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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Festkleben auf der Fahrbahn, Klimaaktivist, Nötigung, Rechtfertigung, Strafzumessung, Bewährung

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Heilbronn, Urt. v. 06.03.2023 - 26 Ds 16 Js 4813/23

Eigener Leitsatz:

1. Keine Gewalt i.S. des § 240 StGB ist die „bloße Anwesenheit" von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der „zweiten Reihe" der anhaltenden Fahrer wirkt aber nicht nur die psychische Hemmung, sondern auch die in erster Reihe bzw. davorstehenden Fahrzeuge als physische Sperre.
2. Zur Verwerflichkeit einer Straßenblockade i.S. von § 240 Abs. 2 StGB
3. Auch wenn man den Klimawandel als eine gegenwärtige Gefahr einstuft, ist eine Straßenblockade dennoch weder ein erforderliches noch angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr im Sinne des § 34 StGB.
4. Wenn ein Angeklagter glaubhaft angibt, von strafrechtlichen Sanktionen nicht davon abgehalten zu werden, gleichgelagerte Straftaten zu begehen, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StPO auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.


26 Ds 16 Js 4813/23

Amtsgericht Heilbronn

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Strafverfahren gegen
1) PP1
2) PP2
3) PP3
Verteidiger:
4) pp4
5) pp5
wegen gemeinschaftl. Nötigung
Das Amtsgericht - Strafrichter - Heilbronn hat in der Hauptverhandlung vom 06.03.2023, an der teilgenommen haben:
Richterin am Amtsgericht pp. als Strafrichterin
EStA'in pp. als Vertreter der Staatsanwaltschaft
Alnsp'in pp. als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle für Recht erkannt:
Die Angeklagten PP1, PP2, PP3, pp4 und pp5 sind der Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig
Der Angeklagte PP1 wird deshalb zu der Freiheitsstrafe von 3 Monaten,
der Angeklagte PP2 zu der Freiheitsstrafe von 2 Monaten,
die Angeklagte PP3 zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro,
der Angeklagte pp4 zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60 Euro,
die Angeklagte pp5 zu der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt.
Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens.
Anqewandte Vorschriften.
§§ 240 Abs. 1, 25 Abs. 2, 52 StGB

Gründe:

l.

1. PP1

Der heute 22-jährige Angeklagte PP1 ist am pp. in Karlsruhe geboren. Der Angeklagte PP1 ist Student und im Fach Maschinenbau an der Universität Karlsruhe eingeschrieben. Nach seinen Angaben betreibt er sein Studium nicht aktiv, sondern ist lediglich formal eingeschrieben. Seine Zeit widmet er dem Klimaschutz und nimmt regelmäßig an Aktionen der „Letzte Generation", insbesondere an Straßenblockaden teil. Der Angeklagte PP1 lebt im elterlichen Haus - für Kost und Logis muss er nichts abgeben. Im Übrigen finanziert er sich über Containern und Spenden der „Letzte Generation", die gelegentlich Fahrtkosten zu Blockadeorten übernehmen. Der Angeklagte hat Schulden in ihm unbekannter Höhe und die eidesstattliche Versicherung abgegeben.

Der Angeklagte PP1 ist ausweislich der Auskunft aus dem Bundeszentral- und Erziehungsregister bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Er hat angegeben, bereits wegen vergleichbarer Straßenblockaden verurteilt worden zu sein und sich auch einer Hauptverhandlung habe stellen müssen. Allerdings sei noch keine Entscheidung rechtskräftig. Der Auszug aus der ZStV enthält 41 Eintragungen, die alle — soweit ersichtlich — den Vorwurf einer Nötigung bzw. Sachbeschädigung betreffen.

2. PP2

Der heute 36-jährige Angeklagte PP2 ist am pp. in Hatzfeld geboren. Er ist von Beruf Altenpfleger und nach Kündigung seiner Arbeitsstelle seit September 2022 arbeitslos. Er erhält Arbeitslosengeld in Höhe von 1.250 EUR. Die Miete für die Wohnung, in der Angeklagte PP2 lebt, beträgt 450 EUR warm. Unterhaltsverpflichtungen und Schulden bestehen keine.

