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Entscheidungen

Zivilrecht

Rettungskostenersatz, Ausweichen vor Rehwild, Motorradfahrer

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Saarbrücken, Urt. v. 23.11.2022 – 5 U 120/21

Leitsatz des Gerichts:

Hat ein Motorradfahrer beim Einfahren in eine Rechtskurve aus geringer Entfernung Rehe wahrgenommen, die sich in unmittelbarer Nähe des rechten Straßenrandes hinter einem Busch befinden, und gerät er beim anschließenden Versuch, nach links auszuweichen, von der Straße ab, kann eine objektiv gebotene Rettungshandlung vorliegen und der Teilkaskoversicherer gehalten sein, dadurch entstandene Schäden am Fahrzeug und an der Kleidung des Fahrers als Aufwendungen zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles zu ersetzen.


In pp.

I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 30. November 2021 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 14 O 30/21 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die in dem angefochtenen Urteil zugesprochenen Zinsen erst ab dem 11. November 2020 geschuldet sind.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zur Last.
III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts Saarbrücken sind vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.295,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten, seinem Fahrzeugversicherer, Ersatz für Schäden anlässlich eines angeblichen Wildunfalles. Er unterhält dort eine Kraftfahrtversicherung "Motor Premium online Privat", bestehend aus Kfz-Haftpflichtversicherung und Fahrzeug-Teilkaskoversicherung (Versicherungsschein Nr. xxx, im Anlagenband); versichertes Fahrzeug ist ein Kraftrad der Marke BMW Modell S 1000 XR, Erstzulassung 15. August 2018 mit dem amtlichen Kennzeichen xxx, die vereinbarte Selbstbeteiligung in der Teilkaskoversicherung beträgt 150,- Euro. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB), Stand: 06/2018, zu Grunde. Am 7. September 2020 war der Kläger mit seinem Sohn auf dem versicherten Motorrad in Frankreich unterwegs, wobei es zu einem Unfall kam und das Motorrad beschädigt wurde. Ausweislich eines von der Beklagten beauftragten Gutachtens der Steinacker Ingenieurgesellschaft mbH vom 15. Oktober 2020 (Bl. 5 ff. GA) belaufen sich die Kosten der Reparatur des Motorrades auf 3.504,81 Euro (netto). Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 28. Oktober 2020 wurde die Beklagte unter Fristsetzung auf den 10. November 2020 vergeblich zur Leistung aufgefordert.

Der Kläger hat mit seiner Klage Ersatz der Netto-Reparaturkosten für das beschädigte Motorrad sowie weitere 2.500,- Euro (brutto) für Kleidung und Helm, insgesamt 6.004,81 Euro, jeweils zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen seit 11. November 2020, sowie Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 713,76 Euro nebst Zinsen beansprucht. Er hat behauptet, in Höhe einer Kurve, die er mit geschätzt 70 km/h habe befahren wollen, hätten sich hinter einem Busch mehrere Rehe aufgehalten, die die Straße in diesem Moment hätten überqueren wollen; er habe versucht den Rehen auszuweichen, sei dabei auf den Grünstreifen gekommen und gestürzt, durch den Sturz seien seine Motorradkleidung und sein Helm sowie die Motorradkleidung und der Helm seines Sohnes total beschädigt worden. Der Neuwert dieser zwei Jahre alten Gegenstände betrage 2.899,56 Euro, der Zeitwert 2.500,- Euro. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat die Darstellung des Unfallgeschehens durch den Kläger in Abrede gestellt, die derjenigen seines Sohnes widerspreche und auch nicht plausibel sei, weil der Kläger, wenn sich die Rehe tatsächlich auf der Straße befunden hätten oder im Begriff gewesen wären, auf die Straße zu laufen, unter Berücksichtigung der Zeit- und Wegeverhältnisse sowie seiner Geschwindigkeit keine Ausweichmöglichkeit mehr besessen hätte und mit den Rehen kollidiert wäre; auch ohne eine Reflexreaktion des Klägers wäre es nicht zu einer Kollision mit den Rehen gekommen.

Das Landgericht Saarbrücken hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen N. und G.. Mit dem angefochtenen Urteil (Bl. 119 ff. GA), auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Beklagte unter Klagabweisung im Übrigen dazu verurteilt, an den Kläger 4.295,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1. Mai 2020 zu zahlen. Die Beklagte sei zwar mangels Kollision mit dem Wild nicht aus dem Versicherungsvertrag eintrittspflichtig, der Kläger habe jedoch einen Erstattungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des Rettungskostenersatzes, der sich der Höhe nach auf die um den vereinbarten Selbstbehalt verminderten Netto-Reparaturkosten in Höhe von 3.354,81 Euro sowie den Netto-Wiederbeschaffungsaufwand für die eigene Motorradkleidung des Klägers zum (geschätzten) Zeitwert in Höhe weiterer 941,03 Euro belaufe. Als Nebenforderungen seien lediglich die Verzugszinsen geschuldet, nachdem die Beklagte erst durch die Fristsetzung auf den 10. November 2020 aus dem anwaltlichen Schreiben in Verzug geraten sei.

Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klagabweisung unter Bezugnahme auf ihr früheres Vorbringen weiter. Sie beanstandet im Wesentlichen die Beweiswürdigung des Landgerichts, das den Nachweis eines Wildwechsels mithilfe der - bei näherer Betrachtung widersprüchlichen - Angaben des Klägers und der Zeugenaussage seines Sohnes und, darauf gestützt, die Voraussetzungen des Rettungskostenersatzes zu Unrecht bejaht und verfahrensfehlerhaft nicht auf Einholung des von ihr beantragten Sachverständigengutachtens erkannt habe.

Die Beklagte beantragt (Bl. 168 GA):
In teilweiser Abänderung des Urteils 14 O 30/21 LG Saarbrücken wird die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger beantragt (Bl. 156 GA),
die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 5. Oktober 2021 und vom 26. Oktober 2021 (Bl. 90 ff., 108 ff. GA) sowie des Senats vom 19. Oktober 2022 (BI. 197 ff. GA) verwiesen. Der Senat hat Beweis erhoben durch erneute Vernehmung des Zeugen N.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die vorstehende Sitzungsniederschrift des Senats Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Auch der Senat ist nach weiterer Beweisaufnahme davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass die Voraussetzungen des mit der Klage geltend gemachten Rettungskostenersatzes vorgelegen haben und die Beklagte deshalb - im Umfang der erstinstanzlich zugesprochenen Hauptforderung - verpflichtet ist, den Kläger wegen der anlässlich des von ihm vorgenommenen Ausweichmanövers erlittenen Schäden zu entschädigen.

1. Richtig ist freilich, dass - wie die Beklagte auch zuletzt nochmals wiederholt hat - dem Kläger mangels Abschlusses (auch) einer Vollkaskoversicherung keine vertraglichen Leistungsansprüche wegen der von ihm anlässlich des Unfallereignisses erlittenen Schäden zustehen, wie das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausführt und worauf auch die Berufung verweist. Denn die Beklagte leistet im Rahmen der - hier vereinbarten - Fahrzeug-Teilkaskoversicherung Ersatz nur für die bedingungsgemäß als Versicherungsfall vereinbarten Ereignisse. Nach der insoweit allein in Betracht kommenden Klausel A.2.2.1.4 AKB ist "der Zusammenstoß des in Fahrt befindlichen Fahrzeugs mit Tieren" versichert. Ein "Zusammenstoß" ist - für jeden durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennbar - aber nur dann anzunehmen, wenn es zu einer Berührung mit dem Tier gekommen ist und diese Berührung den Unfallschaden verursacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1991 - IV ZR 204/90, VersR 1992, 349; Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55). Dass dies hier der Fall gewesen wäre, behauptet der Kläger selbst nicht.

2. Ein Anspruch des Klägers auf teilweise Erstattung unfallbedingt entstandener Schäden im vom Landgericht zugesprochenen Umfange besteht allerdings unter dem Aspekt des Rettungskostenersatzes (§§ 83, 82, 90 VVG). Wie schon das Landgericht, hält auch der Senat die Voraussetzungen, unter denen ein solcher Anspruch in Betracht kommt, nach erneuter Anhörung des Klägers und Vernehmung seines als Zeugen für den Hergang benannten Sohnes sowie unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände, einschließlich der von der Beklagten geltend gemachten Einwände, mit dem Maßstab des § 286 ZPO für erwiesen.

a) Gemäß § 83 Abs. 1 VVG hat der Versicherer Aufwendungen des Versicherungsnehmers nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, die dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt, auch wenn sie erfolglos geblieben sind, insoweit zu erstatten, als der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten durfte. § 90 VVG erklärt diese Vorschriften im Bereich der Sachversicherung für entsprechend anwendbar auf solche Aufwendungen, die zeitlich vor dem Eintritt eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles gemacht wurden, um ihn abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern (sog. "Vorerstreckung"; vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 15 Rn. 88a). "Aufwendung" meint hierbei jede - auch unfreiwillige - Vermögensminderung, die adäquate Folge einer Maßnahme ist, die der Versicherungsnehmer zur Schadensabwehr oder -minderung gemacht hat. Grundsätzlich kommen hierfür auch - wie vorliegend geltend gemacht - Vermögensminderungen wegen der Beschädigung von Sachen in Betracht (Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55; Beckmann, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 15 Rn. 80 f.). Ersatzfähig sind danach insbesondere die Folgen von Fahrmanövern, die der jeweilige Fahrer nach den Umständen, insbesondere zur Vermeidung des Versicherungsfalls "Zusammenstoß mit Tieren", für erforderlich halten durfte (OLG Koblenz, VersR 2012, 54; Klimke, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., A.2.2.1 AKB Rn. 70).

