Gericht / Entscheidungsdatum: LG Leipzig, Beschl. v. 06.01.2023 - 5 Qs 66/22
Eigener Leitsatz:
1. Auch unter dem Begriff der Vernehmung i.S. der Nr. 4102 Nr. 1 VV RVG ist eine Befragung zu verstehen, bei der der Vernehmende beim Vernommenen in offizieller Funktion Auskunft sucht beziehungsweise diesen anhört. Es ist nicht eine förmlich anberaumte Vernehmung erforderlich. Ein aktives Verhandeln ist seitens des anwesenden Verteidigers für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich.
2. Hinsichtlich der Höhe der Vernehmungsterminsgebühr ist maßgeblich auf die Dauer der Vernehmung abzustellen.
Landgericht Leipzig
Strafkammer
5 Qs 66/22
BESCHLUSS
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt Christian Mucha, Weißenfelser Straße 48a, 04229 Leipzig
- Beschwerdeführer -
wegen Nötigung
ergeht am 06.01.2023 durch das Landgericht Leipzig - 5. Strafkammer als Beschwerdekammer - nachfolgende Entscheidung:
1. Auf die sofortige Beschwerde vorn 08.12.2022 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Leipzig vom 02.12.2022 dahingehend abgeändert, dass als zu erstattende Kosten weitere 125,- Euro zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.07.2022 festgesetzt werden.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen zur Hälfte der Staatskasse zur Last. Im Übrigen werden diese vom Beschwerdeführer getragen.
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Leipzig führte gegen den ehemaligen Angeklagten (im Folgenden nur als Angeklagter bezeichnet) ein Ermittlungsverfahren wegen Nötigung. Im Rahmen der Ermittlungen fand am 07.11.2019 ein Polizeieinsatz am Tatort in der pp. straße in Leipzig statt, in dessen Rahmen der Angeklagte mit seinem Wahlverteidiger - dem jetzigen Beschwerdeführer - erschien, sich unter anderem auswies und sich nach entsprechender polizeilicher Belehrung nicht zu dem ihm vorgeworfenen Sachverhalt äußern wollte (vgl. Aktenvermerk der PD Leipzig vom 07.11.2019, BI. pp. d.A.).
In der Folge beantragte die Staatsanwaltschaft Leipzig mit Verfügung vom 30.04.2020 den Erlass eines Strafbefehls (BI. pp. ff. d. A.), den das Amtsgericht Leipzig am 20.05.2020 zunächst antragsgemäß erließ (BI. pp. f. d. A.). Nach fristgemäßem Einspruch gegen den Strafbefehl sprach das Amtsgericht Leipzig den Angeklagten mit Urteil vom 24.06.2021 vom Vorwurf der Nötigung frei und legte die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auf (BI. pp. d. A.).
Gegen dieses Urteil wandte sich die Staatsanwaltschaft Leipzig mit dem Rechtsmittel der Berufung mit Schreiben vom 28.06.2021, das am gleichen Tage beim Amtsgericht Leipzig einging (BI. pp. d. A.). Mit Verfügung vom 29.03.2022 nahm die Staatsanwaltschaft Leipzig ihre Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 24.06.2021 schließlich zurück (BI. pp. d. A.). In der Folge legte das Landgericht Leipzig - Berufungskammer - mit Beschluss vom 30.03.2022 die durch die Berufung der Staatsanwaltschaft entstandenen Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auf (BI. pp. d. A.).
Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom 17.07.2022 die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 2.148,78 Euro brutto aus abgetretenem Recht (BI. pp f. d. KH). Nach Anhörung des Bezirksrevisors und entsprechendem Hinweis setzte das Amtsgericht Leipzig mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.12.2022 zu erstattende Kosten lediglich in Höhe von 1.571,51 Euro fest (BI. pp. d. KH). Die geltend gemachte Gebühr Nr. 4102 VV RVG sei nicht entstanden, da keine Vernehmung des Angeklagten durch die Polizei, sondern lediglich eine Identitätsfeststellung stattgefunden habe.
