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Entscheidungen

Gebühren

geplatzter Termin, Terminsgebühr, späte Absage des Termins, Rechtzeitigkeit, Adhäsionsverfahren, Verfahrensgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.08.2022 – 1 Ws 22/22 (S)

Eigener Leitsatz:

1. Die Terminsgebühr für einen geplatzten Termin nach Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG setzt nicht voraus, dass der Rechtsanwalt nur dann zu einem anberaumten Termin erschienen ist, wenn er im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist. Vielmehr steht auch dem nicht erschienenen Rechtsanwalt eine Terminsgebühr zu, wenn die Terminsabsage nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass dem Rechtsanwalt bei der gebotenen Flexibilität seiner Arbeitsorganisation nicht noch eine anderweitige Nutzung zumindest eines Großteils seiner für den Termin vorgesehenen Arbeitszeit ermöglicht ist.
2. Eine Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG ist nur entstanden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht.


In pp.

Auf die Beschwerde der Pflichtverteidigerin gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 03. Januar 2022, mit dem ihre Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 24. September 2021 als unbegründet zurückgewiesen wurde, wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Neuruppin vom 24. September 2021 dahin abgeändert, dass die der Pflichtverteidigerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 12.890,83 € (i. B.: zwölftausendachthundertneunzig und 83/100 EUR) festgesetzt werden.
Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei, Kosten werden jedoch nicht erstattet.

Gründe


I.

Die Beschwerdeführerin, Rechtsanwältin Z… aus D…, begehrt mit ihrer Beschwerde die Festsetzung einer Terminsgebühr (Nr. 4120, 4121 VV RVG) für einen „geplatzten Termin“ und die Festsetzung einer Verfahrensgebühr (Nr. 4143 VV RVG) für das Adhäsionsverfahren.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 04. Oktober 2020 (100 AR 128/20) ist die Beschwerdeführerin dem jugendlichen Betroffenen R… W… zur Pflichtverteidigerin bestellt worden.

Die Hauptverhandlung hat vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Neuruppin als große Jugendkammer vom 05. Mai 2021 bis zum 26. August 2021 stattgefunden.

a) Der anberaumte Fortsetzungstermin am 25. Mai 2021 wurde wegen der plötzlichen Erkrankung eines Schöffen kurzfristig aufgehoben. Die Abladung erreichte die Beschwerdeführerin telefonisch am Morgen jenes Sitzungstages in einem Hotel in Neuruppin, nachdem die in D… ansässige Rechtsanwältin anlässlich des Termins bereits am Vorabend angereist war.

b) Mit Schriftsatz vom 30. April 2021 reichte der Nebenklägervertreter einen Adhäsionsantrag bei Gericht ein.

Mit Verfügung vom 03. Mai 2021 erteilte die Vorsitzende dem Nebenklägervertreter den rechtlichen Hinweis, dass eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) im Verfahren gegen Jugendliche gemäß § 81 JGG nicht in Betracht komme. Mit gleicher Verfügung ordnete die Vorsitzende die (einfache) Übersendung der Antragsschrift und einer Abschrift des an den Nebenklägervertreter gerichteten rechtlichen Hinweises u.a. an die Beschwerdeführerin zur Kenntnisnahme.

Mit Schriftsatz vom 03. Mai 2021 beantragte die Beschwerdeführerin gleichwohl, den Adhäsionsantrag zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 17. Juni 2021 hat die Kammer sämtliche Anträge der Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter Hinweis auf § 81 JGG abgelehnt.

Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schriftsatz vom 02. September 2021 in der korrigierten Fassung vom 21. September 2021, ihre Kosten und Auslagen entsprechend der beigefügten Liquidation auf 13.954,69 € festzusetzen und an sie zu erstatten. In der Kostennote waren unter anderem eine Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG für den 25. Mai 2021 in Höhe von 517,00 € sowie eine Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG für Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben in Höhe von 894,00 € jeweils nebst hierauf entfallender Umsatzsteuer enthalten.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. September 2021 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts Neuruppin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die der Beschwerdeführerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 12.275,60 € festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, sowohl die Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG für den 25. Mai 2021 als auch die Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG nebst jeweils hierauf entfallender Umsatzsteuer seien nicht zu erstatten. Eine Terminsgebühr komme nicht in Betracht, da die Beschwerdeführerin am 25. Mai 2021 nicht bei Gericht erschienen sei. Des Weiteren könne ein unzulässiges und vom Landgericht Neuruppin wegen § 81 JGG abgelehntes Adhäsionsverfahren keine Verfahrensgebühr auslösen.

