Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Urt. v. 06.12.2022 21 U 56/22
Leitsatz des Gerichts:
1. Eine winterliche Räum- und Streupflicht kann nicht nur bei allgemeiner Glätte, sondern auch bei einer ernsthaften lokalen Glättegefahr bestehen.
2. Ob eine ernsthafte lokale Glättegefahr besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es stets auf den Pflichtenmaßstab an, der an den primär Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen ist, der den Verkehr auf der in Rede stehenden Fläche eröffnet hat. Dieser Maßstab gilt auch für einen Dritten, auf den der primär Verkehrssicherungspflichtige die Räum- und Streupflicht übertragen hat.
In pp.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts vom 23. März 2022 unter Aufhebung der Kostenentscheidung abgeändert, sodass es nunmehr wie folgt lautet:
1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin 5.404,40 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. November 2021 zu zahlen.
2. Die Beklagte zu 2) wird weiter verurteilt, an die A (Schadensnummer ...) 800,30 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. November 2021 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund ihres Sturzes am 19. Dezember 2020 noch entstehen werden, sofern ihr Schadensersatzanspruch insoweit nicht auf Dritte übergegangen ist oder noch übergeht.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:
Für die ersten Instanz gilt: Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen diese selbst zu 85 %, die Beklagte zu 2) zu 15 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt die Klägerin. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) tragen die Klägerin zu 70 %, die Beklagte zu 2) zu 30 %.
Für die zweite Instanz gilt: Die Klägerin trägt die Kosten zu 70 %, die Beklagte zu 2) zu 30 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz nach einem Unfall.
Die Beklagte zu 2) erbringt gewerblich Winterdienste.
Die am pp. Juni 1951 geborene Klägerin erlitt am Samstag, den 19. Dezember 2020, gegen 11.00 Uhr eine Quadrizepssehnenruptur am rechten Bein. Unmittelbar nach ihrer Verletzung wurde sie in der D-Klinik Berlin aufgenommen und am 20. Dezember 2020 operiert. Sie blieb bis zum 27. Dezember 2020 in stationärer Behandlung. Der weitere Heilungsverlauf gestaltete sich schwierig, die Klägerin war zumindest bis November 2021 arbeitsunfähig krank geschrieben.
Der Träger der D-Klinik, die Z GmbH, übertrug die Verkehrssicherungspflicht während der Winterdienstsaison auf dem Krankenhausgelände mit einem Vertrag über Winterdienstleistungen aus dem Oktober 2015 (Anlage B 1 - 2) der Beklagten zu 2).
Die Klägerin arbeitete vor ihrer Verletzung als Altenpflegerin und verdiente zuletzt 300,00 pro Monat. Diese Arbeit hat sie seither nicht fortgesetzt. Aufgrund der Verletzung und der Operation benötigte sie Medikamente und Gehstützen, zu deren Beschaffungskosten sie eine Zuzahlung von insgesamt 104,40 leistete.
Die Klägerin behauptet, zu ihrer Verletzung sei es wie folgt gekommen:
Sie habe sich am Tag ihres Unfalls gegen 11.00 Uhr zur D-Klinik in der S-Straße in Berlin begeben, um sich dort einem Coronatest zu unterziehen. Die Wege auf dem gesamten Gelände seien infolge von Glatteis sehr rutschig und nicht gestreut gewesen. Außerdem habe an dem Tag in Berlin allgemeine Glätte geherrscht. Als sie über das Gelände gegangen war und das auf dem Klinikgelände befindliche Corona-Testzentrum erreicht hatte, sei sie dort abgewiesen worden, da dieses samstags geschlossen war. Sie habe sich deshalb auf den Rückweg gemacht. Noch auf dem Klinikgelände sei sie auf einem Gehweg ausgerutscht und gestürzt. Es habe in diesem Bereich für sie keine Möglichkeit gegeben, den rutschigen Gehweg zu verlassen. Sie habe sofort Schmerzen im rechten Bein gespürt und habe nicht mehr aufstehen können, nur mit Unterstützung hinzukommender Personen habe sie sich auf eine Bank setzen können. Sie sei dann zur Untersuchung ihrer Verletzung wieder in das D-Krankenhaus gebracht worden, wo dann die Quadrizepssehnenruptur festgestellt und behandelt wurde.
