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Entscheidungen

StPO

Anforderungen, Verfahrensrüge, Verstoß gegen Hinweispflicht

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Besch. v. 05.04.2023 -4 ORs 17/23161 Ss 30/23

Leitsatz des Gerichts:

Zur Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO bedarf es auch des Vortrags, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung des Angeklagten erforderlich war, wenn sich dies nicht von selbst versteht. Deshalb ist in ausreichender Weise vorzutragen, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können.


4 ORs 17/23161 Ss 30/23

In der Strafsache
gegen pp.

wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte u.a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 5. April 2023 beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 14. November 2022 im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen werden jedoch aufrechterhalten.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurückverwiesen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 14. November 2022 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Landfriedensbruch und versuchter Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt. Zu den Vorstrafen teilt es (lediglich) mit, der Angeklagte sei am 2. September 2021 wegen Beleidigung in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt worden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner zulässigen (Sprung-) Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.

II.

Die gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 14. November 2022 gerichtete Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich des Strafausspruchs geringen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie nach § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Die Gegenerklärung vom 9. März 2023 hat vorgelegen, führt aber zu keiner abweichenden Beurteilung.

1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten, das Landgericht habe ihn entgegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO nicht auf die gegenüber der Anklageschrift veränderte Tatzeit hingewiesen, ist unzulässig.

a) Es kann dahinstehen, ob die Verfahrensrüge – wie die Generalstaatsanwaltschaft meint – unzulässig ist, weil nicht ausgeführt worden sei, ob der Angeklagte durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage hinreichend unterrichtet wurde und daher ein ausdrücklicher gerichtlicher Hinweis entbehrlich war (vgl. in diesem Sinne der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2019, 239; offengelassen vom 1. Strafsenat in NStZ 2020, 97, 99), oder ob nach der Neufassung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO durch das „Gesetz zur effektiven und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17. August 2017 (BGBl. I Seite 3202) ein solcher Vortrag nicht erforderlich ist, weil stets ein förmlicher Hinweis auf die Änderung der Sachlage erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2021 – 4 StR 272/21 – [juris]; NStZ 2019, 236 [3. Strafsenat]).

b) Denn die Verfahrensrüge ist unzulässig, weil der Angeklagte nicht entsprechend den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführt hat, inwieweit die geänderte Tatzeit für sein Verteidigungsverhalten bedeutsam war.

Gemäß § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht eine besondere Hinweispflicht auf eine veränderte Sachlage nur, wenn ein Hinweis zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat mit der Vorschrift an die ständige Rechtsprechung angeknüpft, wonach eine Veränderung der Sachlage eine Hinweispflicht auslöst, wenn sie in ihrem Gewicht einer Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichsteht (vgl. BT-Drucks. 18/11277, Seite 37 unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 20. November 2014 – 4 StR 234/14 – [juris-Rdn. 13]). Die durch den Bundesgerichtshof hierzu entwickelten Grundsätze (vgl. BGH NStZ 2015, 233, 234; NStZ-RR 1997, 72; Norouzi in MüKo/StPO, § 265 Rdn. 48 ff. mwN) wollte der Gesetzgeber kodifizieren, weitergehende Hinweispflichten hingegen nicht einführen (vgl. BGH NStZ 2020, 97; 2019, 239; Bartel in KK, StPO 9. Auflage, § 265 Rdn. 26). Nach der Gesetzesbegründung lösen „nur solche Veränderungen die Hinweispflicht aus […], die für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam sind“ (BT-Dr. 18/11277, Seite 36). Danach können Hinweispflichten auf eine geänderte Sachlage bei einer wesentlichen Veränderung des Tatbildes beispielsweise betreffend die Tatzeit, den Tatort, das Tatobjekt, das Tatopfer, die Tatrichtung oder eine Person des Beteiligten bestehen (vgl. BGH NStZ-RR 2022, 383; NStZ 2019, 239; 2015, 233, 234; BGHSt 56, 121, 123 ff.; 28, 196, 197 f.). Bezugspunkt der Prüfung ist die Frage, ob die Veränderung der Sachlage nach den Umständen des Einzelfalls einen für die Verteidigung wesentlichen Punkt betrifft (vgl. Arnoldi NStZ 2020, 99, 101; Bartel aaO). Ein Hinweis auf eine Veränderung der Tatzeit ist demnach insbesondere erforderlich, wenn der Angeklagte für die angeklagte Zeit ein Alibi vorbringt (vgl. BGH StV 2019, 818; NStZ-RR 2006, 213; NStZ 1994, 502).

