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Entscheidungen

Zivilrecht

Sexueller Missbrauch, katholische Kirche, Schmerzensgeld, Schadensersatz, Erzbistum Köln

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Köln, Urt. v. 13.06.2023 - 5 O 197/22

Eigener Leitsatz:

1. In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche haftet die Anstellungskörperschaft in entsprechender Anwendung von § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG.
2. Zur Bemessung des Schmerzensgeldes in Fällen vielfachen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen durch einen Geistlichem.


In pp.

Das beklagte Erzbistum wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,-- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2022 zu zahlen, abzüglich am 07.05.2012 gezahlter 5.000,-- € und am 20.05.2022 gezahlter weiterer 20.000,-- €.
Es wird festgestellt, dass das beklagte Erzbistum verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus den Schadensereignissen (sexuellem Missbrauch) von 1972 bis 1979 in der Zukunft noch entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Das beklagte Erzbistum wird außerdem verurteilt, an den Kläger Schadenersatz für vorgerichtliche Tätigkeiten des anwaltlichen Beistandes und jetzigen Prozessbevollmächtigten in Höhe von 4.273,40 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 60 % und das beklagte Erzbistum zu 40 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der am 10.11.0000 geborene Kläger wurde von 1972 bis 1979 insgesamt 320 Mal von dem zwischenzeitlich verstorbenen Pfarrer Z., dessen Dienstherr das beklagte Erzbistum war, sexuell missbraucht.

Der Kläger lernte Pfarrer Z. im Jahr 1970 als Messdiener kennen. Ab 1971 nahm der Kläger an allen Freizeiten teil, die ihm im Rahmen der Jugend- und Ministrantenarbeit von Pfarrer Z. angeboten wurden. Im Jahr 1972 kaufte Pfarrer Z. eine ehemalige Dorfschule in D./W. bei J. in der B.. Die Kinder und Jugendlichen der Kirchengemeinde halfen beim Renovieren, so dass sie ab 1973 dort regelmäßig Freizeiten verbringen konnten. Es waren ausschließlich männliche Kinder und Jugendliche eingeladen.
Die erste Freizeit fand 1971 auf der U. in der B. statt. Pfarrer Z. setzte in dieser Freizeit ein sogenanntes Femegericht ein. Alle Kinder und Jugendlichen, die sich in der Freizeit etwas hatten zu Schulden kommen lassen, z.B. Zank, Streit untereinander, wurden vom Pfarrer verurteilt. Strafen waren kaltes Abduschen, Ausziehen, Einschmieren mit Schuhcreme und ähnliches. Es geschah dabei auch immer wieder, dass die Jungen bis auf die Unterhose ausgezogen, mit den Händen an einen Baum gebunden und von allen anderen mit schmerzhaftem Schinkenklopfen bestraft wurden. Pfarrer Z. schaute nicht nur belustigt, sondern lüstern zu, gab die Anweisungen und ergötzte sich an dem Anblick des gedemütigten und gequälten Kindes oder Jugendlichen.
In der ehemaligen Dorfschule verbrachte der Kläger mit Pfarrer Z. zwischen 1972 und 1979 viele Tage und Wochen und zusammengerechnet Monate. Dieser setzte den Kläger als Oberministrant und als sogenannten Leiter seines Dorfhauses ein.

1972 forderte er den Kläger zum ersten Mal auf, sich auszuziehen. Er wollte nachsehen, ob dessen Genitalien sich richtig entwickelt hätten. Damit würde er ihm, dem Kläger, einen Arztbesuch ersparen. Es blieb nicht nur beim Nachsehen, sondern er berührte und streichelte seine Genitalien; das war dem jungen Kläger natürlich äußerst peinlich und unangenehm.

Im Dachgeschoss hatte es bis zum Ausbau eine Sirene gegeben. Der noch vorhandene Sirenenpfahl diente nun als Marterpfahl, an den Kinder und Jugendliche gefesselt wurden. Hier wurden sie ausgezogen und z.B. mit Zahnpasta oder Schuhcreme eingeschmiert. Auch hier wurde der Kläger gefesselt und missbraucht, indem Pfarrer Z. dessen Penis rieb und den Kläger penetrierte.

Später wurde der Kläger aufgefordert, den Pfarrer symbolisch zu fesseln, der sich vorher ausgezogen hatte, und seinen Penis bis zur Ejakulation zu masturbieren. Bei anderer Gelegenheit wurde der Kläger bis auf die Unterhose ausgezogen, bekam einen schwarzen Sack über den Kopf gezogen und wurde an den Händen nach oben aufgehangen. In diesem Zustand wurde er vom Pfarrer in den Leisten gekitzelt.

Abends forderte Pfarrer Z. den Kläger regelmäßig auf, noch einmal zu ihm zu kommen, um ihm eine Gute Nacht zu wünschen. Dieses Ritual erfolgte in den Freizeiten in D./B. jeden Abend. Verbunden damit war, dass der Kläger sich ausziehen musste und Pfarrer Z. sich ebenfalls entkleidete. Er musste jedes Mal auf Aufforderung masturbieren und danach musste der Kläger das Gleiche bei ihm tun. Oft benutzte der Pfarrer auch einen Rasierapparat, um seinen und des Klägers Penis zu erigieren. Häufig schloss sich dann noch eine Vergewaltigung an. Anschließend wurde der Kläger dann zu Bett geschickt.

Ein anderes Mal wurden der Kläger und ein gleichaltriger Freund von dem Pfarrer aufgefordert, sich nackt auszuziehen und sich gegenseitig an den Geschlechtsteilen zu berühren. Pfarrer Z. sah dabei zu und sich ergötzte sich an dem Anblick.