Der Angeklagte ist ausweislich des Auszugs aus dem Bundeszentral- und Erziehungsregister nicht vorbestraft. Er räumte ein, ebenfalls bereits mehrfach an Straßenblockaden der „Letzte Generation" beteiligt gewesen zu sein. Der Auszug aus der ZStV enthält zwei Eintragungen, die jeweils den Vonwurf einer Nötigung betreffen.

3. PP3

Die heute 56-jährige geschiedene Angeklagte PP3 ist am pp. in Stuttgart geboren.

Die Angeklagte PP3 ist von Beruf Palliativkrankenpflegerin und seit Dezember 2022 krankgeschrieben. Sie erhält ein Krankentagegeld von 30 EUR. Der „Letzte Generation" habe sie sich im Januar 2023 angeschlossen.

Die Angeklagte PP3 ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

4. pp4,

Der Angeklagte pp4 ist am pp. in Stuttgart geboren. Der Angeklagte hat den Beruf des Mechanikers erlernt und ist derzeit als Schwerbehindertenvertreter in einer Firma, die Gebäudeteile herstellt, beschäftigt. Sein monatliches Einkommen konnte der Angeklagte nicht benennen. Es sei ihm aber möglich, seinen monatlichen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Miete für die Wohnung, in der der Angeklagte pp4 lebt, beträgt 400 EUR. Der Angeklagte hat zwei Söhne im Alter von 18 und 21 Jahren. Er unterstützt seinen jüngeren Sohn mit 600 EUR, der in einem Heim lebt. Schulden hat der Angeklagte in ihm unbekannter Höhe, wobei er monatlich hierauf einem Betrag unbekannter Höhe bezahlt.

Der Angeklagte pp4 ist strafrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten.

5. pp5,

Die heute 67-jährige Angeklagte pp5 ist am pp. in Oberhinkofen geboren. Sie ist Rentnerin und hat zuvor bei der Aufbaugilde Heilbronn als Anweiserin gearbeitet. Die Angeklagte erhält eine Rente von 1.200 EUR. Sie lebt in einer abbezahlten Eigentumswohnung und hat keine Schulden.

Die Angeklagte pp5 ist ebenfalls nicht vorbestraft.

Il.

Die Angeklagten nahmen am 06.02.2023 an einer bundesweiten Protestaktion in Form einer Straßenblockade der „Letzte Generation" teil. Ziel der Angeklagten, die sich allesamt aus politischer Überzeugung der „Letzte Generation." angeschlossen hatten, war es, den Verkehr öffentlichkeitswirksam zu blockieren, Aufmerksamkeit für die Belange des Klimaschutzes zu erregen und Druck auf die Bundesregierung auszuüben, insbesondere zur Einrichtung eines sog, „Gesellschaftsrats". Die Protestaktion war für mehrere Städte - darunter Heilbronn - im Vorfeld medial ohne Mitteilung der genauen Orte der Straßenblockade angekündigt worden.

In Ausübung ihres zuvor gemeinsam gefassten Tatplans begaben sich die Angeklagten PP2, PP1, pp4, pp5 und PP3 am 06.02.2023 gegen 8 Uhr in Heilbronn auf die stadteinwärts führende mehrspurige Neckarsulmer Straße (B27) und setzten sich dem gemeinsamen Tatplan entsprechend mit jeweils rund einem bis eineinhalb Meter Abstand zueinander in einer Reihe auf die drei Richtungsfahrbahnen, wobei - jeweils in Fahrtrichtung gesehen - der Angeklagte PP1 links außen und der Angeklagte PP2 rechts außen Platz nahm, während die Angeklagten pp5, PP3 und pp4 sich zwischen sie setzten. Dem Tatplan entsprechend befestigte sodann der Angeklagte PP1 seine rechte Hand mittels Kleber auf dem Asphalt, während der Angeklagte PP2 dem Tatplan entsprechend seine linke Hand mittels Kleber auf dem Asphalt befestigte, so dass die Angeklagten PP1 und PP2 beim Heranfahren von Kraftfahrzeugen nicht ausweichen konnten, und um hierdurch zugleich die Einsatzkräfte für eine nicht unerhebliche Zeit daran zu hindern, die Fahrbahn zu räumen, und die auf der Neckarsulmer Straße stadteinwärts am Verkehr teilnehmenden Kraftfahrzeugfahrer während der Dauer der Blockadeaktion von der Weiterfahrt abzuhalten. Bewusst klebten sich nur die äußeren Teilnehmer PP1 und PP2 fest, um im Notfall eine Rettungsgasse freimachen zu können. Die
Angeklagten PP1, pp5 und PP3 hielten dabei ein Banner mit der Aufschrift „Letzte Generation vor den Kipppunkten", die Angeklagten pp4 und PP2 mit der Aufschrift „Art. 20a GG = Leben schützen" vor sich.

