Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hildesheim, Beschl. v. 12.12.2022 22 Qs 18/22
Leitsatz des Gerichts:
1. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung zur begrenzten Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts ist auf Straf- und Bußgeldsachen nicht übertragbar.
2. Vielmehr sind weiterhin Reisekosten eines nicht am Sitz des Prozessgerichts ansässigen (Wahl-)Verteidigers nur dann erstattungsfähige notwendige Auslagen, wenn dieser auch zum notwendigen Verteidiger hätte bestellt werden müssen oder seine Hinzuziehung aus besonderen Gründen (schwierige Rechtsmaterie, besonderes Vertrauensverhältnis o.ä.) erforderlich war
3. Wenn in einer einfachen Bußgeldsache der Kontakt zwischen Betroffenen und Verteidiger ausschließlich schriftlich bzw. per Telekommunikationsmittel stattfindet, sind die Reisekosten auch nicht in Höhe einer fiktiven Informationsfahrt des Betroffenen zu einem Rechtsanwalt am Sitz des Prozessgerichts erstattungsfähig.
n pp.
I. Auf die sofortige Beschwerde der Landeskasse wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 30. Juni 2022 (Geschäftsnummer: 112 OWi 44 Js 14321/21) dahin gehend abgeändert, dass die dem Betroffenen aus der Landeskasse zu erstattenden Auslagen auf 794,92 herabgesetzt werden.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
III. Der Beschwerdewert beträgt 328,20 .
Gründe
I.
Die gegen den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss form- und fristgerecht eingelegte Erinnerung der Landeskasse ist wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - als sofortige Beschwerde ohne Abhilfemöglichkeit des Ausgangsgerichts auszulegen (§§ 304 Abs. 3, 311 Abs. 3, 464b S. 4 StPO). Die Erinnerung (§ 11 Abs. 2 RpflG) ist nur statthaft, wenn anders als hier der Beschwerdewert von 200 nicht erreicht wird.
II.
Das so verstandene Rechtsmittel der Landeskasse hat im vollen Umfang Erfolg. Die Reisekosten des Verteidigers (224,28 Fahrtkosten und 50 Abwesenheitsgeld nebst anteiliger Umsatzsteuer) sind keine aufgrund des Urteils des Bußgeldrichters vom 9. August 2021 aus der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen.
Aus der Bezugnahme in § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO auf § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2. ZPO ergibt sich, dass Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts nach VV RVG Nr. 7003 ff. "nur insoweit" zu erstatten sind, als seine Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig ist (vgl. KK-StPO/Gieg, 8. Aufl. 2019, StPO § 464a Rn. 12).
1. Selbst auf Grundlage der Rechtsauffassung des Amtsgerichts hätten die Kosten des auswärtigen Verteidigers daher nicht in voller Höhe festgesetzt werden dürfen, sondern wie der Verteidiger selbst im Schriftsatz vom 29. August 2022 ausgeführt hat nur in Höhe der Reisekosten eines Rechtsanwalts mit der höchstmöglichen Entfernung im Amtsgerichtsbezirk (BGH, Beschl. v. 9. Mai 2018 I ZB 62/17, MDR 2018, 1022), was hier zu festsetzbaren Reisekosten von etwa 63,60 nebst Umsatzsteuer geführt hätte (33,60 Reisekosten für jeweils etwa 40km Hin- und Rückweg zzgl. 30 Abwesenheitsgeld).
2. Nach der Rechtsprechung der Kammer lässt sich diese zivilgerichtliche Rechtsprechung (n. d. v. g. Beschl. v. 9. Mai 2018, zuletzt etwa Beschl. v. 14.09.2021, VIII ZB 85/20 MDR 2021, 1486ff.) aber nicht auf Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren übertragen. Sie betrifft ganz andere Verfahrenssituationen, nämlich Zivilprozesse mit Anwaltszwang.