Im Jahr 1980 erstattete der Stiefvater eines anderen Kindes Anzeige wegen Missbrauchs gegen Pfarrer Z., der daraufhin aus der Gemeinde entfernt und in die Universitätsklinik T. als Krankenhausseelsorger versetzt wurde. Weitere Untersuchungen durch das beklagte Erzbistum, insbesondere ob es andere Missbrauchsopfer gab, fanden nicht statt.

Von 1979 bis 1985 studierte der Kläger Katholische Theologie, Biologie und Erziehungswissenschaften in P.. 1984 erhielt er das Diplom in Katholischer Theologie. Im Jahr 1985 folgte das Erste Staatsexamen für die Sekundarstufen 1/11 in Erziehungswissenschaft, Katholischer Religionslehre und Biologie. Von 1985 bis 1988 wurde der Kläger zum Pastoralreferenten im Erzbistum T. ausgebildet. 1986 erhielt er die Missio Canonica für die Klassen eins bis dreizehn. Im selben Jahr lernte er seine spätere Frau kennen. Im Jahr 1988 bestand der Kläger die Zweite Dienstprüfung. In den Jahren 1985 bis 1988 war der Kläger als Pastoralassistent und Pastoralreferent und ab 2000 bis heute in der Krankenhausseelsorge tätig.

Im Jahr 1991 entschloss sich der Kläger (vermittelt über das beklagte Erzbistum) zu einer Psychoanalyse bei Dr. N. in O.. Bis 1995 nahm er an 111 Einzelsitzungen, 87 Gruppensitzungen (1,5 Std), 15 Selbsterfahrungswochenenden und zwei Selbsterfahrungswochen teil. 1995 beendete der Kläger die Therapie wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Therapeuten.

In den Jahren 2002 bis 2012 war der Kläger wiederum in Therapie bei Frau Dr. R. in M., da man ihm bei seiner Ausbildung zum Supervisor im beklagten Erzbistum zu verstehen gegeben hatte, dass es ihm ohne weitere Therapie nicht möglich sei, professionell als Supervisor zu arbeiten. Bei Frau Dr. R. absolvierte der Kläger mit seiner Frau von 2002 bis 2012 eine Gruppentherapie. Wie immer übernahm die Beklagte sämtliche Kosten. Der Kläger nahm an 111 Sitzungen, seine Frau an 93 Sitzungen teil. Die Therapie endete schließlich mit einer Sitzung am 18.02.2011, in der der Kläger den Pfarrer Z. mit seinen Taten konfrontierte.

Im Anschluss zeigte der Kläger gegen den Rat der Therapeutin den Pfarrer wegen der Missbräuche an.

Auf einen Entschädigungsantrag des Klägers vom 07.05.2012 zahlte das beklagte Erzbistum an ihn einen Betrag von 5.000,-- €.

Infolge des Missbrauchs entwickelte sich bei dem Kläger eine schwere Neurodermitis. Er leidet körperlich zudem an schweren Migräneattacken mit Aura (Sehstörungen) und an einer Hypertonie. Des Weiteren besteht bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung. Im Jahr 2004 wurde ein Grad der Behinderung von 50 % anerkannt.

Wegen der gesundheitlichen und psychosomatischen Folgen musste der Kläger zwischen 2005 und 2019 insgesamt fünf mehrwöchige Rehabilitationsmaßnahmen absolvieren. Er war immer wieder über mehrere Wochen arbeitsunfähig, zuletzt im November 2020 und Februar 2021.

Am 14.12.2021 gab es auf Wunsch des Weihbischofs F. ein Gespräch mit dem Kläger, dessen wesentlicher Gegenstand ein Antrag war, den der Kläger kurz zuvor dem Erzbistum übersandt hatte und in dem er Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche geltend gemachte hatte, die der jetzigen Klage entsprachen.

Durch Beschluss der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) im Mai 2022 wurde nach Widerspruch des Klägers und Antrag auf höhere Entschädigung die Zahlung auf insgesamt 25.000,-- € Euro festgesetzt. Ihm wurden daher weitere 20.000,-- € gezahlt.

Das beklagte Erzbistum beauftragte die Rechtsanwaltskanzlei K. und Y. mit der Erstellung eines Gutachtens zu "Pflichtverletzungen von Diözesanveranwortlichen des Erzbistums T. im Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und Schutzbefohlenen durch Kleriker oder sonstige pastorale Mitarbeitende des Erzbistums T. im Zeitraum von 1975 bis 2018", das am 18.03.2021 vorgelegt wurde.

Der Fall des Klägers wurde dort unter der laufenden Nummer 15 behandelt. Die Gutachter ermittelten den Sachverhalt und stellten ab dem Jahr 1980 insgesamt fünf Pflichtverletzungen von Vertretern bzw. Mitarbeitern des beklagten Erzbistums fest. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 2 zur Klageschrift verwiesen.

Zu den weiteren Folgen der Missbrauchstaten hat der Kläger - durch das beklagte Erzbistum unbestritten - kurz zusammengefasst Folgendes vorgetragen:

Die Folgen für ihn, seine Herkunftsfamilie und seine eigene Familie seien gravierend und wirkten bis heute. Die Beziehung zu seinen Geschwistern sei ab Bekanntwerden der Geschehnisse schwierig geworden. Sie hätten nicht verstanden, dass sich ihr Bruder von Pfarrer Z. habe missbrauchen lassen und sich so lange nicht mental von diesem habe trennen können. Das Vertrauen untereinander sei verloren gegangen und seine Geschwister hätten sich vom Kläger distanziert, obwohl er ihnen doch nichts getan habe.

