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Entscheidungen

Gebühren

Vorführung, Pflichtverteidiger, Vollverteidiger, Einzeltätigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.01.2023 - 4 Ws 13/23

Eigener Leitsatz:

Der einem Beschuldigten für die Haftprüfung beigeordnete Rechtsanwalt verdient nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit.


4 Ws 13/23

Oberlandesgericht Stuttgart

4. STRAFSENAT

Beschluss

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.

hier: weitere Beschwerde des Pflichtverteidigers pp. im Kostenfestsetzungsverfahren

hat das Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - am 23. Januar 2023 beschlossen:

1. Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts - 20. Große Strafkammer - Stuttgart vom 14. Dezember 2022 wird als unbegründet
verworfen.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der damals Beschuldigte pp. wurde am 29. Juni 2022 festgenommen und zur Eröffnung des Haftbefehls dem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Stuttgart vorgeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde er bereits von Rechtsanwalt pp als Wahlverteidiger vertreten. Weil Rechtsanwalt pp. aber verhindert war, erklärte sich pp. damit einverstanden, im Vorführungstermin vom Beschwerdeführer, Rechtsanwalt pp., vertreten zu werden. Das Amtsgericht bestellte diesen daraufhin „für den heutigen Anhörungstermin" zum Pflichtverteidiger. In seiner richterlichen Vernehmung machte pp. weder zur Person noch zur Sache angaben, und Rechtsanwalt pp. beantragte, den Haftbefehl entweder nicht zu erlassen, oder aber gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen. In der Folge erließ das Amtsgericht den Haftbefehl jedoch und setzte ihn in Vollzug. Im weiteren Verlauf des Verfahrens trat Rechtsanwalt pp. für den Angeklagten nicht mehr auf.

Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2022 machte der Beschwerdeführer eine Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 709,24 Euro brutto, bestehend aus der Grundgebühr gemäß Nr. 4101 VV RVG in Höhe von 216 Euro, der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4105 VV RVG in Höhe von 177 Euro, der Terminsgebühr gemäß Nr. 4103 VV RVG sowie der Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer, geltend. Zur Begründung führte er aus, der Strafprozessordnung sei ein „beschränkter" Pflichtverteidiger fremd. Auch der lediglich für einen Termin bestellte Pflichtverteidiger sei ein Verteidiger mit allen Rechten und Pflichten und deshalb um-fassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte- und pflichten betraut. Es handele sich lediglich um einen zeitlich begrenzten Auftrag ohne inhaltliche Beschränkung. Eine Einzeltätigkeit liege nicht vor, denn auch der für einen Termin bestellte Verteidiger müsse sich vollständig und selbständig in den Rechtsfall einarbeiten. Darüber hinaus sei auch nicht nur die Terminsgebühr angefallen. Denn mangels Verhandelns im Sinne der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG entstehe diese Gebühr im Rahmen der Eröffnung eines Haftbefehls nicht. Der Pflichtverteidiger müsse daher ohne Vergütung tätig werden, würde man dieser Auffassung folgen.

Mit Beschluss vom 8. Juli 2022 setzte die Kostenbeamtin des Amtsgerichts die Gebühren und Auslagen auf 285,60 Euro fest. Es liege eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG vor, denn der Beschwerdeführer sei lediglich für die Einzel-tätigkeit der Vertretung des Angeklagten im Rahmen der Haftbefehlseröffnung beige-ordnet worden. Mit der Verteidigung im Übrigen sei bereits Rechtsanwalt pp. beauftragt. Die Rechtsanwalt pp. zustehende Vergütung setze sich daher aus der Gebühr Nr. 4301 VV RVG in Höhe von 220,00 Euro sowie der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer zusammen. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 11. Juli 2022 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer Erinnerung gegen diesen Beschluss. Zur Begründung verwies er auf seinen Antrag vom 30. Juni 2022.

Mit Beschluss vom 28. Juli 2022 wies das Amtsgericht die Erinnerung als unbegründet zurück, weil der Beschwerdeführer dem damaligen Beschuldigten lediglich in einer Einzeltätigkeit beigeordnet worden sei. Der Beschluss wurde am 4. August 2022 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 10. August 2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein, ohne diese weiter zu begründen.

Am 13. Dezember 2022 hat der Einzelrichter beim Landgericht Stuttgart die Entscheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage auf die Kammer übertragen. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 hat die 20. Große Strafkammer die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen und in ihrem Beschluss die weitere Beschwerde zugelassen. Maßgeblich für die Abgrenzung eines Einzeltätigkeits-auftrags von einer Vollverteidigung sei die gerichtliche Bestellung. Nach dieser sei der Beschwerdeführer ausschließlich für die Haftbefehlseröffnung beigeordnet worden. Die Auffassung, dass jede Pflichtverteidigerbeiordnung zur Entstehung einer Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr führe, finde im Wortlaut der Vorbemerkung 4.3 VV RVG keinen Halt. Eine einzeltätigkeitsbezogene Pflichtverteidigerbeiordnung sei ohne weiteres mit dem Wortlaut vereinbar. Auch die Systematik der Nr. 4301 VV RVG spreche gegen eine Entstehung darüberhinausgehender Gebühren. Die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung führe dazu, dass der Gebührentatbestand Nr. 4301 VV RVG auf Pflichtverteidiger grundsätzlich nicht anwendbar sei. Der Beschluss wurde am 28. Dezember 2022 zugestellt.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2022, eingegangen beim Landgericht am selben Tag. Eine zunächst angekündigte weitere Begründung ist nicht eingegangen.