Wie von den Angeklagten beabsichtigt, hielten die in der ersten Reihe stehenden Fahrzeuge, unter anderem die Zeugin E. mit ihrem Pkw Ford Kuga, amtliches Kennzeichen pp., an, wodurch, wie von den Angeklagten beabsichtigt, die dahinter befindlichen Kraftfahrzeuge aufgrund der die Fahrbahn blockierenden Fahrzeuge ihrerseits am Weiterfahren gehindert waren, so dass es zu einem Rückstau kam, wobei, wie von allen Angeklagten aufgrund ihrer Aktion beabsichtigt, insbesondere der in zweiter Reihe mit seinem Pkw Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen pp, befindliche Geschädigte Arzt Dr. pp. sowie die in dritter Reihe mit ihrem Fahrzeug stehende Geschädigte K aufgrund der vor ihnen stehenden Fahrzeuge nicht mehr weiterfahren konnten.

Bereits beim Eintreffen der verständigten Polizei um 08:13 Uhr staute sich der Verkehr rund 300 Meter bis zur nächsten Kreuzung der Käferflugstraße zurück. Durch sofortige Umleitungsmaßnahmen konnte der stadteinwärts fahrende Verkehr ab dieser Kreuzung umgeleitet werden, wobei sich bis zur Ableitung ein Rückstau von mindestens einem Kilometer Länge mit mindestens 100 betroffenen PkWs gebildet hatte. Allen im Abschnitt Blockadeort Käferflugstraße wartenden Fahrzeugen wurde bis 8.22 Uhr das Wenden ermöglicht. Erst nach rund zwei Stunden konnte gegen 10 Uhr der Verkehr auf der Neckarsulmer Straße stadteinwärts wieder freigegeben werden, nachdem es den Einsatzkräften gelungen war, den Kleber mittels Lösungsmitteln zu entfernen und die Angeklagten PP1 und PP2 von der Fahrbahn wegzutragen. Die Angeklagten PP3, pp4 und pp5 waren schon davor von der Fahrbahn getragen worden, nachdem sie der mehrfachen mündlichen Aufforderung, die Fahrbahn freizumachen, nicht nachgekommen waren.

Der Geschädigte Dr. pp. erreichte seine Praxis erst mit einer Stunde Verspätung, was zur Folge hatte, dass Termine abgesagt werden mussten und auch ein Notfall nicht behandelt werden konnte.

Den Angeklagten kam es darauf an, den Verkehrsfluss in die Stadt zu unterbrechen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Es war ihnen dabei bewusst, dass das dahinterliegende Fernziel, eine Änderung der Klimapolitik in Deutschland zu bewirken, bei der rechtlichen Bewertung ihres Verhaltens keine Rolle spielt und ihr Vorgehen daher nicht gerechtfertigt ist.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten beruhen auf deren glaubhaften Angaben und auf der Verlesung der Bundeszentralregisterauszüge.

Die Feststellungen zur Sache ergeben sich aus den Einlassungen der Angeklagten sowie aus der durchgeführten Beweisaufnahme durch Vernehmung des polizeilichen Sachbearbeiters KHK pp. und den Angaben der Zeugen EPHK pp., POK pp., PHK pp., die als Polizeibeamten am Einsatzort eingesetzt waren. Dabei schilderte PHK Zeuge pp. die Antreffsituation vor Ort und die erfolgten Umleitungsmaßnahmen. Die Zeugen EPHK pp. und POK pp. schilderten, dass sich die Angeklagten jeweils ohne Gegenwehr von der Fahrbahn tragen ließen.

