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Entscheidungen

StPO

TKÜ-Maßnahmen, richterliche Anordnung, Begründung

Gericht / Entscheidungsdatum: EuGH, Urt. v. 16.02.2023 – C-349/21 (HYA u.a.)

Eigener Leitsatz:

Eine richterliche Entscheidung, mit der eine Telefonüberwachung genehmigt wird, muss keine individualisierte Begründung enthalten, wenn ihr ein aus-führlich begründeter Antrag der zuständigen Strafverfolgungsbehörde zugrun-de liegt und sich die für die Anordnung der Maßnahme ausschlaggebenden Gründe leicht und eindeutig erschließen, wenn die Entscheidung und der Ge-nehmigungsantrag nebeneinander gelesen werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
16. Februar 2023(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Telekommunikationssektor – Verarbeitung personenbezogener Daten und Schutz der Privatsphäre – Richtlinie 2002/58 – Art. 15 Abs. 1 – Einschränkung der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation – Gerichtliche Entscheidung, mit der das Abhören, die Aufzeichnung und die Speicherung von Telefongesprächen von Personen, die einer schweren vorsätzlichen Straftat verdächtigt werden, genehmigt werden – Praxis, wonach die Entscheidung nach einer Textvorlage und ohne individualisierte Begründung abgefasst wird – Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Begründungspflicht“

In der Rechtssache C 349/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 3. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2021, in dem Verfahren pp.
Beteiligte:
Spetsializirana prokuratura,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter), N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: R. Stefanova-Kamisheva, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von IP, vertreten durch H. Georgiev, Advokat,
von DD, vertreten durch V. Vasilev, Advokat,
der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
der irischen Regierung, vertreten durch M. Browne, D. Fennelly, A. Joyce und M. Lane als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Georgieva, H. Kranenborg, P. J. Loewenthal und F. Wilman als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Oktober 2022
folgendes

Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37).

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen HYA, IP, DD, ZI und SS wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2002/58
Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/58 lautet:
„Wie die Richtlinie 95/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31)] gilt auch die vorliegende Richtlinie nicht für Fragen des Schutzes der Grundrechte und Grundfreiheiten in Bereichen, die nicht unter das Gemeinschaftsrecht fallen. Deshalb hat sie keine Auswirkungen auf das bestehende Gleichgewicht zwischen dem Recht des Einzelnen auf Privatsphäre und der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Maßnahmen nach Artikel 15 Absatz 1 dieser Richtlinie zu ergreifen, die für den Schutz der öffentlichen Sicherheit, für die Landesverteidigung, für die Sicherheit des Staates (einschließlich des wirtschaftlichen Wohls des Staates, soweit die Tätigkeiten die Sicherheit des Staates berühren) und für die Durchsetzung strafrechtlicher Bestimmungen erforderlich sind. Folglich betrifft diese Richtlinie nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zum rechtmäßigen Abfangen elektronischer Nachrichten oder zum Ergreifen anderer Maßnahmen, sofern dies erforderlich ist, um einen dieser Zwecke zu erreichen, und sofern dies im Einklang mit der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten [(im Folgenden: EMRK)] in ihrer Auslegung durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erfolgt. Diese Maßnahmen müssen sowohl geeignet sein als auch in einem strikt angemessenen Verhältnis zum intendierten Zweck stehen und ferner innerhalb einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein sowie angemessenen Garantien gemäß der [EMRK] entsprechen.“

In Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 heißt es:
„Sofern nicht anders angegeben, gelten die Begriffsbestimmungen der Richtlinie 95/46/EG und der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und dienste (‚Rahmenrichtlinie‘) [(ABl. 2002, L 108, S. 33)] auch für diese Richtlinie.“

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten stellen die Vertraulichkeit der mit öffentlichen Kommunikationsnetzen und öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten übertragenen Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch innerstaatliche Vorschriften sicher. Insbesondere untersagen sie das Mithören, Abhören und Speichern sowie andere Arten des Abfangens oder Überwachens von Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten durch andere Personen als die Nutzer, wenn keine Einwilligung der betroffenen Nutzer vorliegt, es sei denn, dass diese Personen gemäß Artikel 15 Absatz 1 gesetzlich dazu ermächtigt sind. Diese Bestimmung steht – unbeschadet des Grundsatzes der Vertraulichkeit – der für die Weiterleitung einer Nachricht erforderlichen technischen Speicherung nicht entgegen.“

Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 lautet:
„Die Mitgliedstaaten können Rechtsvorschriften erlassen, die die Rechte und Pflichten gemäß Artikel 5, Artikel 6, Artikel 8 Absätze 1, 2, 3 und 4 sowie Artikel 9 dieser Richtlinie beschränken, sofern eine solche Beschränkung gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 95/46/EG für die nationale Sicherheit, (d. h. die Sicherheit des Staates), die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten unter anderem durch Rechtsvorschriften vorsehen, dass Daten aus den in diesem Absatz aufgeführten Gründen während einer begrenzten Zeit aufbewahrt werden. Alle in diesem Absatz genannten Maßnahmen müssen den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts einschließlich den in Artikel 6 Absätze 1 und 2 EUV niedergelegten Grundsätzen entsprechen.“