Das Landgericht hat der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die weitere Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 RVG, § 33 Abs. 6 RVG statthaft und auch ansonsten zulässig erhoben. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Gemäß § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG kann die weitere Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass das Beschwerdegericht eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet hat und die Entscheidung auf dieser unrichtigen Anwendung beruht. Ein Rechtsfehler in diesem Sinne ist hier nicht ersichtlich. Zu Recht hat das Landgericht für die Teilnahme des Beschwerdeführers am Termin zur Eröffnung des Haftbefehls lediglich die Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG festgesetzt.

2. In Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ist nach Absatz 1 der Vorbemerkung zu den Gebührentatbeständen Nrn. 4300 bis 4303 VV RVG die Vergütung des Rechtsanwalts geregelt, der nicht insgesamt mit der Interessenwahrnehmung beauftragt ist, also nicht den vollen Verteidigungsauftrag hat, sondern hieraus nur eine einzelne Tätigkeit übernimmt. Bei den dort genannten Einzeltätigkeiten erhält der Rechtsanwalt jeweils eine Verfahrensgebühr, andere Gebühren werden ihm nicht gewährt.

3. Für die Abgrenzung zwischen einem „Vollverteidiger" und einem mit einer Einzeltätigkeit beauftragten Rechtsanwalt ist bei einem Pflichtverteidiger gemäß § 48 Abs. 1 RVG der Wortlaut der Verfügung des Vorsitzenden oder des Gerichtsbeschlusses maßgebend, durch den die Bestellung erfolgt ist (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2011 - 4 Ws 195/10, juris Rn. 17). Vorliegend wurde der Beschwerdeführer nach dem Wortlaut des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2022 „für den heutigen Anhörungstermin", also für die Vorführung und Vernehmung vor dem zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 u. 2 StPO, zum Pflichtverteidiger bestellt. Der Formulierung des Beschlusses kann hier sowohl eine zeitliche, als auch eine inhaltliche Beschränkung der Bestellung - nämlich auf die Haftfrage - entnommen werden. Für eine unbeschränkte Beiordnung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger war schon deshalb kein Raum, weil für den Beschuldigten zum Zeitpunkt der Beiordnung bereits Rechtsanwalt pp. als Wahlverteidiger tätig und der Beschuldigte damit nicht unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO war. Jedenfalls in einem solchen Fall handelt es sich bei der Vertretung des Beschuldigten im Rahmen der Haftvorführung nach § 115 StPO um eine Einzeltätigkeit.

4. Die Gebühr für die Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung im Rahmen einer Einzeltätigkeit ist in Nr. 4301 Ziff. 4 VV geregelt. Vernehmung in diesem Sinne ist auch die Vernehmung bei einer Vorführung gemäß § 115 Abs. 2 StPO (Felix in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Auflage, VV 4301 Rn. 13; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 25. Auflage, VV 4301 Rn. 15). Der Auffassung, der Pflichtverteidiger sei ausdrücklich als Verteidiger beigeordnet, was die Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ausschließe (Burhoff, Handbuch des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, 9. Auflage, P Rn. 3435) tritt der Senat nicht bei. Derartiges ergibt sich aus dem Wortlaut des zur Begründung herangezogenen Absatz 1 der Vorbemerkung 4.3 VV gerade nicht. Nach Absatz 1 der Vorbemerkung 4.3 VV entstehen die Gebühren für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist. Der Begriff „sonst" impliziert, dass auch der in einer einzelnen Tätigkeit auftretende Rechtsanwalt Verteidiger ist. Der Wortlaut differenziert also zwischen einem Rechtsanwalt, dem die Verteidigung ausschließlich in einer einzelnen Tätigkeit übertragen ist, und einem Rechtsanwalt, der auch sonst - also über die einzelne Tätigkeit hinaus - als Verteidiger auftritt. Beide sind dabei im Umfang ihrer jeweiligen Tätigkeit Verteidiger mit allen Rechten und Pflichten. Eine Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr verdient aber nur derjenige Rechtsanwalt, der auch über die einzelne Tätigkeit hinaus für den Mandanten tätig wird. Auch ein Vergleich mit den sonstigen von Nr. 4301 VV RVG umfassten Einzeltätigkeiten zeigt, dass es keineswegs unangemessen ist, einen Rechtsanwalt der ausschließlich für eine Haftvorführung zum Pflichtverteidiger bestellt wird, lediglich mit der Festgebühr in Höhe von 220 Euro zu vergüten; dies unabhängig von Umfang und Aufwand der mit der Haftvorführung verbundenen Beratung. So sieht Nr. 4301 Ziff. 5 VV etwa eine Gebühr in derselben Höhe für denjenigen Rechtsanwalt vor, der den Antragsteller im Rahmen eines Klageerzwingungsverfahrens vertritt, mit dem in der Regel ebenfalls ein hoher Einarbeitungs- und Begründungsaufwand einhergeht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 u. 3 RVG.


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