Hinsichtlich der Örtlichkeit der Blockade, der „Sitzreihenfolge der Angeklagten" und den mitgeführten Bannern wurden mit den Zeugen KHK pp. und EPHK pp. die Lichtbilder BI. 53 ff. d.A. in Augenschein genommen, auf die gemäß § 267 Abs. 1 §. 3 StPO verwiesen und ausdrücklich Bezug genommen wird, sowie auszugsweise verlesen. Ergänzend wurde das Video BI. 68 d.A. in Augenschein genommen, auf dem die Situation an der Tatörtlichkeit zu sehen ist und der Angeklagte PP1 Stellung nimmt. Auch diesbezüglich wird auf § 267 Abs. 1 §.3 StGB Bezug genommen sowie verwiesen.

Die Feststellungen zu den individuellen Auswirkungen des Staus ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der blockierten Autofahrer Dr. pp. und K.

Dabei hatte das Gericht keine Anhaltspunkte, den vernommenen Zeugen keinen Glauben zu schenken. Sie schilderten das Geschehen neutral und ohne jegliche Belastungstendenz. Insgesamt hielt das Gericht die Angaben der vernommenen Zeugen für glaubhaft und die Zeugen insgesamt glaubwürdig.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite beruhen auf den jeweiligen Angaben der Angeklagten

Sie haben im Kern übereinstimmend angegeben, die seitens der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen für nicht ausreichend zu erachten, sodass sie keine Alternative zu ihrem Handeln sähen außer Protest, der den Alltag störe. Daraus wird ersichtlich, dass es den Angeklagten gerade darauf ankam, Verkehrsteilnehmer am Fortkommen zu hindern und sie um das Verbotensein ihres Tuns wussten.

Die Angeklagten haben sich wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB in zwei tateinheitlichen Fällen strafbar gemacht, indem sie als Teilnehmer der Straßenblockade bewirkten, dass die an der Ampel ab der zweiten Reihe wartenden Fahrzeuge, insbesondere die Zeugen K und Dr. pp., ihre Weiterfahrt nicht fortsetzen konnten.

1. Das Verhalten der Angeklagten stellt Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB dar. Gewalt erfordert den Einsatz physischer Kraft mit der Folge einer psychischen Zwangswirkung. Keine Gewalt ist die „bloße Anwesenheit" von Demonstranten auf der Fahrbahn, soweit sie sich nur als psychische Hemmung auf die anhaltenden Fahrer auswirkt, die Demonstranten nicht zu überfahren. Ab der „zweiten Reihe" der anhaltenden Fahrer wirkt aber nicht nur die psychische Hemmung, sondern auch die in erster Reihe bzw. davorstehenden Fahrzeuge als physische Sperre. Die vorderen Fahrzeuge wirken mithin als Werkzeug einer von den Demonstranten mittelbar ausgeübten Gewalthandlung gegen die zweite und alle weiteren Fahrzeugreihen. Diese physische Sperrwirkung ist den Angeklagten zurechenbar ("sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung").

2.a) Die Tat der Angeklagten ist venwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB

§ 240 StGB ist ein sogenannter offener Tatbestand. Die Rechtswidrigkeit der Tat ist mit der Verwirklichung der Tatbestandsmerkmale nicht indiziert, sondern muss nach § 240 Abs. 2 StGB positiv festgestellt werden. Sie ist gegeben, wenn entweder das Mittel oder das Ziel oder die Ziel-Mittel-Relation als „verwerflich" anzusehen ist. Verwerflich ist ein Verhalten, das einen erhöhten Grad an sittlicher Missbilligung erreicht, sodass es als strafunwürdiges Unrecht zu bewerten ist.

Bei der Beurteilung stehen keine ethischen Maßstäbe im Vordergrund. Mit der Verwerflichkeitsklausel sollen sozialadäquate Verhaltensweisen aus dem Anwendungsbereich der Strafvorschrift ausgeschlossen werden, sodass ausschlaggebend ist, ob ein Verhalten sozial erträglich bzw. sozialwidrig erscheint.

