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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidigerbestellung, Aufhebung, Erteilung Vertretungsvollmacht

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.05.2023 - Ws 468/23

Leitsatz des Gerichts:

Erteilt der Angeklagte dem Pflichtverteidiger gemäß § 329 Abs. 2 S. 1 StPO eine Vertretungsvollmacht, stellt dies keine Mandatierung als Wahlverteidiger dar, so dass die Pflichtverteidigerbestellung nicht gemäß § 143a Abs. 1 S. 1 StPO aufgehoben werden kann.


Oberlandesgericht Nürnberg

Ws 468/23

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Vergehens nach dem Waffengesetz

hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg - Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 31. Mai 2023 folgenden

Beschluss

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 4. Strafkammer - vom 29.03.2023, mit dem die Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt K. aufgehoben wurde, aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 27.10.2022 wurde dem Angeklagten im vorliegenden Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz Rechtsanwalt K. auf dessen Antrag vom 26.10.2022 als Pflichtverteidiger bestellt.

Gegen die durch das Amtsgericht Nürnberg am 19.01.2023 erfolgte Verurteilung wegen vorsätzlichen Besitzes in Tateinheit mit vorsätzlichen unerlaubten Führens einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten legte der Angeklagte Berufung ein.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth vom 29.03.2023 legte der Pflichtverteidiger eine Vertretungsvollmacht nach § 329 StPO vor. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hob daraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft im Termin vom 29.03.2023 das mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 27.10.2022 erteilte Pflichtverteidigermandat auf. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen. Der Angeklagte hat inzwischen Revision eingelegt.

Mit am selben Tag bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth eingegangenem Schreiben vom 30.03.2023 legte der Verteidiger namens und im Auftrag seines Mandanten gegen den Beschluss vom 29.03.2023, mit dem die Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben wurde, Beschwerde ein.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 11.05.2023, den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29.03.2023 aufzuheben.

Der Verteidiger hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die eingelegte Beschwerde ist als nach § 143a Abs. 4 StPO statthafte sofortige Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt und zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach § 143a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Nach § 143a Abs. 1 S. 1 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hat. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, führt unabhängig davon, ob bei Personenidentität des Verteidigers überhaupt von einem „anderen Verteidiger“ im Sinne der Vorschrift gesprochen werden kann (so BeckOK StPO/Krawczyk, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 143a Rn. 1 unter Verweis auf SK-StPO/Wohlers Rn. 2 „Die Aufhebung der Bestellung muss auch dann erfolgen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger gewählt wird.“), die Vorlage einer Vertretungsvollmacht nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zur Annahme eines Wahlmandats. Davon, dass auch dem Pflichtverteidiger eine Vollmacht im Sinne des § 329 Abs. 2 S. 1 StPO erteilt sein kann (ohne dass dadurch die Pflichtverteidigerbestellung obsolet wird), gehen neben dem OLG Hamm in der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Entscheidung (Beschluss vom 03.04.2014, 5 RVs 11/14) auch das OLG Köln (Beschluss vom 12.06.2018, 1 RVs 107/18) und der BGH aus (der anders als die beiden vorstehenden Entscheidungen sogar das Fortwirken einer vor der Pflichtverteidigerbestellung erteilten uneingeschränkten Vertretungsbefugnis annimmt, Beschluss vom 24.01.2023, 3 StR 386/21, beck-online Rn. 28). Zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft ferner darauf hingewiesen, dass es nicht nur an der notwendigen Feststellung fehlt, dass der Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger mandatiert und zur Durchführung der Verteidigung dauerhaft und nicht nur punktuell in der Lage ist (vgl. KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 143a Rn. 2), sondern vielmehr erhebliche Zweifel bestehen, dass die vom Landgericht angenommene Wahlverteidigerbestellung gesichert wäre.

2. Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung konnte auch nicht auf der Grundlage des § 143 Abs. 2 S. 1 StPO erfolgen.

Nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. An den für die Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO maßgeblichen Umständen - der Verurteilte stand zur Tatzeit hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten unter Bewährung, deren Widerruf im Raum steht - hat sich allerdings vorliegend nichts geändert. Ein Fall notwendiger Verteidigung ist nach wie vor gegeben. Eine bloße Änderung der rechtlichen Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung kann aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nicht begründen (KG, Beschluss vom 28.02.2017, 5 Ws 50/17; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2023, Ws 173-174/23, sowie Beschluss vom 04.04.2023, Ws 294/23).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: Strafsenat des OLG Nürnberg

Anmerkung:


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