Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 07.11.2022 - 203 StRR 420/22
Leitsatz des Gerichts:
1. Die unternehmensinterne Delegation der Halteraufgaben an eine Person mit Führungsaufgaben ist auch ohne die vorherige Vermittlung von rechtlichen Kenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts und ohne Hinweise auf Fälschungsmerkmale von Führerscheindokumenten möglich.
2. Der Gehalt der erforderlichen Weisungen hat sich maßgeblich an der Person des Beauftragten und der Art des Fahrzeuges zu orientieren.
3. Legt ein Beschäftigter seinem Vorgesetzten einen von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein der entsprechenden Führerscheinklasse vor, darf dieser, sofern nicht besondere Umstände vorliegen, von einer ordnungsgemäß erteilten Fahrerlaubnis ausgehen.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter pp. am 7. November 2022 folgenden
Beschluss
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 19. April 2022 aufgehoben.
II. Der Angeklagte wird freigesprochen.
III. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe:
Die Sprungrevision des Angeklagten ist ungeachtet des Umstands, dass für die Zulässigkeit einer Berufung die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 StPO (Annahmeberufung) gelten würden, zulässig (vgl. BayObLG, Beschluss vom 2. Oktober 2019 - 206 StRR 1013/19-, juris Rn. 3 m.w.N.). Sie hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und führt zu seinem Freispruch (§ 354 Abs. 1 StPO).
I.
Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Zulassens des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 100.- Euro verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Sprungrevision, die er mit der ausgeführten Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision für begründet und beantragt die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung.
II.
Die Verurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen des Strafrichters tragen die Haltereigenschaft des vom Angeklagten geführten Bauunternehmens, jedoch keinen gegen den Angeklagten gerichteten Fahrlässigkeitsvorwurf im Zusammenhang mit der verfahrensgegenständlichen, vom Zeugen D. genehmigten Fahrt des gesondert verfolgten V.
1. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StVG macht sich strafbar, wer fahrlässig als Halter eines Kraftfahrzeugs anordnet oder zulässt, dass jemand das Fahrzeug führt, der die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hat. Halter ist, wer das Fahrzeug auf eigene Rechnung gebraucht und wer tatsächlich, vornehmlich wirtschaftlich, über die Fahrzeugbenutzung (als Gefahrenquelle) so verfügen kann, dass es dem Wesen der Veranlasserhaftung entspricht (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. September 2004 – 2 Ss 133/04 (111/04) –, juris; KG Berlin, Beschluss vom 25. Juli 2017 – (6) 121 Ss 91/17 (32/17) –, juris). Halter sind auch Unternehmen, wenn sie Firmenfahrzeuge auf eigene Rechnung in Gebrauch haben, den Nutzen der Verwendung erhalten und die Kosten der Fahrzeugnutzung tragen. Ist die Halterin eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, treffen die Halterpflichten nach § 14 Abs. 1 StGB grundsätzlich deren Vertreter.
2. An die Sorgfaltspflicht des Halters sind zwar strenge Anforderungen zu stellen (BGHSt 24, 352), sie dürfen aber auch nicht überspannt werden (BayObLG, Urteil vom 15. Oktober 1982 – RReg 1 St 257/82 –, juris; BayObLG, Beschluss vom 19. April 1996 – 2 St RR 53/96 –, juris; Weidig in MüKo zum StVR, 1. Aufl., § 21 StVG Rn. 26). Die Pflichtverletzung muss zudem für den Verstoß kausal sein (OLG Köln, Beschluss vom 31. März 1989 – Ss 138/89 –, juris).
3. Überlässt der Halter einem anderen ein Fahrzeug, hat er grundsätzlich vor der Fahrzeugüberlassung zu überprüfen, ob die Person, der das Fahrzeug überlassen wird, im Besitz der dazu erforderlichen Fahrerlaubnis ist. Der Halter muss sich dazu in der Regel vom Fahrer den Originalführerschein vorlegen lassen, wenn er nicht sicher weiß, dass der andere eine Fahrerlaubnis besitzt (BGH VRS 34, 354; KG Berlin, Beschluss vom 16. September 2005 – (3) 1 Ss 340/05 (86/05) –, juris Rn. 7; König in Hentschel/König/Dauer, StVR, 45. Aufl. § 21 StVG Rn. 12 m.w.N.; Mielchen/Meyer DAR 2008, 5 ff., 7; Schäler DAR 2013, 235, 236). Er hat die Führerscheinklasse und eine etwaige Gültigkeitsdauer zu beachten. Mit einer ihm unverständlichen fremdsprachigen „Bescheinigung“ darf er sich nicht begnügen (KG VRS 45, 60). Der Umstand, dass ein EU-Bürger ein Führerscheindokument eines EU-Mitgliedstaates vorlegt, begründet für den Halter jedoch keine Pflicht, weitere Nachprüfungen bei der Fahrerlaubnisbehörde oder der Polizei zu veranlassen (König a.a.O. Rn. 12; überholt insoweit die Anmahnung von Skepsis durch Mielchen/Meyer a.a.O. S. 7). Denn ein Führerschein aus einem Mitgliedstaat der EU oder Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleibt in der Regel auch nach Wohnsitznahme in der Bundesrepublik gültig (vgl. § 28 Abs. 1 FeV).
