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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Klima, Widerstand, Vollstreckungsbeamte, Ankleben, leicht lösbare Verbindung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Berlin, Beschl. v. 20.04.2023 – 503 Qs 2/23

Leitsatz des Gerichts:

Das Ankleben stellt keine Gewalt i.S.v. § 113 StGB dar, wenn sich die Verbindung ohne Gewaltanwendung wieder lösen lässt.


In pp.

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 08.12.2022 wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe

I.

Der Angeschuldigten wird mit Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft vom 01.11.2022 ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB vorgeworfen.

Sie soll am 19.05.2022 mit elf weiteren Personen an einer nicht angemeldeten Versammlung mit dem Themenbezug „Muttis gegen den Klimawandel“ teilgenommen und sich – um zusätzliche Aufmerksamkeit zu erzeugen – ebenso wie vier weitere Personen mit einer Handfläche an die Scheibe der Eingangstür der Deutschen Bank Filiale in der pp. Straße in Berlin-pp. festgeklebt haben. Der Aufforderung der Polizei, sich an einen anderen zugewiesenen Versammlungsort zu begeben, sei sie nicht nachgekommen, weswegen ihre Hand mit Hilfe einer Aceton-Lösung habe von der Scheibe gelöst werden müssen. Dies habe etwa drei Minuten in Anspruch genommen. Durch ihr Vorgehen sei es der Angeschuldigten darauf angekommen, die polizeiliche Maßnahme nicht unerheblich zu erschweren.

Mit Beschluss vom 08.12.2022 hat das Amtsgericht Tiergarten den Erlass des Strafbefehls abgelehnt, da ein hinreichender Tatverdacht nicht gegeben sei. Zur Begründung führt es unter anderem aus, dass das Festkleben der Hand keine Widerstandsleistung gegenüber den Vollstreckungsbeamten darstelle. Das Ankleben habe im Rahmen der nicht angemeldeten Versammlung stattgefunden und lediglich nach deren Auflösung fortgewirkt. Es sei Teil des Versammlungsthemas „Muttis gegen den Klimawandel“ und stehe unter dem Schutz des Art. 8 GG. Das Auftragen des Lösungsmittels zur Ablösung der Angeschuldigten, habe keine Amtshandlung erfordert, die mit nicht unerheblichen Kraftaufwand verbunden gewesen wäre.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den vorgenannten Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt und dazu ausgeführt, Gewalt sei gegeben, bei einem tätigen Handeln gegen den Vollstreckungsbeamten, mit der eine Verhinderung oder Erschwerung der Diensthandlung bezweckt werde. Dies könne etwa durch ein Festhalten, ein Entgegenstemmen, ein Festketten oder auch – wie hier – ein Festkleben erfolgen. Der Umstand, dass das Ablösen nur wenig Zeit in Anspruch genommen habe, stehe der Annahme eines gewaltsamen Widerstandes nicht entgegen. Soweit die Angeschuldigte sich bereits vor Beginn der Diensthandlung festgeklebt habe, handele es sich trotzdem um einen Widerstand bei Vornahme eine Diensthandlung, da es ausreichend sei, wenn der Täter eine Widerstandhandlung vornehme, die später auf den absehbaren Vollstreckungsakt trifft und auf diesen abziele.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

Vor dem Erlass eines Strafbefehls ist zu prüfen, ob der Angeschuldigte der ihm in dem Strafbefehlsantrag vorgeworfenen Tat hinreichend verdächtig ist. Ein entsprechender Tatverdacht besteht vorliegend nicht, weshalb das Amtsgericht zu Recht gemäß § 408 Abs. 2 S. 1 StPO den Erlass des Strafbefehls abgelehnt hat.

Hinreichender Tatverdacht besteht bei vorläufiger Tatbewertung in der Wahrscheinlichkeit der späteren Verurteilung. Dies hängt davon ab, ob für eine rechtswidrig und schuldhaft begangene Straftat des Angeschuldigten wahrscheinlich genügender Beweis vorliegen wird (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., Rdnr. 7 zu § 408 und Rdnr. 2 zu § 203).

Daran gemessen ist die Verurteilung der Angeschuldigten wegen des Vorwurfs des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB unwahrscheinlich. Bei dem aktenkundigen Verhalten der Angeschuldigten handelt es sich nicht um Gewalt im Sinne dieser Vorschrift. Es ist auch nicht zu erwarten, dass in einer Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden können.