Erforderlich ist die Erfassung aller wesentlichen Umstände und Beziehungen. Sodann muss eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation erfolgen. Insbesondere sind Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Bei der Abwägung sind neben den Grundrechten der blockierten Fahrer - Art. 2 Abs. 1 GG - Fortbewegungsfreiheit und ggf. Berufsfreiheit Art. 12 GG - die Grundrechte Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG sowie der Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 GG der Angeklagten zu berücksichtigen und im Lichte der gegenläufigen Grundrechte und der Grundrechtsordnung zu prüfen. Es muss mithin der Versammlungsfreiheit Rechnung getragen werden, sofern der Schutzbereich eröffnet ist. Anerkannt ist, dass mit Ausübung des Versammlungsrechts unvermeidbar erfolgende nötigende Wirkungen in Gestalt der Behinderung Dritter als sozialadäquate Nebenfolgen durch Art. 8 GG gerechtfertigt sind (BVerfG, Beschluss vom 24.01.2001 - 1 BvR 1190/90, NJW 2002, 1031, (1033)). Werden dagegen Behinderungen Dritter gerade gezielt herbeigeführt, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, erfährt die Versammlungsfreiheit eine Grenze (BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83, NJW 1987, 43 (47)). Aber auch in diesem Fall ist die Verwerflichkeit nicht pauschal zu bejahen, sondern es kann eine praktische Konkordanz innerhalb der Verwerflichkeitsprüfung hergestellt werden. Dabei ist es dem Gericht verwehrt, das kommunikative Anliegen inhaltlich zu bewerten und sein Gewicht in die Abwägung miteinzustellen (BVerfG, Beschl. Vom 24.10.2001 - 1 BvR 1190/90, a.a.pp4.)

Als maßgebliche Tatumstände sollen nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Vermeidung einer Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip regelmäßig z. B. zu berücksichtigen sein: die Dauer und Intensität der Aktion, zum Blockadetermin zu erwartende Dienstbetrieb, Dringlichkeit des blockierten Transports, die vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, der Sachbezug der betroffenen Personen zum Protestgegenstand (BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83, a.a.pp4.).

In Anwendung dieser Grundsätze mag der erzwungene komplette Stillstand von 20 Minuten noch mit alltäglichen Verkehrsverzögerungen vergleichbar sein (OLG Stuttgart Urteil vom 17.02.1992 - 3 Ss 147/91 , NJW 1992, 2714 (2715)). Jedoch gab der Zeuge Dr. pp. an, dass es an der betroffenen Kreuzung nahezu nie zu Verkehrsverzögerungen komme. Die Intensität der Beeinträchtigung wird jedoch weiter dadurch verstärkt, dass für die Blockade eine stadteinwärts führende Hauptverkehrsader zur Hauptverkehrszeit an einem Montagmorgen gewählt wurde, sodass im Ergebnis mehrere 100 Autos betroffen waren. Die Aktion war medial angekündigt worden, nicht aber der konkrete Blockadeort, sodass die betroffenen Fahrzeugführer keine Möglichkeit hatten, eine Ausweichroute zu wählen. Auch hatte die Blockade im Falle des Zeugen Dr. pp. zur Folge, dass er eine Stunde zu spät in seiner Arztpraxis eintraf und mehrere Patienten darunter ein Notfall abgewiesen werden mussten, sodass bei der vorliegenden Aktion eine den Angeklagten zurechenbare Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit eingetreten ist. Auch war zu sehen, dass die Angeklagten PP1 und PP2 erst um 9:44 Uhr vom Boden gelöst werden konnten, sodass die Fahrtstrecke erst gegen 10:00 Uhr wieder komplett freigegeben werden konnte. Dabei macht es keinen Unterschied, dass lediglich zwei der Angeklagten am Boden festgeklebt waren, denn die Ausgestaltung der Blockade ist aufgrund eines gemeinsam zuvor gefassten Tatentschlusses allen Angeklagten zuzurechnen.

Den Angeklagten ist hinsichtlich des in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dargelegten Sachbezugs zuzugestehen, dass die betroffenen Verkehrsteilnehmer am Straßenverkehr teilnehmen und ggf. Verbrennungsmotoren nutzen, somit Treibhausgase erzeugen. Dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass von der Blockadeaktion sämtliche Verkehrsteilnehmer betroffen sind unabhängig vom C02-Ausstoß des von ihnen benutzten Fahrzeugs. Auch ist zu sehen, dass der Sachbezug beim Thema Klimawandel denkbar weit ist und nahezu immer ein solcher Bezug hergestellt werden kann, da die Auswirkungen bereits an unterschiedlichsten Orten Eingang gefunden haben und bereits jetzt Teil der Lebenswirklichkeit der Menschheit ist. Vor diesem Hintergrund kann der im weitesten Sinne festgestellte Sachbezug nicht dazu führen, die Verwerflichkeit zu verneinen, wenn - wie hier - sich die Angeklagten PP1 und PP2, was ihren Mittäterinnen und ihrem Mittäter zurechenbar ist, unter Berufung auf eine moralische Überlegenheit an der Fahrbahn festkleben und dabei das Ziel verfolgen, unter Instrumentalisierung zufällig betroffener Dritter möglichst lange eine Blockade zur Erregung größtmöglicher Aufmerksamkeit zu erreichen. Dass dies vorrangiges Ziel der Angeklagten ist, zeigt der Umstand, dass sich die vorliegende Straßenblockade in eine am Tattag bundesweit an verschiedenen Orten durchgeführte Blockadeaktion einreiht.