Verordnung (EU) 2016/679
Art. 4 Nr. 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (ABl. 2016, L 119, S. 1) bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
2.Verarbeitung‘ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;“

8 In Art. 94 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 heißt es:
„Verweise auf die aufgehobene Richtlinie [95/46/EG] gelten als Verweise auf die vorliegende Verordnung. Verweise auf die durch Artikel 29 der Richtlinie 95/46/EG eingesetzte Gruppe für den Schutz von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gelten als Verweise auf den kraft dieser Verordnung errichteten Europäischen Datenschutzausschuss.“

Bulgarisches Recht

Nach Art. 121 Abs. 4 der bulgarischen Verfassung „[sind] gerichtliche Entscheidungen … zu begründen“.

Nach Art. 34 des Nakazatelno protsesualen kodeks (Strafprozessordnung) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: NPK) „[muss jede] Entscheidung des Gerichts … eine Begründung … enthalten“.
In Art. 172 NPK heißt es:

„(1) Die für das vorgerichtliche Verfahren zuständigen Behörden können besondere Ermittlungsmethoden … anwenden, die dazu dienen, die Tätigkeiten der überwachten Personen zu dokumentieren …
(2) Besondere Ermittlungsmethoden sind anzuwenden, wenn dies zur Aufklärung schwerer vorsätzlicher Straftaten nach Kapitel 1, Kapitel 2 Abschnitte I, II, IV, V, VIII und IX, Kapitel 3 Abschnitt III, Kapitel 5 Abschnitte I bis VII, Kapitel 6 Abschnitte II bis IV, Kapitel 8, Kapitel 8a, Kapitel 9a, Kapitel 11 Abschnitte I bis IV, Kapitel 12, Kapitel 13 und Kapitel 14 sowie von Straftaten nach Art. 219 Abs. 4 zweiter Fall, Art. 220 Abs. 2, Art. 253, Art. 308 Abs. 2, 3 und 5 Satz 2, Art. 321, Art. 321a, Art. 356k und Art. 393 des Besonderen Teils des Nakazatelen kodeks [(Strafgesetzbuch)] erforderlich ist, wenn die Feststellung des betreffenden Sachverhalts auf andere Weise nicht möglich ist oder mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden ist.“
12 Art. 173 NPK lautet:
„(1) Um im vorgerichtlichen Verfahren besondere Ermittlungsmethoden anwenden zu können, muss der leitende Staatsanwalt dem Gericht einen schriftlich begründeten Antrag vorlegen. Vor Vorlage des Antrags benachrichtigt er den Verwaltungsleiter der betreffenden Staatsanwaltschaft.
(2) Der Antrag muss Folgendes umfassen:
1. Informationen über die Straftat, deren Untersuchung die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden erfordert;
2. eine Beschreibung der durchgeführten Maßnahmen und ihres Ergebnisses;
3. Informationen über die Personen oder Räumlichkeiten, auf die die besonderen Ermittlungsmethoden Anwendung finden sollen;
4. die anzuwendenden operativen Methoden;
5. die Dauer der beantragten Anwendung und die Gründe für diese Dauer;
6. die Gründe, aus denen die erforderlichen Informationen nicht auf andere Weise beschafft werden können, oder eine Beschreibung der außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die mit der Beschaffung dieser Informationen verbunden sind.“
13 Art. 174 Abs. 3 und 4 NPK bestimmt:
„(3) Eine Genehmigung für die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden in Verfahren, die in die Zuständigkeit des Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien)] fallen, wird im Voraus von dessen Präsidenten erteilt …
(4) Die in den Abs. 1 bis 3 genannte Behörde entscheidet durch mit Gründen versehenen schriftlichen Beschluss …“

In Art. 175 NPK heißt es:
„…
(3) Die Dauer der Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden beträgt:
1. bis zu 20 Tage in den Fällen des Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 des Zakon za spetsialnite razuznavatelni sredstva [(Gesetz über besondere Ermittlungsmethoden)];
2. bis zu zwei Monate in den übrigen Fällen.
(4) Erforderlichenfalls kann die in Abs. 1 genannte Dauer nach Art. 174 verlängert werden:
1. in den Fällen des Abs. 3 Nr. 1 um bis zu 20 Tage, wobei die Gesamtdauer höchstens 60 Tage betragen darf;
2. in den Fällen des Abs. 3 Nr. 2 bis zu einer Gesamtdauer von höchstens sechs Monaten“.

