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Entscheidungen

StPO

Schöffe, Umzug, fehlende Umzugsmeldung, Ordnungsgeld

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 06.03.2023 – 1 Ws 111/22

Eigener Leitsatz:

§ 56 Abs. 1 GVG dient ausschließlich der Sicherung der Hauptverhandlung dient. Entsprechend können „Obliegenheiten“, deren sich der Schöffe „in anderer Weise entzieht“ nur solche sein, die das Hauptverfahren sichern.


In pp.

Auf die Beschwerde der Schöffin B. wird der Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 05. Juli 2022 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschwerdeführerin darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§ 467 StPO analog).

Gründe

I.

Die zur Zeit ihrer Schöffenwahl im Bezirk des Landgerichts Neuruppin, in PP.-Land, wohnhafte Beschwerdeführerin war der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin als Hauptschöffin zugewiesen. Ihre schriftliche Ladung zu dem Hauptverhandlungstermin vom 28. September 2021 geriet mit dem Vermerk des Zustellers „Empfänger verzogen“ in den Postrücklauf des Landgerichts. Die Beschwerdeführerin war bereits im April 2021 in das Bundesland pp. verzogen, ihre Ummeldung dorthin war zum 01. April 2021 erfolgt. Die Beschwerdeführerin hatte versäumt, das Landgericht über ihren Umzug zu informieren.

Da sie jedoch telefonisch über den 1. Hauptverhandlungstermin informiert werden konnte, erschien die Beschwerdeführerin und Schöffin am 28. September 2021 an Gerichtsstelle und nahm an der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten teil. Erst am Folgetag teilte eine Mitarbeiterin der Beschwerdeführerin dem Landgericht telefonisch mit, dass diese nunmehr in W. wohnhaft sei und vergessen habe, dem Landgericht ihren Umzug mitzuteilen.

Die Kammer setzte die Hauptverhandlung daraufhin am 01. Oktober 2021 aus und begann sie am 19. Oktober 2021 unter Mitwirkung anderer Schöffen neu.

Der stellvertretende Vorsitzende der 1. großen Strafkammer teilte die Aussetzung des Verfahrens der Beschwerdeführerin am 01. Oktober 2021 telefonisch mit, wies sie auf eine Obliegenheitsverletzung wegen unterlassener Anzeige des Umzugs sowie auf die Möglichkeit hin, sie mit den durch den Termin vom 28. September 2021 verursachten Mehrkosten zu belasten, und gab ihr Gelegenheit, Entschuldigungsgründe vorzubringen. Die Schöffin reagierte hierauf nicht.

Mit Beschluss vom 13. Oktober 2021 wurde die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Umzugs von der Schöffenliste gestrichen.

Das Verfahren vor dem Landgericht endete mit Urteil vom 20. Oktober 2021; das Urteil ist seit dem 24. März 2022 rechtskräftig.

Mit Schreiben, eingegangen bei dem Landgericht am 05. April 2022, ließ die Beschwerdeführerin die Anweisungsstelle wissen, nicht über das für ihre Entschädigung benötigte Anweisungsformular für ihre Teilnahme am Hauptverhandlungstermin vom 28. September 2021 zu verfügen. Die Anweisungsstelle hielt hierzu Rücksprache mit der Kammer.

Hierdurch auf den Vorgang wieder aufmerksam gemacht, setzte die 1. Strafkammer des Landgerichts Neuruppin mit Beschluss vom 05. Juli 2022 ein Ordnungsgeld in Höhe von 100,00 € gegen die Beschwerdeführerin fest und erlegte ihr die aus der Durchführung des Hauptverhandlungstermins vom 28. September 2021 entstandenen Mehrkosten des Verfahrens auf.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Schöffin mit ihrer Beschwerde vom 12. Juli 2022. Sie macht geltend, der Umzug in ein anderes Bundesland sei für sie unerwartet gewesen. Ein ursprünglich geplanter Umzug innerhalb des Landgerichtsbezirks Neuruppin sei gescheitert, da der avisierte Mietvertrag nicht zu Stande kam. Der ehemalige Wohnsitz in PP.-Land sei am 30. April 2021 aufgegeben, eine Postumleitung an die neue Anschrift in pp. sei beauftragt worden. Die Mitteilung an das Landgericht Neuruppin sei versehentlich vergessen worden, wohl auch aus dem Grund, dass sie im Jahr 2021 in nur einer Verhandlung als Schöffin eingesetzt war. Es sei hinzu gekommen, dass sie am 30. Mai 2021 gegen Covid 19 geimpft worden war, in deren Folge sie für die Dauer von 12 Wochen erhebliche gesundheitliche Einschränkungen (Rheumaschübe, sog. Polymyalgia rheumatica) erlitten habe, die ihr eine Teilnahme am Geschäftsleben und sogar das Fahren eines Kraftfahrzeuges unmöglich gemacht hätten. Nach dem zur Akte gereichten Arztbrief von Prof. pp. von der Charité pp. vom 28. Juli 2021 wies u.a. der Entzündungsmarker bei der Beschwerdeführerin einen gegenüber dem Normalwert 7-fach erhöhten Wert aus; ausgeprägte Muskel-Nerven-Schmerzen in der rechten Hüfte, der linken Hüfte, im linken Fuß, rechten Sprunggelenk, in der rechten Schulter, im rechten Handgelenk, linken Oberarmknochen, rechts seitlich medial im Knie, die zum Teil als Ganzkörperschmerzen wahrgenommen würden, werden in dem Arztbrief bestätigt. Dies in Verbindung mit der Stresssituation des Umzugs habe sie versäumen lassen, dem Landgericht ihren Umzug mitzuteilen.

Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, sondern die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dort ist sie am 08. September 2022 mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg eingegangen, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Hierzu nahm die Beschwerdeführerin mit dem bei Gericht am 12. September 2022 eingegangenen Schreiben Stellung. Sie wiederholt und vertieft ihr Beschwerdevorbringen, verweist erneut auf die unbeabsichtigte Unterlassung der Mitteilung über den Umzug und entschuldigt ihre Säumnis mit der durch Hausverkauf, Umzug und Erkrankung entstandenen schwierigen Lebenssituation. Die Folgen des Umzugs für ihr Schöffenamt seien ihr nicht „in dem Maße“ bewusst gewesen, zudem habe das Landgericht trotz des Rücklaufs der schriftlichen Ladung seinerseits keine Fragen an sie gerichtet.

II.

1. Die Beschwerde, über die der Senat zu entscheiden gemäß § 121 Abs. 1 Ziff. 2 GVG berufen ist, ist gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 3 GVG, 304 Abs. 1 StPO statthaft und entsprechend § 306 Abs. 1 StPO formgerecht eingelegt worden.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg; die Auferlegung eines Ordnungsgeldes und der durch die Durchführung des Hauptverhandlungstermins vom 28. September 2022 entstanden Mehrkosten an die Beschwerdeführerin hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) § 56 Abs. 1 Satz 1 GVG normiert, dass „gegen Schöffen […] die sich ohne genügende Entschuldigung zu den Sitzungen nicht rechtzeitig einfinden oder sich ihren Obliegenheiten in anderer Weise entziehen […] ein Ordnungsgeld festgesetzt“ wird. Nach § 56 Abs. 2 Satz 2 GVG werden „zugleich“ „ihnen auch die verursachten Kosten auferlegt“. Ein Ermessen auf Rechtsfolgenseite räumt die Bestimmung nicht ein, liegen ihre Voraussetzungen vor, sind die normierten Folgen zwingend auszusprechen.

Welche sonstigen Obliegenheiten von dieser Vorschrift umfasst sind, ist darin nicht näher geregelt. Aus dem Oberbegriff des nicht rechtzeitigen Einfindens zu den Sitzungen wird deutlich, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 1 GVG ausschließlich der Sicherung der Hauptverhandlung dient. Entsprechend können „Obliegenheiten“, deren sich der Schöffe „in anderer Weise entzieht“ nur solche sein, die das Hauptverfahren sichern.

Um einer uferlosen Ausweitung dieses Begriffs entgegenzuwirken, sind darunter nur solche prozessualen Mitwirkungspflichten zu verstehen, die gewährleisten, dass das Gericht in ordnungsgemäßer Besetzung nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verhandeln und entscheiden kann (KG, Beschluss vom 31. Juli 2020, 3 Ws 157/20, Rz. 11, zit. n. juris; KG, Beschluss vom 08. April 1999, 4 Ws 35/99, 1 AR 1657/96, Rn. 2, NStZ 1999, 427; OLG Frankfurt NJW 1992, 3183; OLG Frankfurt NStZ 1990, 503; Barthe in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 3; Schuster in: Münchener Kommentar, StPO, 1. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 5; Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage, zu § 56 GVG, Rz. 4); maßgeblich ist mithin, ob eine Obliegenheitsverletzung zu einer Unterbrechung oder Aussetzung der Hauptverhandlung geführt hat.

