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Entscheidungen

Haftfragen

Vollzug, U-Haftvollzug, Nichtraucherschutz. Fürsorgepflicht der JVA

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 07.06.2023 – 12 Qs 40/23

Leitsatz des Gerichts:

Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG, der den Nichtraucherschutz im bayerischen Strafvollzug regelt, gilt für den Vollzug der Untersuchungshaft in Bayern entsprechend.


In pp.

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 20.04.2023 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Justizvollzugsanstalt X für den Zeitraum der Inhaftierung des Beschwerdeführers in der dortigen Abteilung D insoweit ihre Fürsorgepflicht verletzt hat, als sie den Nichtraucherschutz nicht hinreichend durchgesetzt und den Beschwerdeführer einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt hat.
3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer hierfür entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer befand sich vom 22.09.2022 bis 14.03.2023 in Untersuchungshaft in der JVA X und wandte sich mehrfach mit Anträgen, die die Durchsetzung des Rauchverbots in der JVA zum Inhalt hatten, an diese. Mit Schreiben vom 28.12.2022 stellte er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung und beantragte u.a. die Umsetzung des Nichtraucherschutzgesetzes durch die JVA X, Feststellung der Rechtswidrigkeit und Ortsbegehung sowie Sicherstellung der Videoaufnahmen durch das Gericht. Er fügte dem Antrag eine Skizze bei, die die räumlichen Verhältnisse der Abteilung D, in welcher er zum Antragszeitpunkt eine Zelle hatte, zeigt. Hierzu gab er an, seine Mitgefangenen würden im Gang zwischen den Zellen auf einer Tischtennisplatte sitzen und Zigaretten/Tabak konsumieren. Die Abteilung sei zeitweise komplett mit grauem Rauch durchzogen und „versinke in Zigaretten-/Tabakgestank“. Wenn er seine Zelle zum Duschen oder Aufschluss verlasse, sei er dem Rauch auf der Abteilung vollkommen ausgesetzt. Wenn seine Zelle geschlossen sei, ziehe der Zigaretten- bzw. Tabakrauch durch den unteren Schlitz der Zellentür in seine Zelle, da die rauchenden Gefangenen weiterhin Aufschluss hätten und rauchen würden.

Am 14.03.2023 wurde der Beschwerdeführer in die JVA Z verlegt.

Die JVA X nahm zum Antrag des Beschwerdeführers Stellung. Danach werde der Schutz von Nichtrauchern beachtet. In Hafträumen, in denen Nichtraucher untergebracht seien, sowie auf den Gemeinschaftsflächen bestehe Rauchverbot. Verstöße gegen dieses würden seitens der Vollzugsbeamten gemeldet und konsequent disziplinarisch geahndet. Die Dienstleitung sei dem Anliegen des Antragstellers nachgegangen. Ihm sei mitgeteilt worden, er solle bei Verstößen gegen das Rauchverbot den Zeitpunkt sowie den Namen der beteiligten Gefangen mitteilen. Dies habe er jedoch auch in der Folgezeit nicht getan. Auch seitens der Vollzugsbeamten sei in dem Zeitraum kein Verstoß gegen die Hausordnung gemeldet worden. Ein etwaiger Verstoß gegen das Rauchverbot habe daher weder festgestellt noch geahndet werden können.

Mit Beschluss vom 20.04.2023 lehnte das Amtsgericht Nürnberg den Antrag des Beschwerdeführers ab. Es führte aus, dieser habe zu keinem Zeitpunkt konkret benannt, wann und in welcher Form durch wen derart gegen das Rauchverbot verstoßen worden sein soll, dass er in seinen Rechten beeinträchtigt wurde. Ein Einschreiten durch die JVA oder eine Aufklärung durch das Gericht sei deshalb nicht möglich gewesen.

Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit der Beschwerde. Dabei gab er an, die Namen der rauchenden Gefangenen seien ihm nicht bekannt. Die Abteilung werde aber kameraüberwacht, so dass die Verstöße auf den Videoaufnahmen ersichtlich sein müssten.

Das Amtsgericht Nürnberg half der Beschwerde nicht ab. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth legte die Akten dem Landgericht Nürnberg-Fürth mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, vor.

Die Kammer hat ergänzend eine Stellungnahme der JVA X eingeholt und die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth zu den hierdurch erlangten Erkenntnissen angehört.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.

1. Im Rahmen der Zulässigkeit ist das Rechtsschutzinteresse trotz Erledigung der behaupteten Beeinträchtigung durch Verlegung des Beschwerdeführers gegeben. Bei einer Verletzung des Nichtraucherschutzes, der - wie vorliegend durch den Beschwerdeführer beschrieben - zu einer länger andauernden Beeinträchtigung geführt haben soll, liegt ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor. Dieser gebietet es, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen, auch wenn die Beeinträchtigung tatsächlich nicht mehr fortbesteht. Nur so kann verhindert werden, dass Rechte und insbesondere Grundrechte in bestimmten Fallgestaltungen in rechtsstaatlich unerträglicher Weise systematisch ungeschützt bleiben (BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 - 204 StObWs 277/20, juris Rn. 20 m.w.N.).