b) Wie das Landgericht, hält der Senat es nach erneuter Anhörung des Klägers und Vernehmung seines Sohnes mit der dafür erforderlichen hinreichenden Gewissheit für erwiesen, dass im Streitfall die Voraussetzungen des begehrten Rettungskostenersatzes vorgelegen haben.

aa) Dafür, dass die entstandenen Schäden im Zusammenhang mit der Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles im Sinne des § 90 VVG entstanden sind, trägt freilich der Versicherungsnehmer die Darlegungs- und Beweislast (Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55; vgl. OLG Köln, RuS 2005, 457; OLG Jena, NVersZ 2000, 33; OLG Düsseldorf, ZfS 2000, 493). Für diesen Nachweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO; Beweiserleichterungen, wie sie etwa für Fälle der Entwendung eines Kraftfahrzeuges anerkannt sind, kommen dem Versicherungsnehmer nicht zugute (Senat, a.a.O.; Urteil vom 10. Oktober 2001 - 5 U 217/01, ZfS 2002, 143; ebenso etwa OLG Rostock, Schaden-Praxis 2016, 312; OLG Hamm, VersR 2021, 898; Klimke, in: Prölss/Martin, a.a.O., A.2.2.1 AKB Rn. 71). Der danach erforderliche Nachweis erfordert die Überzeugung des Richters von der zu beweisenden Tatsache im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126; Beschluss vom 18. Januar 2012 - IV ZR 116/11, VersR 2012, 849). Bloße Wahrscheinlichkeiten genügen nicht (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2019 - VI ZR 164/18, VersR 2020, 784; Versäumnisurteil vom 15. November 2006 - IV ZR 122/05, VersR 2007, 815; OLG Rostock, Schaden-Praxis 2016, 312).

bb) Nach dem Ergebnis der - teilweise wiederholten - Beweisaufnahme und unter Berücksichtigung auch aller weiteren Erkenntnisse hat der Senat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die vom Kläger getätigten Aufwendungen - hier: die durch Beschädigung von Motorrad und Kleidung verursachten Kosten - zur Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles - in Gestalt eines Zusammenstoßes des in Fahrt befindlichen Fahrzeugs mit Tieren, vgl. A.2.2.1.4 AKB - getätigt wurden. Denn danach steht fest, dass der Kläger nach dem Einfahren in eine Rechtskurve im Bereich eines Busches aus geringer Entfernung die Präsenz von Rehen am rechten Straßenrand wahrgenommen, deren genaues Verhalten jedoch nicht mehr erfasst und deshalb sein Fahrzeug nach links gelenkt hat, um eine unter diesen Umständen mögliche Kollision zu verhindern:

(1) Der Kläger hat in seiner wiederholten Vernehmung nachvollziehbar und auch für den Senat glaubhaft Umstände geschildert, die auf das Vorliegen einer Rettungshandlung schließen lassen.

(a) Der Kläger hat im Einklang mit seinen erstinstanzlichen Angaben gegenüber dem Senat erklärt, beim Einfahren in die leichte Rechtskurve am rechten Straßenrand einen Busch oder Baum gesehen und in diesem Bereich aus geringer Entfernung - "ca. 15 Meter vorher" - eine Bewegung wahrgenommen zu haben, vor der er ausgewichen sei. Die Rehe hätten hinter dem Baum oder Busch gestanden, der sie verdeckt habe, wobei er nicht genau sagen könne, ob diese auf der Fahrbahn oder am Fahrbahnrand gestanden hätten. Auch in welche Richtung sich die Rehe bewegt hätten, habe er in der Kürze der Zeit, die von ihm eine Reaktion abverlangt habe, nicht erkannt. Damit hat der Kläger einen Ablauf beschrieben, der aus objektiver Sicht einen Versicherungsfall in der Teilkaskoversicherung - hier: den drohenden Zusammenstoß mit Tieren - als unmittelbar bevorstehend erscheinen lassen mussten. Denn unter den von ihm geschilderten, für jeden durchschnittlichen Straßenverkehrsteilnehmer nachvollziehbaren Umständen bestand aus objektiver Sicht die Befürchtung, dass die im Bereich des Straßenrandes anwesenden Tiere, deren Verhalten nicht vorhersehbar ist, auf die Fahrbahn laufen und einen Zusammenstoß mit dem Motorrad des Klägers provozieren könnten. Unter diesen Umständen stellte sich das Ausweichen vor der drohenden Gefahr als Rettungshandlung dar; dass die Tiere auch sicher auf die Fahrbahn laufen würden, war - entgegen der zuletzt wiederholten Annahme der Beklagten - nicht erforderlich. Anlass, an der Schilderung des Klägers zu zweifeln, sieht der Senat nicht; insbesondere auch vor dem Hintergrund einzelner, von der Beklagten aufgegriffener Unsicherheiten in seiner Schilderung, etwa zu konkreten Abständen ("vielleicht 15 m vorher") oder Geschwindigkeiten. Anerkanntermaßen kann von einem Versicherungsnehmer nicht verlangt werden, einen unfallbedingten Verletzungsvorgang - um nichts anderes geht es auch hier - in allen Einzelheiten korrekt zu schildern, weil dieser regelmäßig ein rasch ablaufendes Ereignis darstellt, von dem der Betroffene überrascht wird, so dass sich ihm Einzelheiten nicht zuverlässig eingeprägt haben oder sogar nicht einmal zu Bewusstsein gekommen sein mögen (vgl. BGH, Urt. v. 17. April 1991 - IV ZR 61/90, RuS 1991, 285; Senat, Urteil vom 30. September 2022 - 5 U 107/21 zur Unfallversicherung). Deshalb verbietet es sich, den Versicherungsnehmer in solchen Fällen an Einzelheiten seiner Schilderung, insbesondere an - ersichtlich - geschätzten Entfernungs- oder Geschwindigkeitsangaben festzuhalten und daraus (vermeintliche) Widersprüche abzuleiten, solange die Schilderung - wie hier - in ihrer Gesamtheit ein stimmiges, glaubhaftes Gesamtbild eines fassbaren Geschehensablaufes ergibt.