b) Die Angeklagten sind auch nicht nach § 34 StGB gerechtfertigt

Nach § 34 StGB sind Rechtsgutverletzungen gerechtfertigt, wenn sie der Abwehr einer nicht anders abwendbaren Gefahr dienen und bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Mag man den Klimawandel als eine gegenwärtige Gefahr einstufen, so ist die Straßenblockade dennoch weder ein erforderliches noch angemessenes Mittel zur Gefahrenabwehr im Sinne des § 34 StGB. Für die Abwehr solcher der Allgemeinheit drohender Gefahren ist der Vorrang staatlicher Abhilfemaßnahmen zu beachten, da sicherzustellen ist, dass sich Private nicht in beliebigem Umfang unter Anmaßung staatlicher Befugnisse als Sachwalter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerieren.

c) Die Angeklagten können sich auch nicht als Rechtfertigung für ihr Handeln auf sog. Zivilen Ungehorsam berufen. Das BVerfG versteht unter zivilem Ungehorsam, im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem, ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen (BVerfG, NJW 1987, 43 (48)). Der Anlass zu solchen Aktionen kann nur eine Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere die Abwendung schwerer Gefahren für das Gemeinwesen, sein. Laut BVerfG legitimiert ziviler Ungehorsam gezielte und bezweckte Verkehrsbeeinträchtigungen durch Sitzblockaden jedenfalls dann nicht, wenn Aktionen durch Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritte eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden (BVerfG a.a.pp4.). Ein derartiger ungeschriebener Rechtfertigungsgrund ist abzulehnen, da seine Anerkennung auf Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinausliefe. Hiermit wäre eine Selbstaufgabe von Demokratie und Rechtsfrieden durch die Rechtsordnung selbst verbunden und dies wäre mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung schlechthin unverträglich

3. Die Angeklagten handelten auch schuldhaft und können sich auch nicht auf einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB berufen. Vielmehr nahmen die Angeklagten die Rechtswidrigkeit ihres Handelns bewusst in Kauf. Mögen die Angeklagten ihr Verhalten für straflos halten, geht aus jeweiligen Einlassungen dennoch hervor, dass sie Rechtsbrüche und damit strafrechtliche Sanktionierung bewusst in Kauf nehmen.

Der Strafrahmen ist § 240 Abs. 1 StGB zu entnehmen, der Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis 3 Jahre vorsieht.

Im Rahmen der konkreten Strafzumessung ist zugunsten aller Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie bislang alle nicht vorbestraft sind und Motiv der Tat ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema darstellt. Auch war zu berücksichtigen, dass die Angeklagten eine Konfrontation mit der Staatsgewalt und Gewalttätigkeiten oder weitere Eskalationen vermeiden wollten und zugleich mittels ihrer Banner dafür sorgten, den Sinn ihrer Aktion zu verdeutlichen. Weiter ist den Angeklagten zu Gute halten, dass sich bewusst nur die äußersten Sitzblockadeteilnehmer am Asphalt festklebten, um im Notfall eine Rettungsgasse freimachen zu können, wobei diesbezüglich anzumerken ist, dass infolge des geringen Abstands von an der Ampel haltenden Fahrzeugen ein Rangieren und damit das Freimachen einer Rettungsgasse nicht möglich sein dürfte.

Strafschärfend fiel ins Gewicht, dass eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern von der

Straßenblockade betroffen waren und infolge der Blockade der Zeuge Dr. pp. mit einer Verspätung von einer Stunde an seiner Arztpraxis ankam, sodass zahlreiche Patienten, darunter auch ein Notfall, nicht behandelt werden konnten.

