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Entscheidungen

StPO

Nebenkläger, Bewilligung von PKH, Bewilligungsvoraussetzungen Unfähigkeit der eigenen Interessenwahrnehmung, Waffengleichheit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Stade, Beschl. v. 20.02.2023 - 102 Qs 55/22

Eigener Leitsatz:

Die Unzumutbarkeit der eigenen Interessenswahrnehmung im Sinne des § 397a StPO stellt im Wesentlichen auf die psychische Betroffenheit des Nebenklägers durch die Tat ab, dass diese ihn also unvertretbar belasten würde.


Landgericht Stade

Beschluss

102 Qs 2530 Js 9849/22 (55/22)

In der Strafsache
gegen pp.

vertreten durch Rechtsanwalt Joachim Pp., Fuhlsbüttler Straße 122, 22305 Hamburg

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.

hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Stade durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 20. Februar 2023 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Nebenklägerin vom 30. November 2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Stade vom 11. August 2022 (Aktenzeichen: 32 Ds 2530 Js 9849/22) aufgehoben. Der Beschwerdeführerin wird zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe gewährt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Angeklagte.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die amtsgerichtliche Entscheidung, mit der ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter der Beiordnung von Rechtanwalt Pp. zurückgewiesen worden ist.

Die Staatsanwaltschaft Stade führt gegen den Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Dem Beschuldigten wird dabei zur Last gelegt, am 20. Januar 2022 gegen 23:45 Uhr in Stade auf offener Straße gewalttätig gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin, der Nebenklägerin, gewesen zu sein. Konkret soll der Beschuldigte nach einer verbalen Auseinandersetzung der Nebenklägerin gegen das linke Schienbein getreten und sodann sie mit der flachen Hand mehrfach ins Gesicht sowie mit der Faust derart gegen den Brust- und Rippenbereich geschlagen haben, dass sie kurzzeitig keine Luft mehr bekam. Dann habe der Beschuldigte mit beiden Händen den Hals der Nebenklägerin umfasst und ihren Kopf mehrfach gegen die Scheibe einer Bushaltestelle geschlagen. Anschließend soll der Beschuldigte der am Boden liegenden Nebenklägerin mehrfach mit der Hand ins Gesicht geschlagen und ihr sodann mit dem beschuhten Fuß gegen den Kopf getreten haben. Die Nebenklägerin habe hierdurch neben Schmerzen und Hämatomen, eine blutende Wunde im Mundbereich, eine Prellung des Mittelgesichts und Prellungen an den oberen und unteren Extremitäten erlitten. Als anschließend alarmierte Polizeibeamte der Nebenklägerin zur Hilfe gekommen seien, soll der Beschuldigte die Beamten ehrverletzend als „Schwanzlutscher“ bezeichnet haben.

Nach Abschluss der Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft am 12. März 2022 Anklage gegen den Beschuldigten erhoben. Mit Beschluss vom 22. April 2022 hat das Amtsgericht Stade das Hauptverfahren vor dem Strafrichter eröffnet.

Mit Schreiben vom 21. Juli 2022 teilte Rechtsanwalt pp. mit, dass er die Beschwerdeführerin vertrete und erklärt den Anschluss der Nebenklage. Zudem beantragt er, als Beistand bestellt zu werden. Das Amtsgericht gewährte anschließend der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Antrags Stellung zu nehmen. Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Nebenklage zuzulassen, jedoch den Antrag auf Bestellung von Rechtsanwalt Pp. als Beistand der Beschwerdeführerin zurückzuweisen, weil weder die Voraussetzungen des § 397a Abs. 1 StPO noch des Abs. 2 vorliegen würden.

Mit Beschluss vom 11. August 2022 hat das Amtsgericht entsprechend des Antrages der Staatsanwaltschaft entschieden und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter der Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. als Beistand zurückgewiesen. Als Begründung führte das Gericht aus, dass weder eine Unfähigkeit noch eine Unzumutbarkeit der Beschwerdeführerin, die eigenen Interessen selbst und ohne Mitwirkung eines Rechtsanwaltes wahrzunehmen, ersichtlich sei.

Auch unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ sei die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Pp. nicht notwendig, weil dieses Prinzip zwar zugunsten des Angeklagten gelte, sofern dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist, daraus jedoch kein Analogieschluss zugunsten des Nebenklägers folgen würde. Schließlich sei auch die Sach- und Rechtslage nicht als schwierig einzustufen, sodass auch insofern keine Spezialkenntnisse eines Rechtsanwaltes erforderlich wären.