4. Die Pflicht, sich vor der Überlassung des Fahrzeugs den Führerschein zeigen zu lassen, besteht auch in einem bestehenden Arbeitsverhältnis (Schäler a.a.O. S. 235; Mielchen/Meyer a.a.O. S. 5 ff.). Wie jeder Halter darf auch der Arbeitgeber die Halterpflichten delegieren (Petri, Arbeitsstrafrecht, 3. Aufl. Abschn. E IV Rn. 22; Mielchen/Meyer a.a.O. S. 8; vgl. § 14 Abs. 2 StGB). Eine wirksame Delegation bewirkt, dass anstelle des Halters derjenige strafrechtlich verantwortlich ist, der von diesem zur Leitung mit entsprechender Personal- und Führungsverantwortung bestimmt wurde (König a.a.O. Rn. 14; zu einem Fall der Delegation vgl. OLG Zweibrücken ZfSch 2021, 107). Eine wirksame Delegation setzt allerdings die Geeignetheit der mit der Aufgabe betrauten Person voraus. Der Betriebsinhaber hat darauf zu achten und sich davon zu vergewissern, dass er eine sorgfältige und zuverlässige Person mit der Aufgabe der Führerscheinkontrolle beauftragt, da andernfalls die Verantwortung nicht wirksam übertragen ist oder wieder zurückfällt (BayObLG VRS 66, 287; OLG Düsseldorf VRS 72, 118; OLG Koblenz VRS 65, 457; Mielchen/Meyer a.a.O. S. 8). Den Beauftragten treffen im Fall der Delegation keine weitergehenden Pflichten als den Halter selbst.
5. Gemessen daran tragen die Feststellungen des Amtsgerichts die Verurteilung des Angeklagten nicht.
Im einzelnen:
a) Der Senat entnimmt den insoweit noch ausreichenden Ausführungen des Amtsgerichts, dass der Tatrichter auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten und der von ihm als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte als Geschäftsführer eines in D. ansässigen, bundesweit tätigen Bauunternehmens mit etwa 400 bis 600 Angestellten die jeweiligen Bauleiter, so auch den Zeugen D. in N., beauftragt hatte, selbstständig den jeweiligen Fuhrpark der Firma vor Ort zu verwalten und eigenverantwortlich zu entscheiden, welchem Mitarbeiter ein Fahrzeug überlassen werden durfte. Die Bauleiter waren angewiesen, dazu eine Kontrolle des Führerscheins vorzunehmen. Der gesondert verfolgte V.., ein Mitarbeiter des Unternehmens, zeigte dem Zeugen D. ein rumänisches Identitätsdokument und einen der Erinnerung des Zeugen D. nach in P. ausgestellten Führerschein vor und erhielt daraufhin von ihm einen Firmen-PKW ausgehändigt, den er am 17. Dezember 2021 in N. führte. Eine polizeiliche Führerscheinabfrage ergab, dass dem Fahrer in Europa keine Fahrerlaubnis ausgestellt worden war. Der von ihm vorgezeigte Führerschein wurde im Verfahren nicht sichergestellt. Das Amtsgericht ist nach der durchgeführten Beweisaufnahme von einer Fälschung ausgegangen, die der Zeuge D. nicht erkannt hatte.
b) Nach diesen Feststellungen ist der Angeklagte ohne weiteres vom Vorwurf des fahrlässigen Zulassens des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne die dazu erforderliche Fahrerlaubnis freizusprechen. Denn der Angeklagte hatte die originär ihm als Geschäftsführer der Halterin obliegende Pflicht, sich mittels einer Sichtprüfung des Originalführerscheins darüber zu vergewissern, dass jeder Fahrzeugnutzer im Besitz einer zum Führen des Fahrzeugs erforderlichen gültigen Fahrerlaubnis ist, noch vor der Überlassung des Fahrzeugs an den gesondert verfolgten V. wirksam auf den Zeugen D. delegiert. Die Übertragung der Halterpflichten bewirkte, dass der Angeklagte insoweit von seiner eigenen Kontrollpflicht befreit worden ist.
aa) Gegen die Zulässigkeit der Delegation der Halterpflichten an einen Bauleiter bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Bei der beauftragten Person handelte es sich um den vor Ort für die Baustelle und den Fuhrpark Verantwortlichen. Als Vorgesetzter des gesondert verfolgten V. war der Zeuge D. zudem diesem gegenüber weisungsbefugt. Aufgrund dessen Führungsposition konnte der Angeklagte somit grundsätzlich dem Zeugen D. sowohl die Entscheidungskompetenz für die Überlassung der Fahrzeuge vor Ort wie auch die Halterpflichten übertragen.
bb) Für die Rechtswirksamkeit der Delegation bedurfte es hier nicht der vom Strafrichter vermissten Dokumentation der Anweisung. Dass der Angeklagte dem Zeugen D. eine Kontrolle des Führerscheins auferlegt hatte, hat das Amtsgericht festgestellt. Die Delegation als solche bedarf keiner besonderen Form, insbesondere keiner Schriftform. Sie kann sowohl einzelfallbezogen wie auch generell mündlich erfolgen. Eine Arbeitsplatzbeschreibung zu Dokumentationszwecken ist demnach keine zwingende Voraussetzung für die verbindliche Übertragung der Halterpflichten.