Die beiden Brüder des Klägers seien ebenfalls von Pfarrer Z. missbraucht worden, hätten allerdings selbst bislang keine Anzeigen erstattet. Der Bruder S. werfe dem Kläger als Älteren sogar vor, ihn damals nicht geschützt zu haben. Er verstehe nicht, dass der Kläger, der total unter dem spirituellen Einfluss Pfarrer Z. gestanden habe, das nicht gekonnt habe. Die Beziehung zum Bruder sei so schwer gestört, dass man nicht miteinander reden könne und jedes Treffen meide. Dieser Teil des Lebens des Klägers sei zerstört und es sehe nicht danach aus, dass sich das in diesem Leben noch heilen lasse. Die Schmerzen und der tägliche Kummer über diesen Verlust seien nicht beschreibbar und belasteten den Kläger ständig.

Auf der psychosozialen Ebene zeige sich beim Kläger der seelische Missbrauch in Form von Vertrauensverlust und Misstrauen, aber auch durch Absonderung, Isolation und innere Vereinsamung. Der Kläger habe das Gefühl, machtlos zu sein und keinem Menschen vertrauen zu können. Die familiären Folgen seien für ihn mittlerweile fatal. Seine Kinder seien aus der Kirche ausgetreten. Sie betrachteten die Behandlung ihres Vaters durch das beklagte Erzbistum als unerträglich und unchristlich.

Der Kläger leide seelisch an Flashbacks. Bilder der sexuellen Übergriffe seien immer wieder im Kopf präsent und sprängen auf wie eine Schublade, die man nicht schließen könne. Sein Selbstwertgefühl sei eingebrochen. Er habe den Eindruck, dass seine Gefühle verwirrt seien: Es sei ein Gefühl, nicht vertrauen und sich nicht mehr freuen zu können und in einer wirren Gefühlswelt eingemauert zu sein.

Zudem leide der Kläger religiös daran, einem Priester und Pfarrer nur bedingt vertrauen zu können, und er habe Schwierigkeiten im persönlichen Zugang zu Gebet und Kontemplation. Er leide familiär an den Störungen innerhalb der Familienstruktur, denn es habe sich ungewollt eine Distanz zu seinen Geschwistern und seinen eigenen Kindern entwickelt.

Der Kläger behauptet, weitere Missbrauchstaten seien auch in den Urlauben geschehen, zu denen ihn Pfarrer Z. z.B. nach Q. eingeladen habe.

Der Kläger behauptet weiter, das beklagte Erzbistum habe positive Kenntnis davon besessen, dass der Pfarrer schon als Kaplan in den Jahren 1958 bis 1970 auffällig geworden sei. Es habe Getuschel in der Gemeinde gegeben. Aus diesem Grund hätte das beklagte Erzbistum von dem Missbrauch jedenfalls Kenntnis haben können und diesen verhindern müssen.

Der Kläger ist der Ansicht, das beklagte Erzbistum hafte einerseits aus Amtshaftung für die Taten des verstorbenen Pfarrers. Es treffe eine Garanten- und Einstandspflicht gegenüber dem Kläger für die Handlungen des Pfarrers Z.. Andererseits liege auch ein Organisationsverschulden vor. Das beklagte Erzbistum habe es wissentlich unterlassen, zu untersuchen und laufend zu kontrollieren, was in ihrem Bistum vorgegangen sei und sich nicht um die Missbrauchsopfer gekümmert.

Zur Höhe des Schmerzensgeldes meint der Kläger, es müssten hier auch pönale Elemente mitberücksichtigt werden. Nur adäquat hohe Schmerzensgelder würden die Beklagte künftig davon abhalten, ihre Garantenpflichten zu verletzen. Es sei ein sehr hohes Schmerzensgeld auszuurteilen, so wie es bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten schon lange ständige Rechtsprechung sei. Der sexuelle Missbrauch des Klägers sei eine massive Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Der Kläger beantragt,
das beklagte Erzbistum zu verurteilen,
1. an ihn ein Schmerzensgeld in Höhe von 750.000,-- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, abzüglich am 7. Mai 2012 gezahlter 5.000,-- € und am 20. Mai 2022 gezahlter weiterer 20.000,-- €, sodass 725.000,-- € verbleiben;
2. festzustellen, dass das beklagte Erzbistum verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und jeden weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus den Schadensereignissen (sexuellen Missbrauchs) von 1972 bis 1979 entstanden ist und in der Zukunft noch entsteht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind;
3. an ihn Schadensersatz für vorgerichtliche Tätigkeiten des anwaltlichen Beistandes und jetzigen Prozessbevollmächtigten in Höhe von 7.285,42 € zu zahlen.

Soweit der Kläger mit dem Antrag zu 2. ursprünglich auch die Feststellung der Ersatzpflicht für in der Vergangenheit entstandene Schäden begehrt hatte, hat er diesen mit Zustimmung des beklagten Erzbistums insofern zurückgenommen.

Das beklagte Erzbistum beantragt,
die Klage abzuweisen.

Es behauptet, während des Zeitraums von 1971 bis 1979 keine Kenntnis von den durch den Pfarrer Z. verübten Taten gehabt zu haben. Erst im Jahr 1980 habe es erste Hinweise hierauf erhalten.

Das beklagte Erzbistum ist der Ansicht, nicht verpflichtet gewesen zu sein, den Pfarrer Z. zu überprüfen oder Nachforschungen anzustellen, solange keine Hinweise auf ein Fehlverhalten vorgelegen hätten. Neben den unentschuldbaren Missbrauchstaten des Pfarrers Z. gebe es keine weiteren Pflichtverletzungen von Vertretern oder Mitarbeitern der Beklagten, an die der Kläger Ansprüche anknüpfen könnte. Unterstellte Pflichtverletzungen nach Beendigung des Missbrauchs seien unerheblich, da es jedenfalls an der erforderlichen Kausalität fehle.

