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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Strafvollstreckungsverfahren, Haft

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Leipzig, Beschl. v. 15.03.2023 - 13 Qs 59/23

Eigener Leitsatz:

1. Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren.
2. Die Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist im Vollstreckungsverfahren nicht anwendbar; insofern richtet sich die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO analog.


BESCHLUSS

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte

hier: Beschwerde des Verurteilten wegen Versagung der Pflichtverteidigerbeiordnung ergeht am 15.03.2023 durch das Landgericht Leipzig - 13. Strafkammer als Beschwerdekammer –

nachfolgende Entscheidung:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Torgau (Az: BwR 2 Ds 955 Js 49665/18) vom 15.02.2023 aufgehoben und dem Verurteilten Rechtsanwalt pp. als notwendiger Verteidiger für das Verfahren über Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung beigeordnet.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe
Mit Urteil des Amtsgerichts Torgau (Az: 2 Ds 955 Js 49665/18) vom 17.09.2019, rechtskräftig seit 28.05.2021, wurde der Beschwerdeführer wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden war.

Die Staatsanwaltschaft beantragte am 04.01.2023, die Bewährung zu widerrufen, da der Ver-urteilte in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen habe und verwies auf die rechtskräftige Entscheidung des Landgerichts Leipzig (Az: 12 Ns 607 Js 4986/21) vom 29.11.2022, mit der die Berufungen des Verurteilten gegen die Urteile des Amtsgerichts Torgau vom 17.09.2021 (2 Ds 607 Js 4986/21) und vom 28.09.2021 (607 Js 7318/21) unter Bildung einer (unbedingten) Gesamtstrafe von einem Jahr und einem Monat sowie der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt als unbegründet verworfen worden waren. Insoweit wurde der Tenor neu gefasst und der Angeklagte wegen der erkannten Taten (Tatzeiten 16.11.2020, 22.12.2020, 19.01.2021, 26.02.2021 und 22.01.2021) des Verwendens von Kenn-zeichen verfassungswidriger Organisationen in 5 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit Beleidigung in Tatmehrheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei tateinheitlichen Fällen, versuchter Körperverletzung und Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen für schuldig befunden.

Das Amtsgericht Torgau gewährte dem Verurteilten zu dem Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft rechtliches Gehör. Daraufhin zeigte sich Rechtsanwalt Michl mit Schriftsatz vom 26.01.2023 als Verteidiger an und beantragte die Beiordnung als Pflichtverteidiger, da der Ver-urteilte unter Betreuung stehe.

Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag entgegen.

Mit angegriffenem Beschluss vom 15.02.2023 (BwR 2 Ds 955 Js 49665/18) lehnte das Amtsgericht Torgau den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung mit der Begründung ab, dass im Vollstreckungsverfahren keine Umstände hervorgetreten seien, die eine Beiordnung nach § 140 Abs. 2 StPO gebieten. Insofern vermöge die Bestellung eines Betreuers nicht den Fall der notwendigen Verteidigung zu begründen, da der Verurteilte die ihm auferlegten Arbeits-stunden selbständig abgeleistet und sich insofern um eine neue Tätigkeitsstelle bemüht habe.

Gegen diesen, dem Verurteilten am 17.02.2023 zugestellten, Beschluss hat dieser mit Vertedigerschriftstatz vom 22.02.2023, eingegangen am 23.02.2023, das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde erhoben. Zu Begründung wurde vorgetragen, dass der Verurteilte nicht zur Selbstverteidigung in der Lage sei, da ihm in allen Verfahren der vergangenen Jahre ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei. Zudem habe die Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zu erfolgen, da der Verurteilte sich ab 16.03.2022 in einer Anstalt zur Vollstreckung der gegen ihn verhängten Maßregel befinden werde.

Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die nach §§ 142 Abs. 7 S. 1, 311 Abs. 2 StPO statthafte und zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg.

Im Vollstreckungsverfahren ist dem Verurteilten in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn die Würdigung aller Umstände das Vor-liegen eines „schwerwiegenden Falles" ergibt und der Beschuldigte die Kosten eines gewählten Verteidigers nicht aufzubringen vermag. Maßgebend ist nicht die Schwere der Tatvorwürfe oder die Schwierigkeit der Sache im Erkenntnisverfahren, sondern die Schwere des Vollstreckungsfalles, die besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Unfähigkeit des Verurteilten, sich selbst zu verteidigen, wobei zu berücksichtigen ist, dass im Vollstreckungsverfahren in weitaus geringerem Maße als im kontradiktorisch ausgestalteten Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis nach Mitwirkung eines Verteidigers auf Seiten des Verurteilten besteht. Eine Bestellung ist grundsätzlich auf Ausnahmefälle von besonderem Gewicht oder besonderer Komplexität beschränkt (vgl. OLG Dresden, NStZ 2023, 189 mwN).

Zunächst ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass keine Zweifel darüber bestehen, dass sich der Verurteilte im Vollstreckungsverfahren nicht selbst verteidigen kann. Zwar kann eine Pflichtverteidigerbestellung dann in Betracht kommen, wenn der Betroffene unter Betreuung steht (vgl. BeckOK StPO/Krawczyk, § 140 StPO, Rn. 45 mwN; Schmitt in MG/Schmitt, 65. Aufl., § 140 StPO, Rn. 30). Allerdings sind Einschränkungen in der Schuldfähigkeit des Verurteilten nicht festgestellt worden. Zu Recht hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass der Verurteilte die ihm auferlegten 200 Stunden gemeinnützige Arbeit erbracht hat. Den Zwischenberichten der Bewährungshilfe lässt sich entnehmen, dass der Verurteilte seine Arbeitsstunden erbracht und dabei auch einen Wechsel der Beschäftigungsstelle er-strebt und erreicht hat. Auch berichtete er der dem Bewährungshelfer über anstehende Verhandlungstermine in laufenden Verfahren.


Der Umstand, dass gegen den Verurteilten die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vollstreckt werden wird, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Pflichtverteidigersbestellung endet gemäß § 143 Abs. 1 StPO mit Rechtskraft des Urteils. Die Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO ist im Vollstreckungsverfahren nicht anwendbar; insofern richtet sich die Notwendigkeit der Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO analog.

Allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Staatsanwaltschaft den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aufgrund solcher Taten beantragt hat, die vor der am 28.05.2021 eingetretenen Rechtskraft der zugrunde liegenden Verurteilung vom 17.09.2019 und damit vor Beginn der Bewährungszeit begangen worden sind.
Bei dieser Sachlage ist die Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers geboten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA A. Michl, Oschatz

Anmerkung:


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