Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Urt. v. 21.04.2023 – 3 U 11/23
Leitsatz des Gerichts:
Der Verkehrsregelung durch eine Lichtzeichenanlage an einer Kreuzung oder Einmündung kommt eine so erhebliche Bedeutung zu, dass die Betriebsgefahr sowie im Einzelfall auch ein geringfügiges Verschulden des bei Grünlicht in den geschützten Kreuzungs-/Einmündungsbereich Einfahrenden hinter den Rotlichtverstoß des Unfallgegners zurücktritt.
In pp.
I. Auf die Erstberufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3.5.2022 – 5 O 62/21 – teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Die Zweitberufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.
IV. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts Saarbrücken sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 6.11.2019 in Saarbrücken ereignet hat.
Der Kläger befuhr mit seinem Pkw Mercedes-Benz (amtl. Kz.: pp.) die Kaiserstraße in Richtung Hauptbahnhof. Baustellenbedingt war die rechte der beiden Fahrspuren gesperrt und eine Behelfsampel eingerichtet, die der Kläger bei Rotlicht überfuhr. In der Folge kam es zur Kollision mit dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Pkw Mazda (amtl. Kz.: pp.), als die Erstbeklagte bei für sie angezeigtem Grünlicht aus der Ausfahrt des Parkhauses Galeria Kaufhof auf die Kaiserstraße einfuhr.
Mit der Klage hat der Kläger die Beklagten bei Geltendmachung deren Alleinhaftung auf Zahlung von 6.223,58 € (5.258,48 € Netto-Reparaturkosten + 940,10 € SV-Kosten + 25,- € Unkostenpauschale) nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Hierzu hat er geltend gemacht, sein Rotlichtverstoß habe sich nicht unfallkausal ausgewirkt und die Kollision sich allein deshalb ereignet, weil die Erstbeklagte ihr Fahrzeug zunächst parallel zu den Saarbahngleisen geführt habe und sodann ohne Beachtung des neben ihr befindlichen Klägerfahrzeugs auf die Kaiserstraße eingefahren sei.
Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben geltend gemacht, der Kläger sei mit hoher Geschwindigkeit ungebremst in das ordnungsgemäß einfahrende Beklagtenfahrzeug gefahren.
Das Landgericht, auf dessen tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen wird, hat die Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.555,89 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger hafte zu 75 %, da er das für ihn geltende Rotlicht missachtet und zudem auf das in einer „normalen“ Ausfahrbewegung einfahrende Beklagtenfahrzeug nicht reagiert habe, wohingegen die Erstbeklagte gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen habe, da sie in die Kaiserstraße eingefahren sei, ohne sich nach rechts bezüglich herannahender Fahrzeuge zu vergewissern.
Hiergegen richten sich die Berufungen der Parteien, mit denen sie jeweils die Alleinhaftung der anderen Partei geltend machen.
II.
Erst- und Zweitberufung sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Die Erstberufung hat auch in der Sache Erfolg, wohingegen die Zweitberufung zurückzuweisen ist.
1. Das Landgericht ist von den Parteien unbeanstandet davon ausgegangen, dass sowohl die Kläger- als auch die Beklagtenseite grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17, 18 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellt.
2. Die hiernach gebotene Entscheidung über die Haftungsverteilung im Rahmen des § 17 Abs. 1, 2 StVG ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. Dabei ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei ein Faktor bei der Abwägung das beiderseitige Verschulden ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2022 – VI ZR 344/21 –, Rn. 11, juris). Anders als das Landgericht angenommen hat, hat der Kläger danach für die Unfallfolgen alleine einzustehen.
a) Ohne Erfolg wendet sich die Zweitberufung dagegen, dass das Landgericht auf Klägerseite einen Verstoß gegen § 8 Abs.2 StVO i.V.m. 37 Abs. 1 StVO berücksichtigt hat.