(b) Vergeblich wendet die Beklagte ein, der Kläger habe mit dem geschilderten Ablauf keine "bewusste" Rettungshandlung umschrieben, sondern lediglich "reflexartig" gehandelt, so dass die Voraussetzungen des § 83 VVG nicht erfüllt seien. Das ist nicht richtig. Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird, genügt es für die Annahme einer Rettungshandlung, dass diese objektiv auf die Abwendung oder Minderung des versicherten Schadens abzielte; ein subjektiver "Rettungswille" ist darüber hinaus nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1996 - IV ZR 321/95, VersR 1997, 351; Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55; Looschelders, in: MünchKomm-VVG 3. Aufl., § 83 Rn. 15). Unter diesen Voraussetzungen kann deshalb auch eine - von der Beklagten so bezeichnete - "Reflexhandlung" eine Rettungshandlung darstellen (OLG Köln, RuS 2006, 147; OLG Oldenburg, ZfS 2005, 24). Anders läge es erst dann, wenn die Abwendung des Versicherungsschadens lediglich "Reflexwirkung" einer Handlung des Versicherungsnehmers gewesen wäre, insbesondere, weil die Rettung eines - nicht versicherten - "Hauptinteresses" die Rettung eines - versicherten - Nebeninteresses als Reflexwirkung notwendig nach sich zieht (BGH, Urteil vom 13. Juli 1994 - IV ZR 250/93, VersR 1994, 1181). Davon kann hier auf Grundlage der Darstellung des Klägers aber nicht ausgegangen werden; vielmehr ist unzweifelhaft, dass das Ausweichen vor dem Reh, mag es auch - wie sehr viele Handlungen eines Straßenverkehrsteilnehmers - eine eher "maschinelle", gleichwohl aber bewusste und willensgesteuerte Reaktion auf ein rasch ablaufendes und nur beiläufig erfasstes äußeres Geschehen gewesen sein, objektiv eine Rettungshandlung darstellte, weil dadurch eine objektiv zu befürchtende Kollision und ein dadurch zu erwartender Schaden an dem versicherten Fahrzeug vermieden werden sollten.

(2) Die in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Angaben des Klägers, die das Vorliegen einer Rettungshandlung schlüssig beschreiben, werden durch die Erkenntnisse aus der - vor dem Senat zum Teil wiederholten - Beweisaufnahme mit ausreichender Gewissheit bestätigt (§ 286 ZPO).

(a) Der als Beifahrer anwesende Sohn des Klägers, der Zeuge N., hat die Schilderung des Klägers in wesentlichen Punkten bestätigt. Nach seinen Angaben saß der Zeuge als Sozius auf dem Rücksitz des vom Kläger gesteuerten Motorrades und konnte rechts und links am Helm seines Vaters vorbeischauen. Im Vorfeld des Unfalles habe er beim Befahren der Rechtskurve einen Busch gesehen, und dahinter seien Rehe, möglicherweise auch Hirsche, gewesen, weshalb sein Vater nach links habe ausweichen müssen. Er glaube, dass es zwei Tiere gewesen seien, nach seiner Erinnerung hätten sie sich schon auf der Straße, aber noch hinter dem Baum und sehr weit rechts befunden, vorher habe er sie nicht laufen gesehen, alles sei jedoch sehr schnell gegangen. Der Senat hält diese Angaben, die die Darstellung des Klägers in wesentlichen Punkten stützen, jedoch keine Tendenz zur Verfälschung erkennen ließen, für glaubhaft, unbeschadet gewisser Abweichungen in den Details, die zwangsläufig daraus folgen, dass Einzelheiten eines schnell ablaufenden Unfallgeschehens im Nachhinein für die Beteiligten aus der Erinnerung nicht immer zuverlässig rekonstruiert werden können. Er geht deshalb wie das Landgericht davon aus, dass der Zeuge über ein tatsächlich in dieser Form erlebtes Geschehen in Form eines Ausweichmanövers berichtet hat, das entsprechend der Darstellung des Klägers der Abwendung eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenstoßes mit Tieren diente.

