnder Sachverhalte nicht vergleichbar.

2. Das angefochtene Urteil entspricht indes nicht den sich aus § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO ergebenden Anforderungen an die Be-gründungspflicht bei freisprechenden Ur-teilen. Die Urteils-gründe ermöglichen dem Revisionsgericht keine umfassende Nach-prüfung der freisprechenden Entscheidung.

a) Nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO müssen bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen der Anklagevorwurf, die hierzu ge-troffenen Feststellungen, die wesentlichen Beweisgründe und hieran anschließend die rechtlichen Erwägungen mitgeteilt wer-den. Das Tatgericht muss also zunächst diejenigen Tatsachen be-zeichnen, die es für erwiesen hält, bevor es in der Beweiswür-digung darlegt, aus welchen Gründen es die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht treffen konnte (vgl. BGH, Ur-teil vom 26. Juli 2017 – 2 StR 132/17 –, juris; BGH NStZ-RR 2010, 182; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 10, 13 m.w.N.).

Dabei hat es vor allem diejenigen Gesichtspunkte zu erörtern, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) und die entweder festgestellt oder nicht festgestellt werden können (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2005 – 5 StR 461/04 –, juris).

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht ge-recht, soweit das Amtsgericht eine Eignung der geschilderten Handlung des Angeklagten zur Störung des öffentlichen Friedens verneint hat.

aa) Die Eignung zur Friedensstörung ist ein Tatbestandsmerkmal des § 130 Abs. 3 StGB, das zusätzlich zu der Äußerung hinzutre-ten muss und zu dem der Tatrichter die erforderlichen Feststel-lungen zu treffen hat (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris). Tatbestandlicher Erfolg ist die konkrete Eignung, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen (vgl. Fi-scher, a. a. O., § 130 Rn. 13a m. w. N.). Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form und Umfeld der Äuße-rung an (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021 – Ss 72/2020 [2/21] –, juris Rn. 23).

bb) Gemessen daran erweisen sich die von dem Amtsgericht ge-troffenen Feststellungen als lückenhaft.

(1) Dabei ist es allerdings entgegen der Rechtsauffassung der Generalstaatsanwaltschaft noch nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht weder maßgeblich auf die Stimmungslage in der Be-völkerung noch auf die politische Situation zur Tatzeit abge-stellt und insoweit auch keine Feststellungen getroffen hat.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, bei der hier in Rede stehenden Tatbestandsvariante des Verharmlosens einer un-ter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlung der in § 6 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art eigens festzustellen und nicht wie bei den anderen Varianten des Bil-ligens oder Leugnens indiziert (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862). Dem Begriff des öffentlichen Friedens ist da-nach im Lichte des Art. 5 Abs. 1 GG ein eingegrenztes Verständnis zu-grunde zu le-gen, wobei der Schutz vor einer „Vergiftung des geistigen Klimas“ ebenso wenig ein Eingriffsgrund ist wie der Schutz der Bevölkerung vor einer Kränkung ihres Rechts-bewusstseins durch totalitäre Ideologien oder eine offenkundig falsche Interpretation der Geschichte (vgl. BVerfG, a. a. O.). Äußerungen sind vielmehr erst geeignet, den öffentlichen Frie-den zu stören, wenn sie ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechts-gut-gefährdende Handlungen hin angelegt sind und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen können (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Nach diesen Grundsätzen könnte die Berücksichtigung der Stim-mungslage in der Bevölkerung und der politischen Situation zur Tatzeit lediglich dazu führen, in der Handlung des Angeklagten einen weiteren Beitrag zur Vergiftung des politischen Klimas zu sehen, nicht aber dazu, ihr einen unfriedlichen Charakter zu verleihen (vgl. OLG Saarbrücken, a. a. O.). Soweit dagegen in der Rechtsprechung teilweise (vgl. LG Aachen, Beschluss vom 18. August 2022 – 60 Qs 16/22 –, juris Rn. 46; LG Berlin, Beschluss vom 16. August 2022 – 544 Qs 72/22 –; LG Würzburg, Beschluss vom 18. Mai 2022 – 1 Qs 80/22 –, juris Rn. 17; LG Köln, Be-schluss vom 4. April 2022 – 113 Qs 6/22 –) vertreten wird, dass diese Umstände auch bei der Tatbestandsvariante des Verharm-losens maßgeblich in die Gesamtwürdigung einzustellen sind, vermag der Senat dem angesichts der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu folgen.

(2) Das Amtsgericht hat es jedoch unterlassen, neben Art, In-halt und Form auch im ausreichenden Maße das Umfeld der Äuße-rung des Angeklagten festzustellen.

