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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Strafaussetzung, wiederholte Straffälligkeit, Therapiebereitschaft

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 02.12.2022 - 202 StRR 108/22

Leitsatz des Gerichts:

1. Die bloße Bekundung einer Einsicht in das begangene Unrecht stellt für sich genommen bei einem vielfach vorbestraften Angeklagten, der bislang Bewährungszeiten nicht durchgestanden und langjährigen Strafvollzug erlitten hat, regelmäßig keinen Gesichtspunkt dar, der die Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnte.
2. Die Bereitschaft des Angeklagten, eine Alkoholentwöhnungstherapie durchzuführen, ist grundsätzlich für die Kriminalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB nicht von entscheidender Bedeutung.
3. Die Strafaussetzung zur Bewährung stellt kein Instrument zur Belohnung für ein erwünschtes Verhalten dar.


In pp.

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 28.04.2022 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
II. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Coburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 26.08.2021 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung, vorsätzlicher Körperverletzung in 2 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Diebstahl und wegen Bedrohung zur Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 4 Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt wurde, hat das Landgericht gegen den Angeklagten unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung vom 29.07.2021 eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde; ferner wurden die in dem genannten Urteil angeordnete Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis und das angeordnete Fahrverbot aufrechterhalten. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit dem auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkten Rechtsmittel der Revision, die sie auf die Verletzung materiellen Rechts stützt.

II.

Die wegen der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft auf die Frage der Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung nur noch diese Frage betreffende Revision ist begründet. Die Entscheidung des Landgerichts, die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, weil es zu einer günstigen Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB gelangt ist, ist durchgreifend rechtsfehlerhaft.

1. Wie die Strafzumessung ist zwar auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Einschätzung des Tatrichters grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen. Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es deshalb die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, ist mithin vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (stRspr., vgl. nur BayObLG, Urt. v. 01.04.2022 – 202 StRR 35/22; 24.09.2021 – 202 StRR 98/21; OLG Bamberg; Urt. v. 23.08.2016 – 3 OLG 8 Ss 58/16, bei juris m.w.N.).

2. Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt allerdings dann vor, wenn der Bewährungsentscheidung ein im Gesetz nicht vorgesehener Maßstab zugrunde gelegt wird, die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB verkannt oder sich die Würdigung des Tatgerichts deshalb als unvollständig und damit als rechtsfehlerhaft erweist, weil sie nicht alle für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat oder die Begründung der Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt ist.

3. Die Darlegungen des Landgerichts für seine Erwartung, der Angeklagte werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), halten angesichts dieses Maßstabs einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Für eine günstige Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, die Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angeklagten, der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich anders als in der Vergangenheit verhalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1988 – 1 StR 138/88 = StV 1989, 15 = NStE Nr 22 zu § 56 StGB = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9; BayObLG und OLG Bamberg a.a.O.). Die Begehung von Straftaten während einer Bewährungszeit belegt vielmehr, dass die frühere Prognose falsch war, weshalb eine erneute günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen kann (BayOblG a.a.O. sowie Beschl. v. 05.07.2022 – 202 StRR 68/22, bei juris). Eine derartige Konstellation liegt hier vor, weil der Angeklagte in der Vergangenheit mehrfach Bewährungszeiten nicht durchgestanden hat und überdies auch bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten unter Bewährung stand. Noch mehr gilt diese Einschätzung dann, wenn der Angeklagte - wie hier - mehrjährigen Freiheitsentzug erlitten hat und gleichwohl wieder straffällig wurde. Zwar ist in solchen Fällen eine erneute Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. vom 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; OLG Bamberg a.a.O.). Indes muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten in Zukunft heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. Lagen die Gesichtspunkte, die bei isolierter Betrachtung für eine günstige Legalprognose sprechen können, dagegen schon im Zeitpunkt der Verwirklichung der abzuurteilenden Taten vor, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die durch das frühere Bewährungsversagen und die Begehung der neuen Taten trotz langjährigen Strafvollzugs indizierte negative Kriminalprognose zu entkräften (BayObLG a.a.O.). Zudem muss bei massiv vorbestraften Tätern, die sich - wie der Angeklagte - viele Jahre im Strafvollzug befunden haben, den neuen Gesichtspunkten besonderes Gewicht zukommen, um trotz dieser für die Prognose äußerst negativen Indizien die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können.