Art. 3 Abs. 1 des Zakon za spetsialnite razuznavatelni sredstva (Gesetz über besondere Ermittlungsmethoden) vom 8. Oktober 1997 (DV Nr. 95 vom 21. Oktober 1997, S. 2) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZSRS) bestimmt:
„Besondere Ermittlungsmethoden werden angewandt, wenn dies zur Verhütung und Aufdeckung schwerer vorsätzlicher Straftaten nach Kapitel 1, Kapitel 2 Abschnitte I, II, IV, V, VIII und IX, Kapitel 3 Abschnitt III, Kapitel 5 Abschnitte I bis VII, Kapitel 6 Abschnitte II bis IV, Kapitel 8, Kapitel 8a, Kapitel 9a, Kapitel 11 Abschnitte I bis IV, Kapitel 12, Kapitel 13 und Kapitel 14 sowie von Straftaten nach Art. 219 Abs. 4 zweiter Fall, Art. 220 Abs. 2, Art. 253, Art. 308 Abs. 2, 3 und 5 Satz 2, Art. 321, Art. 321a, Art. 356k und Art. 393 des Besonderen Teils des [Strafgesetzbuchs] erforderlich ist, wenn die Beschaffung der erforderlichen Informationen auf andere Weise nicht möglich ist oder mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden ist.“

Art. 6 ZSRS sieht vor:
„Im Fall der Überwachung durch Einsatz technischer Mittel wird die … Telefonkommunikation … der überwachten Personen auditiv oder auf andere Weise abgefangen.“

In Art. 11 ZSRS heißt es:
„Bei Anwendung der operativen Methoden erfolgt eine Dokumentation durch … Tonaufzeichnung … auf einem physischen Datenträger.“

Art. 12 Abs. 1 Nr. 1 ZSRS bestimmt:
„Besondere Ermittlungsmethoden werden bei Personen angewandt, bei denen Informationen und hinreichende Gründe für die Annahme vorliegen, dass sie eine der in Art. 3 Abs. 1 genannten schweren vorsätzlichen Straftaten vorbereiten, begehen oder begangen haben.“

§ 13 Abs. 1 ZSRS bestimmt:
„Das Recht, die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden zu beantragen und die mit Hilfe dieser Methoden gewonnenen Informationen und materiellen Beweismittel zu verwerten, steht unter Beachtung ihrer Zuständigkeit folgenden Stellen zu:
1. der Generaldirektion ‚Nationale Polizei‘, der Generaldirektion ‚Bekämpfung der organisierten Kriminalität‘, der Generaldirektion ‚Grenzpolizei‘, der Direktion ‚Innere Sicherheit‘, den Regionaldirektionen des Innenministeriums, den Fachdirektionen (mit Ausnahme der Direktion ‚Technische Maßnahmen‘), den Gebietsdirektionen und den von der staatlichen Agentur ‚Nationale Sicherheit‘ unabhängigen Gebietseinheiten;
2. den Stellen des ‚Militärischen Nachrichtendienstes‘ und der ‚Militärpolizei‘ (beim Verteidigungsminister);
3. der staatlichen Agentur ‚Nachrichtendienst‘.“

In Art. 14 Abs. 1 Nr. 7 ZSRS heißt es:
„Der Einsatz besonderer Ermittlungsmethoden erfordert einen begründeten schriftlichen Antrag des zuständigen Verwaltungsleiters der in Art. 13 Abs. 1 genannten Behörden oder des leitenden Staatsanwalts bzw. der in Art. 13 Abs. 3 genannten Behörde und im Fall der in Art. 13 Abs. 1 Nr. 7 genannten Direktion ihres Leiters, der … die Gründe enthält, aus denen die erforderlichen Informationen nicht auf andere Weise beschafft werden können, oder eine Beschreibung der außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die mit der Beschaffung dieser Informationen verbunden sind.“

Art. 15 Abs. 1 ZSRS bestimmt:
„Die Leiter der in Art. 13 Abs. 1 genannten Behörden oder der leitende Staatsanwalt und im Fall der in Art. 13 Abs. 1 Nr. 7 genannten Direktion der Präsident der Kommission für die Bekämpfung der Korruption und die Einziehung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte übermitteln den Antrag an die Präsidenten des Sofiyski gradski sad [(Stadtgericht Sofia, Bulgarien)], der zuständigen Regional- oder Militärgerichte bzw. des Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht)] oder einen von ihnen bevollmächtigten Vizepräsidenten, die innerhalb von 48 Stunden die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden schriftlich genehmigen oder ablehnen und dabei die Gründe für ihre Entscheidungen angeben.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Zwischen dem 10. April und dem 15. Mai 2017 stellte die Spetsializirana prokuratura (Spezialisierte Staatsanwaltschaft, Bulgarien) beim Präsidenten des Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) sieben Anträge auf Erteilung einer Genehmigung zur Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden, um die Telefongespräche von IP, DD, ZI und SS – vier Personen, die schwerer Straftaten verdächtigt wurden – abzuhören und aufzuzeichnen bzw. zu überwachen und zurückzuverfolgen (im Folgenden: Anträge auf Telefonüberwachung).