(b) Auch die inhaltlich unzweifelhaften und auch von keiner Seite angezweifelten Angaben des vom Landgericht vernommenen Zeugen S., eines zufällig anwesenden Landwirts, stützen die Annahme der behaupteten Rettungshandlung. Dieser hat den Unfall selbst zwar nicht beobachtet, weil er erst kurz danach auf seinem Traktor hinzugekommen war; jedoch gab er in seiner Vernehmung an, der Kläger habe ihm vor Ort gesagt, "eventuell ein Reh berührt" zu haben. Eine solche spontane Äußerung unmittelbar nach dem Unfall, ist bei lebensnaher Betrachtung - mangels hier vorliegender Anhaltspunkte für ein manipuliertes Unfallgeschehen - nur dadurch zu erklären, dass der Kläger kurz zuvor tatsächlich versucht hatte, vor Rehen auszuweichen. Dass sich in der Nähe der Unfallstelle tatsächlich Rehe befanden, hat der Zeuge S. ebenfalls bestätigt, wenngleich er - weil er den Unfall selbst nicht beobachtet hatte - naturgemäß nicht angeben konnte, dass es sich insoweit um dieselben Rehe gehandelt habe (Bl. 109 GA). Allgemein folgt aus seiner Aussage, ebenso wie aus den eingereichten Lichtbildern der Örtlichkeit, die eine weite Wiesenlandschaft sowie, in der Ferne, ein angrenzendes Waldstück abbilden, dass in diesem Bereich Wildwechsel stattfindet, worauf das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht hinweist (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55). Dies sowie der Umstand, dass Rehe tatsächlich in der Nähe zugegen waren, stehen mit der Schilderung des Klägers ebenfalls im Einklang.

(c) Schließlich bietet der Sachverhalt auch keine Anhaltspunkte, die durchgreifend gegen die durch Zeugenaussagen gestützte Schilderung des Klägers sprechen und deshalb die erforderliche Überzeugungsbildung des Senats hindern könnten. Dass objektive Belege für den geschilderten Ablauf nicht existieren, weil das Fahrzeug selbst die Tiere nicht berührt hat und andere Spuren, die auf das Vorhandensein von Wild hindeuten könnten, nicht vorhanden sind, trifft zwar zu, ist dem Wesen der vorbeugenden Rettungshandlung aber gewissermaßen immanent und für sich genommen kein Grund, dem Kläger den Nachweis einer Rettungshandlung zu versagen. Demgegenüber trägt der Kläger - unwidersprochen - vor, dass er zum Zeitpunkt des Unfalles nicht alkoholisiert gewesen sei und die Kurve mit angepasster Geschwindigkeit befahren habe, und dass die herbeigerufene Polizei auch vor diesem Hintergrund keine Veranlassung gesehen habe, das Geschehen weitergehend zu dokumentieren. Wenngleich hiernach immer auch noch andere Ursachen für den Kontrollverlust über das Fahrzeug als das behauptete Ausweichmanöver denkbar erscheinen, wie die Beklagte hervorhebt, fehlt es dafür im Streitfall an jeglichen belastbaren Anhaltspunkten. Die aus der Beweisaufnahme gewonnene Überzeugung des Senats vom Vorliegen einer Rettungshandlung wird durch solch theoretische Erwägungen nicht erschüttert.