Der Feststellungsantrag sei bereits unzulässig, da der Kläger in der Lage sei, seine Ansprüche abschließend zu beziffern.

Die zunächst erhobene Einrede der Verjährung hat das beklagte Erzbistum wieder zurückgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist nach der teilweisen Rücknahme in vollem Umfang zulässig. Sie ist im erkannten Umfang begründet.

I.

Dem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden kann das Feststellungsinteresse nicht abgesprochen werden. Insbesondere hat das beklagte Erzbistum, auch wenn es in der Vergangenheit die dem Kläger entstandenen Behandlungskosten übernommen hat, insofern kein titelersetzendes Anerkenntnis abgegeben.

Auch ist die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts gegeben; darüber hinaus kann eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit im Rahmen der Zulässigkeit nicht gefordert werden (vgl. BGH NJW 2001, 1431, beckonline).

II.

1.

Der Kläger hat Anspruch auf Schadenersatz gegen das beklagte Erzbistum aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

Die Haftungsvorschriften des § 839 BGB und des Art. 34 GG finden bei Amtspflichtverletzungen kirchlicher Beamter entsprechende Anwendung. Voraussetzung der Amtshaftung ist, dass der Schädiger, mag er auch kein Beamter im kirchenbeamtenrechtlichen Sinne sein, im Rahmen von kirchlichen Aufgaben tätig geworden ist, die außerhalb des rein fiskalischen Tätigkeitsbereiches der Kirche liegen und deren Erfüllung sich mithin als Ausübung eines öffentlichen Amtes im Sinne von Art. 34 GG darstellt (BGH, Entscheidung vom 30. Januar 1961 - III ZR 227/59 -, juris = VersR 1961, 437; Urteil vom 20. Februar 2003 - III ZR 224/01 -, BGHZ 154, 54-64, Rn. 7).

Korporierte Religionsgemeinschaften haben einen öffentlichrechtlichen Status und sind mit bestimmten hoheitlichen Befugnissen ausgestattet. Sie verfügen damit über besondere Machtmittel und einen erhöhten Einfluss in Staat und Gesellschaft. Ihnen liegen deshalb die besonderen Pflichten des Grundgesetzes zum Schutz der Rechte Dritter näher als anderen Religionsgemeinschaften (BVerfG NJW 2001, 429).

Von den korporierten Religionsgemeinschaften wird auch außerhalb des ihnen übertragenen Bereichs hoheitlicher Befugnisse (Kirchensteuer, Friedhofswesen etc.) in weitergehendem Umfang als von jedem Bürger Rechtstreue verlangt. Zwar sind sie insoweit an die einzelnen Grundrechte nicht unmittelbar gebunden. Die Zuerkennung des Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts bindet sie jedoch an die Achtung der fundamentalen Rechte der Person, die Teil der verfassungsmäßigen Ordnung ist. Angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden besonderen Machtmittel und ihres erhöhten Einflusses in Staat und Gesellschaft liegen ihnen die besonderen Pflichten des Grundgesetzes zum Schutze Dritter näher als anderen Religionsgesellschaften (BGH NJW 2001, 3537).

Dementsprechend können insbesondere die Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche Amtshaftungsansprüche auslösen, da es sich um allgemeingültige, drittschützende Pflichten handelt, andere Personen nicht an ihren Rechtsgütern zu schädigen (Gerecke/Roßmüller, NJW 2022, 1911 Rn. 5). Dabei tritt § 839 BGB als Anspruchsgrundlage an die Stelle der anderenfalls in Betracht kommenden deliktischen Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 176, 176a und 182 StGB (seit dem 01.08.2002 auch nach § 825 BGB nF; Staudinger/Wöstmann (2020) BGB § 839, Rn. 756).

a) Der zwischenzeitlich verstorbene Pfarrer Z. hat drittbezogene Amtspflichten verletzt. Er hat den Kläger im Zusammenhang mit der Ausübung seines Priesteramtes missbraucht (zur Unterscheidung von hoheitlichem und rein fiskalischem Handeln vgl. BGH NJW-RR 1989, 921). Auch die Durchführung von Freizeiten mit Messdienern erfolgt im Rahmen des priesterlichen Dienstes und stellt daher die Ausübung eines öffentlichen Amtes dar und nicht nur eine reine kircheninterne Handlung (so auch Jaeger, VersR 2022, 1130f. m.w.N.).

Soweit V. (NJOZ 2010, 1859) den Standpunkt vertritt, bei Übergriffen, die der Kleriker im Rahmen seiner ihm als Seelsorger übertragenen Aufgaben, z.B. während der Vorbereitung einer Messe (Messdiener) begangen habe, oder die im Rahmen einer von der Pfarrei durchgeführten Jugendfreizeit erfolgt seien, liege keine öffentlichrechtliche Tätigkeit vor, so dass eine Haftung der Kirche gem. § 839 BGB, Art. 34 GG ausscheide, vermag dies angesichts der insbesondere durch den BGH für eine entsprechende Anwendung des Amtshaftungsrechts angeführten Gründe nicht zu überzeugen.