Der Vorlageentscheidung zufolge wurden in jedem dieser Anträge auf Telefonüberwachung eingehend, detailliert und mit Begründung der Gegenstand des Antrags, der Name und die Telefonnummer der betroffenen Person, der Zusammenhang zwischen dieser Nummer und dieser Person, die bislang gesammelten Beweise sowie die mutmaßliche Rolle der betroffenen Person bei den Straftaten geschildert. Die Notwendigkeit, die beantragten Telefonüberwachungen durchzuführen, um Beweise für die den Ermittlungsgegenstand bildende kriminelle Tätigkeit zu erheben, sowie die Gründe und Umstände, die die fehlende Möglichkeit einer Beschaffung dieser Informationen mit anderen Mitteln belegten, wurden ebenfalls konkret dargelegt.

Der Präsident des Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) gab sämtlichen Anträgen noch am Einreichungstag statt und erließ dementsprechend sieben Entscheidungen zur Genehmigung der Telefonüberwachung (im Folgenden: Genehmigungen der Telefonüberwachung).

Laut dem Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) entsprechen die Genehmigungen der Telefonüberwachung einer Textvorlage, die alle möglichen Fälle einer Genehmigung abdecken soll, ohne dass auf die tatsächlichen und rechtlichen Umstände Bezug genommen wurde, mit Ausnahme des Zeitraums, für den die Anwendung der besonderen Ermittlungsmethoden genehmigt wurde.

Insbesondere beschränken sich diese Genehmigungen auf den Hinweis, dass die darin angeführten Rechtsvorschriften eingehalten würden, ohne die Behörde zu benennen, die die Anträge auf Telefonüberwachung stellte, und ohne Angabe des Namens und der Telefonnummer der jeweils betroffenen Person, der Straftat(en) nach Art. 172 Abs. 2 NPK und Art. 3 Abs. 1 ZSRS, der Indizien für die Begehung einer oder mehrerer dieser Straftaten oder der in Art. 12 ZSRS genannten Kategorien von Personen und Räumlichkeiten, für die die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde. Außerdem werden laut dem vorlegenden Gericht in diesen Genehmigungen weder die Argumente der Spezialisierten Staatsanwaltschaft dargelegt, die auf der Grundlage von Art. 172 NPK und Art. 14 ZSRS belegen sollten, dass die gewünschten Informationen nicht auf andere Weise als durch Telefonüberwachung beschafft werden könnten, noch werde im Hinblick auf Art. 175 NPK angegeben, ob die Dauer der Anwendung dieser Methoden zum ersten Mal festgelegt werde oder es sich dabei um eine Verlängerung handele und aufgrund welcher Annahme und welcher Argumente diese Dauer beschlossen worden sei.

Auf der Grundlage dieser Genehmigungen wurden einige der von IP, DD, ZI und SS geführten Gespräche gemäß Art. 11 ZSRS aufgezeichnet und gespeichert.

Am 19. Juni 2020 erhob die Spezialisierte Staatsanwaltschaft gegen diese vier Personen sowie eine fünfte Person, HYA, Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, deren der Bereicherung dienendes Ziel es gewesen sei, Drittstaatsangehörige über die bulgarischen Grenzen einzuschleusen, ihnen bei der illegalen Einreise nach Bulgarien behilflich zu sein und im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten Bestechungsgelder anzunehmen oder zu zahlen. Unter den Angeklagten befinden sich drei Grenzpolizeikräfte des Flughafens Sofia.

Nach Ansicht des mit der Sache befassten vorlegenden Gerichts ist der Inhalt der aufgezeichneten Gespräche von unmittelbarer Bedeutung für die Feststellung der Begründetheit der Anklagevorwürfe gegen IP, DD, ZI und SS.

Das vorlegende Gericht führt aus, es habe zunächst die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens zu überprüfen, das zu den Genehmigungen der Telefonüberwachung geführt habe. In diesem Rahmen könnte die Ansicht vertreten werden, dass der Umstand, dass diese Genehmigungen nach einer Textvorlage und ohne individualisierte Begründung abgefasst worden seien, es ihm unmöglich mache, die vom Richter, der diese Genehmigungen erteilt habe, konkret herangezogenen Gründe zu überprüfen. Umgekehrt könnte auch die Auffassung vertreten werden, dass der Richter, der die Genehmigungen der Telefonüberwachung erteilt habe, indem er den Anträgen der Spezialisierten Staatsanwaltschaft entsprochen habe, die Gründe für diese Anträge in vollem Umfang akzeptiert und sich zu eigen gemacht habe.

