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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Trunkenheitsfahrt, Feststellungen, Ausfallerscheinungen, Mindest-Blutalkoholkonzentration

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Urt. v. 13.02.2023 - 203 StRR 455/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Auch wenn es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnis über das Trinkgeschehen oder „beweissicherer“ Atemtests nicht möglich ist, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit nicht aus; eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit kann auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden.
2. Erforderlich ist dazu die Feststellung einer – wenn auch nur geringen – Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss.
3. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es hingegen nicht; die Verurteilung des Angeklagten nach § 316 StGB setzt nicht den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ voraus.


Bayerisches Oberstes Landesgericht

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil
des Bayerischen Obersten Landesgerichts - 3. Strafsenat

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Trunkenheit im Verkehr

aufgrund der Hauptverhandlung vom 13.02.2023, an der teilgenommen haben:
pp.

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Amberg wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 20. Juli 2022 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Amberg hat mit Urteil vom 20. Juli 2022 auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des Amtsgerichts Schwandorf vom 6. Mai 2022 aufgehoben, den Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr aus tatsächlichen Gründen freigesprochen und die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Die Berufungskammer habe nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen können, dass der Angeklagte zur Tatzeit alkoholbedingt fahruntüchtig gewesen wäre. Hiergegen wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der ausgeführten Sachrüge, die von der Generalstaatsanwaltschaft München vertreten wird.

II.

Die nach §§ 333, 341 Abs. 1, §§ 344, 345 Abs. 1 StPO zulässige Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Nach § 316 StGB macht sich strafbar, wer im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Im Sinne von § 316 StGB fahruntüchtig ist ein Kraftfahrer dann, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistiger, seelischer oder körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr über eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Auftreten schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (st. Rspr., vgl. BGHSt 13, 83, 90). Die Fahruntüchtigkeit muss infolge des Genusses von Alkohol oder anderen berauschenden Mitteln bestehen. Eine Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses ist nach der gefestigten Rechtsprechung - unabhängig von der Fahrweise - stets gegeben, wenn auf den Fahrer zum Zeitpunkt der Fahrt ein Blutalkoholgehalt von 1,1‰ oder mehr einwirkt (sogenannte absolute Fahruntüchtigkeit). Eine sogenannte relative Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses liegt vor, wenn konkrete Umstände der Tat erweisen, dass der Alkoholkonsum zu einer Fahruntüchtigkeit geführt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 6 m.w.N). Die "relative" Fahruntüchtigkeit unterscheidet sich von der "absoluten" nicht in dem Grad der Trunkenheit oder der Qualität der alkoholbedingten Leistungsminderung, sondern allein hinsichtlich der Art und Weise, wie der Nachweis der Fahruntüchtigkeit als psychophysischer Zustand herabgesetzter Gesamtleistungsfähigkeit zu führen ist (BGH a.a.O. Rn. 7 m.w.N).

