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Entscheidungen

Haftfragen

Haftbefehl, Neufassung, prozessuale Überholung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Rostock, Beschl. v. 29.11.2022 -20 Ws 293/22

Eigener Leitsatz:

Zur Neufassung eines Haftbefehls und zur prozessualen Überholung


20 Ws 293/22

Oberlandesgericht Rostock

Beschluss

In dem Strafverfahren gegen

Verteidiger:
Rechtsanwalt

wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.

hat das Oberlandesgericht Rostock - 1. Strafsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 29. November 2022 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Rostock vom 20.09.2022 —11 KLs 57/22 — wird als unbegründet auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe:

1. Die Beschwerde des Angeklagten im Schriftsatz seines Verteidigers vom 05.10.2022 richtet sich gegen den Beschluss des Landgerichts Rostock — 1. Große Strafkammer — vom 20.09.2022 — 11 KLs 57/22 — (Bd. IV BI. 21, 23 d. A.), durch den die Kammer nach Durch-führung der Hauptverhandlung und Verkündung des Urteils gegen den Angeklagten gemäß § 268b StPO die Fortdauer des Vollzugs der Untersuchungshaft aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Rostock vom 23.09.2021 — 34 Gs 2211/21 — beschlossen hat.

2. Dem ist folgendes vorausgegangen:

Nachdem die Fortdauer der Untersuchungshaft im Rahmen der besonderen Haftprüfungen durch den Senat mit Beschlüssen vom 14.04.2022 — 20 Ws 80/22 — und vom 14.06.2022 —10 Ws 120/22 — angeordnet worden war, hat das Landgericht Rostock den Angeklagten mit Urteil vom 20.09.2022 wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es u. a. die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Anders als bei der Prüfung des Tatverdachts durch den Senat im Rahmen der besonderen Haftprüfungen hat das Landgericht nach Durchführung der Hauptverhandlung nur einen minder schweren Fall des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BtMG angenommen und insoweit den entsprechend deutlich geringeren Strafrahmen zur Anwendung gebracht.

Gegenstand des Urteils sind die mit Anklageschriften vom 07.01.2022 und vom 04.01.2022 (440 Js 30087/21 StA Rostock — verbundenes Verfahren) erhobenen Tatvorwürfe. Gegen-stand des Urteils sind damit nicht auch die mit Nachtragsanklageschrift vom 01.08.2022 (Bd. III BI. 176 f. d. A.: Handeltreiben mit mindestens 30 kg Marihuana) erhobenen weiteren Tatvorwürfe, da sich der Angeklagte insoweit nicht mit der Einbeziehung in die Hauptverhandlung einverstanden erklärt hat.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Angeklagte hat Revision eingelegt.

Im Anschluss an die Urteilsverkündung hat das Landgericht den angegriffenen Beschluss erlassen (Bd. IV BI. 23 d.A.). Dieser führt lediglich aus, der Haftbefehl des Amtsgerichts Rostock vom 23.09.2021 — 34 Gs 2211/21 — (Bd. I BI. 55 ff. d. A.) bleibe „aus den nach Maßgabe der heutigen Verurteilung zutreffenden und fortbestehenden Gründen seines Erlasses aufrechterhalten und in Vollzug". Eine nähere Erörterung der Voraussetzungen der Untersuchungshaft ist zunächst nicht erfolgt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die eingangs bezeichnete Beschwerde des Angeklagten. Dieser führt an, Fluchtgefahr liege nicht vor. Diese könne sich nicht auf tatsächliche Anhaltspunkte stützen.

4. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 07.10.2022 (Bd. IV BI. 11 ff. d.A.) nicht abgeholfen. Sodann hat das Landgericht weiter folgendes ausgeführt:

„Der Haftbefehl des Amtsgerichts Rostock vom 23.9.2021 wird wie folgt neu gefasst:

Haftbefehl

Gegen den Angeklagten wird die Untersuchungshaft angeordnet.

Der Angeklagte ist dringend verdächtig und mit Urteil der Kammer vom 20.9.2022 insoweit bereits zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, [..]". Es folgen die abstrakten Tatvorwürfe, die zugehörigen Konkretisierungen sowie die ausführliche Begründung des Tatverdachts, des Haftgrunds und der Verhältnismäßigkeit der Unter-suchungshaft. Als Haftgrund hat das Landgericht weiterhin Fluchtgefahr angenommen. Dabei hat es auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe, die voraussichtliche Dauer der Maßregel sowie die Tatvorwürfe gemäß der noch nicht verhandelten Nachtragsanklageschrift, infolge derer der Angeklagte voraussichtlich mit einer weiteren (wenn auch gesamtstrafenfähigen) mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen habe, verwiesen. Wesentliche Bindungen, die diesen Fluchtanreizen entgegenstünden, lägen nicht vor. Der Angeklagte sei ledig, lebe nicht in einer festen Partnerschaft, habe keine Kinder und sei zuletzt lediglich einer Erwerbstätigkeit als Saisonarbeiter im Bereich der Dachreinigung nachgegangen, die gegenwärtig ohnehin enden würde. Mildere Maßnahmen zur Erreichung des Zwecks der Untersuchungshaft lägen nicht vor.

Das Landgericht hat diesen Beschluss in der Folge formlos übersandt.

Auf die wegen der Beschwerde des Angeklagten erfolgten Vorlage der Akten hat die Generalstaatsanwaltschaft die Vorgänge mit Schreiben vom 24.10.2022 (Bd. IV BI. 28 f. d. A.) an das Landgericht zurückgeleitet. Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft habe die Kammer einen neuen Haftbefehl erlassen, wodurch sich die Beschwerde des Angeklagten gegen den Fortdauerbeschluss vom 20.09.2022 erledigt habe. Der neue Haftbefehl sei dem Angeklagten zu verkünden, erst gegen diesen Haftbefehl sei in der Folge wieder Beschwerde möglich.