Soweit der Kläger außerdem vorgetragen hat, von Pfarrer Z. in Urlaube eingeladen und dort ebenfalls sexuell missbraucht worden zu sein, ist ein Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit nicht hinreichend dargelegt worden. Darüber hinaus ist das Vorbringen nicht ausreichend substantiiert, denn es werden keine Daten und sonstige Details zu diesen Vorfällen mitgeteilt. Derartige Missbräuche sind seitens des beklagten Erzbistums auch nicht unstreitig gestellt worden.

b) Dagegen sieht die Kammer keine für die bei dem Kläger eingetretenen Schäden kausalen weiteren Pflichtverletzungen des beklagten Bistums. Dass die Taten oder zumindest die Neigungen des Pfarrers schon spätestens 1979 bekannt geworden waren, wird nicht substantiiert dargelegt.

Dem Kläger mag darin Recht zu geben sein, dass das beklagte Bistum sofort aktiv werden muss, wenn es auch nur von einem (begründeten) Verdacht solcher Fälle erfährt. Dass dies im Fall des Pfarrers Z. vor 1980 der Fall war, legt der Kläger indessen nicht ausreichend dar. Der diesbezügliche Vortrag ("Der Beschuldigte sei auch schon in seiner Zeit als Kaplan "auffällig" geworden"; "Es gab Getuschel in der Gemeinde.") ist zu allgemein gehalten.

Soweit der Kläger meint, in dem "K.-Gutachten" werde unbestreitbar belegt, dass Pfarrer Z. schon lange vorher als Kaplan in den Jahren 1958 bis 1970 auffällig geworden sei und das beklagte Erzbistum positive Kenntnis von der großen Gefahr, die von ihm ausging, besessen habe, ist diese Interpretation vom Wortlaut des Gutachtens nicht gedeckt.

Entsprechend unsubstantiiert ist auch die Behauptung des Klägers: "Die Beklagte, ihre unmittelbaren und mittelbaren Täter, wussten von diesen Missbräuchen, um die es hier geht, spätestens seit den sechziger Jahren."

Die Anzeige wegen Missbrauchs eines anderen Opfers wurde im Jahr 1980 erstattet, woraufhin Pfarrer Z. auch umgehend aus der Gemeinde entfernt und in der Universitätsklinik T. als Krankenhausseelsorger eingesetzt wurde. Dass in diesem Zusammenhang die Einleitung von Untersuchungen o.ä. unterlassen wurde, kann für die 1979 beendeten Taten zum Nachteil des Klägers und die hierauf beruhenden Schäden nicht mehr kausal geworden sein.

Ohne jeden konkreten Anlass bestand keine Verpflichtung, das Haus in der B. zu kontrollieren. Dies würde quasi alle Priester unter Generalverdacht stellen, obwohl nur die allerwenigsten die ihnen anvertrauten Menschen missbraucht haben. Entsprechendes gilt für den Vorwurf, der Pfarrer sei vor seiner Einstellung und während seiner Tätigkeit niemals überprüft worden, ob er geeignet war, insbesondere mit Kindern und Jugendlichen umzugehen.

c) Da aufgrund des unstreitigen Sachverhalts von vorsätzlichem Verhalten des Pfarrers auszugehen ist, liegt das erforderliche Verschulden zweifelsfrei vor.

Sofern man - entgegen den vorherigen Ausführungen - eine weitere (eigene) Pflichtverletzung des beklagten Erzbistums annehmen wollte, könnte entgegen der Ansicht des Klägers jedenfalls nicht von (bedingt) vorsätzlichem Verhalten ausgegangen werden. Hierzu hätten die maßgeblichen Bediensteten mit den Missbrauchstaten rechnen und diese billigend in Kauf nehmen müssen. Nach Ansicht der Kammer liegen hierfür keine greifbaren Anhaltspunkte vor, so dass allenfalls von bewusster Fahrlässigkeit gesprochen werden könnte ("wird schon gutgehen").

2. Rechtsfolge des so begründeten Anspruchs ist zum einen die Ersatzpflicht des beklagten Erzbistums für die materiellen Schäden aus § 249 Satz 2 BGB in der Fassung vom 01.01.1964, zum anderen die Verpflichtung zur Zahlung von Schmerzensgeld aus § 847 Abs. 1 Satz 1 BGB in der Fassung vom 01.01.1964.

Die durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch geänderten Vorschriften, hier §§ 249 Abs. 2 Satz 1, 253 Abs. 2 BGB, sind nur anzuwenden, wenn das schädigende Ereignis nach dem 31.07.2002 stattgefunden hat (Art. 8 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB). Vorliegend geht es um Ereignisse aus den Jahren 1972 bis 1979.

a) Die von dem Kläger beantragte Feststellung der Ersatzpflicht des beklagten Erzbistums für ihm zukünftig entstehende materielle Schäden ist nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2017 - VI ZR 423/16 -, BGHZ 216, 149-174, Rn. 49 m.w.N.).

Dagegen hält die Kammer den Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle Schäden bereits deshalb für unbegründet, weil mit dem auf eine unbeschränkte Klage insgesamt zuzuerkennenden Schmerzensgeld nicht nur alle bereits eingetretenen, sondern auch alle erkennbaren und objektiv vorhersehbaren künftigen Verletzungsfolgen aus der Schädigungshandlung abgegolten werden (BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 -, Rn. 9 m.w.N., juris).

Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Lediglich solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Folge nicht umfasst und können deshalb die Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (BGH, Urteil vom 20. Januar 2015 - VI ZR 27/14 -, Rn. 8 m.w.N., juris).

Insbesondere angesichts des seit den streitgegenständlichen Taten verstrichenen langen Zeitraums, in dem der Kläger sich kontinuierlich in Behandlung befunden hat, kann nach Ansicht der Kammer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass mit weiteren, nicht vorhersehbaren Verletzungsfolgen zu rechnen ist.

b) Gemäß § 847 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F., der verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 8. März 2000 - 1 BvR 1127/96 -, Rn. 6, juris), kann der Verletzte im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen.