Wegen dieser Verletzung hat die Klägerin vor dem Landgericht Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld erhoben. Neben der Beklagten zu 2) hat sie dort auch die Beklagte zu 1) in Anspruch genommen. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld von 20.000,00 , einen Haushaltsführungsschaden von 3.360,00 (entsprechend 84 Tagen zu je 40,00 pro Tag), die von ihr getragenen Zuzahlungen von 104,40 und den entgangenen Verdienstausfall für einen Monat von 300,00 geltend macht. Daneben hat sie die Erstattung vorprozessualer Rechtsverfolgungskosten und die Feststellung künftiger materieller und immaterieller Schäden beansprucht.
Die Beklagten haben insbesondere bestritten, dass am Tag des Unfalls in Berlin allgemeine Glätte geherrscht habe.
Mit Urteil vom 23. März 2022 hat das Landgericht die Klage gegen beide Beklagte abgewiesen. Dies hat es wie folgt begründet: Die Beklagte zu 1) sei auf dem Klinikgelände nicht verkehrssicherungspflichtig. Die Beklagte zu 2) hafte nicht, da sich aus dem Vorbringen der Klägerin weder ergebe, dass an dem Tag ihres Unfalls allgemeine Glätte in Berlin herrschte noch dass für einen Verkehrssicherungspflichtigen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefahr aufgrund einzelner Glättestellen bestanden habe.
Die Abweisung ihrer Klage gegen die Beklagte zu 2) hat die Klägerin mit der Berufung angegriffen zu deren Begründung sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt bzw. vertieft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts gegenüber der Beklagten zu 2) wie folgt abzuändern:
1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von ca. 20.000 , dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu zahlen.
2. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin weitere 3.764,40 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu zahlen.
3. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die A (Schadensnummer ...) 1.351,19 und an die Klägerin selbst 150,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß § 247 BGB zu zahlen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aufgrund ihres Sturzes am 19. Dezember 2020 noch entstehen werden, sofern ihr Schadensersatzanspruch insoweit nicht auf Dritte übergegangen ist oder noch übergeht.
Die Beklagte zu 2) beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 2) verteidigt das Urteil des Landgerichts und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen P. Außerdem hat es die Klägerin angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Terminsprotokoll vom 14. September 2022 verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Das Urteil des Landgerichts ist dahin abzuändern, dass die Beklagte zu 2) zur Zahlung von 5.404,40 nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt wird. Der Klägerin steht ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2) in dieser Höhe aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Ein weitergehender Anspruch auf Zahlung an die Klägerin selbst besteht nicht.
a) Die Beklagte zu 2) war im Winterhalbjahr, also auch am Tag des Unfalls der Klägerin, streu- und räumpflichtig auf dem Gelände der D-Klinik Berlin. Denn die primär verkehrssicherungspflichtige Person, die Trägerin der Klinik, hatte ihr diese Pflicht im Oktober 2015 mit einem Winterdienstvertrag (Anlage B 1 - 2) übertragen. Mit einer solchen Übertragung wird der Übernehmer der Pflichten für ihre Einhaltung selbst deliktisch verantwortlich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2008, VI ZR 126/07 m.w.N.; Sprau in: Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Auflage, 2022, § 823 BGB, Rn. 50 und 215 m.w.N.).
b) Die Beklagte zu 2) hat die von ihr auf dem Klinikgelände übernommene Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie rutschige Glatteisflächen auf den dortigen Wegen zur Zeit des Unfalls der Klägerin nicht gestreut hatte.
aa) Eine solche Streupflicht besteht für den Verkehrssicherungspflichtigen auch im Winterhalbjahr nicht jederzeit, sondern nur wenn entweder allgemeine Glätte herrscht oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jedenfalls im Bereich der Flächen, auf die sich die Verkehrssicherungspflicht bezieht, aufgrund vereinzelter Glättestellen eine ernsthaft drohende Gefahr für Dritte besteht (im Folgenden: ernsthafte lokale Glättegefahr, vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2017, VI ZR 254/16; Urteil vom 12. Juni 2012, VI ZR 138/11).