Mit Schreiben ihres Rechtsanwalts vom 30. November 2022 legte die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 11. August 2022 ein. Eine Unzumutbarkeit im Sinne des § 397a Abs. 2 StPO würde bereits aus einer hohen emotionalen Betroffenheit der Nebenklägerin folgen, denn der Zweck der Norm sei, einer (Re-)Traumatisierung der Nebenklägerin vorzubeugen. Eine hohe emotionale Betroffenheit läge bei Taten im Rahmen einer Liebesbeziehung regelmäßig vor so auch hier. Zwar sei bei der Beschwerdeführerin bisher keine posttraumatische Belastungsstörung attestiert worden, sie habe sich jedoch unmittelbar im Anschluss an den Vorfall einer psychiatrischen Krisenintervention unterzogen und nehme darüber hinaus Unterstützung durch die Opferhilfe in Anspruch. Der Rechtsanwalt führte zudem aus, dass dem Nebenkläger bereits dann ein Rechtsanwalt beizuordnen sei, wenn er seine Rechte nicht ausreichend selbst wahrnehmen kann. Die Frage, was ausreiche und was nicht, sei eine Wertungsfrage mit einer tatsächlichen sowie einer rechtlichen Dimension die Erwägungen müssten sich daher auch auf beide erstrecken. Im Rahmen des angegriffenen Beschlusses sei zwischen diesen beiden Dimensionen nicht ausreichend differenziert worden.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde der Nebenklägerin mit Beschluss vom 9. Dezember 2022 (Aktenzeichen: 32 Ds 2530 Js 9849/22) nicht abgeholfen.

Mit Verfügung vom 19. Dezember 2022 hat die Staatsanwaltschaft der Kammer die Beschwerde zur weiteren Entscheidung vorgelegt und beantragt die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

Gemäß § 397a Abs. 2 StPO ist dem Nebenkläger auf Antrag Prozesskostenhilfe für die Bestellung eines anwaltlichen Beistands zu bewilligen, wenn er mittellos ist und seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet sich dabei grundsätzlich nach den Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, also nach den §§114 ff. ZPO.

Die Nebenklägerin ist im Sinne der §§ 114, 115 ZPO nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten eines Rechtsanwaltes aufzubringen. Die Nebenklägerin ist Studentin und erhält Unterhaltszahlungen in Höhe von 429,00 Euro von ihrem Vater sowie Kindergeld in Höhe von 219,00 Euro. Darüber hinaus verdient sie im Rahmen eines Nebenjobs 205,00 Euro. Die monatlichen Wohnkosten der Nebenklägerin belaufen sich auf 130,00 Euro und 32,00 Euro fallen für das Semesterticket an. Auch verfügt die Nebenklägerin nicht über ein Vermögen, das die Grenze des § 90 Abs. 2 Nr. 1 SGB XII übersteigen würde, sodass Mittellosigkeit im Sinne der Vorschriften vorliegt.

Ferner muss die Nebenklägerin entweder unfähig sein, ihre Interessen ausreichend wahrzunehmen oder es muss ihr unzumutbar sein. Die Unfähigkeit der Nebenklägerin ihre Interessen selber ausreichend wahrzunehmen, etwa aufgrund eingeschränkter geistiger Kräfte, ist auch aus Sicht der Kammer nicht ersichtlich. Die eigene Wahrnehmung ihrer Interessen ist ihr jedoch nicht zuzumuten.

Die Unzumutbarkeit der eigenen Interessenswahrnehmung stellt im Wesentlichen auf die psychische Betroffenheit der Nebenklägerin durch die Tat ab, diese sie also unvertretbar belasten würde (Valerius in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2019, § 397a Rn. 27; Wenske in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 397a Rn. 14). Dies kann insbesondere bei Opfern von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie von schwerwiegenden Nachstellungen eine Rolle spielen. Vorliegend ist die Nebenklägerin mutmaßlich Opfer einer gefährlichen Körperverletzung geworden, sodass grundsätzlich kein Fall vorliegt, in dem die Unzumutbarkeit im Sinne von § 397a Abs. 2 StPO regelmäßig vorliegen dürfte. Die Nebenklägerin führte mit dem Angeklagten zum Tatzeitpunkt jedoch eine Liebesbeziehung, die erst im Anschluss an den angeklagten Vorfall endete. Die in der Anklage beschriebenen Gewalteinwirkungen durch den Angeklagten auf die Nebenklägerin sind von erheblichem Ausmaß und weisen zudem eine hohe Brutalität auf. Aus Sicht der Kammer dürfte bereits die Tat als solche, gerade auch weil sie innerhalb der Beziehung geschehen sein soll, eine erhebliche psychische Betroffenheit der Nebenklägerin nahelegen. Im Übrigen zeigt sich das Vorliegen einer hohen psychischen Betroffenheit aber auch dadurch, dass unmittelbar im Anschluss an den Vorfall im Elbeklinikum ein psychiatrisches Gespräch mit der Nebenklägerin geführt wurde, ein solches durch den behandelnden Arzt aufgrund des Gesamteindrucks von der Nebenklägerin also offensichtlich für notwendig erachtet wurde. Zudem nimmt die Nebenklägerin Unterstützung durch die Opferhilfe in Anspruch.

Hinzu kommt der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat. Zwar ist § 121 Abs. 2 StPO nicht anwendbar, sodass allein der Umstand, dass der Angeklagte einen Pflichtverteidiger hat, kein zwingender Grund für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist. Die Hauptverhandlung und insbesondere die Zeugenaussage dürfte für die Nebenklägerin aber ohnehin eine hohe Belastung darstellen, die sich durch die Anwesenheit eines Pflichtverteidigers auf Seiten des Angeklagten bei Ausbleiben eines eigenen anwaltlichen Beistands verstärken dürfte und ihr daher im Ergebnis nicht zuzumuten ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 473 Abs. 1 S. 2, 472 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl. Maier in MüKo StPO, 1. Aufl. 2019, § 473 Rn. 137).


Einsender: RA J. Breu, Hamburg

Anmerkung:


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