Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 17.10.2022 – (3) 121 Ss 105/22 (42/22) –
Leitsatz des Gerichts:
Zu den Anforderungen an eine Ersatzeinreichung nach § 32d Satz 4 StPO.
(3) 121 Ss 105/22 (42/22)
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz
hat der 3. Senat des Kammergerichts am 17. Oktober 2022 beschlossen:
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2022 wird als unzulässig verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten am 11. August 2021 wegen des Einschleusens von Ausländern zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,00 Euro verurteilt und ihm zugleich gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Raten zu je 100,00 Euro, beginnend am 1. Tag des auf die Zahlungsaufforderung der Staatsanwaltschaft folgenden Monats, zu zahlen.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 12. Mai 2022 verworfen.
Mit Schriftsatz vom 17. Mai 2022, den der Verteidiger per elektronischem Anwaltspostfach an das Landgericht Berlin übermittelt hat und der dort am 18. Mai 2022 eingegangen ist, hat der Verteidiger gegen das Urteil des Landgerichts Revision eingelegt. Nachdem ihm am 31. Mai 2022 die schriftlichen Urteilsgründe zugestellt worden sind, hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 30. Juni 2022, beim Landgericht eingegangen per Fax am 30. Juni 2022 um 21:45 Uhr „wegen beA-Problem“, die Revision begründet und die Verletzung materiellen Rechts gerügt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz verwiesen.
Der Verteidiger hat mit weiterem Schriftsatz vom 12. Juli 2022, übermittelt an das Landgericht Berlin über das besondere elektronische Anwaltspostfach, „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zum 30. Juni 2022“ beantragt und den Schriftsatz mit der Revisionsbegründung vom 30. Juni 2022 mitübersandt. Zur – anwaltlich versicherten – Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führt er u.a. aus, am 30. Juni 2022 habe er keine Versendung per besonderem elektronischen Anwaltspostfach vornehmen können. Morgens sei der PC „heißgefahren“ und habe „Geräusche von sich“ gegeben. Der PC sei dann vom Strom getrennt worden. Vormittags sei ein PC-Notdienst eingeschaltet worden, der das Gerät abgeholt habe. Ein Ersatzteil habe bestellt werden müssen, das angeblich noch am selben Tag hätte kommen sollen, jedoch erst am 1. Juli 2022 eingetroffen sei. Der PC-Notdienst habe lediglich die Kurzdiagnose abgegeben, dass die Festplatte beschädigt sei, so habe er – der Verteidiger – das Gerät am frühen Nachmittag des 1. Juli 2022 wieder abgeholt und einen Bekannten, der Programmierer ist, gebeten, „sich der Sache anzunehmen“. Er habe sich noch am 1. Juli 2022 abends mit diesem getroffen und bei Amazon ein sog. „M2 Gehäuse“ bestellt, um die Festplatte gesondert prüfen zu können. Dieses sei am 2. Juli 2022 angekommen und er habe noch am selben Tag eine „MAC-Ausstattung“ gekauft. Gegen 3:30 Uhr in der Nacht hätten sie dann „die Festplatte auf eine Windows-Ebene innerhalb des Macs installieren und auch die Neuinstallation des [besonderen elektronischen Anwaltspostfachs] abschließen“ können. Das besondere elektronische Anwaltspostfach habe er jedoch nicht verwenden können, da der Windows-Scanner Samsung C1860SW mit dem Mac-Programm nicht kompatibel gewesen sei und ein neuer Scanner „am gleichen Freitag den 08.07.2022“ habe installiert werden müssen. Erst dann sei ihm eine Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach wieder möglich gewesen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit Zuschrift vom 21. Juli 2022 beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2022 durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Ergänzend hat die Generalstaatsanwaltschaft mit Zuschrift vom 25. Juli 2022 ausgeführt, der Wiedereinsetzungsantrag erfülle nicht die Voraussetzungen des § 45 StPO, da sich der Antrag nicht dazu verhalte, wann dem Angeklagten das Versäumnis hinsichtlich der Rechtsmittelbegründung zur Kenntnis gelangt sei, so dass die Frist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht beurteilt werden könne.
