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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Unfähigkeit der Selbstverteidigung, Einstellung nach § 154f StPO, Betreuung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stade, Beschl. v. 25.04.2023 - 302 Qs 2550 Js 53673/22 (15/23)

Eigener Leitsatz:

1. Insbesondere bei einem unter Betreuung mit dem „Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden" stehenden Angeklagten ist regelmäßig von einer Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit auszugehen, so dass ein Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen ist.
2. Gegen die Bestellung der Pflichtverteidigerin spricht nicht der Umstand, dass das Verfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung nach § 154f StPO eingestellt ist.


Landgericht Stade

Beschluss

302 Qs 2550 Js 53673/22 (15/23)

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Betruges

hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Stade durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht sowie die Richter am Landgericht und am 25. April 2023 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 13. März 2023 (Aktenzeichen: 34 Gs 2550 Js 53673/22 (631/23)) auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren zu tragen hat, aufgehoben.

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwältin pp. als notwendige Verteidigerin nach § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die amtsgerichtliche Entscheidung, mit der sein Antrag auf Beiordnung seiner Verteidigerin als Pflichtverteidigerin abgelehnt wurde.

Aufgrund einer Anzeige der Zeugin pp, ermittelte die Polizei in Schiffdorf seit dem 21. November 2022 gegen den Beschwerdeführer wegen Betruges. Der Anzeige liegt zugrunde, dass die Anzeigeerstatterin über ein Onlineportal Fußballtickets von dem Beschuldigten zu erwerben versuchte und zu diesem Zweck ein Betrag in Höhe von 100,00 € auf ein Konto des Beschuldigten überwies. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens wurde bekannt, dass gegen den unter Betreuung stehenden Beschwerdeführer diverse Strafverfahren wegen ähnlicher Sachverhalte bei verschiedenen Staatsanwaltschaften und Gerichten anhängig sind. Ferner wurde im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen bekannt, dass der Beschwerdeführer seinerzeit unbekannten Aufenthalts war. Aus diesem Grund stellte die Staatsanwaltschaft in Stade das Verfahren gegen den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 2. Dezember 2022 nach § 154 f StPO ein und schrieb den Beschwerdeführer zur Fahndung aus.

Unter dem 23. Februar 2023 legitimierte sich sodann seine jetzige Verteidigerin unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht zur Akte und beantragte Akeneinsichtt. Dem Schreiben lag unter anderem eine Kopie des Betreuerausweises des der Beschwerdeführer durch das Amtsgericht Norden bestellen Betreuers bei, dessen Aufgabenkreis unter anderem Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten umfasst. Ferner ergab sich aus diesem Schreiben, dass sich der Beschwerdeführer mittlerweile in der JVA Oldenburg befindet. Die beantragte Akteneinsicht wurde zunächst nicht veranlasst, ohne dass sich hierfür in der Akte eine Begründung findet. Die Staatsanwaltschaft erforderte lediglich mit Verfügung vom 27. Februar 2023 bei der JVA eine Strafzeitübersicht. Selbige ging am 3. März 2023 bei der Staatsanwaltschaft ein, welche mit Verfügung vom selben Tage bei der Staatsanwaltschaft in Aurich die Abschrift der Anklage zum Verfahren mit dem Aktenzeichen 310 Js 16466/21 erforderte.

Mit anwaltlichen Schriftsatz vom 7. März 2023, welche am 8. März 2023 bei, der Staatsanwaltschaft einging, beantragte der Beschwerdeführe ihm seine Verteidigerin bereits im Ermittlungsverfahren als Pflichtverteidigerin beizuordnen. Zur Begründung führte er aus, dass vorliegend ein Fall der notwendigen Verteidigung wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie seiner ersichtlichen Unfähigkeit sich selbst zu verteidigen vorliege. Ferner beantragte die Verteidigerin abermals Akteneinsicht.

Die Staatsanwaltschaft legte die Akten daraufhin mit Verfügung vom 9. März 2023 dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Stade vor und beantragte den Antrag auf Verteidigerbestellung zurückzuweisen, da die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO nicht vorlägen. Weder sei die Sach- und Rechtslage derart schwierig, noch wiege die Schuld des Angeklagten so schwer, dass die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt geboten erscheine. Auch der Umstand, dass der Beschuldigte unter Betreuung stehe rechtfertige vorliegend keine Verteidigerbestellung, weil jedenfalls kein Einwilligungsvorbehalt angeordnet worden sei.

Das Amtsgericht fasste daraufhin unter dem 13. März 2023 den angegriffenen Beschluss. Zur Begründung stellte es im Wesentlichen darauf ab, dass in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Ermittlungsverfahren bereits durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei, eine rückwirkende Bestellung eines Verteidigers nicht in Betracht komme.

