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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Weiden i.d. OPf., Beschl. v. 31.03.2023 - 2 Qs 3/23

Eigener Leitsatz:

Zur (bejahten) Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers.


Landgericht Weiden i.d. OPf.

2 Qs 3/23

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hier: sofortige Beschwerde des Wahlverteidigers pp.

erlässt das Landgericht Weiden i.d. OPf. - 2. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 31.03.2023 folgenden

Beschluss

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Weiden i.d. OPf. vom 11.01.2023 wird dieser aufgehoben.
2. Dem Angeklagten wird rückwirkend zum 05.12.2022 gemäß § 140 Abs. 2 StPO i. V. m. § 142 StPO Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Der Angeklagte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde vom 13.01.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Weiden i.d.OPf. vom 11.01.2023, durch den die Beiordnung des bisherigen Wahlverteidigers Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt wurde. Zur Begründung des ablehnenden Beschlusses führte das Amtsgericht an, dass eine rückwirkende Bestellung unzulässig sei.

Zuvor hatte der Verteidiger des Angeklagten mit Schreiben vom 04.12.2022 die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt und zugleich eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO im Hinblick auf eine anderweitige Verurteilung des Angeklagten angeregt. Mit Urteil vom 29.112022 hatte das Amtsgericht Weiden i.d. OPf. den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs mit fahrlässiger Körperverletzung und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. In der Folge hat das Amtsgericht Weiden i.d.OPf. mit Beschluss vom 21.122022 das gegenständliche Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit Schreiben des Verteidigers vom 28.12.2022 wurde der Antrag wiederholt und eine rückwirkende Beiordnung als Pflichtverteidiger erstrebt.

Die Staatsanwaltschaft hatte im gegenständlichen Verfahren mit Verfügung vom 24.112022 Anklage erhoben. Mit Verfügung vom 09.12.2022 wurde einer Beiordnung von Rechtsanwalt Lößel als Pflichtverteidiger nicht entgegentreten, zugleich jedoch eine Einstellung des Verfahrens nach § 154 StPO abgelehnt. Der Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO wurde erst nach Übersendung des Urteils im Bezugsverfahren am 16.12.2022 zugestimmt.

Das Amtsgericht Weiden i.d. OPf. hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

1. Die gemäß §§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig.

a) Die sofortige Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt.

b) Der sofortigen Beschwerde fehlt es auch nicht an der notwendigen Beschwer. Diese ist nicht dadurch entfallen, dass das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Zwar richtet sich das Rechtsmittel grundsätzlich gegen eine gegenwärtige, fortdauernden Beschwer und dient damit der Aufhebung einer den Beschwerdeführer beeinträchtigenden Maßnahme. Ausnahmen sind allerdings für bestimmte Fallgestaltungen Ausnahmen hiervon zu machen, wenn Wiederholungsgefahr oder ein Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit besteht. Eine Beschwer bleibt daher bestehen, wenn sich die Belastung durch die Maßnahme nach dem typischen Verfahrensablauf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren kaum erlangen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt 63. Aufl. vor § 296 Rn. 17 ff. m.w.N.). Dies lässt sich auch auf die vorliegende Fallgestaltung, bei der die Bestellung eines Pflichtverteidigers unterblieben ist, übertragen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 29.04.2021 - 1 Ws 260/21).

2. Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

a) Die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO steht im vorliegenden Verfahren einer rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht entgegen.

aa) Eine rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers wurde bislang von der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung abgelehnt (vgl. zum Streitstand m.w.N. BeckOK StPO/Krawczyk StPO § 142 Rn. 30). Begründet wurde dies damit, dass die Beiordnung im Strafprozess nicht im Kosteninteresse des Angeklagten erfolgt, sondern allein dem Zweck dient, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden Verfahren zu gewährleisten (BGH, Beschluss vom 20. 7. 2009 - 1 StR 344/08).

bb) Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung werden von Teilen der Rechtsprechung von diesem allgemeinen Rückwirkungsverbot Ausnahmen gemacht. Eine rückwirkende Beiordnung soll insbesondere dann möglich sein, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt, in der Folge hierüber aber nicht (rechtzeitig) entschieden wurde. Mit der Reform der §§ 141, 142 StPO durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 aufgrund der dieser Gesetzesänderung zugrunde liegenden Richtlinie 2016/1919/EU sei die Annahme eines Rückwirkungsverbotes nicht mehr tragfähig. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2016/1919/EU ("PKH-Richtlinie") würde über den rechtzeitigen und praktisch wirksamen Zugang zur Wahrnehmung der Verteidigerrechte hinaus auch die finanziellen Grundlagen und zwar in der Weise regeln, dass nicht nur die tatsächliche Verteidigung, sondern auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden soll. (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 6. November 2020 — Ws 962/20 juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 29. April 2021 — 1 Ws 260/21 —t juris; LG Regensburg, Beschluss vom 30. Dezember 2020 - 5 Qs 188/20 juris).

cc) Ein Teil der Rechtsprechung hält bislang an dem Rückwirkungsverbot fest (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.03.2021 - 1 Ws 12/21; ). Demnach gäbe es auch nach Umsetzung der RL 2016/1919/EU („PKH-Richtlinie") keinen Anlass für eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers. Begründet wird dies vor allem damit, dass durch den Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie gerade kein Systemwechsel in Richtung einer Bedürftigkeitsprüfung vorgenommen wurde.

dd) Diese Argumentation übersieht zur Überzeugung der Kammer aber, dass bei grundsätzlicher Beibehaltung des bisherigen Systems entscheidende Modifizierungen vorgenommen wurden, um die Vorgaben der Richtlinie umzusetzen. So wurde neben der Erweiterung des Katalogs in § 140 StPO auch eine zeitliche Komponente hinzugefügt (so auch LG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 30.05.2022 - 24 Qs 36/22). Ein wesentliche Element ist nunmehr die unverzügliche Bestellung des Pflichtverteidigers - auch bereits im Ermittlungsverfahren. Zusätzlich wurde durch die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 StPO der Rechtsschutz ergänzt. Dies entspricht auch den Vorgaben der Art. 6 Abs. 1 und 8 der RL 2016/1919/EU sowie Nr. 19 und 26 der zugehörigen Erwägungsgründe.

Die Frage, ob und wann eine rückwirkende Bestellung bei Einstellungen durch die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren bei rechtzeitig gestellten Antrag auf Beiordnung geboten ist, kann vorliegend offen bleiben, da bereits Anklage erhoben war und sich das Verfahren im Zwischenverfahren befand. Zudem konnte eine unmittelbare Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO mangels Zustimmung der Staatsanwaltschaft zunächst nicht erfolgen, so dass von einer Beendigung des Verfahrens durch zeitnahe Einstellung des Verfahrens bis zur entsprechenden Antragstellung durch die Staatsanwaltschaft am 16.12.2022 nicht ausgegangen werden konnte. Vor diesem Hintergrund waren zur Überzeugung der Kammer die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers in der vorliegenden Fallgestaltung gegeben.

Im Übrigen lag auch ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erschien.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: RA T. Lößel, Altdorf

Anmerkung:


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