Mit Schriftsatz vom 08.12.2022 - eingegangen beim Amtsgericht Leipzig am selben Tag - erhob der Beschwerdeführer Erinnerung" gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.12,2022 (BI. pp. f. d. KH), da eine Vernehmung des Angeklagten durch die Polizei erfolgt und die Gebühr deshalb entsprechend entstanden sei. Das Amtsgericht Leipzig legte die Erinnerung als (sofortige) Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss aus und legte das Verfahren mit Verfügung vom 19.12.2022 dem Landgericht Leipzig zur Entscheidung über die Beschwerde vor (BI. pp. d. KH).
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
1. Die Erinnerung" des Beschwerdeführers vom 08.12.2022 ist nach § 300 StPO als sofortige Beschwerde auszulegen und als solche gemäß § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 304 Abs. 2 StPO und § 11 Abs. 1 RPfIG statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- Euro übersteigt. Bei Übersteigen eines Gegenstandswertes von 200,-Euro (vgl. § 304 Abs. 3 StPO) kommt als statthafter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtspflegers allein die sofortige Beschwerde gemäß § 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPfIG in Betracht (Gieg, in: KK-StPO/, 9. Aufl. 2023, StPO § 464b Rn. 4). Die sofortige Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Zudem ist der Beschwerdeführer beschwerdebefugt, da der Kostenerstattungsanspruch an ihn abgetreten worden war und er auch den Kostenfestsetzungsantrag gestellt hat (vgl. Landgericht Leipzig, Beschluss vom 15.02.2022, Az. 17 Qs 2/22, zitiert nach beck-online).
2. Die sofortige Beschwerde erweist sich jedenfalls in Höhe von 125,- Euro brutto als begründet.
a) Für die Teilnahme des Beschwerdeführers an dem Termin am 07.11.2019 ist eine Gebühr gemäß Nr. 4102 Ziffer 2 VV RVG dem Grunde nach entstanden.
Nach dieser Vorschrift entsteht eine Terminsgebühr in Höhe von 44,- Euro bis 330,- Euro für die Teilnahme des Wahlverteidigers an Vernehmungen durch die Staatsanwaltschaft oder eine andere Strafverfolgungsbehörde. Nach dem insoweit geltenden formellen Vernehmungsbegriff der StPO sind unter einer Vernehmung sämtliche Befragungen zu verstehen, bei der der Vernehmende beim Vernommenen in offizieller Funktion Auskunft sucht beziehungsweise diesen anhört (Schuhr, in: MüKoStP0, StPO vor § 133 Rn. 36, beck-online; Weingarten, in: KK-StPO, 9. Aufl. 2023, StPO § 163a Rn. 2a, u.a. unter Verweis auf BGH NJW 2018, 1986 Rn. 18). Ein enger gefasster Begriff, der etwa nur förmlich anberaumte Vernehmungen als solche bezeichnet, würde insbesondere den Anwendungsbereich der gesetzlich geregelten Belehrungspflichten sinnwidrig verkürzen (Schuhr, a.a.O.). Ein aktives Verhandeln ist seitens des anwesenden Verteidigers für das Entstehen der Gebühr nicht erforderlich (Toussaint/Felix, 52, Aufl. 2022, RVG VV 4102 Rn. 10).
Anhand dieser Maßstäbe ist davon auszugehen, dass bei dem Polizeieinsatz am 07.11.2019 über die bloße Identitätsfeststellung hinaus auch eine Befragung und damit eine Vernehmung des Angeklagten in Anwesenheit des Beschwerdeführers stattgefunden hat: Die Befragung und das Auskunftsverlangen richteten sich zunächst darauf, ob der in dem Wohnmobil durch die Polizei aufgefundene Hund dem Mandanten des Beschwerdeführers gehört und darüber Rückschlüsse auf seine Identität gezogen werden können. Allerdings erfolgte dies erst, nach-dem sich der Beschuldigte bereits ausgewiesen hatte, so dass dessen Identität bereits fest-gestellt worden war. Zudem war jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht auszuschließen, dass die Frage, wer Besitzer des Hundes ist, auch für die Schuldfrage von Belang sein konnte. Aber auch unabhängig davon spricht für das Vorliegen einer Vernehmung im Sinne der StPO bereits, dass der Mandant des Beschwerdeführers durch die Polizei über sein Recht auf Aussagefreiheit belehrt worden ist (BI. pp d.A.). Offenbar ist die Polizei selbst der Annahme gewesen, eine formelle Vernehmung durchzuführen, da nur bei einer solchen die Pflicht zur Belehrung besteht (vgl, etwa Weingarten, a.a.O.).