Soweit der Kläger geltend macht, sein Rotlichtverstoß sei nicht kausal für den Unfall geworden, da die Ampel auch der Einfahrt in das Parkhaus diene und die Parkhausausfahrt als weiter entfernt liegende Einmündung nicht mehr dem unmittelbaren Schutzbereich des Rotlichts unterfalle, vermag sich der Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen. Zwar regelt jede Lichtzeichenanlage nur die Kreuzung oder Einmündung, an der sie angebracht ist (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO, 47. Aufl. 2023, § 37 Rn. 8 m.w.N.); die Entscheidung über den durch das Rotlicht geschützten Bereich ist aber stets einzelfallabhängig anhand der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten zu treffen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 7. November 2002 – Ss (OWi) 508/02 –, Rn. 8, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 19; NK-GVR/Felix Koehl, 3. Aufl. 2021, StVO § 37 Rn. 13). Danach war hier zweifelsfrei auch die Parkhausausfahrt durch das Rotlicht geschützt. Denn die Behelfsampel ersetzte während der Bauarbeiten die ansonsten an der Unfallstelle vorhandene Lichtzeichenanlage und erfüllte – was auch der Kläger nicht in Abrede stellt – deren Funktionen. Die üblicherweise vorhandene Lichtzeichenanlage – die sich, anders als die Zweitberufung meint, in Bezug auf die Behelfsampel nicht 14 Meter weiter entfernt, sondern näher an der Parkhausausfahrt befindet – regelt den jeweiligen Vorrang zwischen dem Verkehr auf der Kaiserstraße einschließlich der dort verkehrenden Saarbahn sowie den aus dem Parkhaus auf die Kaiserstraße einfahrenden Verkehrsteilnehmern und dient daher gerade dem Schutz des aus der Parkhausausfahrt auf die Kaiserstraße einmündenden Verkehrs. Dass es nach den Feststellungen des Sachverständigen M. erst rund 31 Meter hinter der Behelfsampel zur Kollision kam, stellt die Unfallursächlichkeit des Rotlichtverstoßes des Klägers damit nicht infrage, weil diese sich im insofern maßgeblichen, unmittelbaren Einmündungsbereich der Parkhausausfahrt ereignet hat.
b) Das Landgericht hat auf Klägerseite ferner einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO in die Abwägung mit einbezogen, da der Kläger auf das herannahende Beklagtenfahrzeug nicht reagiert hatte, obschon sich dieses bereits ab der Ausfahrt aus dem Parkhaus in seinem Blickfeld befand und er mit dessen Einfahren auf die Kaiserstraße rechnen musste. Auch dies begegnet keinen Bedenken und wird von der Zweitberufung nicht angegriffen.
c) Auf Beklagtenseite ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Sorgfaltspflichten der Erstbeklagten nicht nach § 10 StVO richteten. Denn das Grünlicht der für die Erstbeklagte geltenden Lichtzeichenanlage gemäß § 37 Satz 1 StVO geht den Vorrangregeln des § 10 Satz 1 StVO vor (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, StVO § 37 Rn. 5). Gleiches gilt in Bezug auf das an der Ausfahrt vor dem Übergang zu den Saarbahngleisen angebrachten, den Vorrang regelnden Verkehrszeichen 205 („Vorfahrt gewähren“).
d) Die Erstbeklagte brauchte bei für sie angezeigtem Grünlicht grundsätzlich auch nicht damit zu rechnen, dass Querverkehr unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts von der Seite her in den Einmündungs-/Kreuzungsbereich einfährt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1991 – VI ZR 98/91 –, Rn. 13, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 6. Februar 2018 – 1 U 112/17 –, Rn. 51, juris). Da auch sonst keine Umstände ersichtlich sind, die aus Sicht der Erstbeklagten Vorsicht geboten, spricht manches dafür, dass die Erstbeklagte – anders als dies das Landgericht angenommen hat – trotz der baustellenbedingten Verlagerung der Lichtzeichenanlage nicht gehalten war, sich gleichwohl nach von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern zu vergewissern.
Letztlich kann dies dahinstehen. Denn ein etwaiges Mitverschulden der Erstbeklagten wöge gering und träte vollständig hinter das vergleichsweise schwere Verschulden des Klägers zurück. Bereits das Nichtbeachten des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage ist wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als objektiv grob fahrlässig anzusehen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2014 – VI ZR 452/13 –, Rn. 18, juris; Wern in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 37 StVO (Stand: 01.12.2021), Rn. 74). So liegt es auch hier. Soweit der Kläger geltend macht, die rote Ampel sei baustellenbedingt nur schwer erkennbar gewesen, vermag der Senat dem in Ansehung der Aussage des Zeugen G. nicht beizutreten. Dieser hatte in seiner Vernehmung geäußert, er sei verwundert darüber gewesen, dass der Kläger die rote Ampel übersehen konnte. Auch das von dem Kläger eingereichte Lichtbild (Bl. 39 GA) zeigt nicht auf, dass die Ampel für einen Verkehrsteilnehmer schwer erkennbar gewesen wäre. Dem steht auch nicht entgegen, dass das nebenliegende Gebäude großflächig mit einem roten Schutznetz abgedeckt war. Der Blick auf die gesondert aufgestellte Ampel war damit gerade nicht beeinträchtigt.
Hinzu tritt hier ferner, dass der Kläger im weiteren Verlauf auf das einfahrende Beklagtenfahrzeug nicht reagierte, obschon sich der Einfahrvorgang der Erstbeklagten in seinem frontalen Gesichtsfeld abspielte, und – wie das Sachverständigengutachten ergeben hat – in das seitlich vor ihm befindliche Fahrzeug hineinfuhr. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Alleinhaftung des Klägers angemessen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und keine Veranlassung gibt, eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung herbeizuführen (§ 543 Abs. 2 ZPO).
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