Das vorlegende Gericht zweifelt zwar nicht daran, dass die nationale Regelung der Telefonüberwachung, wie sie sich insbesondere aus den Bestimmungen des NPK und des ZSRS ergibt, mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 vereinbar ist, stellt sich allerdings die Frage, ob mit Art. 15 Abs. 1 letzter Satz in Verbindung mit dem elften Erwägungsgrund dieser Richtlinie eine nationale Praxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vereinbar ist, wonach die Pflicht zur Begründung der gerichtlichen Entscheidung, mit der auf einen mit Gründen versehenen Antrag der Strafverfolgungsbehörden hin die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wird, erfüllt ist, wenn diese Entscheidung, die nach einer Textvorlage und ohne individualisierte Begründung abgefasst ist, sich auf den Hinweis beschränkt, dass die Anforderungen dieser in ihr angeführten Regelung erfüllt seien.

Insbesondere hebt das vorlegende Gericht hervor, dass gerichtliche Entscheidungen wie die Genehmigungen der Telefonüberwachung in Bezug auf die betroffenen natürlichen Personen die in den Art. 7, 8 und 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) garantierten Rechte und Freiheiten beschränkten. Es hat auch Zweifel, ob eine solche Praxis mit dem in Art. 47 der Charta verankerten Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts vereinbar ist.

Für den Fall, dass dies verneint wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegensteht, die dahin ausgelegt wird, dass Aufzeichnungen von Telefongesprächen, die durch eine nicht mit Gründen versehene gerichtliche Entscheidung genehmigt wurden, gleichwohl als Beweis im Strafverfahren verwendet werden dürfen.

Unter diesen Umständen hat der Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist eine Praxis der nationalen Gerichte in Strafverfahren, wonach das Gericht die Überwachung, Aufzeichnung und Speicherung von Telefongesprächen von Verdächtigen mit einer vorgefertigten allgemeinen Textvorlage genehmigt, in der ohne jegliche Individualisierung lediglich behauptet wird, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten worden seien, mit Art. 15 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 und dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/58 vereinbar?

2. Falls nein: Verstößt es gegen das Unionsrecht, wenn das nationale Gesetz dahin ausgelegt wird, dass die infolge einer solchen Genehmigung erlangten Informationen zum Nachweis des Anklagevorwurfs verwendet werden?

Mit Schreiben vom 5. August 2022 teilte der Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia) dem Gerichtshof mit, dass infolge einer am 27. Juli 2022 in Kraft getretenen Gesetzesänderung der Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) aufgelöst worden ist und dass bestimmte Strafsachen, die bei diesem Gericht anhängig waren, einschließlich der im Ausgangsverfahren, ab diesem Zeitpunkt an ihn verwiesen worden sind.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Datenschutz der betroffenen Personen, wenn die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 Rechtsvorschriften umsetzen, die von dem in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie verankerten Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation abweichen, nur insoweit unter diese Richtlinie fällt, als den Betreiber solcher Kommunikationsdienste durch die fraglichen Maßnahmen Verarbeitungspflichten im Sinne von Art. 4 Nr. 2 der Verordnung 2016/679, der nach Art. 2 der Richtlinie 2002/58 in Verbindung mit Art. 94 Abs. 2 der Verordnung 2016/679 anwendbar ist, auferlegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a., C 511/18, C 512/18 und C 520/18, EU:C:2020:791, Rn. 96 und 104 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach den letztgenannten Bestimmungen schließt der Begriff der Verarbeitung u. a. ein, dass diese Betreiber den zuständigen Behörden Zugang zu Kommunikation und Daten gewähren oder ihnen Daten übermitteln (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2020, Privacy International, C 623/17, EU:C:2020:790, Rn. 39 bis 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren angewandten besonderen Ermittlungsmethoden und insbesondere das Abfangen nach Art. 6 ZSRS bewirkten, dass den betroffenen Betreibern solche Verarbeitungspflichten auferlegt wurden, und ob das Ausgangsverfahren damit in den Geltungsbereich der Richtlinie 2002/58 fällt. Der Gerichtshof wird daher die erste Frage nur beantworten, soweit das Ausgangsverfahren in den Geltungsbereich dieser Richtlinie, insbesondere ihres Art. 15 Abs. 1, fällt.

Unter Berücksichtigung dieser Vorbemerkungen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Praxis entgegensteht, wonach gerichtliche Entscheidungen, mit denen auf einen mit Gründen versehenen Antrag der Strafverfolgungsbehörden hin die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wird, nach einer Textvorlage abgefasst sind, die keine individualisierte Begründung enthält, sondern sich – abgesehen von der Angabe der Gültigkeitsdauer der Genehmigung – auf den Hinweis beschränkt, dass die Anforderungen dieser in den Entscheidungen angeführten Regelung erfüllt seien.

In Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 ist der Grundsatz der Vertraulichkeit der mit öffentlichen Kommunikationsnetzen und öffentlich zugänglichen Kommunikationsdiensten übertragenen Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten verankert. Dieser Grundsatz spiegelt sich darin wider, dass das Mithören, Abhören und Speichern sowie andere Arten des Abfangens oder Überwachens von Nachrichten und der damit verbundenen Verkehrsdaten untersagt sind, wenn keine Einwilligung der betroffenen Nutzer vorliegt, mit Ausnahme der in Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie genannten Fälle.