Dieser Beschluss wurde der Verteidigerin des Beschwerdeführers am 14. März 2023 zugestellt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 15. März 2023, welcher am selben Tag beim Amtsgericht einging, legte der Beschwerdeführer hingegen Beschwerde ein.

II.

Das zulässige Rechtsmittel des Beschwerdeführers hat in der Sache Erfolg. Der amtsgerichtliche Beschluss des vom 13. März 2023 ist daher aufzuheben und dem Beschwerdeführer Frau Rechtsanwältin pp. als (Pflicht-)Verteidigerin beizuordnen.

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig, insbesondere gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthaft und fristgemäß innerhalb einer Woche nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 311 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 35Abs. 2 Satz 1 StPO eingelegt.

Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen einer notwendiger Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO aus den folgenden Gründen vor:

Nach der Bestimmung des § 140 Abs. 2 StPO in der Fassung des am 13. Dezember 2019 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung (BGBl. I, S. 2128) liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung unter anderem dann vor, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

Die Mitwirkung eines Verteidigers ist immer dann erforderlich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beschuldigte aus in seiner Person liegende)G runden (geistige Fähigkeiten, Gesundheitszustand, sonstige Umstände; BVerfG StV 2021,213 (216 f.); KG BeckRS 2016, 04227; StV 1985, 448; OLG Hamburg NStZ 1984, 281; OLG Hamm NJW 2003, 3286; LG Nürnberg-Fürth StraFo 2022, 103; LG Flensburg BeckRS 2013, 10662; LG Limburg NStZ-RR 2013, 87) nicht in der Lage sein wird, alle Möglichkeiten einer sachgemäßen Verteidigung zu nutzen (BeckOK StPO/Krawczyk, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 140Rn. 39).

Insbesondere bei einem unter Betreuung mit dem „Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden" stehenden Angeklagten ist regelmäßig von einer Einschränkung der Verteidigungsfähigkeit auszugehen, so dass ein Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen ist (KG Beschl. v. 20.12.2021 — 161 Ss 153/21, BeckRS 2021, 43952 Rn. 4, beck-online).

In Ansehung der vorgenannten Maßstäbe, war dem Beschuldigten, dem ausweislich des vorgelegten Betreuerausweises ein Betreuer unter anderem für die Bereiche Rechts-/Antrags-und Behördenangelegenheiten bestellt worden ist, eine Pflichtverteidigerin zu bestellen. Daran vermag auch der nicht angeordnete Einwilligungsvorbehalt, bei dem es sich in erster Linie um ein die Vermögensinteressen des Betroffenen schützendes Instrument handelt, nichts zu ändern.

Gegen die Bestellung der Pflichtverteidigerin spricht vorliegend auch nicht der Umstand, dass das Verfahren momentan nach § 154f StPO eingestellt ist. Zwar ist das Amtsgericht dem Grunde nach zutreffend davon ausgegangen, dass eine (nachträgliche) Beiordnung im Falle der bereits erfolgten Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht kommt. Indes war vorliegend in Ansehung der besonderen Umstände des Einzelfalls anders zu entscheiden. Denn im Zeitpunkt der Antragstellung durch den Beschwerdeführer waren die Voraussetzungen einer Einstellung des Verfahrens nach § 154f StPO bereits wieder entfallen, weil der Staatsanwaltschaft der Aufenthalt des Beschwerdeführers bekannt geworden war. Warum insoweit die Ermittlungen nicht wieder aufgenommen worden urd ggf. durch eine anderweitige Einstellung wieder abgeschlossen worden sind, ist der Akte nicht zu entnehmen. Jedenfalls kann dieser Umstand vorliegend nicht zu Lasten des Beschwerdeführers wirken, zumal eine Einstellung nach § 154f im Gegensatz zu anderen Einsendungen gerade nicht auf eine abschließende Erledigung des Verfahrens gerichtet ist, wie sich bereits an der durch die Staatsanwaltschaft veranlasste Ausschreibung de; Beschwerdeführers zur Aufenthaltsermittlung zeigt. Mithin liegt gerade kein Fall einer abschließenden Verfahrenserledigung vor, in der keine Rechtsverteidigung mehr stattfinden kann (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 2021 — 1 Ws 12/21 Rn. 9, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 23. September 2020 — 1 Ws 120/20 —, Rn. 6, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vorn 16. September 2020 — 2 Ws 112/20 —, Rn. 15, juris). Vielmehr wird dem Verfahren nunmehr Fortgang zu geben sein, sodass auch die Frage der weiteren Verteidigung des Beschwerdeführers wieder relevant werden wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 StPO


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