(3) Das von der Beklagten bereits erstinstanzlich - zunächst nur pauschal - beantragte Sachverständigengutachten zu einzelnen, zweitinstanzlich näher konkretisierten Aspekten eines (möglichen) Unfallgeschehens, von dessen Einholung das Landgericht zu Recht abgesehen hat, war auch im zweiten Rechtszug nicht einzuholen. Die von der Beklagten zuletzt näher konkretisierten Hypothesen, die die Plausibilität der Schilderung des Klägers in Frage stellen sollen, sind bei näherer Betrachtung schon mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen keiner weiteren Beweiserhebung zugänglich; jedenfalls würde ihre Richtigkeit, für sich genommen wie auch in der Gesamtschau, auch nicht zu einer abweichenden Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes führen:

(a) Insoweit beanstandet die Beklagte - in verfahrensrechtlicher Sicht - zunächst vergeblich, dass das Landgericht diesen Beweis nicht erhoben hat. Nachdem die Beklagte nämlich in der Klageerwiderung pauschal - nur - auf bestehende "Plausibilitätsdefizite" verwiesen und dazu Sachverständigenbeweis angeboten hatte (Bl. 41 GA), bestand für den Erstrichter keine Veranlassung, dem weiter nachzugehen, weil diesem Beweisangebot keine konkrete Behauptung zugrunde lag, die dem Sachverständigenbeweis zugänglich ist. Die Ansicht, das geschilderte Geschehen sei "nicht nachvollziehbar", unterliegt richterlicher Würdigung; eine Zuhilfenahme sachverständigen Wissens war dafür nicht erforderlich, weil keine konkreten, technischen Sachverstand erfordernde Fragen aufgezeigt wurden, die der Plausibilität entgegenstehen. Soweit die Beklagte in der Folge - allerdings erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz und sachlich außerhalb des ihr bewilligten Nachlasses zum Schriftsatz des Klägers vom 18. Oktober 2021 - ihre Bedenken näher konkretisiert und dabei - erstmals - einzelne konkrete Behauptungen erhoben und (erneut) unter Sachverständigenbeweis gestellt hat (ihr Schriftsatz vom 12. November 2021, Bl. 112 ff. GA), war dies verspätet und daher vom Landgericht zu Recht nicht mehr zu beachten (§ 296a ZPO).

(b) Der Senat, der die verspäteten Behauptungen der Beklagten nach der im zweiten Rechtszug ergänzten Beweisaufnahme erneut geprüft hat, sieht auf Grundlage des danach feststehenden Sach- und Streitstandes keine Veranlassung, auf die Einholung des zu den in der Berufungsbegründung im Einzelnen vorgetragenen Hypothesen beantragten Sachverständigengutachtens zu erkennen:

(aa) Er vermag - ohne dass dies allein bereits entscheidend wäre - schon nicht zu erkennen, dass im Streitfall ausreichende Tatsachen feststehen, die es einem Sachverständigen ermöglichen würden, ein Gutachten mit entsprechenden Weg-Zeit-Berechnungen zu erstatten. Denn die von der Beklagten unter Beweis gestellten Behauptungen gehen sämtlich von nicht erwiesenen Anknüpfungstatsachen aus, indem sie den Kläger an eigenen, ersichtlich nur grob geschätzten Angaben zu Entfernungen und Geschwindigkeiten festhalten wollen, für deren Validität und Belastbarkeit auch nach der weiteren Beweisaufnahme keine ausreichenden Anhaltspunkte existieren. Auch insoweit gilt nämlich, dass von einem Versicherungsnehmer nicht erwartet werden kann, einen Unfall in allen Einzelheiten korrekt zu schildern (vgl. BGH, Urt. v. 17. April 1991 - IV ZR 61/90, RuS 1991, 285; Senat, Urteil vom 30. September 2022 - 5 U 107/21), weshalb entsprechende Angaben, zu denen sich der Kläger - möglicherweise überobligatorisch - veranlasst sah, nicht unbesehen übernommen werden dürfen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass es für die Durchführung einer Beweisaufnahme im Allgemeinen genügt, wenn eine Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 95/10, VersR 2011, 1432). Der vorliegende Fall zeichnet sich jedoch gerade durch die Besonderheit aus, dass auch nach durchgeführter Beweisaufnahme keine hinreichend sicheren Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Entfernungen oder Geschwindigkeiten existieren, weil die von der Beklagten zugrunde gelegten Werte nicht unbesehen übernommen werden können und andere konkrete Erkenntnisse nicht vorliegen und mangels Dokumentation des Unfallgeschehens auch mit Gewissheit nicht mehr zu erlangen sind. Deshalb fehlt es hier an ausreichenden Tatsachen, die der Senat einem Sachverständigen als Grundlage für Weg-Zeit-Berechnungen vorgeben könnte.