Der Begriff der Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB ist auf den Einsatz physisch wirkender Gewalt beschränkt (vgl. Bosch, in: Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl., Rdnr. 18 zu § 113). Unter dem Begriff der Gewalt im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB ist demgemäß jede durch tätiges Handeln bewirkte Kraftäußerung gegen den Amtsträger zu verstehen, die an sich geeignet ist, die Durchführung der Vollstreckungshandlung zu verhindern oder nicht nur unerheblich zu erschweren, letzteres insbesondere dergestalt, dass der Amtsträger die Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen (Rosenau, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. Rdnr. 23 zu § 113; BVerfG, Beschluss vom 23.08.2005 – 2BvR 1066/05 -; BayObLG, Beschluss vom 29.01.1988 - RReg 3 St 247/87 –, jeweils bei juris). Es reicht hierbei aus, wenn die eigene Kraftentfaltung des Täters, die auch in einem Sich-Anketten oder einem bloßen Sich-Ankleben liegen kann (a. A. Bosch, in: Münchner Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 113 Rn. 20), gleichsam als vorweggenommener Widerstand gegen eine alsbald erwartete Vollstreckung schon vor Beginn der Diensthandlung erfolgt, sofern sie sich gegen den Amtsträger im Zeitpunkt von dessen Tätigwerden in der genannten Weise auswirkt (BGH, Urteil vom 16.11.1962 – 4 StR 337/62 -, juris; Rosenau, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. Rdnr. 20 zu § 113). Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass es in diesen Fällen weitere Voraussetzung für die Annahme tatbestandlicher Gewalt sein muss, dass der Widerstand seinerseits durch den Amtsträger nur mit nicht ganz unerheblicher Gewaltanstrengung überwunden werden kann, andernfalls es an der notwendigen Rückbindung zum Gewaltbegriff fehlen und das Analogieverbot überschritten würde. Denn der Widerstand muss für den Amtsträger körperlich spürbar sein, um Gewalt darstellen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 11.06.2020 – 5 StR 157/20 -, juris Rz. 9). Ein bloßer Zeitaufwand bei der Überwindung des Widerstandes, selbst wenn dieser erheblich wäre, und die damit verbundene Lästigkeit für die Vollstreckungsbeamten wären danach nicht ausreichend. Es würde in diesen Fällen zwar Widerstand geleistet, jedoch kein im Sinne von § 113 StGB gewaltsamer Widerstand (a. A. LG Berlin, Beschluss vom 21.11.2022 – 534 Qs 80/22 -, BeckRS 2022 80/22).

Die vorliegend in Rede stehende Handlung, nämlich das Ankleben an die Eingangstür der Deutschen Bank mit löslichem Kleber, hat die dienstliche Vollstreckungshandlung, nämlich die Durchsetzung der Versammlungsauflösung, nicht in dieser Weise erschwert. Es ist aus den Akten nicht ersichtlich, dass das Ablösen – unter Einsatz des Lösungsmittels Aceton – von den Beamten mehr als einen ganz unerheblichen Kraftaufwand erforderte. Dies ist auch unwahrscheinlich. Soweit das Ablösen einen besonderen Zeitaufwand erforderte, ist nach Auffassung der Kammer (s.o.) bereits fraglich, ob dieser Umstand über die zur Überwindung des Widerstandes nötige Kraftentfaltung hinaus zusätzlich Berücksichtigung finden kann, ohne dass hierdurch der Gewaltbegriff überdehnt würde. Auch dieser Zeitaufwand war indessen nur unerheblich. Nach Aktenlage mussten insgesamt fünf Personen von der Scheibe abgelöst werden, was nach den Angaben der Beamten insgesamt etwa 10 - 15 Minuten in Anspruch genommen hat. In dem Strafbefehlsantrag wird daher zu Recht davon ausgegangen, dass das Lösen von der Scheibe durch die Beamten bei der Angeschuldigten (lediglich) etwa drei Minuten gedauert hat.

Darin unterscheidet sich der vorliegende Fall von den von der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdebegründung angeführten Fällen. Wenn sich Personen an Gegenständen festhalten, sich daran festketten oder mit Füßen gegen den Boden stemmen, werden den Beamten Schwierigkeiten bereitet, die entweder selbst durch den nicht unerheblichen Einsatz von Körperkraft gekennzeichnet sind oder jedenfalls durch nicht unerheblichen Krafteinsatz überwunden werden müssen. Letzteres gilt etwa für den Kraftaufwand, welcher für das Durchtrennen etwa einer Kette erforderlich ist. Dass ein auch nur annähernd vergleichbarer Kraftaufwand im hiesigen Fall erforderlich gewesen wäre, ist nicht erkennbar.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StPO.


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Anmerkung:


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