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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Münster, Beschl. v. 19.01.2023 - 11 Qs 48/22

Eigener Leitsatz:

Die rückwirkende Bestellung eines Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger ist nicht zulässig.


Landgericht Münster

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

hat die 11. Strafkammer des Landgerichts Münster auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster gegen den Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 24.10.2022 - Az: 23 Gs 5760/22 - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am 19.01.2023 beschlossen:

Der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 24.10.2022 - Az. 23 Gs 5760/22 - wird aufgehoben.
Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdegegners werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:

Die statthafte und zulässige Beschwerde ist in der Sache erfolgreich und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Der Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 24.10.2022, mittels dessen dem Beschuldigten Rechtsanwalt pp. aus Münster als notwendiger Verteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO beigeordnet wurde, war aufzuheben, da das Ermittlungsverfahren bereits zuvor durch Bescheid der Staatsanwaltschaft Münster vom 17.10.2022 gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde mit der Folge, dass die nachträglich erfolgte Beiordnung unzulässig war.

Die Kammer hält weiterhin an ihrer Auffassung fest, dass eine nachträgliche und dazu mit Rückwirkung versehene Pflichtverteidigerbestellung unzulässig ist (vgl. z.B. BGH, NStZ-RR 2009, 348; BGH, NStZ 1997, 299). Entgegen der Auffassung des Verteidigers besteht nach Auffassung der Kammer nach dem Abschluss des Verfahrens kein Bedürfnis mehr für die Führung der Verteidigung. Dies gilt regelmäßig selbst dann, wenn der Wahlverteidiger rechtzeitig und begründet vor Abschluss des Verfahrens seine Bestellung als notwendiger Verteidiger beantragt hatte (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 28.1.2011 – Az. III-2 Ws 74/11 –, juris; OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 29.8.2017 – Az. 3 Ws 622/17 – m.w.N.). Denn bei den Vorschriften der §§ 140 ff. StPO steht nur die Sicherung der ordnungsgemäßen Verteidigung im Vordergrund. Die Bestellung eines notwendigen Verteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Beschuldigten und seines Verteidigers, sondern verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Beschuldigter in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet ist (LG Darmstadt, Beschl. v. 11.1.2022 – Az. 3 Qs 15/22 –, juris). Demgegenüber würde die nachträgliche Bestellung einzig dem verfahrensfremden Zweck dienen, dem Verteidiger für einen schon abgeschlossenen Verfahrensabschnitt einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen (OLG Hamm, Beschl. v. 10.7.2008 – Az. 4 Ws 181/08 –). Sinn und Zweck der Bestellung eines notwendigen Verteidigers ist es auch nicht - wie vom Verteidiger vorgetragen - den Beschuldigten zu belehren und ihn vor etwaigen neuen Strafverfahren zu schützen.

Auch das von dem Verteidiger vorgebrachte Argument der Möglichkeit der Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens vermag die Auffassung der Kammer nicht zu erschüttern. Wie der Verteidiger selbst vorträgt, ist die Staatsanwaltschaft in einem solchen Fall gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 StPO dazu verpflichtet unverzüglich eine Entscheidung über eine Pflichtverteidigerbeiordnung herbeizuführen. Der Einwand des Verteidigers, dass die Beendigung des Verfahrens nach Tätigkeit eines Wahlverteidigers nicht bedeute, dass das Verfahren rechtsstaatlich abgelaufen sei, überzeugt nicht. Die Kammer hat hier keine Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Sollte der Verteidiger aber der Auffassung sein, die Durchsuchung am 22.09.2022 sei rechtswidrig gewesen, so hätte er dagegen entsprechende Rechtsmittel einlegen können.

Soweit von einigen Gerichten die Auffassung vertreten wird, dass eine rückwirkende Bestellung mit Blick auf den mit dem Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 verfolgten Zweck möglich sein soll, um einen mittellosen Beschuldigten von den Kosten der Verteidigung freizustellen (vgl. OLG Bamberg, NStZ-RR 2021, 315), so schließt sich die Kammer dem nicht an. Nach Art. 4 der PKH-Richtlinie EU 2016/1919 vom 26.10.2016, deren Umsetzung das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung dient, besteht der „Anspruch auf Prozesskostenhilfe“ schließlich nur dann, „wenn es im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist“, mithin für das weitere Verfahren von Bedeutung ist (so auch OLG Hamburg, BeckRS 2020, 27077; OLG Braunschweig, BeckRS 2021, 3268). Die Richtlinie sieht – so das OLG Hamburg zutreffend – nicht vor, den Beschuldigten nachträglich von den Kosten der Verteidigung frei zu halten oder nach Abschluss des Verfahrens noch eine Beiordnung eines Verteidigers vorzunehmen.

Der Gesetzgeber führt insoweit in der Begründung zum Entwurf aus, dass die Mitgliedsstaaten nach der PKH-Richtlinie (dort Art. 4 Abs. 2) eine Bedürftigkeitsprüfung, eine Prüfung anhand materieller Kriterien oder beides vornehmen (BT-Drucksache 19/13829, S. 22) könnten. Das deutsche System knüpft allein an die Prüfung des Rechtspflegeinteresses an – in der PKH-Richtlinie als „Prüfung der materiellen Kriterien“ bezeichnet. Die PKH-Richtlinie ermöglicht nach oben Gesagtem eine Beibehaltung dieses Systems (vgl. BT-Drucksache, a.a.O.). Es wird also deutlich, dass der Gesetzgeber keine Abkehr vom – auch nach der Richtlinie ausdrücklich weiter möglichen – bisherigen System wollte und auch tatsächlich nicht vorgenommen hat.

Im Übrigen ist vorliegend zu berücksichtigen, dass eine justizseitige verfahrensfehlerhafte Behandlung des Beiordnungsantrages durch die Staatsanwaltschaft gerade nicht feststellbar ist. Weshalb letztlich offen bleiben kann, ob von dem Ausschluss einer nachträglichen Bestellung zum Pflichtverteidiger dann eine Ausnahme zu machen ist, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen rechtsfehlerhaft nicht rechtzeitig entschieden wurde (vgl. exemplarisch LG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2022 - 25 Qs 8/22 - StRR 2022, Nr 6, 24 m. Anm. Burhoff, dort mit Verweis auf LG Köln, Urt. v. 06.04.2021 - 323 Qs 19/21 - NStZ 2021, 639; vgl. auch Hillenbrand, in Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn. 3669 ff. m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 S. 1 Var. 3 StPO.


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