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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Klimaaktivist, Straßenschilder besteigen, Verkehrsbehinderung, Nötigung, Verwerflichkeit, Abwägung

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Bremen, Beschl. v. 18.05.2021 – 92b Gs 448/21 (225 Js 25762/21)

Eigener Leitsatz:

Bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung des Geschehens und der Frage, ob die Tathandlung von Klimaaktivisten als verwerflich i.S. des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen ist, ist die soziale Gewichtigkeit des Blockadeanliegens ausschlaggebend. Dabei ist nicht jede Gewaltanwendung, die darauf ausgelegt ist, die Bewegungsfreiheit Dritter zu beeinträchtigen, als verwerflich anzusehen.


In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

wegen Nötigung

wird der Antrag der Staatsanwaltschaft Bremen auf Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten einschließlich ggfs. vorhandener Nebengelasse, seiner Person und ihm zur Verfügung stehender Fahrzeuge, abgelehnt.

Gründe

Die Staatsanwaltschaft Bremen wirft dem Beschuldigten vor in Bremen am 15.04.2021 gemeinschaftlich in mindestens vier Fällen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben.

Sie legt ihm dabei zur Last:

Der Beschuldigte war als Kontaktstelle und Sprecher der mindestens ca. 120-130 Mitglieder umfassenden Gruppe E. R. an der Planung, Vorbereitung und Organisation einer im Stadtgebiet Bremen durchgeführten Aktion beteiligt, im Zuge derer Aktivisten der Gruppe u. a. Straßenschilder bestiegen, um darauf Plakate für den Klimawandel und die Verkehrswende zu befestigen, was teilweise mit einem Abseilen von den Schildern in Richtung der Straße verbunden war. Im Einzelnen kam es zu folgenden Aktionen, wobei der Beschuldigte selber persönlich bei der Aktion im Bereich der Airportstadt (Tat zu Buchst. b). vor Ort war:

a) HA: in der Überseestadt in 28219 Bremen haben fünf Personen ein Plakat mit Bezug zu der Verkehrspolitik an einer sich über drei Fahrstreifen erstreckenden Schilderbrücke auf dem Autobahnzubringer A 27, km 48,9 in 28219 Bremen angebracht. In dem Bereich kam es zu einem Rückstau, der durch das teilweise Ableiten des Verkehrs durch die Einsatzkräfte der Polizei zumindest in einzelnen Bereichen beseitigt werden konnte; sowie

b) SA 1 und 10: im Bereich der Abfahrt A 281/Airbus-Stadt in 28199 Bremen (Neustadt) befanden sich etwa 30 Personen auf der Fahrbahn, die vereinzelt mit Warnwesten bekleidet waren und Banner bei sich führten. In diesem Bereich kam der Verkehr vollständig zum Erliegen. Weitere 10 Personen befanden sich zeitgleich im Bereich der Airbus-Allee/Amelie-Beese-Straße auf der Fahrbahn und zeigten dort Transparente. Einzelne Verkehrsteilnehmer wurden durch die auf der Straße befindlichen Aktivisten an der Weiterfahrt gehindert, kleine Gruppen von drei bzw. zwei Personen befanden sich auf den Schilderbrücken auf der Georg-Wulf-Straße und der Airbus-Allee und befestigten Transparente an den Schildern. Zwei Personen auf der Schilderbrücke in der Georg-Wulf-Straße zündeten jeweils eine Rauchfackel;

sowie

c) SA 6: bei einer Schilderbrücke auf der A 27, km 79,35 in 28719 Bremen (Lesum), in deren Folge die Autobahn ab der Baustelle Lesumbrücke gesperrt wurde, brachten mindestens fünf Personen Aufkleber und Schilder auf der Brücke an. Infolge der Vollsperrung kam es zu Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr musste an den Anschlussstellen Bremen-Nord und IhIpohl umgeleitet werden.

Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, bei dem dem Beschuldigten zur Last gelegten Verhalten handele es sich um eine strafbare, gemeinschaftlich begangene Nötigung gem. §§ 240, 25 Abs. 2 StGB.

Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten Anordnung liegen nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht vor, da die Tat nicht als verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB anzusehen ist. Demnach ist die Tat rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Verwerflichkeit meint einen erhöhten Grad sittlicher Missbilligung, vgl. Fischer, StGB-Kommentar, 68. Aufl. 2021, § 240, Rn. 40. Nach der vierten Blockadeentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 2001 muss im Rahmen des § 240 Abs. 2 StGB auch das Grundrecht aus Art. 8 GG Berücksichtigung finden. Dabei ist die Strafzumessungslösung praktisch verworfen und der Weg der praktischen Konkordanz im Rahmen der Verwerflichkeitsklausel gewählt worden. Bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung des Geschehens und der Frage, ob die Tathandlung als verwerflich anzusehen ist, ist die soziale Gewichtigkeit des Blockadeanliegens ausschlaggebend, vgl. für Vorstehendes MüKo § 240, Rn. 143 f. Dabei ist nicht jede Gewaltanwendung, die darauf ausgelegt ist, die Bewegungsfreiheit Dritter zu beeinträchtigen, als verwerflich anzusehen. Die Handlungen des Beschuldigten fallen solange unter den Schutz von Art. 8 GG, als dass sie nicht unfriedlich sind. Unfriedlichkeit ist erst bei Handlungen von einiger Gefährlichkeit anzunehmen (Eisele, in Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, § 240, 30. Aufl. 2019, Rn. 28). Auch daraus, dass eine Handlung nicht mehr verwaltungsmäßig ist, folgt nicht die Strafrechtswidrigkeit, so dass auch eine fortgesetzte Versammlung nach erfolgter Auflösung nicht per se verwerflich ist (Eisele, a.a.O. Rn. 28). Daneben ist bei der erforderlichen Gesamtabwägung auf die soziale Gewichtigkeit des verfolgten Anliegens abzustellen, wobei existenziellen Fragen der Allgemeinheit grundsätzlich größeres Gewicht zukommt als Eigeninteressen. Im Ergebnis ist der Grad der Beeinträchtigung einerseits und die Art der Demonstrationsmotive zu berücksichtigen (Eisele, a.a.O. Rn. 29).

Bei der Frage der Verwerflichkeit der Tathandlung ist somit der Eingriff in die Fortbewegungsfreiheit der stehenden Autofahrer und das Ziel der Demonstranten gegeneinander abzuwägen. Dabei kommt dem Ziel, auf die Notwendigkeit des Klimaschutzes hinzuweisen, erhebliches Gewicht zu, wobei nach Auffassung des Gerichts die Fortbewegungsfreiheit der im Stau stehenden Autofahrer nicht erheblich beeinträchtigt ist, zumal es insbesondere auf Autobahnen und insbesondere auf der Lesumbrücke schon aufgrund der nunmehr mehrere Jahre andauernden Bauarbeiten stets zu verkehrsbedingten Behinderungen kommen kann. Bei der Frage der Verwerflichkeit ist hier auch zu berücksichtigen, dass eine Gefährlichkeit für Dritte bislang nicht festgestellt worden ist. Ein erhöhter Grad sittlicher Missbilligung kann in diesem Fall nach Auffassung des Gerichts nicht angenommen werden, so dass die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen nicht als verwerflich anzusehen sind. Trotz zielgerichteter Blockade des Verkehrs ist den Demonstrant:innen ein Akt der auf das Ziel hinweisenden Kommunikation zuzugestehen, der in diesem Fall noch nicht derart tief in die Fortbewegungsfreiheit der Autofahrer eingreift, als dass er eine Strafbarkeit gem. § 240 StGB begründen und die Anordnung einer Durchsuchung rechtfertigen würde.


Einsender:

Anmerkung: nachgehend: LG Bremen, Beschl. v. 22.06.2021 – 2 Qs 213/21


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