Die gegen die Kostenfestsetzung gerichtete Erinnerung der Beschwerdeführerin hat die 2. Strafkammer des Landgerichts Neuruppin als Jugendkammer mit Beschluss vom 03. Januar 2022 als unbegründet verworfen.

Hiergegen richtet sich die befristete Beschwerde der Pflichtverteidigerin vom 14. Januar 2022, eingegangen beim Landgericht Neuruppin am selben Tag. Zum Anfallen der Terminsgebühr führte die Beschwerdeführerin aus, sich zum Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Abladung am 25. Mai 2021 aufgrund ihrer Anreise am Vortag bereits in Neuruppin befunden zu haben. Die geltend gemachte Verfahrensgebühr begründete sie im Kern damit, dass in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Beiordnung als Pflichtverteidigerin auch für das Adhäsionsverfahren gelte und eine Verteidigung auch gegen unzulässige Adhäsionsanträge notwendig und erforderlich sei.

Der Bezirksrevisor beim Landgericht Neuruppin hat beantragt, die Beschwerde insgesamt als unbegründet zu verwerfen.

Die Beschwerdeführerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Die Beschwerde der Pflichtverteidigerin vom 14. Januar 2022 ist gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Die geltend gemachte Terminsgebühr Nr. 4120, 4121 VV RVG in Höhe von 517,00 € nebst 19 % MwSt. Nr. 7008 VV RVG, mithin in Höhe von brutto 615,23 € für den am 25. Mai 2021 zu 10:00 Uhr anberaumten und erst am frühen Morgen des gleichen Tages abgesagten Hauptverhandlungstermin ist vorliegend erstattungsfähig.

Gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 3 S. 2 u. 3 zu VV-RVG erhält ein Rechtsanwalt eine Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die gerichtliche Terminsgebühr setzt also grundsätzlich die Tätigkeit eines Rechtsanwalts u.a. in einer Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache voraus und erfordert die Anwesenheit in seiner Eigenschaft als verfahrensbeteiligter Rechtsanwalt (vgl. Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Auflage, VV 4106, 4107 Rn. 7). Von dieser Regelung abweichend erhält ein Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet (Vorb. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG). Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder der Verlegung des Termins Kenntnis erlangt hat (Vorb. 4 Abs. 3 S. 3 VV RVG).

Die von der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang vorgenommene enge Auslegung dahingehend, dass ein Rechtsanwalt nur dann zu einem anberaumten Termin erschienen ist, wenn er im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist, greift nach Ansicht des Senats zu kurz (a.A. OLG München, Beschluss vom 23. April 2007 - 1 Ws 986/07 -; Beschluss vom 23. April 2018 – 6 St K 12/18 -; Beschluss vom 04. August 2014 – 6 St K 22/14 -; Beschluss vom 15. September 2014 – 6 St K 24/14 -; OLG Naumburg, Beschluss vom 12. August 2020 – 1 Ws (s) 154/20 -).

In der Gesetzesbegründung heißt es:
„Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Verteidiger, der zur Hauptverhandlung erscheint, hierfür keine Gebühr erhalten soll. Er erbringt unter Umständen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand schon zur Vorbereitung des Termins. Soweit dieser wegen des Nichtstattfindens der Hauptverhandlung gering ist, lässt sich dies ohne weiteres bei der Bemessung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens berücksichtigen.“ (BTDrs. 15/1971, S. 221)

Der Senat folgt den Überlegungen des Landgerichts Magdeburg, wonach Sinn und Zweck der Eingrenzung auf den Rechtsanwalt, der „zu einem anberaumten Termin erscheint“, ist, dass derjenige Rechtsanwalt von der Terminsgebühr ausgeschlossen sein soll, der ungeachtet der Terminsaufhebung zu dem Hauptverhandlungstermin ohnehin nicht erschienen wäre (LG Magdeburg, Beschluss vom 15. April 2020 – 21 Ks 5/19 –, Rn. 22, juris).