So sieht dieser Artikel vor, dass die Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften erlassen können, die die Rechte und Pflichten gemäß Art. 5 dieser Richtlinie beschränken, insbesondere, sofern eine solche Beschränkung für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig ist. Weiter heißt es in dem Artikel, dass alle diese Rechtsvorschriften den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts einschließlich den in der Charta niedergelegten Rechten, Freiheiten und Grundsätzen entsprechen müssen.

Rechtsvorschriften, die den Zugang der zuständigen Behörden zu den in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 genannten Daten regeln, dürfen sich dabei nicht darauf beschränken, dass der Zugang dem mit diesen Rechtsvorschriften verfolgten Zweck zu entsprechen hat, sondern müssen auch die materiellen und prozeduralen Voraussetzungen für diese Verarbeitung vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, Prokuratuur [Voraussetzungen für den Zugang zu Daten über die elektronische Kommunikation], C 746/18, EU:C:2021:152, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wie sich aus Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 ergibt, der auf Art. 6 Abs. 1 und 2 EUV Bezug nimmt, müssen solche Rechtsvorschriften und Voraussetzungen unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, zu denen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört, und der durch die Charta garantierten Grundrechte festgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a., C 511/18, C 512/18 und C 520/18, EU:C:2020:791, Rn. 113 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Insbesondere müssen die oben in Rn. 42 genannten prozeduralen Voraussetzungen unter Beachtung des Rechts auf ein faires Verfahren festgelegt werden, das in Art. 47 Abs. 2 der Charta verankert ist, der, wie sich aus den Erläuterungen zu diesem Artikel ergibt, Art. 6 Abs. 1 EMRK entspricht. Dieses Recht verlangt, dass jede gerichtliche Entscheidung mit Gründen zu versehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2012, Trade Agency, C 619/10, EU:C:2012:531, Rn. 52 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Sieht eine nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 erlassene Rechtsvorschrift vor, dass der in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie verankerte Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation durch gerichtliche Entscheidungen eingeschränkt werden kann, so verpflichtet Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta daher die Mitgliedstaaten, vorzusehen, dass solche Entscheidungen mit Gründen zu versehen sind.

Wie der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt nämlich das durch Art. 47 der Charta garantierte Recht auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen für eine ihm gegenüber ergangene Entscheidung erlangen kann, entweder durch die Lektüre dieser Entscheidung oder durch eine Mitteilung dieser Gründe, um es ihm zu ermöglichen, seine Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob er eine gerichtliche Kontrolle bei einem für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung zuständigen Gericht beantragt (vgl. entsprechend Urteil vom 24. November 2020, Minister van Buitenlandse Zaken, C 225/19 und C 226/19, EU:C:2020:951, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall geht aus den Ausführungen des vorlegenden Gerichts hervor, dass nach den gemäß Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 erlassenen nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere Art. 34 und Art. 174 Abs. 4 NPK sowie Art. 15 Abs. 1 ZSRS in Verbindung mit Art. 121 Abs. 4 der Verfassung, jede gerichtliche Entscheidung, mit der die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt werden soll, begründet werden muss.

Die erste Frage wird jedoch nicht im Hinblick auf die nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 erlassenen Rechtsvorschriften des NPK und des ZSRS gestellt, sondern im Hinblick auf eine nationale Gerichtspraxis zur Umsetzung dieser Rechtsvorschriften, nach der Entscheidungen, mit denen die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt werden soll, mittels einer Textvorlage begründet werden, die alle möglichen Fälle der Genehmigung abdecken soll und keine individualisierte Begründung enthält. Solche Entscheidungen werden in einem besonderen Verfahrenskontext erlassen.

Nach bulgarischem Recht geht nämlich der Entscheidung, mit der die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wird, ein Verfahren voraus, das darauf abzielt, in Bezug auf eine Person, bei der die berechtigte Annahme besteht, dass sie eine schwere vorsätzliche Straftat plant, begeht oder begangen hat, eine wirksame und schnelle Beschaffung von Informationen zu ermöglichen, die mit anderen Mitteln als den beantragten besonderen Ermittlungsmethoden nicht oder nur mit außergewöhnlichen Schwierigkeiten erlangt werden könnten.

Im Rahmen dieses Verfahrens haben die Behörden, die befugt sind, die Anwendung solcher Methoden im Sinne von Art. 173 Abs. 1 und 2 NPK und Art. 13 Abs. 1 ZSRS zu beantragen, nach Art. 173 Abs. 2 NPK und Art. 14 Abs. 1 Nr. 7 ZSRS beim zuständigen Gericht schriftlich einen mit Gründen versehenen ausführlichen Antrag zu stellen, der Folgendes zu enthalten hat: die untersuchte Straftat, die im Rahmen der Ermittlungen getroffenen Maßnahmen und deren Ergebnisse, die Daten zur Identifizierung der Person oder der Räumlichkeit, auf die sich der Antrag bezieht, die anzuwendenden operativen Methoden, die voraussichtliche Dauer der Überwachung und die Gründe für die Beantragung dieser Dauer sowie die Gründe, aus denen die Anwendung dieser Methoden für die Ermittlungen unerlässlich ist.

