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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Klimaaktivist, Straßenschilder besteigen, Nötigung, Verwerflichkeit, Abwägung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bremen, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 Qs 213/21

Eigener Leitsatz:

Im Rahmen der Abwägung der Verwerflichkeit verkehrsbehindernder Maßnahmen von Klimaaktivisten ist zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des "Versammlungsortes" und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben.


Beschluss

Gründe

I.

Die Gruppierung „E. R.“ ist ein Zusammenschluss von Klima-Aktivisten, die es sich zum Ziel gesetzt hat, durch Protestaktionen auf die Probleme des Klimawandels und des Artensterbens hinzuweisen und hierdurch einen entsprechenden Politikwechsel herbeizuführen (vgl.: https://extinctionrebellion.de/og/bremen/ , Stand: 14.06.2021). Aus einem Interview mit dem Weserkurier vom 18.05.2020 (abrufbar unter: ) lässt sich schlussfolgern, dass der Beschuldigte der Gruppierung „E. R.“ nahesteht.

Am 15.04.2021 führten mehrere Klima-Aktivisten der Gruppierung in Bremen und im Umland koordinierte Protestaktionen durch, mit denen sie auf die Notwendigkeit eines zeitnahen Handelns gegen den Klimawandel, hier insbesondere mit Blick auf die sog. Verkehrswende, aufmerksam machen wollten. Diese Aktionen richteten sich allesamt gegen den Individualverkehr:

Zum einen wurde von den Aktivisten der Verkehr im Bereich der Neustadt in 28199 Bremen / Abfahrt von der Autobahn 281 gestört, indem sich die Aktivisten dort mit Transparenten über mehrere Stunden auf der Fahrbahn aufhielten und eine Schilderbrücke besetzten, an der sie (wie auch an einigen anderen Straßenschildern) Transparente anbrachten. Bei dieser Aktion soll auch der Beschuldigte zugegen und an dem Versuch beteiligt gewesen sein, den Fahrzeugführer eines PKW, den Zeugen R.B., an der Weiterfahrt zu hindern, was jedoch nicht gelang, weil sich dieser nicht an der Weiterfahrt hindern ließ und seinen Weg durch die Gruppe der Aktivisten fortsetzte (Bl. 6 f. SA 10).

Im Übrigen brachten die Aktivisten auch im Bereich der Überseestadt in 28219 Bremen / Zubringer zur Autobahn 27 und in Lesum in 28719 Bremen im Bereich der Autobahn 27 Transparente und Aufkleber an Schilderbrücken an, welche sie teilweise auch für mehrere Stunden besetzten und sich hiervon - mittels professionellen Klettergeschirrs - abseilten. Vor diesem Hintergrund sperrte die Polizei Bremen den jeweiligen Straßen- / Autobahnabschnitt für einen Zeitraum von jeweils mehreren Stunden, weswegen der Verkehr hier teilweise zum Erliegen kam und umgeleitet werden musste.

Mit Verweis darauf, dass der Beschuldigte der Organisator der Protestaktionen vom 15.04.2021 sein soll und mit Verweis auf dessen konkrete Handlungsbeiträge wurde ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der strafbaren Nötigung in vier Fällen von der Staatsanwaltschaft Bremen eingeleitet. Sodann wurde, mit Verfügung vom 12.05.2021, die richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten gem. §§ 102, 105 StPO beim Amtsgericht Bremen beantragt.

Das Amtsgericht Bremen lehnte den Antrag mit Beschluss vom 18.05.2021 mit der Begründung ab, bei keiner der zu betrachtenden Protestaktionen sei der Tatbestand von § 240 StGB erfüllt. Es fehle in jedem der zu betrachtenden Fälle bereits an einer verwerflichen Mittel-Zweck-Relation gem. § 240 Abs. 2 StGB. Dem Anliegen der Aktivisten, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes – gerade auch mit Bezugnahme auf den Individualverkehr – hinzuweisen, komme ein erhebliches Gewicht in der zu treffenden Abwägung zu. Der Eingriff in die Rechte der Fahrzeugführer sei hingegen nicht als besonders schwerwiegend zu bewerten. Eine besondere Gefährlichkeit für Dritte habe nicht festgestellt werden können.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 26.05.2021 Beschwerde eingelegt und mit Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.03.2011 (1 BvR 388/05, juris Rn. 40 ff.) die Auffassung vertreten, die Entscheidung des Amtsgerichts vom 18.05.2021 sei fehlerhaft, weil das Gericht nicht sämtliche abwägungsrelevanten Umstände bei seiner Entscheidung berücksichtigt hätte.

II.

Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 18.05.2021, mit dem der Antrag der Staatsanwaltschaft auf gerichtliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten gem. §§ 102, 105 StPO abgelehnt wurde, war aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens als unbegründet zu verwerfen.

1. Sofern die Staatsanwaltschaft in der Beschwerdebegründung vom 26.05.2021 auf den stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.03.2011 (1 BvR 388/05, juris Rn. 40 ff.) verweist, wird nicht ersichtlich, inwiefern sich hieraus für den vorliegenden Fall eine abweichende Entscheidung ergeben sollte.