Auch nach dieser Vorschrift war bereits allgemein anerkannt, dass eine Entschädigung wegen immaterieller Schäden auch dann zu gewähren ist, wenn Körperverletzung, Freiheitsentziehung, Eingriffe in die sittliche Integrität nicht nur physische, sondern psychische Beeinträchtigungen zur Folge hatten (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955 - GSZ 1/55 -, BGHZ 18, 149-168, Rn. 17).

Die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung setzt nicht voraus, dass sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne die Vorfälle nicht aufgetreten wären. Nicht erforderlich ist, dass die aus der Verletzungshandlung resultierenden (haftungsausfüllenden) Folgeschäden für den Schädiger vorhersehbar waren (BGH, Urteil vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95 -, BGHZ 132, 341-353, Rn. 14).

c) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "billigen Entschädigung" ist im Ergebnis nach dem Wortlaut, systematisch, historisch und teleologisch dahin auszulegen, dass bei der Bemessung der "billigen Entschädigung" durch den Richter alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden dürfen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie die einzelnen Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu gewichten sind (BGH, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16 -, BGHZ 212, 48-70, Rn. 53).

Dabei stehen die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung ganz im Vordergrund. Bei den unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit zu berücksichtigenden Umständen hat die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen stets das ausschlaggebende Moment zu bilden; der von dem Schädiger zu verantwortende immaterielle Schaden, die Lebensbeeinträchtigung steht im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen immer an der Spitze (BGH, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16 -, BGHZ 212, 48-70, Rn. 54).

Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers. Ein allgemein geltendes Rangverhältnis aller anderen zu berücksichtigenden Umstände lässt sich nicht aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die Höhe der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten (BGH, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16 -, BGHZ 212, 48-70, Rn. 55).

Denn es geht bei der Bemessung der billigen Entschädigung um eine Gesamtbetrachtung. Erst dadurch, dass der (Tat-)Richter im ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (BGH, Beschluss vom 16. September 2016 - VGS 1/16 -, BGHZ 212, 48-70, Rn. 56).

Bei der konkreten Bemessung des Schmerzensgeldes ist weiter eine Orientierung an in anderen Fällen von der Rechtsprechung zugebilligten Beträgen nicht nur zulässig, sondern wenigstens als Ausgangspunkt im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen auch erforderlich (BGH Urt. v. 19.12.1969 - VI ZR 111/68, BeckRS 1969, 30379971).

Allerdings können die Entscheidungen in vergleichbaren Fällen lediglich als grobe Orientierungshilfe dienen, jedoch nicht zum Zwecke der schematischen Übernahme (OLG München, Urteil vom 01.07.2005 - 10 U 2544/05 = SVR 2006 Heft 5, 180).

Die auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild einheitlich festzusetzende Entschädigung lässt sich nicht rein rechnerisch ermitteln (BGH, Urteil vom 22. März 2022 - VI ZR 16/21 -, Rn. 8 m.w.N., juris).

Ebenso wenig wird eine taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes diesen Grundsätzen gerecht (BGH, Urteil vom 15. Februar 2022 - VI ZR 937/20 -, Rn. 15, juris).

d) Zunächst ist mit Blick auf den konkreten Sachverhalt festzuhalten, dass vergleichbare Entscheidungen, in denen es um langjährigen, vielfachen und schweren sexuellen Missbrauch durch einen Geistlichen geht, nicht existieren. Es können lediglich andere Fälle von sexuellem Missbrauch Minderjähriger bei der Bewertung berücksichtigt werden, wobei eine Vergleichbarkeit der Sachverhalte generell schwerfällt. Das Täterprofil, aber auch die Dauer, die Intensität sowie die Folgen der Tat fallen regelmäßig sehr unterschiedlich aus.

Als grobe Orientierungshilfe kann einerseits ein Urteil des Landgerichts E. dienen, in dem das Gericht auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 150.000,-- € erkannt hat. Daneben wurden die Angeklagten wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Geiselnahme und Menschenhandel zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt (LG E. v. 02.07.2008, 101 Js 35958/06-1-6/07 - unveröffentlicht).

Auch in die Wertung einbezogen werden kann ein Urteil des Landgerichts X., in dem das Gericht nach der brutalen Vergewaltigung einer 16 Jahre alten schwangeren Frau, die vom Täter 72 Stunden immer wieder mit dem Tod bedroht wurde, ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,-- € zugesprochen hat (LG X. Urt. V. 5.2.2013 - 16 O 95/12, BeckRS 2013, 3421 Rn. 50). Das Opfer erlitt eine schwere posttraumatische Belastungsstörung, wobei im Urteilszeitpunkt davon ausgegangen wurde, dass eine langjährige Fortführung der psychotherapeutischen Behandlung erforderlich werden würde.

Die deutliche Abweichung von den bisher in Fällen sexueller Gewalt zugesprochenen maximalen Schmerzensgeldbeträgen begründete das Landgericht X. damit, dass Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung häufig zu gravierenden und zum Teil die Opfer ihr Leben lang begleitenden psychischen Beeinträchtigungen führten. Ähnlich einem Rollstuhlfahrer, der sein Leben komplett umstellen müsse, trage ein Opfer extremer sexueller Gewalt dieses Erlebnis tagtäglich in sich und stelle sein Leben, wenn auch möglicherweise unbewusst, in vielfältiger Hinsicht um. Da sich dies aber nicht immer in konkreten Krankheitsbildern niederschlage und oft auch vom Opfer selbst gar nicht wahrgenommen werde, sei es Aufgabe der Gerichte, gerade diese unspezifischen Folgen der Verletzungshandlung in Form eines allgemein höheren Schmerzensgeldes bei Fällen extremer sexueller Gewalt zu berücksichtigen. Das Landgericht X. hielt die Auswirkungen der vorliegenden Tat, insbesondere unter Berücksichtigung der Tat als solcher, für geeignet, ein mindestens gleichartiges Ausgleichs- und Genugtuungsinteresse zu begründen (LG X. aaO m.w.N.).