2. Ob infolge Alkoholgenusses die Grenze zwischen Fahrtüchtigkeit und Fahruntüchtigkeit überschritten worden ist, stellt das Gericht in freier Beweiswürdigung fest. Ist es dem Tatrichter mangels (verwertbarer) Blutprobe, verlässlicher Erkenntnisse über das Trinkgeschehen oder „beweissicherer“ Atemtests nicht möglich, eine annähernd bestimmte Alkoholkonzentration festzustellen, scheidet die Annahme von alkoholbedingter Fahrunsicherheit gleichwohl nicht aus (König in LK StGB, 13. Aufl., § 316 Rn. 91, 96 f.; Fischer, StGB, 69. Aufl., § 316 Rn. 30 ff.; Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, 30. Aufl., § 316 Rn. 12; Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, StGB § 316 Rn. 19-20). Vielmehr besteht in der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Literatur weitgehend Übereinstimmung darüber, dass korrelierend zu einer rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit eine alkoholbedingte relative Fahruntüchtigkeit auch ohne die Feststellung oder die Berechnung einer Blutalkoholkonzentration nachgewiesen werden kann (vgl. etwa OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. August 1997 – 2 Ss 428/96 –, juris Rn. 11; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 4 Ss 581/2003 –, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 4. Februar 1999 – Ss 116/98 (11/99) –, juris, Rn. 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 1991 – 5 Ss 380/91 - 123/91 I –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 6. Juni 1984 – 1 Ws 405/84 –, juris, OLG Koblenz, Urteil vom 28. September 1989 – 1 Ss 310/89 –, juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 15. Februar 1999 – 1 Ss 228/98 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 1 Ss 454/04 –, juris; König a.a.O.). Allerdings bedarf es aussagekräftiger Beweisanzeichen von hinreichender Überzeugungskraft, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers alkoholbedingt soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 - 4 StR 111/15-, juris, sowie die oben genannte obergerichtliche Rspr.). Unerlässlich für die richterliche Überzeugungsbildung ist die Feststellung einer - wenn auch nur geringen - Ausfallerscheinung, die durch die Aufnahme alkoholischer Getränke zumindest mitverursacht sein muss (BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 8 BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 –, juris).

3. Des Nachweises einer bestimmten Mindest-Atemalkoholkonzentration oder einer Mindest-Blutalkoholkonzentration bedarf es jedoch nicht (OLG Hamm, Beschluss vom 23. September 2003 – 1 Ss 319/03 –, juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 1 Ss 454/04 –, juris Rn. 19; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Oktober 1991 – 5 Ss 380/91 - 123/91 I –, juris Rn. 6 m.w.N.; wohl auch Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 4. Februar 1999 – Ss 116/98 (11/99) –, juris, Rn. 6; OLG Köln NZV 1989, 357, 358; König a.a.O. Rn. 93 ff.; Hecker a.a.O. Rn. 12; Fischer a.a.O. Rn. 31). Der Tatrichter hat vielmehr eine umfassende Würdigung aller Beweisanzeichen vorzunehmen.

a) Eine maßgebliche Rolle kommt der festgestellten Fahrweise zu (König a.a.O. Rn. 98 ff.; Hecker a.a.O. Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9). Beachtlich ist ein Fahrfehler dann, wenn das Gericht die Überzeugung gewinnt, der Fahrfehler wäre dem Angeklagten ohne alkoholische Beeinträchtigung nicht unterlaufen (BayObLG, NZV 1988, 110; OLG Köln, Beschluss vom 20. Dezember 1994 - Ss 559/94-, juris). Die theoretisch stets denkbare Möglichkeit, dass einem anderen Kraftfahrer ein Fahrversagen auch dann unterlaufen wäre, wenn er keinen oder nur unerhebliche Mengen Alkohol genossen hätte, schließt die Alkoholbedingtheit des Fehlers indes nicht aus (BGH, Urteil vom 11. September 1975 – 4 StR 409/75 –, juris Rn. 5; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9; König a.a.O. Rn. 99, 102 ff.). Ein Beispiel für eine Fehlleistung mit hoher Aussagekraft in Richtung auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist etwa das Geradeausfahren in einer Kurve (König a.a.O. Rn. 102; Haffner/Erath/Kardatzki NZV 1995, 301, 303; OLG Dresden, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 U 2144/21 –, juris Rn. 35 m.w.N.).

b) Befand sich der Täter - wie hier - auf der Flucht vor der Polizei, muss dies in die Beurteilung des Indizwertes seines Fahrverhaltens einbezogen werden. Dabei ist der Tatrichter jedoch nicht gehindert, auch bei einem Täter, der sich seiner Festnahme durch die Polizei entziehen will, in einer deutlich unsicheren, waghalsigen und fehlerhaften Fahrweise ein Beweisanzeichen für eine alkohol- oder rauschmittelbedingte Fahruntüchtigkeit zu sehen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000 - 4 StR 171/00-, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 03. Dezember 1996 - 5 Ss 325/96 - 92/96-, juris).