Das Amtsgericht Bremen hat hier eine Abwägungsentscheidung zwischen den Rechtsgütern der Betroffenen, der Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer und der Versammlungsfreiheit der Aktivisten vorgenommen, und ist unter Bezugnahme auf die soziale Gewichtigkeit des verfolgten Anliegens sowie dem Grad der festzustellenden Einschränkungen der Verkehrsteilnehmer zu dem Ergebnis gelangt, dass hier - mangels Vorliegens einer verwerflichen Mittel-Zweck-Relation - kein Anfangsverdacht hinsichtlich einer Nötigung des Beschuldigten feststellbar ist. Dieses Abwägungsergebnis hält die Kammer für nachvollziehbar und zutreffend, überdies ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass entscheidungserhebliche Belange gänzlich unberücksichtigt geblieben sein könnten. Dass das Amtsgericht Bremen in seinem Beschluss vom 18.05.2021 nicht sämtliche Umstände ausdrücklich benannt hat, die in der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als entscheidungserheblich benannt wurden, lässt jedenfalls nicht den Schluss zu, das Amtsgericht könnte bei seiner Entscheidung relevante Umstände gänzlich unberücksichtigt gelassen haben und daher zu einer unzutreffenden Abwägungsentscheidung gelangt sein.

Die vom Amtsgericht Bremen vorgenommene Abwägungsentscheidung erweist sich nach Auffassung der Kammer auch in Ansehung der weiteren in der Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft benannten Kriterien als zutreffend:

Ob die durchgeführten Aktionen zuvor bekanntgegeben wurden, lässt sich der Ermittlungsakte nicht entnehmen, so dass eine Einordnung dieses Umstandes derzeit nicht möglich ist. Für die Auffassung der Staatsanwaltschaft spricht der Umstand, dass das Besetzen der Schilder letztlich nur durch das Eingreifen der Polizei beendet werden konnte. Auch ist zur Dauer und Intensität der Aktion auszuführen, dass das verfahrensgegenständliche Geschehen nicht nur kurzfristig stattgefunden hat, sondern offenbar etwa sechs Stunden angedauert hat und es sich nicht nur um lediglich einen Geschehensort handelte, sondern diese über das Stadtgebiet verteilt waren, wobei die Verkehrsbehinderung jedenfalls teilweise mittelbar durch die von der Polizei veranlasste Straßensperrung eingetreten ist. Auf der anderen Seite ist der Ermittlungsakte zu entnehmen, dass beispielsweise der Rückstau auf dem Autobahnzubringer durch das teilweise Ableiten des Verkehrs über die Straße Fahrwiesendamm beseitigt werden konnte (Bl. 3 HA). Der Ermittlungsakte sind ansonsten keine weiteren Einzelheiten dazu zu entnehmen, an welcher Stelle es für welchen Zeitraum zu einem Stillstand oder einer Behinderung des fließenden Verkehrs gekommen ist. Dieser Umstand lässt bislang keinen hinreichenden Schluss darauf zu, dass es sich um eine besonders intensive bzw. dauerhafte Blockadeaktion gehandelt haben könnte, zumal stadtteilübergreifende Verkehrsbeeinträchtigung auch bei angemeldeten Demonstrationszügen regelhaft vorkommen. Nach Auffassung der Kammer kann jedenfalls nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass durch das verfahrensgegenständliche Geschehen Kranken-/Organ- oder Medikamententransporte behindert worden sein könnten und so eine Gefährdung von Individualrechtsgütern wie Leib, Gesundheit und Leben eingetreten ist.

Ein gewichtiger Umstand im Rahmen der Abwägung ist der Sachbezug der von der Blockade betroffenen Personen – nämlich die Teilnehmer des Individualverkehrs. Stehen die äußere Gestaltung der Blockademaßnahme und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema und/oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und damit in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und inwieweit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08. Januar 2015 – 1 (8) Ss 510/13 –, juris).

Vor diesem Hintergrund ist die Einordnung des Geschehens als Meinungsäußerung und nicht nur als längerfristige Verhinderung des Verkehrs in der Gesamtschau der bisher bekannten bzw. ermittelten Umstände auch aus Sicht der Kammer nicht zu beanstanden.

2. Nicht hinreichend geklärt erscheint zudem, ob der Beschuldigte im Sinne eines Anfangsverdachts überhaupt als Organisator/Verantwortlicher der festgestellten Aktionen angesehen werden kann. Ob die Gruppierung E. R. hierarchisch organisiert ist, soll bislang nicht geklärt sein (vgl. Bl. 38 HA). Nach den Ermittlungen der Polizei Bremen sollen zudem weitere Gruppierungen wie „E. G. B.“, „C. C.“ sowie „A. A./A.“ hinter den Aktionen stehen (Bl. 88 SA 7). In welchem Verhältnis diese Gruppierungen zu dem Beschuldigten stehen, ist bislang nicht ermittelt.

3. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch für den Fall, dass hinsichtlich des Beschuldigten ein Anfangsverdacht der Nötigung oder der versuchten Nötigung zum Nachteil des Zeugen R. B. (SA 10) anzunehmen sein sollte, die Voraussetzungen des § 102 StPO derzeit nicht erkennbar sind.

Sofern in der Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft die Aufklärung zukünftiger Aktionen angeführt wird, so ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsgrundlage aus den §§ 102, 105 StPO der Strafverfolgung und nicht der Gefahrenabwehr dient.

In diesem Zusammenhang entscheidend ist jedoch, dass das Geschehen zum Nachteil des Zeugen R.B. offensichtlich auf Video dokumentiert ist. Schon vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, welche weiteren Beweismittel, die für die Aufklärung des Geschehens von entscheidender Bedeutung wären, bei dem Beschuldigten vermutet werden. Ob der Zeuge R. B. inzwischen als Zeuge vernommen wurde, ist der Akte nicht zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund fehlt es auch am Vorliegen der Verhältnismäßigkeit für die beantragte Durchsuchung.

Der Beschwerde war nach alledem der Erfolg zu versagen.


Einsender:

Anmerkung: vorgehend AG Bremen, Beschl. v. 18.05.2021 - 92b Gs 448/21 (225 Js 25762/21)


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