b) Derartige nachträgliche Umstände, die trotz langjährigen Strafvollzugs und der Tatsache, dass der Angeklagte erneut vielfach und wegen einschlägiger Delikte trotz bestehender Bewährungszeit rückfällig wurde, gleichwohl die Erwartung rechtfertigen könnten, dass er sich nunmehr die jetzige Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten begehen wird, zeigt das angefochtene Urteil indes nicht in rechtsfehlerfreier Weise auf.

aa) Das Landgericht hat seine Prognose zum einen darauf gestützt, dass beim Angeklagten ein „dokumentierter Wille zur Änderung seines Lebens“ vorhanden sei, ohne dass hierzu greifbare Fakten festgestellt worden wären. Das Landgericht hat dabei schon nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass die diesbezügliche Einlassung des Angeklagten auch allein vom den Wunsch getragen sein konnte, trotz vielfachen Bewährungsversagens in der Vergangenheit und trotz langjährigen Strafvollzugs erneut eine Strafaussetzung zur Bewährung zu erreichen. Der bloße Umstand, dass der Angeklagte, der nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils alkoholkrank sei, während der Haft „regelmäßig die Suchtberatung“ besucht habe, belegt im Übrigen keineswegs, dass er auch hinreichende Maßnahmen gegen seine offensichtlich bestehende Neigung zur Delinquenz ergriffen hätte.

bb) Die weitere Erwägung der Berufungskammer, dass die „mittlerweile andauernde Haftzeit“ von 1 Jahr und 8 Monaten „sichtlich einen Eindruck beim Angeklagten hinterlassen“ habe, stellt eine reine Spekulation dar, die nicht mit ausreichenden Tatsachen untermauert ist. Hinzu kommt, dass der Angeklagte schon in der Vergangenheit mehrfach lange Zeit inhaftiert war, was ihn von erneuter Rückfälligkeit nicht abhalten konnte. Aufgrund welcher Umstände die Berufungskammer nunmehr einen „sichtlichen Eindruck“ wegen der zuletzt verbüßten Strafhaft erkennen vermochte und weshalb der vorangegangene mehrjährige Strafvollzug dies nicht bewirken konnte, bleibt ebenfalls im Dunkeln.

cc) Soweit die Berufungskammer schließlich die Strafaussetzung zur Bewährung auf eine „Therapieweisung“ stützt, ist dies schon deswegen kein tragfähiger Gesichtspunkt im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung, weil die beim Angeklagten bestehende Alkoholproblematik vom Landgericht selbst nur als „mitursächliches Problem“ der bisherigen Delinquenz angesehen wurde, mithin selbst im Falle einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie und einer verfestigten Abstinenz lediglich eine „Mitursache“ für das strafrechtliche Vorleben beseitigt wäre. Ungeachtet dessen könnte eine Therapie, sollten die früheren Straftaten jeweils in einem kausalen Zusammenhang mit der Alkoholsucht des Angeklagten gestanden haben, was das Landgericht zwar vermutet, aber nicht im Einzelnen konkret feststellt, nur dann eine positive Legalprognose rechtfertigen, wenn eine solche erfolgreich abgeschlossen wäre, nicht aber wenn der Eintritt der (erhofften) Behandlungserfolge im maßgeblichen Zeitpunkt des Endes der Hauptverhandlung noch völlig ungewiss ist, mögen auch gute Gründe dafür sprechen, dass die Therapie zukünftig positive Veränderung bei dem Angeklagten bewirken kann (OLG Bamberg, Urt. v. 12.11.2013 – 3 Ss 106/13 = OLGSt StGB § 56 Nr 23).

dd) Inwiefern „flankierende Bewährungsauflagen“ einen positiven Einfluss auf die Legalprognose haben sollen, erschließt sich aufgrund der Urteilsfeststellungen ebenfalls nicht.

ee) Schließlich findet auch die Erwägung des Landgerichts, durch die Strafaussetzung zur Bewährung solle die vorhandene Motivation, sein für die Straffälligkeit „mitursächliches“ Alkoholproblem anzugehen, „honoriert“ werden, im Gesetz keine Stütze. Strafaussetzung zur Bewährung setzt gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 StGB die Erwartung voraus, dass der Verurteilte keine Straftaten mehr begehen wird, stellt aber kein Instrument zur Belohnung erwünschten Verhaltens dar.

III.

Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler (§ 337 StPO) ist das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO), soweit die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Coburg zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird.


Einsender: RiBayObLG D. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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