c) Die Ausfallerscheinung muss zudem nicht notwendig beim Fahren aufgetreten sein (König a.a.O. Rn. 114 m.w.N.; Hecker a.a.O. Rn. 12). Die Feststellung von Fahruntüchtigkeit setzt nicht stets das Vorliegen eines Fahrfehlers voraus; die Beeinträchtigung des psycho-physischen Leistungsvermögens kann sich vielmehr auch im Verhalten vor oder nach der Tat, insbesondere bei der Kontrolle, dokumentiert haben (BGH, Beschluss vom 2. Juni 2015 – 4 StR 111/15 –, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Mai 2022 – III-5 RVs 47/22 –, juris Rn. 9). Anerkannte Anzeichen für fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen des Leistungsvermögens außerhalb von Fahrfehlern sind etwa Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung wie beispielsweise Stolpern oder Schwanken beim Gehen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 – 4 StR 43/82 –, BGHSt 31, 42 ff., juris Rn. 9; KG Berlin, Beschluss vom 15. September 2011 – (3) 1 Ss 192/11 (73/11) –, juris Rn. 3; König a.a.O. Rn. 115; Hecker a.a.O. Rn. 12; BayObLG, Urteil vom 14. Februar 2005 – 1 StRR 188/04BayObLGSt 2004, 170, 171). Ein gewichtiges Beweisanzeichen kann auch eine lallende oder verwaschene Sprechweise sein (König a.a.O. Rn. 115; Hecker a.a.O. Rn. 12; BayObLG a.a.O.), wobei aber insoweit präzise Feststellungen notwendig sind (BayObLG, Beschluss vom 9. Mai 1988 – RReg 1 St 17/88 –, juris Rn. 15).

d) Bestehen Anhaltspunkte für eine Ausfallerscheinung, kann auch dem Ergebnis einer nicht „beweissicheren“ Atemalkoholanalyse bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte alkoholbedingt relativ fahruntüchtig war, eine Indizwirkung zukommen (OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. August 1997 – 2 Ss 428/96 –, juris Rn. 13; OLG Stuttgart, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 4 Ss 581/2003 –, juris Rn. 7; Burmann a.a.O. Rn. 19a). Anerkanntermaßen liefert nämlich die Atemalkoholkonzentration einen Hinweis auf die alkoholische Beeinflussung des Probanden (BayObLG NZV 2000, 295, 296), auch wenn jedem Atemalkoholkonzentrationswert eine gewisse „Bandbreite“ von Blutalkoholkonzentrationswerten entsprechen kann (BGHSt 46, 358; BayObLG a.a.O.).

e) Die Beweiswürdigung, ob eine Fahruntüchtigkeit vorlag, ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - 2 StR 78/16-, juris m.w.N.). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders würdigt oder Zweifel überwunden hätte. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Dies gilt auch dann, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14-, juris). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind.

aa) Dazu muss die Begründung so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen hat der Tatrichter in der Regel nach dem Tatvorwurf zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen feststellen, die er für erwiesen erachtet, bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 27. Februar 2020 – 4 StR 568/19-, juris m.w.N.).

bb) Ein Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegt etwa vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 24. März 2015 - 5 StR 521/14-, juris). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen ( st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 –, juris; BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 - 2 StR 150/08-, juris m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit, sondern es genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2020 – 2 StR 326/19 –, juris; Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03-, juris Rn. 9 m.w.N.; vom 14. September 2017 - 4 StR 45/17-, juris Rn. 14). Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2016 - 2 StR 27/16-, juris Rn. 26 m.w.N.).

4. Die Ausführungen des Landgerichts werden bereits den Anforderungen nicht gerecht, die die höchstrichterliche Rechtsprechung nach § 267 Abs. 5 S. 1 StPO an ein freisprechendes Urteil stellt. Es fehlt an einer geschlossenen Darstellung des vom Landgericht festgestellten Sachverhalts. Ein Ausnahmefall, dass Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze nicht möglich sind, liegt hier ersichtlich nicht vor.

5. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist gemessen an den oben dargestellten Vorgaben mehrere durchgreifende Rechtsfehler auf.

a) Als unzutreffend erweist sich bereits nach dem oben Dargestellten die Annahme des Landgerichts, die Verurteilung des Angeklagten setze den sicheren Nachweis einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,3 ‰ voraus. Denn wenn der Tatrichter keine bestimmte Blutalkoholkonzentration festzustellen vermag, wäre eine Überzeugungsbildung, es habe eine solche von mindestens 0,3 ‰ und nicht lediglich eine solche von 0,299 ‰ vorgelegen, nicht begründbar (so zutreffend König a.a.O. Rn. 93a).

b) Die Beweiswürdigung weist zudem Lücken auf.

aa) Es fehlen Feststellungen zu der vom Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit. Für die Frage eines möglicherweise alkoholbedingten Fahrfehlers ist es insbesondere von Bedeutung, mit welcher Geschwindigkeit der Angeklagte auf dem Schotterweg fuhr, als er von diesem abkam und in den Acker rollte.

bb) Zudem fehlen hinreichende Feststellungen zum Ablauf der Kontrolle. Es versteht sich nicht von selbst, dass die Kontrolle und der Einsatz des Atemalkoholmessgeräts durchgängig auf dem unebenen Boden des Ackers erfolgten. Nahmen die beiden Zeugen das Schwanken des Angeklagten jedoch längere Zeit auch auf einem befestigten Untergrund wahr, hätte sich die Berufungskammer mit diesem anerkannten Beweisanzeichen für alkoholbedingte Ausfallerscheinungen eingehender auseinandersetzen müssen, zumal das Indiz mit mehreren weiteren anerkannten Beweisanzeichen für erheblichen Alkoholkonsum, nämlich einer verwaschenen Sprache und einer Alkoholfahne, situativ zusammentraf und zudem mit den Angaben des Angeklagten zur Trinkmenge korrespondierte.

cc) Das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, in welchem Umfang die beiden Polizeibeamten bereits über berufliche oder private Erfahrung mit dem Umgang mit alkoholisierten Personen, deren Artikulation und deren Motorik verfügten (zur Beurteilung von diesbezüglichen Zeugenaussagen vgl. König a.a.O. Rn. 119).

c) Die Beweiswürdigung im Übrigen ist ebenfalls zu beanstanden. Das Landgericht hat mit seinen Ausführungen zur Atemalkoholkontrolle gegen gesicherte Erfahrungssätze verstoßen. Zudem genügt die Gesamtwürdigung nicht den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

aa) So erweisen sich insbesondere die Ausführungen des Landgerichts zu der Würdigung des Wertes des Atemalkoholmessgeräts als nicht frei von Rechtsfehlern. Zutreffend ist das Landgericht zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass hier mangels Einsatzes eines bauartzugelassenen Geräts keine forensisch anzuerkennende Atemalkoholbestimmung erfolgt ist. Das Landgericht hat auch erkannt, dass es zu einer Verfälschung des Messergebnisses des Atemalkoholmessgeräts führen kann, wenn der Proband kurz vor der Messung eine alkoholhaltige Substanz zu sich nimmt. Voraussetzung für eine verlässliche Messung der Atemalkoholkonzentration ist nämlich die Erfassung der sogenannten Alveolarluft, also der Luft, die aus den Lungenalveolen der Testperson kommt (vgl. Schoknecht, Gutachten des Bundesgesundheitsamtes „Beweissicherheit der Atemalkoholanalyse“, 1991, dort Ordnungspunkt 3.2). Die Erwägungen, mit denen das Landgericht der Messung auch eine Indizwirkung für den Umfang des vorangegangenen Alkoholkonsums abgesprochen hat, tragen jedoch nicht. Das Landgericht hat bereits übersehen, dass die Trinkeinlassung des Angeklagten, sein Alkoholgeruch und seine körperliche Verfassung mit der festgestellten Atemalkoholkonzentration in Einklang zu bringen waren. Um die Gefahr der Verfälschung der Messwerte etwa durch Mundrestalkohol und mögliche Schwankungen der Atemalkoholkonzentration während der Anflutungsphase mit sachverständiger Hilfe nachvollziehbar beurteilen zu können, hätte sich das Landgericht zudem mit dem Zeitraum zwischen der ersten Feststellung des Angeklagten, dem damit möglichen Rückschluss auf die Beendigung der Alkoholaufnahme und dem Zeitpunkt der Messung auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte fuhr geraume Zeit unter polizeilicher Beobachtung. Die heimliche Zufuhr von Alkohol während dieser Zeit der Polizeiflucht liegt bei einem Rollerfahrer eher fern. Die Erwägung des Landgerichts, der von den Polizeibeamten festgestellte Alkoholgeruch könne „ohne weiteres“ auf einen erst kurz zuvor getrunkenen und zum Teil noch im Mund befindlichen Schluck Alkohol zurückzuführen sein, vermag nach den Feststellungen des Landgerichts zur Beobachtungsstrecke nicht zu überzeugen. Inwieweit der gemessene Wert unter Berücksichtigung der zeitlichen Abläufe mit einem „Aufstoßen“ in Einklang zu bringen wäre, lässt sich den Darlegungen des Sachverständigen im Urteil nicht entnehmen.