Im vorliegenden Fall kann die zwischen den Parteien umstrittene Frage dahinstehen, ob in Berlin oder in Berlin-K im Zeitpunkt des Unfalls der Klägerin eine allgemeine Glätte herrschte. Denn nach Abschluss der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass die Beklagte zu 2) zu dieser Zeit auf dem Klinikgelände streupflichtig war, weil dort jedenfalls eine ernsthafte lokale Glättegefahr bestand.
bb) Wann eine Streupflicht unabhängig vom Vorliegen einer allgemeinen Glätte aufgrund einer ernsthaften lokalen Glättegefahr besteht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend sind insbesondere die Lage und Größe der örtlichen Glättestellen, der Zeitpunkt ihres Auftretens und die Wahrscheinlichkeit ihres Fortbestands in Anbetracht der herrschenden Temperatur. Zudem ist zu beachten, dass eine örtlich auftretende Glättegefahr, die eine Streupflicht auslöst, in aller Regel keine sofortige Reaktion des Verpflichteten verlangt, sondern dass diesem eine den Umständen angemessene Reaktionszeit zuzubilligen ist (BGH, Urteil vom 12. Juni 2012, VI ZR 138/11).
Bei dieser Prüfung des Einzelfalls kommt es allerdings in jedem Fall auf den Pflichtenmaßstab an, der an denjenigen zu stellen ist, der den Verkehr auf den in Rede stehenden Flächen eröffnet hat, also den primär Verkehrssicherungspflichtigen. Hat dieser die Räum- und Streupflicht auf einen Dritten übertragen, der aufgrund dieser Übertragung selbst deliktisch verantwortlich wird (BGH, Urteil vom 22. Januar 2008, VI ZR 126/07, Rn. 9), muss sich dieser Dritte am Maßstab des primär Verkehrssicherungspflichtigen messen lassen. Denn durch die Übertragung wird der primär Verkehrssicherungspflichtige von seinen Pflichten weitgehend befreit, sie verengen sich auf Kontroll- und Überwachungspflichten (BGH, Urteil vom 22. Januar 2008, VI ZR 126/07, Rn. 9). Deshalb würde die Übertragung der Streupflicht im Ergebnis den deliktischen Schutz der Personen, die in ihren Schutzbereich fallen, verkürzen, wenn für den Übernehmer nicht derselbe Pflichtenmaßstab wie für den primär Sicherungspflichtigen gilt. Aus Sicht des Senats verbietet sich diese Konsequenz.
Bei der Prüfung der Frage, ob eine ernsthafte lokale Glättegefahr besteht, ist es regelmäßig von Bedeutung, wann der Streupflichtige ernsthafte örtliche Gefahrenstellen hätte wahrnehmen müssen. Der primär Verkehrssicherungspflichtige, der vor Ort den Verkehr auf bestimmten Flächen eröffnet, ist typischerweise deutlich früher in der Lage, derartige Gefahrenstelle wahrzunehmen als ein sekundär streupflichtiger Winterdienstleister. So kann es sein, dass ein Winterdienstleister seine Mitarbeiter üblicherweise nur an Tagen mit allgemeiner Glätte zu Räum- und Streudiensten losschickt und es für ihn einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete, wenn er auch an Wintertagen ohne allgemeine Glätte das Gebiet, das er mit seinen Dienstleistungen abdeckt, vorsorglich auf ernsthafte lokale Glättegefahren hin absucht. Dieses Vorgehen eines Winterdienstleisters, der eine Streu- und Räumpflicht übernommen hat, ist nachvollziehbar, kann ihn aber nicht mit deliktischer Wirkung von seiner Streupflicht entlasten, denn sonst würde sich durch die Übertragung dieser Pflicht an einen Dritten der Schutzstandard für die geschützten Personen im Endergebnis verringern.
Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig für einen Winterdienstleister. Er kann das hieraus resultierende Haftungsrisiko durch die vertragliche Gestaltung seiner Winterdienstverträge ausschließen oder jedenfalls weitgehend reduzieren. Dazu muss dort eine Regelung aufgenommen werden, wonach der primär Streupflichtige, wenn er an einem Tag, an dem keine allgemeine Glätte herrscht, eine ernsthafte lokale Glättegefahr vor Ort wahrnimmt, den Winterdienstleister hierüber informieren muss und der Dienstleister erst innerhalb eines gewissen Zeitabstands verpflichtet ist, auf diesen Hinweis seine Dienste vor Ort zu erbringen. Auch im vorliegenden Fall enthält der Winterdienstvertrag, mit dem die Beklagte zu 2) beauftragt ist, in § 2 Abs. 2 eine Regelung, mit der offenbar dieses Ziel verfolgt wird, wenngleich sie vielleicht nicht vollständig ausformuliert ist.