(bb) Unabhängig von diesen Erwägungen kommt hinzu, dass die von der Beklagten mit der Berufung wiederholten einzelnen Hypothesen, die die Plausibilität des vom Kläger geschilderten Ablaufes in Frage stellen sollen (Bl. 172 f. GA), auch inhaltlich jeweils ins Leere gehen. So mag es zwar sein, dass der Kläger unter Berücksichtigung der von der Beklagten angenommenen Zeit- und Wegeverhältnisse keine Abwehrmöglichkeit mehr besessen hätte, vor auf der Straße befindlichen Rehen auszuweichen, und dann mit diesen kollidiert wäre; doch ist ein solcher Fall nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht gegeben, weil nicht feststeht, dass sich die Rehe auf der Straße befanden, diese sich vielmehr, entsprechend der nachvollziehbaren Darstellung des Klägers, am Straßenrand befanden, und sein Ausweichen einer befürchteten Kollision für den Fall galt, dass die Rehe erst auf die Straße laufen würden. Deshalb folgen Plausibilitätsdefizite auch nicht daraus, dass eine solche Kollision hier nicht erfolgt ist, nach sachverständigen Berechnungen unter dieser - nicht gegebenen - Prämisse aber hätte statthaben müssen. Und auch die weiteren Behauptungen der Beklagten, die jeweils davon ausgehen, dass der Kläger für den Fall, dass sich die Rehe nicht auf der Straße, sondern unmittelbar daneben befunden haben sollten, das Ausweichmanöver nur verspätet hätte einleiten können, nämlich zu einem Zeitpunkt, zu dem "die Gefahrenstelle bereits vorbei war", können hier als wahr unterstellt werden, ohne dass dadurch die Nachvollziehbarkeit des Geschehens insgesamt in Zweifel gezogen würde. Dass ein Versicherungsnehmer eine Gefahr erst so spät erkennt, dass von ihm eingeleitete Rettungshandlungen nicht mehr erfolgversprechend sind, ist ein bei Tiergefahren im Straßenverkehr völlig üblicher Vorgang, der aus der Unberechenbarkeit der Geschehnisse, der vorrangig auf den Straßenverkehr gerichteten Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Fahrers und den gewöhnlichen Reaktionszeiten auf unerwartete Ereignisse außerhalb der Fahrbahn folgt; gleichwohl schließt auch das Ansprüche auf Rettungskostenersatz nicht aus. Der Senat sieht daher nicht, weshalb diese weiteren von der Beklagten aufgezeigten Hypothesen, als zutreffend unterstellt, die glaubhafte und schlüssige Darstellung des Klägers zum Ablauf der von ihm bewirkten Rettungshandlung in Frage stellen sollten.

cc) Ist der vom Kläger geforderte Nachweis eines wildbedingten Ausweichmanövers mithin zur Überzeugung des Senats geführt, steht damit zugleich die - von der Beklagten ebenfalls in Abrede gestellte - "Gebotenheit" der Rettungsmaßnahme (§§ 83, 90 VVG) fest.

(1) Der Erstattungsanspruch des Versicherungsnehmers setzt voraus, dass die Aufwendungen entweder schon objektiv erforderlich gewesen sind oder dass der Versicherungsnehmer den Umständen nach jedenfalls von der Gebotenheit ausgehen durfte (§ 83 Abs. 1 S. 1 VVG), wobei ein Irrtum über die Gebotenheit nach herrschender Meinung nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit schadet (Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55; OLG Koblenz, VersR 2012, 54; vgl. Beckmann in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 15 Rdn. 89; Koch, in: Bruck/Möller, VVG 9. Aufl., § 83 Rn. 57 f.; Looschelders, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 83 Rn. 22). Zur Rettung geboten ist eine Handlung nur, wenn die damit verbundenen Aufwendungen in einem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen, nicht aber, wenn sie unverhältnismäßige Kosten verursachen. Droht ein Fahrzeugschaden durch den Zusammenstoß mit einem Tier, so ist dieser versicherte Sachschaden gegen die durch ein Brems- und Ausweichmanöver drohenden möglicherweise mehrfachen Fahrzeug- und Personenschäden abzuwägen, die der Versicherer erstatten muss, falls das Ausweichen geboten war; dabei kommt es auch auf die Größe des Tieres an (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2003 - IV ZR 276/02, VersR 2003, 1250; Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55).