In systematischer Hinsicht ist zudem der Zusammenhang der Sätze 2 und 3 der Vorbemerkung 4 Abs. 3 VV-RVG zu berücksichtigen. Der erschienene Rechtsanwalt soll die Terminsgebühr - abgesehen von dem Fall seines Vertretenmüssens hinsichtlich der Terminsaufhebung - nur dann nicht erhalten, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist.

Es ist zwar weder legaldefiniert noch obergerichtlich geklärt, wann eine Inkenntnissetzung von dem Nichtstattfinden eines Termins rechtzeitig ist, um den Anspruch auf die Terminsgebühr entfallen zu lassen. Es ist insoweit jedoch auch zur Überzeugung des Senats ein Maßstab anzulegen, der dem Rechtsanwalt bei der gebotenen Flexibilität seiner Arbeitsorganisation noch eine anderweitige Nutzung zumindest eines Großteils seiner für den Termin vorgesehenen Arbeitszeit ermöglicht. Das ist sicherlich der Fall, wenn - wie in dem Fall des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 04. August 2014 (Az. 6 St (K) 22/14) - die Terminsaufhebung dem Rechtsanwalt am Vortag des geplanten Termins zur Kenntnis gelangt.

Wenn dem Begriff der Rechtzeitigkeit überhaupt eine Bedeutung beigemessen werden soll, kann der bereits auf dem Wege zum Gericht befindliche Rechtsanwalt in der Regel nicht mehr als rechtzeitig informiert gelten. Jedenfalls im vorliegenden Fall, bei dem augenscheinlich nicht mehr von einer Rechtzeitigkeit der Inkenntnissetzung von der Terminsaufhebung auszugehen ist, da sich die Verteidigerin nach ihrer knapp 550 km langen Anreise am Vortag bereits in unmittelbarer Nähe und praktisch auf direktem Wege zum Gericht befand, ist die Rechtsanwältin als erschienen anzusehen.

Es wäre eine Wertungswiderspruch, würde man ihr die Terminsgebühr im Gegensatz zu einem Anwaltskollegen, der bei gleichzeitiger Inkenntnissetzung von der Terminsaufhebung das Gericht bereits erreicht hatte, verwehren, nur weil sie die letzten Schritte zum Gericht nicht mehr gegangen ist.

2. Erfolglos bleibt die Beschwerde hinsichtlich der geltend gemachten Gebühren für das Adhäsionsverfahren.

Zwar hat der Bundesgerichtshof für den Fall der notwendigen Verteidigung (§§ 140 ff. StPO) entschieden, dass sich die Pflichtverteidigerbestellung auch auf das Adhäsionsverfahren erstreckt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021, 6 StR 307/21, in: NJW 2021, 2901 f.), was sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen, in der Regel untrennbaren Verbindung zwischen Verteidigung gegen den Tatvorwurf und Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO ergibt (BGH a.a.O.; siehe auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001, 3 StR 25/01, in: BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4).

Eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung, wie sie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung klargestellt hat, kann indes nur dann angenommen werden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht, was vorliegend nicht der Fall war. Dass der Bundesgerichtshof auch eine Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf ein unstatthaftes Verfahren im Blick hatte, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen und ist auch nicht zu unterstellen.

Zudem hat das erkennende Gericht den Adhäsionsantrag dem Angeklagten nicht zugestellt (BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 2 StR 390/14 –) und bereits bei der einfachen Übersendung der Antragsschrift mitgeteilt, dass das Adhäsionsverfahren gegen einen Jugendlichen nicht stattfinde.

Da ein Adhäsionsantrag, der außerhalb der Hauptverhandlung gestellt wird, gemäß § 404 Abs. 1 S. 3 StPO erst mit Zustellung wirksam wird (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2004 – 2 StR 37/04 –), bedurfte es insofern auch keiner Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten. Es erscheint auch nicht unbillig, die Gebühr zu versagen, da eine Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten nicht erforderlich war.

3. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).


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