Das Landgericht vertritt mit Verfügung des Vorsitzenden vom 01.11.2022 (Bd. IV BI. 30 d. A.) eine andere Ansicht. Es liege kein neuer Haftbefehl im eigentlichen Sinne vor, sondern lediglich eine „bloße Nichtabhilfeentscheidung", die den bisherigen Haftbefehl „aktualisiere". Es sei bei zulässiger Beschwerde möglich, den Mangel einer nicht begründeten Fortdauer-entscheidung noch im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung beziehungsweise im Beschwerdeverfahren insgesamt zu heilen (Senat, Beschluss vom 28.01.2004 — I Ws 20/04 —).

Wegen der divergierenden Rechtsansichten hat die Generalstaatsanwaltschaft dem Ange-klagten über seinen Verteidiger mit Schreiben vom 04.11.2022 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und um Prüfung gegeben, ob und in welcher Form das Rechtsmittel weitergeführt werden soll. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.11.2022 hat der Angeklagte ausdrücklich von einer Stellungnahme abgesehen.

Mit Zuschrift vom 22.11.2022 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Beschwerde des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen. Anfechtbar sei immer nur die zuletzt ergangene Haftentscheidung, das sei nicht (mehr) der Beschluss nach § 268b StPO, sondern der neu gefaßte Haftbefehl.

Der Angeklagte hatte über seinen Verteidiger rechtliches Gehör, von dem kein Gebrauch gemacht worden ist.

Die schriftlichen Gründe des Urteils vom 20.09.2022 liegen mittlerweile vor.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft liegt keine Neufassung des Haft-befehls vor, die zur prozessualen Überholung der Beschwerde geführt hätte. Zwar ist die Nichtabhilfeentscheidung der Kammer vom 07.10.2022 insofern unglücklich formuliert, als dass sich alleine aus ihr eine von der Generalstaatsanwaltschaft angenommene Neufassung des Haftbefehls ergeben könnte. In der Verfügung vom 01.11.2022 hat der Kammervorsitzende indes klargestellt, dass die Ausführungen in der Nichtabhilfeentscheidung vom 07.10.2022 einzig den Zweck hatten, den nach § 268b StPO ergangenen, zunächst nicht näher begründeten Haftfortdauerbeschluss der Kammer vom 20.09.2022 nachträglich zu ergänzen, um dem Beschwerdegericht eine Entscheidung in der Sache zu ermöglichen.

Der Generalstaatsanwaltschaft ist zwar insoweit zuzustimmen, dass auch ein erst im Rahmen der Abhilfeprüfung neu gefasster Haftbefehl zur prozessualen Überholung einer gegen eine zuvor getroffene Haftentscheidung eingelegten Beschwerde führt (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.06.2019 - 1 Ws 99/19 -; OLG Celle, Beschluss vom 08.12.2016 -1 Ws 599/16 - juris - ). Eine Auslegung als bloße Nichtabhilfeentscheidung scheidet dann aus, wenn das Gericht nach eigener Diktion einen neuen Haftbefehl erlassen wollte und auch erlassen hat (OLG Brandenburg, a. a. 0. Rn. 13; OLG Celle a.a.O.; Hervorhebung durch den Senat).
So liegt der Fall hier aber gerade nicht, weil das Gericht mit der Verfügung vom 01.11.2022 seine Intention klargestellt hat, nämlich lediglich prüffähige Beschlussgründe entsprechend dem Gebot des § 34 StPO nachzuerstellen und keinen neuen Haftbefehl zu erlassen.

Bei dieser - auch möglichen - Lesart der zugrundeliegenden Entscheidungen ist der Ange-klagte im übrigen bessergestellt, weil sein Rechtsmittel nicht aus formellen Gründen ohne Sachprüfung zu verwerfen ist.

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

a) Der Angeklagte ist der ihm vorgeworfenen Taten, die zu seiner Verurteilung in 1. Instanz und zur Anordnung von Haftfortdauer geführt haben, dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht folgt aus den Gründen des Urteils der Kammer vom 20.09.2022 (Bd. IV BI. 37 ff. d.A.). Gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts trägt auch die Beschwerde nichts vor.

b) Fluchtgefahr gemäß § 112 Absatz 2 Nr. 2 StPO liegt aus den zutreffenden Erwägungen der Kammer in der Nichtabhilfeentscheidung vom 07.10.2022 vor. In der erfolgten Verurteilung, der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe, der in Aussicht stehenden Vollstreckung der Maßregel sowie der drohenden weiteren gesamtstrafenfähigen langjährigen Freiheitsstrafe wegen der in der noch nicht verhandelten Nachtragsanklage genannten Tatvorwürfe liegen auf Tatsachen beruhende und ausreichend konkrete Umstände vor, die besorgen lassen, dass sich der Angeklagte dem Verfahren eher durch Flucht entziehen wird, als sich ihm zur Verfügung zu halten. Gelegenheiten zum Abtauchen bieten seine Verstrickung in die Drogenszene mit einhergehenden konspirativen Kontakten im In- und Ausland.

c) Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist weiterhin verhältnismäßig, auch wenn die Haft bereits rund ein Jahr andauert, da der Verurteilte mit einer langjährigen Gesamtfreiheitsstrafe zu rechnen hat.

Weniger einschneidende Maßnahmen nach §§ 116, 116a StPO, durch die der Zweck der Untersuchungshaft mit der notwendigen Sicherheit erreicht werden könnte, sind nicht er-sichtlich.

3.

Die Beschwerde konnte nach alledem keinen Erfolg haben und war als unbegründet zu verwerfen.


Einsender: RA T. Penneke, Rostock

Anmerkung:


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