II.
1. Die Revision des Angeklagten ist unzulässig. Sie ist nicht fristgemäß unter Einhaltung der erforderlichen Form begründet worden.
a) Gemäß § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO sind die Revisionsanträge und ihre Begründung spätestens einen Monat nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. War das Urteil – wie im vorliegenden Fall – bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels noch nicht zugestellt, beginnt die Frist nach Satz 3 der Norm mit der Zustellung des Urteils. Nach § 345 Abs. 2 StPO kann dies seitens des Angeklagten nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen. Seit dem 1. Januar 2022 gilt zudem das besondere Formerfordernis der §§ 32d Satz 2, 32a StPO: Danach sind Verteidiger und Rechtsanwälte verpflichtet, die Revisionsbegründung als elektronisches Dokument zu übermitteln. Hierbei handelt es sich um zwingend einzuhaltende Form- und Wirksamkeitsvoraussetzungen; ist die Rechtsmittelschrift oder der das Rechtsmittel begründende Schriftsatz nicht auf diesem Weg, sondern anderweitig – beispielsweise per Briefpost oder Fax – innerhalb der gesetzlichen Frist des § 345 Abs. 1 StPO bei Gericht eingegangen, ist das Rechtsmittel bzw. die Rechtsmittelbegründung in der Regel unwirksam (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Mai 2022 – 2 StR 110/22 – und 20. April 2022 – 3 StR 86/22 –, beide bei juris; Senat, Beschlüsse vom 5. Juli 2022 – 3 Ws (B) 178/22 –, 22. Juni 2022 – 3 Ws (B) 123/22 –, 11. Mai 2022 – 3 Ws (B) 88/22 –, juris, und 6. Mai 2022 – 3 Ws (B) 117/22 –; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Februar 2022 – 1 Ss 28/22 –, juris; Graf in Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung 8. Aufl., § 32d Rn. 5; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 32d Rn. 2; BT-Drucks. 18/9416, S. 51).
Gemessen an diesem Maßstab ist die am 30. Juni 2022 per Fax und nicht über das besondere elektronische Anwaltspostfach (nachfolgend beA) übermittelte Revisionsbegründung formunwirksam und die Monatsfrist, die aufgrund der Zustellung des Urteils am 31. Mai 2022 an den Verteidiger am 30. Juni 2022 endete (§ 43 Abs. 1 StPO), nicht gewahrt.
b) Eine Befreiung von dem Formerfordernis, den der Ausnahmefall nach § 32d Satz 2 StPO vorsieht, ist nicht durch die Ersatzeinreichung eingetreten, da weder der knappe Hinweis auf ein Problem mit dem beA bei der Ersatzeinreichung am 30. Juni 2022 noch der weitere anwaltliche Vortrag vom 12. Juli 2022 die Voraussetzungen einer wirksamen Ersatzeinreichung nach § 32d Satz 3 und 4 StPO erfüllen. Danach hat der Verteidiger:
aa) unter Hinweis auf eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur eine vorübergehende technische Störung, die eine elektronische Übermittlung mittels beA unmöglich gemacht hat, vorzutragen,
bb) die Tatsachen glaubhaft zu machen und
cc) diesen glaubhaft gemachten Sachverhalt zeitgleich mit der Ersatzeinreichung vorzubringen.
War der Verteidiger verhindert, die zeitliche Vorgabe zu erfüllen, etwa weil er erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, muss er unverzüglich danach den erforderlichen Vortrag (vgl. aa) und bb)) einschließlich der Umstände seiner Verhinderung, die ebenfalls glaubhaft zu machen sind, dem Gericht mitteilen (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 51). Unverzüglich bedeutet dabei ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB; vgl. Bosbach in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht 5. Aufl., § 32d StPO Rn. 4; Radke a.a.O., § 32d Rn. 18; BT-Drucks. 18/9416, S. 51).
Nicht erforderlich ist – schon ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlauts von § 32d StPO und insbesondere von Satz 2 und Satz 4 a.E. („auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen“) und vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Ausnahmeregelung –, dass dies selbst in der Form nach §§ 32d Satz 2, 32a StPO zu geschehen hat (vgl. zu den Anforderungen an einen entsprechenden Vortrag auch LG Arnsberg NStZ 2022, 639).
Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist die Übermittlung der in § 32d Satz 2 StPO genannten Prozesshandlungen in Papierform oder durch Telefax ausnahmsweise zulässig und form- und fristwahrend (vgl. BGH, Beschluss vom 30. August 2022 – 4 StR 104/22 –, juris).
Diesen Anforderungen genügt das Verhalten des Verteidigers, der ersichtlich diese Ausnahmevorschrift zur Fristwahrung in Anspruch nehmen wollte, nicht.
Denn der per Fax am Tag des Fristablaufs übersandte Schriftsatz vom 30. Juni 2022 enthält weder einen Tatsachenvortrag zu der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung noch eine entsprechende Glaubhaftmachung.
Auch der Schriftsatz vom 12. Juli 2022 erfüllt nicht einmal ansatzweise die o.g. Voraussetzungen. Offen bleibt bereits, warum es dem Verteidiger, dessen Faxgerät nach seinem Vortrag nicht beeinträchtigt war, nicht möglich gewesen ist, zugleich mit der um 21:45 Uhr bei Gericht eingegangen Ersatzeinreichung entsprechend vorzutragen.
Der Vortrag im Schriftsatz vom 12. Juli 2022 befasst sich – bereits im Ansatz unzutreffend – lediglich mit der geschichtlichen Schilderung der Beseitigung der technischen Störung und deren Glaubhaftmachung. Es fehlt das Vorbringen, warum es ihm nicht möglich gewesen ist, noch vor dem 12. Juli 2022 zur vorübergehenden technischen Unmöglichkeit vorzutragen. Offen bleibt auch, ob es in der Kanzlei neben dem defekten PC nicht noch – etwa im Sekretariat – ein oder mehrere funktionstüchtige weitere Geräte gab. Dass grundsätzlich überhaupt eine entsprechende technische Infrastruktur vorgehalten worden ist, ergibt sich aus den Ausführungen zudem nur ansatzweise und mittelbar.
2. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob es sich bei der Ausnahmeregelung des § 32d Satz 3, 4 StPO für Fälle der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit um eine abschließende lex specialis gegenüber den §§ 44, 45 StPO handelt, da der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2022 jedenfalls unzulässig ist.
a) Gemäß § 44 Satz 1 StPO ist demjenigen auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Der Antrag muss unter Behauptung von Tatsachen so vollständig begründet werden, dass ihm die unverschuldete Verhinderung des Antragstellers entnommen werden kann (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2021 – 4 StR 439/21 –, juris). Er ist gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses – das hier in der Kenntnis von der Versäumung der Frist und nicht im Wegfall der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit liegt – zu stellen und muss daher auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2010 – 3 StR 269/10 – und Beschluss vom 20. November 2019 – 4 StR 522/19 –, beide juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 45 Rn. 5 m.w.N.). Daran fehlt es hier bereits.
b) Entscheidend für den Fristbeginn ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme vom Wegfall des Hindernisses durch den Angeklagten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. August 2022 und 20. November 2019, jeweils a.a.O.; Beschluss vom 13. Januar 2016 – 4 StR 452/15 –, juris). Auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Verteidigers kommt es hingegen nicht an (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. November 2019 und 13. Januar 2016 a.a.O.; BGH, Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14 –, juris). Dies gilt auch dann, wenn der Verteidiger – wie hier – ein eigenes Verschulden geltend machen will, das dem Angeklagten nicht zuzurechnen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2016 und 14. Januar 2015, jeweils a.a.O.). Wann dem Angeklagten die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision bekannt geworden ist, wird indes nicht vorgetragen. Die Wahrung der Wochenfrist ist nach Aktenlage auch nicht offensichtlich, denn zwischen dem Tag des Fristablaufs – dem 30. Juni 2022 – und dem Eingang des Schriftsatzes des Verteidigers mit dem Wiedereinsetzungsantrag bei dem Landgericht am 12. Juli 2022 liegt mehr als eine Woche.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: RiKG U. Sandherr, Berlin
Anmerkung:
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