1. PP1 und PP2

Zulasten der Angeklagten PP1 und PP2 ist weiterhin zu berücksichtigen, dass sie bereits an Straßenblockaden - laut der seitens der Staatsanwaltschaft übergebenen und als Anlage zu Protokoll genommenen ZStV für den Angeklagten PP1 41 an der Zahl, für den Angeklagten PP2 zwei an der Zahl teilgenommen haben, die jeweils gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren sie nicht beeindruckt haben, sondern sie vielmehr weiterhin an Straßenblockaden bundesweit teilnehmen und teilzunehmen beabsichtigen, was zeigt, dass keinerlei Unrechtseinsicht bei ihnen vorhanden ist und eine rasante Rückfallgeschwindigkeit vorliegt. Auch konnten den Angeklagten PP1 ergangene, jedoch noch nicht rechtskräftige Strafbefehle sowie eine bereits gegen ihn durchgeführte Hauptverhandlung nicht beeindrucken.

Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass der Angeklagte PP1 angibt, kein Urteil könne ihn davon abhalten, weiterhin gleichgelagerte Straftaten zu begehen und Geldstrafen träfen ihn nicht, da er die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe und eine Geldstrafe auf dem Stapel unbezahlter Rechnungen lande, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten PP1 vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

Nach Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen hielt das Gericht daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten gegen den Angeklagten PP1 für tat- und schuldangemessen.

Nachdem der Angeklagte PP2 ebenfalls glaubhaft angegeben hat, von strafrechtlichen Sanktionen nicht davon abgehalten zu werden, gleichgelagerte Straftaten zu begehen, liegen besondere Umstände in der Persönlichkeit des Angeklagten PP2 vor, die zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB auch unter Berücksichtigung des Übermaßverbotes unerlässlich machen.

Nach nochmaliger Abwägung der vorgenannten Strafzumessungserwägungen hielt das Gericht daher die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten gegen den Angeklagten PP2 für tat- und schuldangemessen.

Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen konnte für die Angeklagten PP1 und PP2 nicht gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Dass die Angeklagten auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine weiteren Straftaten mehr begehen werden, kann nicht erwartet werden. Nicht übersehen wurde dabei, dass die Angeklagten erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden, der Angeklagte PP2 darüber hinaus das erste Mal vor Gericht stand. Trotzdem erscheint selbst bei Ausschöpfung aller, nicht im Strafvollzug bestehenden Sanktionen die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer als diejenige neuer Straftaten. Denn nicht zu übersehen ist, dass beide Angeklagten glaubhaft und nachdrücklich bekundet haben, von neuen gleichgelagerten Straftaten durch kein Urteil der Welt abzuhalten zu sein. Durch die bislang eingeleiteten Ermittlungsverfahren waren die beiden Angeklagten nicht zu beeindrucken. Auch die bereits gegen den Angeklagten PP1 durchgeführte Hauptverhandlung hat ihn von weiteren zumindest tatbestandsmäßigen Handlungen nicht abgehalten. Dies zeigt, dass bei beiden Angeklagten mit weiteren gleichgelagerten Straftaten jederzeit zu rechnen ist, sodass eine Einwirkung auf sie mittels des Strafvollzugs als einzig zur Verfügung stehendes Mittel anzusehen ist.

2. PP3, pp4 und pp5

Nachdem die Angeklagten PP3, pp4 und pp5 sich erstmals einem Strafverfahren stellen müssen, hielt das Gericht unter Abwägung der vorgenannten

Strafzumessungserwägungen folgende Geldstrafen für tat- und schuldangemessen:
- für die Angeklagte PP3: Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 EUR,
- für den Angeklagten pp4: Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60 EUR,
- für die Angeklagte pp5: Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR.

Die Höhe der einzelnen Tagessätze wurde daher gemäß § 40 Abs. 2 StGB in jeweiliger Höhe festgesetzt, wobei hinsichtlich des Angeklagten pp4 sein Einkommen auf der Basis seiner Angaben nach § 40 Abs. 3 StGB geschätzt wurde. Diesbezüglich wird auf die unter l. getroffenen
Feststellungen verwiesen.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465, 465 StPO.


Einsender: RA Dr. J. Rienhoff, Marburg

Anmerkung:


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