Aus der rechtlichen Ausgestaltung dieses Verfahrens ergibt sich, dass der Richter, der die Genehmigung zur Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden erteilt, auf der Grundlage eines mit Gründen versehenen ausführlichen Antrags entscheidet, dessen gesetzlich vorgeschriebener Inhalt es ihm ermöglichen muss, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Genehmigung erfüllt sind.

Diese Praxis fügt sich somit in den Rahmen von Rechtsvorschriften ein, die nach Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 erlassen wurden und die die Möglichkeit vorsehen, mit Gründen versehene gerichtliche Entscheidungen zu treffen, durch die der in Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie verankerte Grundsatz der Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation und von Verkehrsdaten beschränkt wird. Dementsprechend soll durch diese Praxis der in diesen Rechtsvorschriften vorgesehenen Begründungspflicht im Einklang mit den Anforderungen nach Art. 47 Abs. 2 der Charta, auf den Art. 15 Abs. 1 dieser Richtlinie durch Verweis auf Art. 6 Abs. 1 und 2 EUV Bezug nimmt, nachgekommen werden.

Wenn also der zuständige Richter im Rahmen dieses Verfahrens die Begründung eines ausführlichen Antrags wie des oben in Rn. 50 genannten geprüft hat und nach seiner Prüfung zu der Auffassung gelangt ist, dass dieser Antrag gerechtfertigt ist, ist davon auszugehen, dass dieser Richter durch die Unterzeichnung einer Textvorlage, in der es heißt, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt seien, die Begründung des Antrags bestätigt und sich dabei vergewissert hat, dass die gesetzlichen Anforderungen erfüllt sind.

Wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausführt, wäre es nämlich gekünstelt, zu verlangen, dass die Genehmigung für die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden eine konkrete und detaillierte Begründung enthält, wenn bereits der dieser Genehmigung zugrunde liegende Antrag nach nationalem Recht eine solche Begründung enthält.

Sobald die betroffene Person darüber informiert worden ist, dass ihr gegenüber besondere Ermittlungsmethoden angewandt wurden, verlangt jedoch die Begründungspflicht nach Art. 47 Abs. 2 der Charta, dass diese Person gemäß der oben in Rn. 46 angeführten Rechtsprechung in der Lage ist, die Gründe für die Genehmigung der Anwendung dieser Methoden nachzuvollziehen, damit sie diese Genehmigung gegebenenfalls sachdienlich und wirksam anfechten kann. Dieses Erfordernis gilt auch für jeden Richter, wie insbesondere den Strafrichter des Hauptverfahrens, der nach Maßgabe seiner Befugnisse von Amts wegen oder auf Antrag der betroffenen Person die Rechtmäßigkeit der Genehmigung prüfen muss.

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob im Rahmen der oben in Rn. 39 angeführten Praxis die Einhaltung dieser Bestimmung der Charta und der Richtlinie 2002/58 gewährleistet ist. Zu diesem Zweck hat es zu prüfen, ob sowohl die Person, in Bezug auf die besondere Ermittlungsmethoden angewandt wurden, als auch der Richter, der dafür zuständig ist, die Rechtmäßigkeit der Genehmigung der Anwendung dieser Methoden zu prüfen, in der Lage sind, die Gründe für diese Genehmigung nachzuvollziehen.

Zwar obliegt diese Prüfung allein dem vorlegenden Gericht, doch kann der Gerichtshof dem nationalen Gericht auf dessen Vorabentscheidungsersuchen hin gegebenenfalls sachdienliche Hinweise für seine Entscheidung geben (Urteil vom 5. Mai 2022, Victorinox, C 179/21, EU:C:2022:353, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Da die Genehmigung der Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden auf Grundlage eines ausführlichen mit Gründen versehenen Antrags der zuständigen nationalen Behörden erteilt wird, ist zu prüfen, ob die oben in Rn. 56 genannten Personen Zugang nicht nur zur Genehmigungsentscheidung haben, sondern auch zu dem Antrag der Behörde, die um Genehmigung ersucht hat.

Damit der Begründungspflicht nach Art. 47 Abs. 2 der Charta Genüge getan wird, müssen außerdem, wie der Generalanwalt der Sache nach in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, diese Personen, wenn sie die Genehmigung der Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden und den ihr beigefügten mit Gründen versehenen Antrag nebeneinander lesen, die genauen Gründe, aus denen die Genehmigung unter den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des dem Antrag zugrunde liegenden konkreten Falls erteilt wurde, leicht und eindeutig nachvollziehen können und muss sich aus einer solchen Lektüre zwingend die Gültigkeitsdauer der Genehmigung ergeben.