Die Terminsgebühr nach Nr. 4102 Ziffer 2 VV RVG ist damit dem Grunde nach entstanden.
b) Nach Auffassung der Kammer erscheint der vom Beschwerdeführer insoweit geltend gemacht gemachte Betrag von 245,- Euro indes unbillig hoch und damit nicht verbindlich (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG).
Im Festsetzungsverfahren ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie bei einer Gesamtabwägung unbillig ist; für die Unbilligkeit gelten dabei die gleichen Gesichtspunkte wie für den fehlerhaften Ermessengebrauch bei der Abrechnung gegenüber dem Auftraggeber nach § 14 Abs. 1 Satz 1 bis 3 RVG (v. Seltmann, in: BeckOK RVG, 58, Ed. 01.09.2021, RVG § 14 Rn. 53). Die Rahmengebühr nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG ist unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Eine Unbilligkeit der Gebührenbestimmung durch einen Rechtsanwalt ist nach herrschender und von der Kammer geteilter Ansicht dann gegeben, wenn die geltend gemachte Gebühr, die als angemessen anzusehende Gebühr um mehr als 20 Prozent übersteigt (vgl, etwa v. Seltmann , in: BeckOK RVG, 58. Ed. 01.09.2021, RVG § 14 Rn. 13).
Gemessen an diesen Maßstäben erscheint der vom Beschwerdeführer geltend gemachte Betrag unbillig. Wesentliches - wenngleich nicht alleiniges - Kriterium für die Festsetzung der Terminsgebühr ist die zeitliche Dauer des Termins. Der gegenständliche Termin am 07.11.2019 dauerte nach dem Aktenvermerk der PD Leipzig vom selben Tag lediglich rund 15 Minuten (vgl. insoweit BI. d.A.: Gegen 10:30 Uhr erschien RA pp. im Beisein [...]."; Gegen 10:45 Uhr verließen die Beamten den Einsatzort."). Kriterien, welche die weit unterdurchschnittliche Dauer des Termins kompensieren könnten, sind nicht ersichtlich, zumal auch der Umfang der Angelegenheit unterdurchschnittlich war. Auch stellte die Polizei dem Mandanten des Beschwerdeführers - unter Zugrundelegung des Aktenvermerks vom 07.11.2019 (a.a.O.) - lediglich eine einzige Frage.
Vor diesem Hintergrund erachtet die Kammer lediglich eine Gebühr in Höhe von 125,- Euro zuzüglich Umsatzsteuer und Zinsen für angemessen, sodass die vom Beschwerdeführer beantragte Gebühr in Höhe von 245,- Euro selbst unter Beachtung eines Ermessenspielraums von 20 Prozent als zu hoch und damit unbillig erscheint.
Wie tenoriert war daher auf die sofortige Beschwerde lediglich ein weiterer Betrag in Höhe von 125,- Euro zuzüglich Umsatzsteuer und Zinsen festzusetzen, der dem Beschwerdeführer zu erstatten ist.
Die Einholung eines Gutachtens des Vorstands der Rechtsanwaltskammer gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 RVG war nicht angezeigt. Die Vorschrift ist in Kostenfestsetzungsverfahren wie dem vorliegenden nicht anzuwenden; die angemessene Vergütung kann in einem derartigen Fall durch den Rechtspfleger oder das Gericht selbst bestimmt werden (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 21.04.2009, Az. 14 W 239/09, NJOZ 2009, 1839, beck-online).
Einsender: RA C. Mucha, Leipzig
Anmerkung:
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