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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Klimaschutz, Tempolimit, Verfassungsbeschwerde, Begründungsanforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: BVerfG, Beschl. v. 15.12.2022 - 1 BvR 2146/22

Eigener Leitsatz:

Zwar kann mit der Verfassungsbeschwerde unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbar ein Verstoß gegen Art. 20a GG gerügt werden. Dafür muss dann aber substantiiert dargelegt werden, dass gesetzliche Regelungen oder gesetzgeberisches Unterlassen eingriffsähnliche Vorwirkung auf Freiheitsgrundrechte entfalten könnten, indem sie zu einem späteren Zeitpunkt unausweichlich zu aus heutiger Sicht unverhältnismäßigen staatlichen Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheit führen.


1 BvR 2146/22 -

In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde der pp.

gegen das Unterlassen des zuständigen Gesetzgebers, betreffend die Klimagesetzgebung gesetzliche Regelungen zu normieren, die zu einer frühzeitigen, transparenten und gerechteren Verteilung der Lasten der Treibhausgasminderung im Hinblick auf Freiheitschancen führen, insbesondere ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Britz
und die Richter Christ,
Radtke

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 15. Dezember 2022 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

1. Die Beschwerdeführenden wenden sich gegen aus ihrer Sicht unzureichende Klimaschutzmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland. Einen Verstoß gegen das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und gegen Freiheitsrechte leiten sie „exemplarisch“ daraus ab, dass der Gesetzgeber im Verkehrsrecht durch das Unterlassen eines Tempolimits keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Abwägungsentscheidung getroffen habe. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die bislang zur Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich ergriffenen Maßnahmen ausreichten, um die im Klimaschutzgesetz für den Verkehrssektor bis 2030 geregelte Emissionsmenge einzuhalten. Die Beschwerdeführenden halten es für erforderlich, die Freiheit, heute auf Autobahnen ohne Tempolimit fahren zu können, mit dem Klimaschutzpotenzial eines Tempolimits und mit künftigen, vermutlich härteren Freiheitseinbußen abzuwägen, die durch eine Verschiebung von Treibhausgasminderungsanstrengungen im Verkehrsbereich auf das Ende dieses Jahrzehnts entstünden. Die aktuellen Freiheitseinbußen eines jetzt einzuführenden Tempolimits seien gegenüber den damit zu erreichenden CO2-Einsparungen gering.

2. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie genügt den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Begründungsanforderungen nicht.

Die Beschwerdeführenden haben die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt. Zwar gewinnt das im Klimaschutzgebot des Art. 20a GG enthaltene Ziel der Herstellung von Klimaneutralität bei fortschreitendem Klimawandel in allen Abwägungsentscheidungen des Staates weiter an relativem Gewicht (vgl. BVerfGE 157, 30 <139 Rn. 198>). Dies gilt nicht nur für Verwaltungsentscheidungen über klimaschutzrelevante Vorhaben, Planungen et cetera, sondern auch für den Gesetzgeber, dem die Beschwerdeführenden hier im Kern vorwerfen, Maßnahmen, die im Verkehrsbereich alsbald die emittierte CO2-Menge senken könnten, in Abwägung mit anderen Belangen kein hinreichendes Gewicht beigemessen zu haben.

Zwar kann mit der Verfassungsbeschwerde unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbar ein Verstoß gegen Art. 20a GG gerügt werden. Das ist denkbar, wenn sich Beschwerdeführende gegen einen Eingriff in Grundrechte wenden, weil dieser verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt werden könnte, wenn die zugrunde liegenden Regelungen den elementaren Grundentscheidungen und allgemeinen Verfassungsgrundsätzen des Grundgesetzes entsprechen, zu denen auch das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG zählt (vgl. BVerfGE 157, 30 <133 f. Rn. 189 f.>).

Die Beschwerdeführenden haben jedoch die Möglichkeit eines Grundrechtseingriffs nicht aufgezeigt. Sie legen insbesondere nicht substantiiert dar, dass gesetzliche Regelungen oder gesetzgeberisches Unterlassen im Verkehrssektor, hier das Fehlen eines Tempolimits, eingriffsähnliche Vorwirkung auf ihre Freiheitsgrundrechte entfalten könnten, indem sie zu einem späteren Zeitpunkt unausweichlich zu aus heutiger Sicht unverhältnismäßigen staatlichen Beschränkungen grundrechtlich geschützter Freiheit führten (vgl. dazu BVerfGE 157, 30 <98 ff. Rn. 118 ff.; 131 ff. Rn. 184 ff.>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2022 - 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 4, 9, 12). Dafür muss sich die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten, weil regelmäßig nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates die Reduktionlasten insgesamt unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Januar 2022 - 1 BvR 1565/21 u.a. -, Rn. 12 m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Auch der Vortrag der Beschwerdeführenden, im Verkehrssektor werde es am Ende dieses Jahrzehnts zu erheblichen Freiheitsbeschränkungen kommen, weil die im Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 dem Verkehrssektor zugewiesene Emissionsmenge aktuell zu schnell aufgezehrt werde, vermag eine eingriffsähnliche Vorwirkung des Unterlassens eines Tempolimits nicht zu begründen. Sie haben schon ihre Annahme, das dem Verkehrssektor bis zum Jahr 2030 zugewiesene Emissionsbudget werde überschritten, nicht näher belegt. Außerdem haben sie weder dargelegt, dass am Ende dieses Jahrzehnts Treibhausgasminderungen in der von ihnen unterstellten Höhe auch von Verfassungs wegen unausweichlich gerade im Verkehrssektor erbracht sein müssen, noch dass weitergehende aktuelle Einsparungen gerade durch ein Tempolimit erzielt werden müssten.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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