So lassen sich dem angefochtenen Urteil nicht hinreichend die örtlichen Gegebenheiten entnehmen, obwohl sich entsprechende Feststellungen insbesondere angesichts des Ortes der zuvor be-endeten Versammlung im Bereich des Regierungsviertels aufge-drängt hätten. Es fehlen unter dem Aspekt der Herabsetzung von Hemm-schwellen vor allem Feststellungen dazu, ob sich der glä-serne Informationskasten bereits innerhalb des befriedeten Bannkreises der Gesetzgebungsorgane des Bun-des und der Länder (§ 16 VersG) befand. Ferner verhält sich das angefochtene Ur-teil auch nicht dazu, inwieweit es in unmittelbarer Nähe des Tatorts Denkmäler oder Bauwerke gab, die – wie etwa Synagogen – im Hinblick auf den Schutzbereich des § 130 Abs. 3 StGB beson-ders sensibel sind (siehe auch § 15 Abs. 2 VersG).

Auch fehlen Feststellungen dazu, für welchen Personenkreis der Aufkleber auf dem nach den Urteilsgründen für Dritte ungehin-dert wahrnehmbaren gläsernen Informationskasten im konkreten Fall erkennbar war bzw. welche Personen bereits von ihm Kennt-nis genommen haben (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020 – 205 StRR 240/20 –, juris). Insoweit hätte es ferner unter dem Aspekt der aggressiven Emotionalisierung auch Feststellungen dazu bedurft, ob es sich bei etwaigen umstehenden Personen um unbeteiligte Passanten oder etwa um ehemalige Demonstrations-teilnehmer handelte, die durch den Inhalt des Aufklebers hätten aufgewiegelt werden können. In diesem Fall wären auch Feststel-lungen zum Ablauf und zur „Friedlichkeit“ der zuvor beendeten Versammlung und zum diesbezüglichen Vorstellungsbild des Ange-klagten zu treffen gewesen.

3. Auch die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprü-fung nicht stand, so-weit das Amtsgericht einen Vorsatz des An-geklagten verneint hat.

a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts, das sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Seine tatsächlichen Schlussfolgerungen müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Das Re-visionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweis-würdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung er-weisen (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Urteil vom 21. Mai 2021 – [2] 161 Ss 171/20 [1/21] – m. w. N.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, eine Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das Urteil muss sich dabei nicht nur mit allen Umständen auseinandersetzen, die für oder gegen den Angeklagten sprechen, sondern es muss auch ersichtlich sein, dass die einzelnen Be-weisergebnisse in eine umfassende Gesamt-würdigung eingestellt wurden (st. Rspr., vgl. nur Senat, a. a. O.). Dabei sind die An-forderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen beim frei-sprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. Senat, a. a. O.).

b) Gemessen daran erweisen sich die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht einen Vorsatz des Angeklagten im Rahmen des § 130 Abs. 3 StGB abgelehnt hat, als rechtsfehlerhaft.

aa) Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, der sich auf alle Tatbestandsmerkmale erstrecken muss, auch auf die Eignung zur Friedensstörung. Eine besondere Absicht, den öffentlichen Frieden zu stören, ist nicht erforderlich (vgl. KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris Rn. 37). Da im Rahmen des § 130 StGB bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07 –, juris Rn. 28; KG, a. a. O.; OLG Dresden, Urteil vom 9. April 2018 – 1 OLG 21 Ss 772/17 –, juris Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Oktober 2015 – III-1 RVs 66/15 –, juris Rn. 23), kommt es darauf an, ob der Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, a. a. O.).

bb) Nach diesen Grundsätzen ist es rechtsfehlerhaft, wenn das Amtsgericht aus-führt, dem Angeklagten könne „nach dessen glaubhafter Einlassung nicht nachgewiesen werden, dass das An-bringen des Aufklebers darauf abzielte, zu etwaigen Gewalttaten anzustacheln oder die Betrachter und Leser zum Rechtsbruch auf-zufordern“ (vgl. UA S. 4). Denn diese Erwägungen lassen besor-gen, dass das Amtsgericht überspannte Anforderungen an die sub-jektive Tatseite gestellt hat und hinsichtlich der Eignung zur Friedensstörung lediglich direkten, nicht aber auch bedingten Vorsatz (vgl. hierzu Fischer, a. a. O., § 15 Rn. 7 ff.) ausrei-chen lässt. Soweit das Bundesverfassungsgericht ausgeführt hat, die Äußerung müsse nach ihrem Inhalt erkennbar auf rechtsgutge-fährdende Handlungen hin angelegt sein (vgl. BVerfG NJW 2018, 2861, 2862), bezieht sich dies ersichtlich lediglich auf den objektiven Ge-halt der Äußerung, ohne dass damit eine Einengung der subjektiven Tatseite auf den direkten Vorsatz verbunden wä-re.

III.

Wegen der aufgezeigten Mängel hebt der Senat das Urteil auf und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision-on – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Für die erneute Verhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass es sich anbieten dürfte, wegen der Einzelheiten der auf dem Aufkleber zu sehenden Darstellung gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf das entsprechende Lichtbild Bezug zu nehmen und dieses damit zum Gegenstand der Urteilsgründe zu machen, um dem Senat zu ermöglichen, die Abbildung aus eigener Anschauung zu würdigen (vgl. zur Verweisung auf Abbildungen KG, Beschluss vom 30. Juli 2020 – [5] 161 Ss 74/20 [31/20] –, juris Rn. 74).


XXX XXX XXX




Einsender: VorsRiKG R. Fischer, Berlin

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".