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze sind die Verhängung von Ordnungsgeld und die Auferlegung von Kosten nicht zu rechtfertigen.

(1.) Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Nichtanzeige des Wohnungswechsels außerhalb des Landgerichtsbezirks eine Obliegenheitsverletzung darstellt und ob ggf. eine leichte Fahrlässigkeit – wie wohl vorliegend – ausreichend oder zur Vermeidung einer uferlosen Ausdehnung der Norm eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Begehungsweise zu fordern ist (vgl. dazu OLG Frankfurt NStZ 1990, 503 f.). Jedenfalls führte das Unterlassen der Anzeige des Wohnungswechsels am 28. September 2021 weder zu einer Unterbrechung noch zu einer Aussetzung der Hauptverhandlung am 28. September 2021. Zwar ist die an die Beschwerdeführerin gerichtete Terminladung als „nicht zustellbar“ in Rücklauf geraten, jedoch konnte sie durch die Geschäftsstelle noch rechtzeitig mündlich über den Hauptverhandlungstermin informiert werden, so dass die Hauptverhandlung an diesem Tag in Anwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführt werden konnte.

(2.) Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin an den Fortsetzungsterminen nicht hätte teilnehmen wollen, sind nicht ersichtlich; ihre Teilnahme im Termin am 28. September 2021 spricht dagegen. Der Aussetzungsbeschluss der Kammer vom 1. Oktober 2021 war nicht veranlasst, da eine etwaige spätere Streichung der Beschwerdeführerin aus der Schöffenliste die Revision nicht begründen kann. Denn die Unanfechtbarkeit der Streichung aus der Hauptschöffenliste gem. § 52 Abs. 4 GVG (vgl. dazu OLG Koblenz NStZ-RR 2015, 122; siehe auch BGHSt 30, 255f.; RGSt 39, 306) führt zwar zu einer Änderung der Kammerbesetzung für noch bevorstehende Hauptverhandlungen, jedoch kann die Besetzungsrüge (§ 338 Nr. 1 StPO) nicht auf eine Entscheidung über die Streichung gestützt werden (vgl. § 336 S. 2 StPO), wenn es sich nicht um einen Fall der Entziehung des gesetzlichen Richters handelt. Eine Richterentziehung würde bei alledem bei einer auf einem Verfahrensirrtum beruhenden gesetzwidrigen Besetzung nicht vorliegen (vgl. BVerfGE NJW 1971, 1033), denn sie setzt eine objektiv willkürliche Maßnahme voraus, d.h. eine Maßnahme, die auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht und unter keinen Umständen mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfG NJW1976, 2128; BVerfG NJW 1984, 1874; BGH 26, 206, 211; OLG Karlsruhe NStZ 1981, 272; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Aufl., § 16 GVG Rn. 6, 8, § 52 GVG Rn. 4). Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da eine Kenntnis vom Wohnsitzwechsel vor Beginn der Hauptverhandlung nicht bestand.

(3.) Ergänzend ist anzumerken, dass die Auferlegung der Verfahrenskosten an die Beschwerdeführerin acht Monate nach Urteilsverkündung und über drei Monate nach eingetretener Rechtskraft nicht mehr hätte ergehen dürfen. Zwar besagt § 56 GVG nichts darüber, wann eine Entscheidung nach Abs. 1 spätestens zu treffen ist. Die diese Norm jedoch ähnlich wie für das Ausbleiben von Zeugen (§ 51 StPO) konzipiert ist, ist eine entsprechende Auslegung geboten. Mithin ist eine Entscheidung nach § 56 Abs. 1 GVG spätestens dann zu erlassen, wenn die Hauptsache zur Entscheidung reif ist. Denn mit der abschließenden Entscheidung ist auch über die Kosten des Verfahrens zu befinden, so dass Klarheit herrschen muss, welche Kosten von dem Angeklagten im Fall seiner Verurteilung zu tragen sind (vgl. Gittermann in: Löwe-Rosenberg, StPO, Bd. 11 (GVG), 27. Aufl., § 56 GVG Rn. 11; Schuster in: Münchner Kommentar, StPO, Bd. 3/2, § 56 GVG, Rn.12; siehe auch: BGHSt 43, 146, 148 unter Aufgabe von BGHSt 10, 126; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 31; KG, Beschluss vom 30. Mai 2002, 4 Ws 143/01; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. § 465, Rz. 4).


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