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die JVA X hat ihre Fürsorgepflicht verletzt, indem sie nicht durch geeignete Maßnahmen verhindert hat, dass der Beschwerdeführer in seiner Zelle einer erheblichen Rauchbelästigung ausgesetzt war.

a) Nach Art. 58 Abs. 3 BayStVollzG, der für die Untersuchungshaft entsprechend gilt (Bratke/Krä in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed. 1.4.2023, BayUVollzG Art. 25 Rn. 6), ist der Schutz der Nichtraucher, soweit es bauliche und organisatorische Maßnahmen ermöglichen, zu gewährleisten. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Nr. 1 lit. b des Bayerischen Gesetzes zum Schutz der Gesundheit (GSG) ist das Rauchen in Innenräumen der Gebäude der Behörden des Freistaats Bayern verboten. Nach Art. 5 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GSG kann die Anstaltsleitung das Rauchen in Einzel-, Gemeinschaftshafträumen und anderen Gemeinschaftsräumen gestatten (Arloth in BeckOK Strafvollzug Bayern, 18. Ed., Art. 58 BayStVollzG Rn. 11). Dies gilt jedoch nicht, wenn aus baulichen oder sonstigen Gründen eine räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern in Aufenthaltsräumen im Bereich eines Anstaltsbetriebes nicht möglich ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 - 204 StObWs 277/20, juris Rn. 25 f. m.w.N.).

b) Der Beschwerdeführer hat die von ihm gerügte Verletzung des Nichtraucherschutzes hinreichend konkret vorgetragen. Danach kam es laufend zu einer Rauchbelästigung, da die Mitgefangenen, deren Zellen über einen längeren Zeitraum aufgeschlossen waren, fortwährend rauchten und der Rauch durch den Schlitz an seiner Zellentür in seine Zelle gelangte bzw. auf dem Gemeinschaftsflur präsent war, wenn der Beschwerdeführer seine Zelle verließ. Da es sich dem Vortrag des Beschwerdeführers nach um eine ständige Belästigung handelte, kann im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes nicht verlangt werden, dass er - entsprechend einem Lärmprotokoll - einzelne Vorkommnisse genau dokumentiert.

Die JVA X ist dem Vortrag des Beschwerdeführers insoweit entgegengetreten, als sie in ihrer Stellungnahme vom 29.03.2023 ausführte, auf den Gemeinschaftsflächen bestünde Rauchverbot und etwaige Verstöße würden - soweit sie bekannt seien - disziplinarisch geahndet. Die Kammer hat hierzu ergänzend einen Dienstleiter der JVA X befragt. Dieser gab an, der Beschwerdeführer habe sich auf einer kleinen Abteilung befunden, in welcher Mitgefangene untergebracht gewesen seien, die arbeiten durften. Diese Mitgefangenen hätten sich tagsüber frei bewegen dürfen, was zur Folge gehabt habe, dass ihre Zellentüren häufig geöffnet wurden bzw. offenstanden. Da es den Gefangenen erlaubt sei, in ihrer eigenen Zelle zu rauchen, dringe dieser Rauch durch die offenen Türen auf den Gemeinschaftsflur und könne auch durch die Türschlitze in die Zellen der weiteren Gefangenen gelangen. Dies macht den Vortrag des Beschwerdeführers, wonach Rauch in seine Zelle dringe und auf dem Gemeinschaftsflur vorhanden sei, plausibel. Die Kammer geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer - unabhängig von der Frage, ob Mitgefangene tatsächlich nicht nur in ihren Zellen, sondern auch auf dem Flur geraucht haben - jedenfalls für einen erheblichen Zeitraum dem Rauch, der von den Zellen der Mitgefangenen durch geöffnete Türen austrat und durch den Schlitz der Zellentür in die Zelle des Beschwerdeführers eintrat, ausgesetzt war.

c) Der Schutz vor Passivrauchen war jedenfalls in der Zelle des Beschwerdeführers, in der er sich nicht nur kurzfristig aufhielt, zu gewährleisten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund seiner Inhaftierung einer Beeinträchtigung seiner Gesundheit nicht in gleicher Weise entziehen kann, wie eine Person, die sich auf freiem Fuß befindet und ohne Weiteres den Ort wechseln kann, um einer Raucheinwirkung zu entgehen. Angesichts der nicht auszuschließenden gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens greift die gemeinschaftliche Unterbringung eines Rauchers und eines Nichtrauchers - jedenfalls wenn der Betroffene ihr nicht zustimmt - in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) ein. Der nichtrauchende Gefangene hat Anspruch auf Schutz vor Gefährdung und erheblicher Belästigung durch das Rauchen von Mitgefangenen und Aufsichtspersonal (BayObLG, Beschluss vom 17.11.2020 - 204 StObWs 277/20, juris Rn. 25 f. m.w.N.).

Auf welche Weise die JVA den Nichtraucherschutz umsetzen hätte müssen, hat die Kammer nicht zu entscheiden. Die JVA hat jedenfalls im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens mit geeigneten Maßnahmen dafür zu sorgen, dass dort einsitzende Nichtraucher auf ihrer Zelle keiner Beeinträchtigung durch Zigarettenrauch ausgesetzt sind. Die Kammer verkennt nicht, dass die effektive Umsetzung des Nichtraucherschutzes angesichts der Vielzahl an Rauchern in der JVA nicht einfach ist. Im Falle der Unterbringung eines Nichtrauchers in einer Abteilung, in der sich Gefangene mehr oder weniger frei bewegen können und es somit zu offenstehenden oder häufig geöffneten Türen kommt, muss die JVA jedenfalls mit zusätzlichen Maßnahmen sicherstellen, dass kein Zigarettenrauch in die Zelle von nichtrauchenden Mitgefangenen eindringt.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO analog.


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