cc) Nach Abschluss der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Wege auf dem Gelände des D-Klinikums Berlin am 19. Dezember 2020 jedenfalls seit ca. 9.00 Uhr bis zum Zeitpunkt des Sturzes der Klägerin gegen 11.00 Uhr weitgehend, also über längere Strecken hinweg, vereist und deshalb sehr rutschig waren, sodass man dort als Fußgänger leicht ausgleiten und hinfallen konnte. Genau dies hat der Zeuge P in seiner Vernehmung vor dem Berufungsgericht angegeben, wobei er die Länge der betroffenen Wegstrecken mit mindestens ca. 200 Metern angegeben hat (Terminsprotokoll vom 14. September 2022, S. 3 f).
Diese Aussage war glaubhaft und überzeugt das Berufungsgericht, auch wenn der Zeuge zu erkennen gegeben hat, sich selbst über die Glätte auf den Wegen geärgert zu haben. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass diese Verärgerung den Zeugen bestimmt haben könnte, die seinerzeit bestehenden Verhältnisse nicht wahrheitsgemäß wiederzugeben oder zu übertreiben.
dd) Bei diesem Sachverhalt hätte die Beklagte zu 2) jedenfalls um 10.00 Uhr die Glätte auf den Wegen durch das Streuen mit abstumpfenden Materialien bekämpfen müssen. Es ist unerheblich, dass zu dieser Tageszeit möglicherweise keine allgemeine Glätte in Berlin-K herrschte, wozu sich die von den Parteien vorgelegten Wetterdaten nicht ganz eindeutig verhalten. Entscheidend ist allein, dass auf dem Klinikgelände, auf dem die Beklagte zu 2) die Streupflicht übernommen hatte, sämtliche Wege, die von der öffentlichen Straße und dem Parkplatz zu den Klinikgebäuden führten, weitgehend vereist und deshalb rutschig waren. Da es sich um einen Samstag Vormittag handelte, an dem in einem Krankenhaus mit Publikumsverkehr zu rechnen ist, hätten die Verantwortlichen des primär streupflichtigen Krankenhausträgers dies vor 10.00 Uhr bemerken und spätestens gegen 10.00 Uhr streuen müssen. Es ist unerheblich, dass der Betrieb des Krankenhauses seinerzeit wegen der Corona-Pandemie eingeschränkt bzw. modifiziert war. Denn das Krankenhaus war trotzdem grundsätzlich geöffnet und musste deshalb mit Publikumsverkehr rechnen. So betraten es auch der Zeuge P und seine Angehörigen, um zur Neugeborenenstation zu gelangen. Dass die Corona-Teststation, die die Klägerin aufsuchen wollte, am Samstag geschlossen war, ändert nichts daran, dass der Krankenhausträger den Verkehr auf seinem Gelände im Zweifel auch an jenem Tag eröffnet hatte.
Schließlich ist es wie unter bb) dargelegt ohne Belang, dass es möglicherweise nicht von der Beklagten zu 2) verlangt werden kann, an einem Tag, an dem keine allgemeine Glätte herrscht, sämtliche Flächen in ihrem Winterdienstgebiet vorsorglich auf ernsthafte lokale Glättegefahren hin zu kontrollieren. Maßgeblich ist allein, dass jedenfalls der primär Streupflichtigen vor Ort spätestens um 10.00 Uhr auf die ernsthafte Glättegefahr auf dem Klinikgelände hätte reagieren müssen.
b) Dadurch dass die Beklagte zu 2) ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen war und am 19. Dezember 2020 um 10.00 Uhr noch nicht gestreut hatte, kam es zum Sturz der Klägerin auf dem Klinikgelände. Auch dieser Umstand ist durch die Aussage des Zeugen P zur Überzeugung des Berufungsgerichts erwiesen. Der Zeuge hat vor dem Berufungsgericht glaubhaft geschildert, wie sich der Sturz der Klägerin zugetragen hat, den er selbst von seinem Auto aus gesehen hatte, sowie dass der Weg zu diesem Zeitpunkt noch glatt und nicht gestreut war. Wegen der Glätte habe er Schwierigkeiten gehabt, der Klägerin aufzuhelfen (Terminsprotokoll vom 14. September 2022, S. 3 f).