a) Im Strafverfahren ist hingegen § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO seit jeher differenziert ausgelegt worden. So ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines auswärtigen Anwalts - unabhängig von (Amts-)Gerichtsbezirken - grundsätzlich nur dann bejaht worden, wenn das Verfahren ein schwieriges und abgelegenes Rechtsgebiet betrifft, weshalb nur ein Anwalt mit besonderen Kenntnissen auf diesem Spezialgebiet zur ordnungsgemäßen Verteidigung in der Lage ist und ein solcher Spezialist am Sitz des Prozessgerichts nicht ansässig ist (vgl. LG Koblenz NStZ 2003, 619; OLG Köln NJW 1992, 586; OLG Jena StV 2001, 242; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 12, s. a. Kotz: Aus der Rechtsprechung zu den Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen in Strafsachen 2010/2011, NStZ-RR 2012, 265, 266f.). Ferner kommt bei einem schweren Schuldvorwurf dem besonderen Vertrauensverhältnis regelmäßig eine größere Bedeutung als die Ortsnähe zu. Wenn der auswärtige Verteidiger gemäß §§ 141, 142 StPO als Pflichtverteidiger hätte bestellt werden können, dürfen seine als Wahlverteidiger geltend gemachten Auslagen dahinter nicht zurückbleiben (vgl. OLG Stuttgart Beschl. v. 12.10.2017 ,1 Ws 140/17, BeckRS 2017, 129463; OLG Nürnberg ZfS 2011, 226).
Hingegen hätte die unreflektierte Anwendung der vorgenannten zivilistischen Rechtsprechung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten des Strafverfahrens hingegen auch die Konsequenz, dass in Fällen notwendiger Verteidigung die Fahrtkosten eines auswärtigen Wahlverteidigers, der zum Verteidiger hätte bestellt werden können, nur bis zur Höhe der im (Amts-)Gerichtsbezirk maximal anfallenden Reisekosten erstattungsfähig wären und wohl auch nicht auf die Schwierigkeit oder Entlegenheit des Rechtsgebiets abgestellt werden könnte (vgl. Beschl. der Kammer v. 30. August 2022, 22 Qs 9/22).
b) Im Ordnungswidrigkeitenverfahren treten die vorgenannten Konstellationen nur ganz selten auf. Im Verfahren kann sich der Betroffene selbst vertreten und die Sachverhalte sind regelmäßig wie hier bei dem Vorwurf eines überschaubaren Verkehrsverstoßes einfach gelagert.
Wie die die Landeskasse vertretende Bezirksrevisorin zutreffend ausgeführt hat, ist es dann dem Betroffenen grundsätzlich zumutbar, einen Rechtsanwalt am Gerichtssitz zu mandatieren, für dessen Terminswahrnehmung keine Reisekosten anfallen (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 14.05.2007, 22 Qs 6/07; vom 15.04.2010, 22 Qs 4/10; vom 15.01.2013, 22 Qs 8/13; vom 26.11.2014, 22 Qs 14/14, vom 12.03.2015, 22 Qs 1/15, vom 25.08.2017, 22 Qs 11/17 und v. 30. August 2022, 22 Qs 9/22).
c) In den vorgenannten Entscheidungen hat die Kammer hingegen dem Betroffenen regelmäßig Reisekosten in Höhe der nicht umsatzsteuerbelasteten Kosten einer fiktiven Informationsfahrt des Betroffenen zu einem Rechtsanwalt am Gerichtssitz zuerkannt.
Dies kommt im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. Eine persönliche Besprechung in der Kanzlei des mandatierten Rechtsanwalts hat es nicht gegeben, sodass auch nicht fiktiv für den Fall der Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort davon ausgegangen werden kann, dass der Betroffene diesen zum Zwecke der Information bzw. persönlichen Beratung aufgesucht hat und in entsprechender Höhe in jedem Falle Reisekosten entstanden wären.
Vielmehr sind dem einfachen und überschaubaren Sachverhalt entsprechend schriftliche beziehungsweise telefonische Besprechungen erfolgt. Diese hätten wie die Bezirksrevisorin ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - in gleicher Weise bei Mandatierung eines Rechtsanwalts am Gerichtsort erfolgen können (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl. 2021, Rn. 173 zu VV RVG Nr. 7003), sodass insgesamt keine Reisekosten zu den notwendigen Auslagen gehören.
III.
Da die Beschwerde der Landeskasse auch bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss überwiegend Erfolg gehabt hätte, hat es die Kammer für angemessen erachtet, die Kosten des Beschwerdeverfahrens wegen unrichtiger Sachbehandlung niederzuschlagen (§ 21 GKG).
Eine Erstattung der dem Betroffenen im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen kam aufgrund des vollständigen Erfolgs des Rechtsmittels der Landeskasse nicht in Betracht (vgl. §§ 464a, 473 StPO).
Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht eröffnet (§ 310 StPO).
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