Um dem Revisionsgericht die Prüfung eines Verstoßes gegen § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO zu ermöglichen, muss der Revisionsführer gemäß § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. BVerfG NJW 2005, 1999, 2001; BGH NStZ-RR 2013, 222; NJW 2007, 3010, 3011; 1995, 2047; BGHSt 29, 203; 21, 334, 340). Dazu zählt auch der Vortrag, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung des Angeklagten erforderlich war, wenn sich dies nicht von selbst versteht. Denn nur unter dieser Voraussetzung besteht – wie dargelegt – für das Gericht überhaupt die Rechtspflicht, einen Hinweis zu erteilen (vgl. BGH NStZ 2019, 239 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Januar 2022 – 5 RVs 4/22 – [juris-Rdn. 10]). Deshalb ist in ausreichender Weise vorzutragen, warum der Angeklagte durch das Unterlassen des Hinweises in seiner Verteidigung beschränkt war und wie er sein Verteidigungsverhalten nach erfolgtem Hinweis anders hätte einrichten können (vgl. BGH aaO; Urteil vom 25. März 1992 – 3 StR 519/91 – [juris Rdn. 15 ff.]).

Daran fehlt es hier. Der Angeklagte hätte als Revisionskläger vortragen müssen, wie er sich im Verfahren verteidigt hat, insbesondere ob und wie er sich eingelassen hat, und wie sich ein Hinweis auf die geänderte Tatzeit daher auf sein Verteidigungs- und/oder Einlassungsverhalten ausgewirkt hätte. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, für die in der Anklageschrift genannte Tatzeit („gegen 18:15 Uhr“) in der Hauptverhandlung ein Alibi vorgetragen oder etwa dahingehende (Beweis-)Anträge gestellt zu haben. Er hat auch nicht ausgeführt, für die im Urteil festgestellte Tatzeit („gegen 16:45 Uhr“) ein Alibi gehabt zu haben. Bei dieser Sachlage genügt das Revisionsvorbringen, der Angeklagte hätte sich bei Kenntnis der genauen Tatzeit um weitere Entlastungszeugen kümmern können und auf der Plattform „Youtube“ nach entlastenden Videoaufnahmen suchen können, nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Senat kann auf Grundlage der Begründungsschrift nicht beurteilen, ob ein Hinweis auf die geänderte Tatzeit – was sich auch nicht von selbst versteht – für das Verteidigungsverhalten des Angeklagten bedeutsam war und daher der unterbliebene förmliche Hinweis einen Verfahrensfehler begründet.

2. Die vom Angeklagten erhobene Sachrüge deckt im Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
Auch die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts sind für sich materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.

3. Dennoch kann der Strafausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

„Der Strafausspruch kann indes gleichwohl keinen Bestand haben, weil sich die Urteilsgründe nicht zum Vollstreckungsstand der durch das Amtsgericht Tiergarten vom 2. September 2021 verhängten Gesamtgeldstrafe verhalten.

Da der Angeklagte die hiesige Tat vor dieser Verurteilung beging, wäre – wenn die Vollstreckung zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils noch nicht erledigt gewesen sein sollte – vom Amtsgericht eine Gesamtgeldstrafe mit der von ihm verhängten Geldstrafe zu bilden oder anderenfalls ein Härteausgleich vorzunehmen gewesen (vgl. KG, Beschluss vom 23. Juni 2020 – (4) 161 Ss 40/20 (75/20) – m.w.N.).

Die neu zu treffende Entscheidung kann nicht nach § 354b Abs. 1b StPO dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen bleiben, weil die möglicherweise zu treffende Entscheidung über einen Härteausgleich nicht in den Regelungsbereich dieser Vorschrift fällt, sondern dem Tatgericht nach Durchführung der Hauptverhandlung vorbehalten ist (vgl. KG a.a.O.).

Angesichts des Datums der Entscheidung – deren Rechtskraft (neben den verhängten Einzelstrafen) nicht mitgeteilt wird – kann dabei nicht ausgeschlossen werden, dass die Geldstrafe bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils durch Zahlung oder Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafe erledigt war.
[…]
Der Rechtsfehler führt somit zur Aufhebung des Strafausspruchs und Zurückverweisung an das Amtsgericht. Die bisher getroffenen Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind.“

Diese Ausführungen treffen zu. Der Senat macht sie sich zu eigen und entscheidet antragsgemäß.

Ergänzend merkt er an, dass die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der bisher getroffenen Feststellungen auf § 353 Abs. 2 StPO beruht. Die neue Abteilung des Amtsgerichts ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen – insbesondere zu den der Verurteilung vom 2. September 2021 zugrunde liegenden Einzelstrafen, der Rechtskraft und dem Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils – zu treffen, die mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Der Senat trifft diese Entscheidung auch hinsichtlich der Aufhebung über den Strafausspruch selbst, denn es besteht kein Anlass, sie dem Amtsgericht zu übertragen. Es ist bereits jetzt abzusehen, dass die vorzunehmende Rechtsfolgenentscheidung dem Angeklagten nicht zu einem kostenrechtlich bedeutsamen Teilerfolg seines unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels verhelfen wird, der gegebenenfalls die Anwendung des § 473 Abs. 4 StPO rechtfertigen könnte.


Einsender: VorsRiKG R. Fischer, Berlin

Anmerkung:


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