Damit steht ebenfalls zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass die Quadrizepssehnenruptur, die die Klägerin unstreitig am 19. Dezember 2020 gegen 11.00 Uhr erlitt, auf diesen Sturz und mithin die Verletzung der Streupflicht durch die Beklagte zu 2) zurückgeht. Dass auf einem der Fotos von der Unfallstelle gestreuter Rollsplitt zu erkennen ist, widerspricht dem angesichts der Aussage des Zeugen P nicht. Dies muss darauf zurückgehen, dass nach dem Sturz der Klägerin die Stelle gestreut wurde, was die Klägerin von vornherein so vorgetragen hat (Klageschrift vom 19. Mai 2021, S. 5).
c) Das Berufungsgericht sieht keinen Grund, den damit dem Grunde nach bestehenden Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 1 BGB wegen eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) zu kürzen. Zwar kommt dies bei Glatteisunfällen grundsätzlich in Betracht, wenn der Verletzte vor seinem Sturz die Glatteisstelle erkannt hat und ihr hätte ausweichen können. Die Klägerin gibt auch selbst an, das Glatteis auf sämtlichen Wegen des Klinikgeländes vor ihrem Sturz erkannt und nach Möglichkeit versucht zu haben, auf Rasenflächen auszuweichen. Zugleich hat sie aber vorgetragen, dass es in dem Bereich, in dem sie stürzte, keine Ausweichmöglichkeit gab, um den Weg zu umgehen (Terminsprotokoll vom 14. September 2022, S. 2). Auch von ihr vorgelegte Fotografie der Sturzstelle bestätigt das Fehlen von Ausweichmöglichkeiten. Aufgrund dessen hätte es der Beklagten zu 2) oblegen, eine für die Klägerin damals erkennbare Ausweichmöglichkeit im Einzelnen darzulegen, was nicht geschehen ist.
d) Der mit der Klage geltend gemachte Schadensersatzanspruch der Klägerin beläuft sich auf insgesamt 5.404,40 und setzt sich wie folgt zusammen:
aa) Für die erlittene Quadrizepssehnenruptur hält das Berufungsgericht ein Schmerzensgeld von 5.000,00 für angemessen, § 253 Abs. 2 BGB. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin für mehrere Tage über Weihnachten 2020 in ambulanter Behandlung war, sich operieren lassen musste und danach über mehrere Monate einen schwierigen Heilungsverlauf erdulden musste, Während diesem musste sie in ihrem Leben manche Einschränkung hinnehmen, so hatte sie sich wiederholten Arztbesuchen und Rehamaßnahmen zu unterziehen und musste über mehrere Wochen mit Gehstützen gehen.
Dieser Betrag erscheint dem Berufungsgericht aber auch für ausreichend. Soweit die Klägerin ein höheres Schmerzensgeld beansprucht haben ihre Klage und ihre Berufung somit keinen Erfolg.
bb) Die Klägerin hat unstreitig einen weiteren Schaden von 404,40 erlitten. Unstreitig ist ihr ihr monatliches Einkommen aus Pflegetätigkeit von 300,00 verletzungsbedingt für einen Monat entgangen, außerdem musste sie Zuzahlungen zu Arznei- und Hilfsmitteln in Höhe von 104,40 leisten.
cc) Soweit die Klägerin einen Haushaltsführungsschaden von 3.360,00 geltend macht, hat ihre Berufung keinen Erfolg. Hier ist ihre Klage unschlüssig, weil nicht nachvollziehbar ist, weshalb sie infolge ihrer Verletzung einen täglichen monetären Verlust von 40,00 erlitten haben will.
2. Das Urteil des Landgerichts ist auch dahin abzuändern, dass die Beklagte zu 2) verurteilt wird, der Rechtsschutzversicherung der Klägerin deren vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten zu erstatten. Dieser Anspruch ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG sowie i.V.m. einer Rückermächtigung der Klägerin durch ihre Rechtsschutzversicherung. Allerdings beläuft er sich nur auf den tenorierten Betrag von 800,30 . Soweit die Klägerin eine höhere Summe geltend macht, wird ihre Berufungsantrag Ziff. 3 zurückgewiesen. