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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, schwierige Rechtslage, Steuerstrafverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kaiserslautern, Beschl. v. 01.12.2023 - 7 Qs 8/22

Eigener Leitsatz:

Die Rechtslage ist schwierig im Sinn von § 140 Abs. 2 StPO, wenn dem Beschuldigten Steuerhinterziehung vorgeworfen wird, das es sich beim Steuerstrafrecht um Blankettstrafrecht handelt.


7 Qs 8/22

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Steuerhinterziehung

hat die 7. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) des Landgerichts Kaiserslautern

durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht pp., die Richterin am Landgericht pp. und die Richterin pp. am 01.12.2022 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten wird unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Kaiserslautern vom 06.09.2022 (Az.: 4 Gs 61/22) Rechtsanwalt pp., als Pflichtverteidiger bestellt.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe:

Mit Beschluss vorn 06.09.2022 hat das Amtsgericht Kaiserslautern den Antrag des Beschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Ein Fall der notwendigen Verteidigung liege nicht vor. Die Mitwirkung eines Verteidigers sei weder wegen der Schwere der Tat noch wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen noch wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Ebenfalls sei nicht ersichtlich, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen könne. Wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse habe der Beschuldigte Anspruch auf die Dienste eines Dolmetschers.

Gegen jenen Beschluss, der dem Beschuldigten am 19.09.2022 zugestellt worden ist, hat für diesen sein Wahlverteidiger mit Schriftsatz vom 21.09.2022, der noch an jenem Tage beim Amtsgericht Kaiserslautern eingegangen ist, sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat er angeführt, dass es um den Vorwurf der Steuerhinterziehung und nicht um Normen des Kernstrafrechts gehe, hier zur Verteidigung Kenntnis der Ermittlungsakte erforderlich sei, welche nur ein Verteidiger erhalte, und es hier zur Überwindung der Sprachbarriere nicht ausreiche, einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Zusätzlich sei es oftmals schwierig abzugrenzen, ob Verkäufe über das Internet als private oder gewerbliche Tätigkeit zu qualifizieren seien.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Es liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 Alt. 3 und 4 StPO vor. Dies er-gibt sich hier jedenfalls aus der Zusammenschau mehrerer Gesichtspunkte des konkreten Einzelfalls.

Die Rechtslage erscheint schwierig. Dem Beschuldigten wird Steuerhinterziehung vorgeworfen. Beim Steuerstrafrecht handelt es sich um Blankettstrafrecht. Die Rechtslage kann nur in einer Zusammenschau strafrechtlicher und steuerrechtlicher Normen zutreffend erfasst werden. Eine laienhafte oder intuitive Einschätzung der Rechtslage, wie sie bei Normen des Kernstrafrechts regelmäßig möglich ist, genügt nicht (vgl. LG Essen, Beschluss vom 02.09.2015, Az.: 56 Qs 1/15). Deshalb ist in Steuerstrafverfahren wegen der Schwierigkeit der Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers regelmäßig geboten (LG Essen, Beschluss vom 02.09.2015, Az.: 56 Qs 1/15; LG Braunschweig, Beschluss vom 17.09.2020, Az.: 11 Qs 182/20). Im Einzelfall, insbesondere bei sehr einfach gelagerten Fällen, kann dies auch anders sein (vgl. LG Freiburg, Beschluss vom 18.08.2015, Az.: 8 Qs 7/15; LG Magdeburg, Beschluss vom 20.04.2016, Az.: 24 Qs 37/16). Ein solch einfacher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, über die Internet-Plattform E-Bay gewerblich Verkäufe getätigt zu haben und dies nicht zur Steuer angemeldet zu haben. Die Umsätze der Verkäufe bewegen sich jährlich zwischen ca. 15.000 Euro und 45.000 Euro. Ab welcher Grenze gewerbliche Tätigkeit vorliegt, ist nicht ohne weiteres einzuschätzen.

Hinzu kommt (vgl. LG Essen, a. a. 0.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 140, Rn. 27a), dass eine Hauptverhandlung hier ohne Aktenkenntnis, die gemäß § 147 StPO nur einem Verteidiger zusteht, nicht ausreichend vorbereitet werden könnte, was die Schwierigkeit der Sachlage begründet. Zur Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen vor dem Amtsgericht ist in der Regel Kenntnis der Ermittlungsakte notwendig (vgl. Willnow in KK-StPO, 8. Aufl., § 140, Rn. 22). Zwar kann ein unverteidigter Beschuldigter Auskünfte und Abschriften aus den Akten beanspruchen, wenn_ er sich sonst nicht angemessen verteidigen könnte. Doch im vorliegenden Fall er-scheint der Beschuldigte nicht in der Lage, die für seine Verteidigung relevanten Teile der Akten zu benennen und in ihrer Bedeutung einzuschätzen, so dass (vollständige) Akteneinsicht durch einen Verteidiger erforderlich ist.

Bei dem gerade angeführten Gesichtspunkt wirkt sich (auch) der Umstand aus, dass der Be-schuldigte der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist. In solchen Fällen ist regelmäßig wegen Unfähigkeit zur Selbstverteidigung ein Verteidiger beizuordnen (LG Freiburg, Beschluss vom 18.08.2015, Az. 8 Qs 7/15; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 140, Rn. 30b). Auch dies gilt nicht ausnahmslos. Vorliegend kommen aber nicht ausreichende Sprachkenntnisse und Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage zusammen. Ob es bei nicht ausreichenden Sprachkenntnissen für die Annahme notwendiger Verteidigung ausreicht, wenn Anhaltspunkte für andere Varianten des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen, selbst wenn diese für sich genommen nicht genügen (so Kämpfer/Travers in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 140, Rn. 52), mag dahinstehen. Denn hier kommen zu nicht ausreichenden Sprachkenntnissen Schwierigkeiten der Sach - und Rechtslage hinzu. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers allein erscheint hier nicht ausreichend.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf dem Erfolg der sofortigen Beschwerde.


Einsender: RA P. Adam, Kaiserslautern

Anmerkung:


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