Diese Begründung kann auch im vorliegenden Fall fruchtbar gemacht werden. Der Kläger erfuhr in seiner Kindheit und Jugend extreme sexuelle Gewalt, die sein weiteres Leben prägte und weiterhin prägt. Insoweit hält es das Gericht für zulässig und erforderlich, im hiesigen Fall bei der Bewertung eines angemessenen Schmerzensgeldes auch ausgeurteilte Schmerzensgeldbeträge in Bezug auf deren Höhe und die zugrundeliegenden Beeinträchtigungen in den Blick zu nehmen. Hohe Schmerzensgelder wurden u.a. bei lebensverändernden körperlichen Beeinträchtigungen ausgeworfen, die häufig auch mit einem Persönlichkeitsverlust einhergingen. Veröffentlichte Verfahren zu Schwerstschadensfällen, bei denen die Betroffenen irreversibel schwerste körperliche und geistige Behinderungen erlitten und dadurch die Möglichkeit eines Lebens als selbstbestimmte Persönlichkeit verloren hatten, ergaben lange Zeit rechtskräftig titulierte Schmerzensgeldbeträge von bis zu 500.000,-- € nebst einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 500,-- € (OLG Zweibrücken, 22. April 2008, 5 U 6/07, MedR 2009, 88; OLG T., 20. Dezember 2006, 5 U 130/01, VersR 2007, 219; OLG Hamm, 21. Mai 2003, 3 U 122/02, VersR 2004, 386; OLG München, 19. September 2005, 1 U 2640/05, MedR 2006, 211; OLG O., 26. April 2007, 8 U 37/05, VersR 2008, 534).

Das Oberlandesgericht T. (Beschluss vom 10. Dezember 2014 - I-5 U 75/14) erachtete in einem Fall ein Schmerzensgeld von insgesamt etwa 600.000,-- € für erforderlich, in dem nach einem schweren Autounfall ein zweijähriger Junge einen hypoxischen Hirnschaden erlitten hatte. In diesem Umfang sei das Schmerzenzgeld erforderlich, um den massiven vom Kläger erlittenen geistigen und körperlichen Schäden angemessen Rechnung zu tragen, an denen der Kläger sein Leben lang ohne Hoffnung auf Besserung leiden werde, aufgrund derer er lebenslänglich rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen sei, durch die ihm jede Chance auf ein selbstbestimmtes Leben genommen worden sei und die seine Persönlichkeit weitgehend zerstört habe.

Das Landgericht L. hielt bei jungen Patienten, die infolge eines Behandlungsfehlers schwerste Hirnschädigungen erlitten hatten, ein Schmerzensgeld in Höhe von 800.000,-- € für angemessen. Dieser Betrag sprenge das allgemeine Entschädigungsgefüge nicht, sondern stelle für den konkreten Einzelfall eine gebotene Fortschreibung dar (LG L., Urteil vom 6. November 2019 - 5 O 376/18).

Darüber hinaus wurde nunmehr auch in einem Fall schwerster körperlicher Beeinträchtigungen ohne Persönlichkeitsverlust ein sehr hohes Schmerzensgeld ausgeurteilt. Ein fünfjähriger Junge erhielt aufgrund eines Behandlungsfehlers einen Schmerzensgeldbetrag von insgesamt 800.000,-- €. Ihm mussten beide Unterschenkel amputiert werden, außerdem musste er sich bereits bis zum Tage der gerichtlichen Entscheidung 16 Operationen unterziehen. Das Oberlandesgericht H. hielt das Schmerzensgeld in dieser Höhe auch ohne vollständigen Verlust der Persönlichkeit für angemessen, da der Junge zukünftig bis an sein Lebensende ganz erhebliche Belastungen, Schmerzen und Einschränkungen im dauerhaften Bewusstsein des Verlustes zu ertragen habe (OLG H., Urteil vom 18. März 2020 - 5 U 196/18).

Die Beeinträchtigungen, die mit derart schwerwiegenden dauerhaften körperlichen Beeinträchtigungen und Leiden einhergehen, sind zwar dem Grunde nach nicht mit dauerhaften psychischen Beeinträchtigungen zu vergleichen. Denn die Schädigungen wirken sich mitunter in der möglichen Lebensgestaltung und generell im Alltäglichen unterschiedlich aus. Allerdings hält es das Gericht für sinnvoll, prägende Ereignisse, die aufgrund psychologischer Beeinträchtigung das gesamte Leben beeinflussen, der Höhe nach in eine angemessene Relation zu den ausgeurteilten Beträgen zu setzen. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes muss, insbesondere in Abweichung zum benannten Urteil des Landgerichts X., das Schmerzensgeld im vorliegenden Fall weitaus höher ausfallen. Dies gebietet die besondere Sachverhaltskonstellation. Die Dauer und Häufigkeit der sexuellen Gewalt, die gegenüber dem Kläger über viele Jahre anhielt, ist bei der Bemessung besonders zu berücksichtigen. Denn gerade die unvorstellbare psychische Belastung, die sich auf Grundlage der ständigen Erwartung neuer sexueller Gewaltexzesse über Jahre hinweg beim Kläger festigen musste, ist neben dem Gewaltakt selbst im besonderen Maße in die Wertung einzubeziehen. Dies gilt auch für die konkrete und besondere Täter-Opfer Beziehung.