Beschränkt sich die Genehmigungsentscheidung wie im vorliegenden Fall darauf, die Gültigkeitsdauer der Genehmigung anzugeben und festzuhalten, dass die in ihr genannten Rechtsvorschriften eingehalten würden, so ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich dem Antrag alle Informationen eindeutig entnehmen lassen, anhand deren sowohl die betroffene Person als auch der Richter, der für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der erteilten Genehmigung zuständig ist, erkennen können, dass der Richter, der die Genehmigung erteilt hat, allein auf der Grundlage dieser Informationen zu dem Schluss gelangt ist, dass alle gesetzlichen Anforderungen erfüllt seien, indem er sich die im Antrag enthaltene Begründung zu eigen gemacht hat.

Lassen sich, wenn der Antrag und die anschließende Genehmigung nebeneinander gelesen werden, die Gründe für die Genehmigung nicht leicht und eindeutig nachvollziehen, so wäre festzustellen, dass die Begründungspflicht, die sich aus Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta ergibt, verletzt ist.

Zu ergänzen ist, dass nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die in der Charta enthaltenen Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben wie die entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechte, was dem nicht entgegensteht, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass die Angabe von – selbst kurzgefassten – Gründen eine wesentliche Garantie gegen missbräuchliche Überwachung darstellt, da nur durch eine solche Angabe sichergestellt werden kann, dass der Richter den Antrag auf Genehmigung und die vorgelegten Beweise ordnungsgemäß geprüft und tatsächlich untersucht hat, ob die beantragte Überwachung einen gerechtfertigten und verhältnismäßigen Eingriff in die Ausübung des in Art. 8 EMRK garantierten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat allerdings in Bezug auf zwei Urteile des Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) anerkannt, dass das Fehlen individualisierter Gründe nicht automatisch zu der Schlussfolgerung führen kann, der die Genehmigung erteilende Richter habe den Antrag nicht ordnungsgemäß geprüft (vgl. in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 11. Januar 2022, Ekimdzhiev u. a./Bulgarien, CE:ECHR:2022:0111JUD007007812, §§ 313 und 314 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Das vom vorlegenden Gericht angeführte Urteil des EGMR vom 15. Januar 2015, Dragojević/Kroatien (CE:ECHR:2015:0115JUD006895511), vermag es nicht, die oben in den Rn. 58 bis 61 dargelegten Erwägungen in Frage zu stellen. Denn in diesem Urteil, in dem im Ergebnis ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK festgestellt wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht die Frage geprüft, ob die betroffene Person die vom Ermittlungsrichter herangezogenen Gründe nachvollziehen konnte, indem sie die Genehmigungsentscheidungen und den Antrag auf Genehmigung der Überwachung nebeneinander las, sondern die davon zu unterscheidende Frage, ob das Fehlen oder die Mangelhaftigkeit der Begründung von Genehmigungsentscheidungen nachträglich geheilt werden konnte.

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Praxis, wonach gerichtliche Entscheidungen, mit denen auf einen ausführlichen mit Gründen versehenen Antrag der Strafverfolgungsbehörden hin die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde, nach einer Textvorlage abgefasst sind, die keine individualisierte Begründung enthält, sondern sich – abgesehen von der Angabe der Gültigkeitsdauer der Genehmigung – auf den Hinweis beschränkt, dass die Anforderungen der in diesen Entscheidungen angeführten Regelung erfüllt seien, nicht entgegensteht, sofern die genauen Gründe, aus denen der zuständige Richter zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die gesetzlichen Anforderungen unter den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des konkreten Falls erfüllt seien, sich leicht und eindeutig erschließen, wenn die Entscheidung und der Antrag auf Genehmigung nebeneinander gelesen werden, wobei dieser Antrag nach erteilter Genehmigung der Person zugänglich gemacht werden muss, in Bezug auf die die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde.

Zur zweiten Frage

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Kosten

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in Verbindung mit Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
ist dahin auszulegen,
dass er einer nationalen Praxis, wonach gerichtliche Entscheidungen, mit denen auf einen ausführlichen mit Gründen versehenen Antrag der Strafverfolgungsbehörden hin die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde, nach einer Textvorlage abgefasst sind, die keine individualisierte Begründung enthält, sondern sich – abgesehen von der Angabe der Gültigkeitsdauer der Genehmigung – auf den Hinweis beschränkt, dass die Anforderungen der in diesen Entscheidungen angeführten Regelung erfüllt seien, nicht entgegensteht, sofern die genauen Gründe, aus denen der zuständige Richter zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die gesetzlichen Anforderungen unter den tatsächlichen und rechtlichen Umständen des konkreten Falls erfüllt seien, sich leicht und eindeutig erschließen, wenn die Entscheidung und der Antrag auf Genehmigung nebeneinander gelesen werden, wobei dieser Antrag nach erteilter Genehmigung der Person zugänglich gemacht werden muss, in Bezug auf die die Anwendung besonderer Ermittlungsmethoden genehmigt wurde.


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