Gericht / Entscheidungsdatum: AG Stadtroda, Beschl. v. 08.06.2023 – 1 OWi 529/23
Eigener Leitsatz:
Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und des hieraus folgenden Gebots der Waffengleichheit ergibt sich ein Recht auch auf Einsicht in Daten, welche nicht in der dem Gericht vorliegenden Akten befindlich sind, solange sie einen tatbestandsrelevanten Bezug zu der vorgeworfenen Tat aufweisen.
Amtsgericht Stadtroda
1 OWi 529/23
Beschluss
In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
Verteidiger
Rechtsanwalt
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht Stadtroda durch am 08.06.2023 beschlossen:
1. Die Verwaltungsbehörde wird angewiesen, dem Verteidiger, soweit vorhanden, die vollständige Messfilm/gesamte Messreihe vom 24.02.2023 betreffend die Messstelle BAB9, Fahrtrichtung Berlin, km 178.0 sowie die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes zur Verfügung zu stellen.
2. Die Kosten des Verfahrens auf gerichtliche Entscheidung sowie die insoweit entstandnen notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse.
Gründe:
Gegenstand des Verfahrens ist der Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Dem Betroffenen wird vorgeworfen am 24.02.2023 um 11:27 Uhr auf der BAB 9, Fahrtrichtung Berlin, km 178.0 die geltende Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 29 km/h überschritten zu haben.
Mit Schreiben vom 18.04.2023 beantragte der Betroffene im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht.
Hierbei beantragte er u.a. auch Einsicht in die Messreihe vom Tattag und die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes.
Die Akteneinsicht wurde gewährt, wobei die vorgenannten Unterlagen nicht übersandt wurden.
Mit Schriftsatz vom 25.05.2023 beantragte der Betroffene daher gerichtliche Entscheidung über die Versagung der Einsicht in oben genannten Unterlagen.
Der nach §§ 69 Abs. 1 i. V. m. 62 OWiG zulässige Antrag ist begründet.
Die Betroffene hat ein Recht auf Einsicht in die begehrten Unterlagen.
Der Anspruch folgt aus dem Gebot des fairen Verfahrens, Art. 6 EMRK. Aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens und des hieraus folgenden Gebots der Waffengleichheit ergibt sich ein Recht auch auf Einsicht in Daten, welche nicht in der dem Gericht vorliegenden Akten befindlich sind, solange sie einen tatbestandsrelevanten Bezug zu der vorgeworfenen Tat aufweisen. Dies gilt insbesondere für diejenigen Daten, die - wie hier vorliegend - die Messung als solche selbst betreffen. Es kommt insoweit nicht darauf an, ob aus diesen Daten tatsächlich zwingend auf eine Fehlerhaftigkeit der Messung zu schließen sein kann, oder ob dies nur eine allenfalls theoretisch denkbare Möglichkeit darstellt. Diesen Schluss zu ziehen oder nicht zu ziehen ist ureigenste tatrichterliche Aufgabe im Rahmen der Beweiswürdigung.
Das Recht auf ein faires Verfahren gebietet es insoweit auch, dem Betroffenen die notwendigen Kenntnisgrundlagen zu verschaffen, um eine Entscheidungsbasis für das weitere Vorgehen im Verfahrensverlauf zu ermöglichen. Ohne die Zurverfügungstellung von den begehrten Daten müsste der Betroffene - unter erheblichen Kostenrisiko - nahezu blind in eine öffentliche Haupt-verhandlung gehen, die jedenfalls von ihrer Grundkonzeption der Hauptverhandlung in Strafsachen in nichts nachsteht. Allein die Öffentlichkeit in einer solchen Verhandlung kann geeignet sein den Betroffenen von der Wahrnehmung seiner Rechte abzuhalten, wenn er nicht über die erforderliche Entscheidungsbasis verfügt. Umgekehrt wird der Betroffene bei Nichtzurverfügungstellung der Daten nicht in die Lage versetzt, die Möglichkeit einer (kostenreduzierenden) Einspruchsrücknahme in Fällen des Nichtvorliegens des vermuteten Fehlers bei der Messung prüfen zu können.
Vorbenannten trifft sowohl auf die gesamte Messreihe des Tattages als auch auf die Bedienungsanleitung des Herstellers des verwendeten Messgerätes zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG, i. V. m. §467 Abs. 1 S. 1 StPO.
Diese Entscheidung ist gemäß § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG unanfechtbar.
Einsender: RA P. Lange, Leipzig
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