(2) Im Streitfall steht auf Grundlage der vom Senat getroffenen Feststellungen schon die objektive Gebotenheit der Rettungshandlung außer Zweifel (vgl. Senat, Urteil vom 26. Januar 2011 - 5 U 356/10-57, VersR 2012, 55; OLG Hamm, VersR 2021, 898; Staudinger, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 90 Rn. 14). Denn der Kläger hat bewiesen, dass sich Rehe - d.h. größere Tiere mit einem aufgrund ihrer Unberechenbarkeit stark erhöhten Gefahrenpotential für den Straßenverkehr - im unmittelbaren Bereich der Fahrbahn befanden und diese den Kläger zu dem Ausweichmanöver veranlasst haben. Damit lagen hier Umstände vor, die auch bei vergleichsweise niedrigen Geschwindigkeiten zu schwerwiegenden Schäden am Fahrzeug führen können, ganz abgesehen von den möglichen Verletzungen des Fahrers (vgl. OLG Hamm, VersR 2021, 898). Jedenfalls durfte der Kläger unter diesen Umständen aber auch - subjektiv - ohne grobe Fahrlässigkeit von der Gebotenheit des Ausweichmanövers ausgehen (Staudinger, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 90 Rn. 14; vgl. OLG Köln, RuS 2006, 147; OLG Oldenburg, ZfS 2005, 24). Denn angesichts der möglichen Folgen eines drohenden Zusammenstoßes ist zu berücksichtigen, dass das (etwaige) Verschulden bei einem Fehlverhalten in einer plötzlichen, überraschenden und erschreckenden Situation weniger schwer wiegen kann (OLG Hamm, VersR 2021, 898; Klimke, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. A.2.2.1 AKB Rn. 72). Das gilt insbesondere für den hier vorliegenden Fall eines Motorradfahrers, der mangels Knautschzone in besonderem Maße Verletzungen fürchten muss (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2001, 1317), zumal der Kläger auch von seinem Sohn begleitet wurde, für dessen Sicherheit er ebenfalls verantwortlich war. Selbst wenn er bei dem Ausweichversuch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen haben sollte, würde das deshalb hier keinesfalls den Grad einer groben Fahrlässigkeit erreichen; denn grob fahrlässig handelt nur, wer sowohl objektiv als auch subjektiv in besonderem Maße gegen Sorgfaltspflichten verstößt, wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (BGH, Urteil vom 11. Mai 1953 - IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14; Senat, Urteil vom 2. Oktober 2019 - 5 U 106/18, VersR 2020, 216). Davon kann hier - selbst unter Berücksichtigung der aus den oben genannten Gründen nicht tragfähigen, auf völlig ungewisse Weg-Zeit-Betrachtungen gestützten Behauptungen der Beklagten - keine Rede sein.

c) Die Feststellungen des Landgerichts zur Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs, der neben den Schäden am versicherten Fahrzeug auch die auf den spezifischen Gefahren der Rettungshandlung beruhenden Beeinträchtigungen an der Motorradkleidung des Klägers und seines Sohnes umfasst (vgl. Looschelders, in: MünchKomm-VVG a.a.O., § 83 Rn. 8; Langheid, in: Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl., § 83 Rn. 12) lassen auf Grundlage der Berufungsbegründung keine Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten erkennen, worauf der Senat die Beteiligten bereits in der mündlichen Verhandlung aufmerksam gemacht hat.

aa) Den am Fahrzeug entstandenen Schaden hat das Landgericht beanstandungsfrei - und auch von der Beklagten unbeanstandet - aus dem von ihr eingeholten Sachverständigengutachten abgeleitet und insoweit den dort ausgewiesenen (Netto-)Betrag zugrunde gelegt. Dies begegnet aus Sicht des Senats keine Bedenken.

bb) Auch hinsichtlich der Feststellungen zum Schaden an der Motorradbekleidung hat sich das Landgericht innerhalb des ihm nach § 287 ZPO zustehenden Ermessensspielraumes gehalten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 13. November 2013 - IV ZR 224/13, VersR 2014, 104), indem es diesen, mit Blick auf die zwischenzeitliche Nutzung unter Berücksichtigung eines Wertabschlages von 20 Prozent anhand des vom Kläger am 23. Februar 2019 gezahlten Netto-Anschaffungspreises geschätzt hat. Es hat dabei berücksichtigt, dass im Rahmen des § 287 ZPO an die Substantiierung des Vorbringens geringere Anforderungen zu stellen sind, und ist zu Recht von den zuletzt durch einen Kassenausdruck des Kleidergeschäfts belegten (Netto-)Anschaffungspreisen ausgegangen (Bl. 107 GA), die als greifbare Anhaltspunkte für eine solche Schadenschätzung zweifellos genügten und die damit, unbeschadet des Einwandes der Beklagten, ihr seien keine Originalbelege zugegangen, ausreichend nachgewiesen sind. Auch der vom Landgericht vorgenommene Abschlag von 20 Prozent, der auf einer auch nach der Erfahrung des Senats in jeder Hinsicht nachvollziehbaren durchschnittlichen Lebensdauer der Kleidung von 10 Jahren beruht, lässt ebenfalls keinen Rechtsfehler zu Lasten der Beklagten erkennen.

d) Was die Nebenforderungen anbelangt, so hat das Landgericht dem Kläger lediglich Verzugszinsen aus der Hauptforderung zuerkannt; der von ihm aberkannte weitere Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Allerdings sind Verzugszinsen auch nur, entsprechend den insoweit richtigen Urteilsgründen (Bl. 127 GA) und entgegen dem Tenor des angefochtenen Urteils, nicht schon ab 1. Mai 2020, sondern erst ab Verzugsbeginn am 11. November 2020 geschuldet; insoweit war das angefochtene Urteil geringfügig zu korrigieren und die Berufung der Beklagten mit dieser Maßgabe zurückzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; maßgeblich ist der im Berufungsrechtszug noch streitige Betrag.


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