cc) Entgegen der Rechtsauffassung des Strafrichters war die Delegation der Halteraufgaben an den Bauleiter auch ohne die vorherige Vermittlung von rechtlichen Kenntnissen des deutschen und internationalen Fahrerlaubnisrechts und ohne Hinweise auf Fälschungsmerkmale von Führerscheindokumenten möglich. Welche Instruktionen geboten sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Der Gehalt der erforderlichen Weisungen hat sich maßgeblich an der Person des Beauftragten und der Art des Fahrzeugs zu orientieren. Innerhalb eines Unternehmens erachtet der Senat die Übertragung der Führerscheinkontrolle auf eine in das Unternehmen eingegliederte und mit Führungsaufgaben betraute Person in Form einer Anweisung, vor einer Überlassung eines Firmen-PKWs an einen unterstellten Mitarbeiter eine Sichtprüfung des Originalführerscheins vorzunehmen, verbunden mit der Entscheidungskompetenz, bei Zweifeln das Fahrzeug nicht auszuhändigen, für eine wirksame Delegation der Halterpflichten als ausreichend. Legt ein Beschäftigter seinem Vorgesetzten einen von einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein der entsprechenden Führerscheinklasse vor, darf dieser von einer ordnungsgemäß erteilten Fahrerlaubnis ausgehen (überholt Mielchen/Meyer a.a.O., S. 7). Dass diese gefälscht, ungültig oder die Fahrerlaubnis dem anderen inzwischen entzogen worden sein könnte, braucht er nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte in Rechnung zu stellen. Solange letzteres nicht der Fall ist, muss der Halter nicht prüfen, ob die Fahrerlaubnis des anderen tatsächlich erteilt wurde. Der Angeklagte war danach im vorliegenden Fall nicht gehalten, dem Zeugen D. für den Fall der Vorlage eines EU-Führerscheins durch einen Firmenmitarbeiter noch weitere, über die Sichtprüfung hinausgehende Vorgaben, etwa auf eine generelle Prüfung auf Fälschungsmerkmale, zu machen. Eine anlasslose Abklärung durch eine Polizei- oder Führerscheinbehörde ist bei einem EU-Dokument ebenfalls nicht veranlasst. Das gilt mit Blick auf den Schutz der Freizügigkeit auch, wenn Staatsangehörigkeit, Wohnsitz und Ausstellerbehörde im EU-Inland auseinanderfallen. Den vom Amtsgericht im angefochtenen Urteil zugrunde gelegten Erfahrungssatz des Inhalts, dass in einem bestehenden Arbeitsverhältnis für den Fall der Vorlage eines in einem EU-Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins oder für den Fall der Abweichung von Staatsangehörigkeit und Ausstellungsland eine gesteigerte Prüfungspflicht des Arbeitgebers bestünde, auf die der Angeklagte den Bauleiter im vorhinein hätte hinweisen müssen, gibt es danach nicht.
dd) Ein Ausnahmefall, dass die Verantwortlichkeit des Halters auf den Angeklagten zurückgefallen wäre, liegt hier nicht vor. Denn nach den Feststellungen des Amtsgerichts gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Delegation oder anschließend, jedenfalls vor dem 17. Dezember 2021, von einer Unzuverlässigkeit des Zeugen D. ausgehen musste. Vielmehr ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass sich der Zeuge D. den Führerschein des gesondert verfolgten V. vorlegen ließ und damit seiner – vom Halter übernommenen - Pflicht zur Sichtprüfung des Führerscheins vor der Überlassung des Fahrzeugs an den Fahrer auch nachgekommen war. Weitere Prüfungspflichten des Zeugen D. insbesondere auf den Ausschluss einer möglichen Fälschung des Dokuments bestanden nach dem oben Gesagten gerade mit Blick auf den Vertrauenstatbestand eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses des Fahrers nicht. Anhaltspunkte dafür, dass der dem Zeugen D. vorgezeigte - falsche - EU-Führerschein den gesondert verfolgten V. auch aus anderen Gründen als einer Fälschung nicht berechtigt hätte, den Firmen-PKW zu führen, sind nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht ersichtlich.
ee) Auch wenn der gesondert verfolgte V. dem Zeugen D. ein gefälschtes Dokument vorlegte, lässt dies die Wirksamkeit der Delegation der Halterpflichten auf den Zeugen D. somit unberührt. Darauf, ob der Bauleiter im Einzelfall die Fälschung hätte erkennen können, kommt es für die Frage der insoweit ex ante zu beurteilenden wirksamen Delegation der Halterpflichten entgegen der Rechtsansicht der Generalstaatsanwaltschaft nicht an.
Da weitere Feststellungen nicht veranlasst sind, hebt der Senat das angefochtene Urteil auf und spricht den Angeklagten frei.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: 3. Strafsenat des BayObLG
Anmerkung:
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