bb) Dass das Landgericht die Flucht des Angeklagten nur unter dem Aspekt des Fahrfehlers in seine Würdigung mit eingestellt hat, stellt einen weiteren Erörterungsmangel des Urteils dar. Schließlich ist das Landgericht selbst davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Polizeikontrolle vermeiden wollte, da er führerscheinrechtliche Konsequenzen befürchtete. Besorgt ein lebenserfahrener Kraftfahrzeugführer im Falle seiner polizeilichen Anhaltung negative Auswirkungen auf seine Fahrerlaubnis, kann diese Befürchtung nach forensischer Erfahrung auf einem vorhergehenden und nicht völlig zu vernachlässigenden Alkoholkonsum gründen. Von einem Wahndelikt musste die Berufungskammer hier nicht ausgehen. Auch in diesem Zusammenhang spielt eine Rolle, dass der Angeklagte den polizeilichen Zeugen gegenüber den Konsum von drei bis vier Weizenbieren einräumte, der von beiden Zeugen übereinstimmend wahrgenommene körperliche Zustand unbefangen für das Vorliegen von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen sprach und – was das Landgericht gänzlich aus dem Blick verloren hat – der Angeklagte die Feststellung der Blutalkoholkonzentration nach dem zunächst fehlgeschlagenen Versuch, sich der Kontrolle zu entziehen, endgültig vereitelte, indem er sich der Fahrt zur Blutentnahme durch Flucht entzog (vgl. zu diesem Aspekt LG Gera, Beschluss vom 17. Januar 1996 – 4 Qs 5/96 –, juris; König a.a.O. Rn. 118; BayObLG, Urteil vom 14. Februar 2005 – 1 StRR 188/04BayObLGSt 2004, 170, 171 zum Indizwert der Äußerung des Angeklagten, dass man ihm den Führerschein nicht schon wieder wegnehmen könne).

cc) Aus dem Urteil ergibt sich zudem nicht, dass das Landgericht überhaupt eine Gesamtbetrachtung in dem gebotenen Umfang vorgenommen hat. Eine solche setzt voraus, dass sämtliche vorhandenen Beweisanzeichen erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden. Eine diesen Anforderungen genügende Darstellung weist das Urteil mit seiner lediglich formelhaften Erwähnung einer „Zusammenschau“ nicht auf. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12-, juris; vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09-, juris).

III.

Das Urteil des Landgerichts war daher auf die Revision der Staatsanwaltschaft samt den zugrunde liegenden Feststellungen gemäß § 353 StPO aufzuheben; die Sache war zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Amberg zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).


Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG

Anmerkung:


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