Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 18.04.2023 – 3 RVs 14/23
Eigener Leitsatz:
Ein in einer früheren Ladung zu einem dann verlegten Hauptverhandlungstermin erteilter Hinweis auf die Folgen unentschuldigten Ausbleibens ist für eine ordnungsgemäße Ladung i.S. des 323 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht ausreichend und rechtfertigt eine Verwerfung nach § 329 Abs. 1 StPO nicht.
Oberlandesgericht Hamm
Beschluss
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Diebstahls.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 6. Dezember 2022 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. April 2023 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht — Strafrichter — Bielefeld hat den Angeklagten am 24. Januar 2022 wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Zudem hat es das sichergestellte Taschenmesser eingezogen.
Zu der Berufungshauptverhandlung am 6. Dezember 2022 war der Angeklagte nicht erschienen. Die gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegte Berufung des Angeklagten hat die 14. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld daher mit Urteil vom 6. Dezember 2022 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Nach den schriftlichen Urteilsgründen sei der Angeklagte zu der Berufungshauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen und habe sich auch nicht in zulässiger Weise vertreten lassen. Zwar sei der Rückschein der Ladung des Angeklagten nicht zur Akte gelangt, so dass eine ordnungsgemäße Ladung nicht nachgewiesen werden könne. Jedoch habe der Verteidiger in der Hauptverhandlung angegeben, dass der Angeklagte Kenntnis vom Termin gehabt habe. Der Angeklagte sei auch durch eine vorangegangene Ladung auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens hingewiesen worden. Soweit der Angeklagte durch seinen Verteidiger habe vortragen lassen, er habe unterwegs bemerkt, dass mit seinem Fahrzeug etwas nicht stimme, weswegen er schließlich auf einem Parkplatz bei Uhry angehalten habe und auf den Abschlepp- und Pannendienst warte, könne ihn dies nicht entschuldigten. Die Behauptungen des Angeklagten über seinen Verteidiger seien durch nichts substantiiert gestützt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die schriftlichen Urteilsgründe Bezug genommen.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 13. Dezember 2022 hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und für den Fall der Verwerfung des Antrags gleichzeitig Revision eingelegt.
Das Wiedereinsetzungsgesuch hat der Vorsitzende der 14. kleinen Strafkammer mit Beschluss vom 9. Januar 2023 als unzulässig verworfen.
Gegen den Beschluss vom 9. Januar 2023 hat der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. Januar 2023 sofortige Beschwerde eingelegt.
Mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. Januar 2023 hat der Angeklagte die Revision begründet. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts und führt zusammengefasst aus, er sei nicht ordnungsgemäß zur Berufungshauptverhandlung geladen worden. Damit sei nicht die Unkenntnis vom Berufungshauptverhandlungstermin selbst gemeint, sondern seine fehlende Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung. Zudem stelle das Gericht zu hohe Anforderungen an die Voraussetzungen einer genügenden Entschuldigung.
Mit Beschluss vom 14. März 2023 hat der Senat die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 9. Januar 2023 als unbegründet verworfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch ansonsten form- und fristgerechte eingelegten Revision des Angeklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an einer andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld.
Die hier den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO noch genügende Verfahrensrüge, der Angeklagte sei zur Berufungshauptverhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden, weil er nicht über die Folgen seines Ausbleibens belehrt worden sei, greift durch.
Voraussetzung für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO ist das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Ladung. Eine solche liegt u.a. nur dann vor, wenn ein Angeklagter in ihr auf die Folgen des Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin ausdrücklich hingewiesen worden ist, § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 329, Rdnr. 10). Hieran fehlt es.
Ausweislich der Urteilsgründe ist der Rückschein der Ladung des Angeklagten in Polen nicht zur Akte gelangt. Soweit die Kammer in diesem Zusammenhang ausführt, dass der Angeklagte dennoch auch auf die Folgen eines unentschuldigten Ausbleibens hingewiesen worden sei, weil ihm eine entsprechende Belehrung im Rahmen der Ladung zu dem für den 3. November 2022 anberaumten Termin zur Berufungshauptverhandlung, der aufgrund einer Erkrankung des Angeklagten verlegt worden sei, zugestellt worden sei, mag dies zwar in tatsächlicher Hinsicht zutreffend sein. Allerdings reicht ein in einer früheren Ladung erteilter Hinweis verfahrensrechtlich grundsätzlich nicht aus. Denn schon dem Wortlaut des § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO lässt sich entnehmen, dass dem dort festgelegten Erfordernis nur dann genügt ist, wenn der Hinweis in der Ladung des Angeklagten zur anstehenden Berufungshauptverhandlung enthalten ist, und dass es nicht ausreicht, wenn lediglich die Ladung des Angeklagten zu einem früheren, dann verlegten Termin diesen Hinweis enthalten hat (vgl. BayObLG, Beschluss vom 18. März 1975 - RReg. 5 St 78/75 — BayObLGSt 1975, 30, beck-online; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Februar 1981 - 1 Ss 46/81 —, NJW 1981, 2074; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 323, Rdnr. 3). Das Fehlen des Hinweises auf die Folgen des Ausbleibens steht einer Entscheidung nach § 329 Abs. 1 StPO regelmäßig entgegen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Auflage, § 329, Rdnr. 10).
Dahinstehen kann an dieser Stelle, ob die — nicht tragende — und generalisierende Rechtsäußerung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass ein Verwerfungsurteil bei einem Ladungsmangel der Aufhebung unterliegt, ohne dass es auf die Kausalität für das Nichterscheinen des Angeklagten ankommt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2021 —111-2 RVs 5/21 —, juris, Rdnr. 17) zutreffend ist.
Denn der Senat kann jedenfalls im hier vorliegenden Einzelfall nicht ausschließen, dass das Urteil auf der Gesetzesverletzung beruht, § 337 Abs. 1 StPO.
Ein Urteil beruht auf einem Rechtsfehler, wenn es ohne diesen möglicherweise anders ausgefallen wäre. An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann beziehungsweise rein theoretischer Natur ist. Insbesondere bei Verstößen gegen das Verfahrensrecht hängt diese Entscheidung stark von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGH, Urteil vorn 1. Juli 2021 - 3 StR 518/19 -, NZWiSt 2021, 478; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, StPO § 337 Rn. 33).
Der Senat kann unter Berücksichtigung des dargestellten Prüfungsmaßstabs zur Beruhensfrage jedenfalls nicht ausschließen, dass das Urteil anders ausgefallen, bzw. es am 6. Dezember 2022 gar nicht erst zu einem Urteil gekommen wäre, wenn die Kammer den o.g. Rechtsfehler, nämlich den Umstand, dass es nicht ausreicht, wenn lediglich die Ladung des Angeklagten zu einem früheren, dann verlegten Termin den Hinweis nach § 323 Abs. 1 Satz 2 StPO enthalten hat, erkannt hätte.
Einsender: RA A. Senol, Bielefeld
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