Demgegenüber kann indessen nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im vorliegenden Fall trotz der ganz erheblichen psychischen und physischen Folgeschäden nicht in einem den Fallkonstellationen der vorstehend zitierten Entscheidungen entsprechenden Maße beeinträchtigt ist. Seine Persönlichkeit wurde zweifellos massiv verletzt, aber nicht zerstört. Er konnte zumindest insofern ein "normales" Leben führen, als er eine Ausbildung ergriffen und abgeschlossen hat, eine Familie gegründet hat und lange Jahre in dem erlernten Beruf tätig war. Wie die durchgeführten Therapien zeigen, die für den Kläger zweifelsohne eine erhebliche zusätzliche Belastung darstellten, gab es auch immer einen Hoffnungsschimmer, dass er die furchtbaren Erlebnisse irgendwann würde verarbeiten können. Nach seinem eigenen Vortrag hat sich der Kläger dies auch noch von dem vorliegenden Verfahren und der gerichtlichen Entscheidung erhofft.

e) Ausgehend von den unter c) dargestellten Grundsätzen und unter Berücksichtigung der unter d) angeführten Entscheidungen hält die Kammer im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld in Höhe von 300.000,-- € für angemessen.

Dabei hat sich die Kammer insbesondere von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Der Kläger stand unter psychischem Druck und befand sich aufgrund der autoritären Stellung des Pfarrers, aber auch dessen Rolle als "Ersatzvater" in einer Zwangslage. Sowohl wegen seiner Gläubigkeit als auch aufgrund der ihm eingeräumten engen Vertrauensstellung war der Kläger von dem Pfarrer abhängig.

Die über einen langen Zeitraum und in großer Zahl erfolgten vorsätzlich begangenen Missbräuche, die regelmäßig mit Vergewaltigungen einhergingen, verursachten dem Kläger nicht nur körperliche Schmerzen, sondern er fühlte auch Scham, Erniedrigung, Hilflosigkeit und Angst.

Der Kläger benötigt seit über 30 Jahren ständig therapeutische Hilfe; neben zahlreichen ambulanten Sitzungen nahm er zwischen 2005 und 2019 an insgesamt fünf mehrwöchigen Rehabilitationsmaßnahmen teil. Er leidet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und mehreren chronischen Krankheiten (Neurodermitis, Migräne, Hypertonie).

Daneben bestehen mannigfaltige psychische Beeinträchtigungen, die auch aus der Belastung der Beziehungen zu den Geschwistern des Klägers herrühren. Das eigene Familienleben des Klägers wurde ebenfalls stark negativ beeinflusst.

Dagegen sieht die Kammer keinen Anlass, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch das Regulierungsverhalten des beklagten Erzbistums zu berücksichtigen.

Der generelle Umgang der Kirche mit den bekannt gewordenen Missbrauchsfällen kann in diesem Rahmen keine Berücksichtigung finden.

Den hier streitgegenständlichen Schmerzensgeldanspruch hat der Kläger erstmals Ende 2021 geltend gemacht. Substantiierten Vortrag zu konkret erhobenen Ansprüchen vor diesem Zeitpunkt leistet er nicht mit Ausnahme des Jahres 2012, in dem ihm aber auch eine - zu geringe - Entschädigung zugebilligt wurde.

Dass das beklagte Bistum im Rahmen der vorgerichtlichen Gespräche zunächst einen Amtshaftungsanspruch abgelehnt und auf die von ihm eingerichtete Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen verwiesen hat, woraufhin ein weiterer Betrag an den Kläger gezahlt wurde, war zumindest vertretbar.

Im Rahmen des anschließenden Klageverfahrens hat das beklagte Erzbistum dann die Missbrauchstaten nicht bestritten und die Einrede der Verjährung zurückgenommen, wodurch zeitnah die gerichtliche Entscheidung möglich wurde. Dass das beklagte Erzbistum sowohl zur Klageerwiderung als auch zur Duplik jeweils um Fristverlängerungen nachgesucht hat, fällt ebenso wenig maßgeblich ins Gewicht wie der geringe äußere Umfang dieser Schriftsätze.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Schmerzensgeld vorliegend schließlich nicht aus Gründen der Prävention oder Bestrafung zu erhöhen. Da ausschließlich auf die Pflichtverletzungen des Pfarrers abzustellen ist, ist für eine Abschreckung oder Pönalisierung gegenüber dem lediglich nach Art. 34 GG haftenden Erzbistum kein Raum.

Auf die Frage, ob und inwieweit aufgrund der Entwicklungen der vergangenen Jahre davon ausgegangen werden kann, dass dem beklagten Erzbistum die Missbrauchsproblematik nunmehr hinreichend deutlich bewusst ist und deshalb eine Wiederholung von Taten, wie sie dem Kläger widerfahren sind, ausgeschlossen ist, kam es daher nicht an.

3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten können als weitere Schadensposition gefordert werden, ohne dass es insofern auf Verzug ankäme. Der Höhe nach sind diese aus einem Geschäftswert von 300.000,-- € bei einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer berechtigt.

4. Nachdem das beklagte Erzbistum die Einrede der Verjährung - zulässiger Weise - zurückgenommen hat, brauchte auf diesen Punkt nicht mehr eingegangen zu werden.

Insbesondere sieht die Kammer keinen Anlass, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Geltendmachung der Verjährungseinrede im vorliegenden Fall rechtsmissbräuchlich oder aus anderen Gründen unbeachtlich gewesen wäre.

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

Streitwert: 805.000,-- €


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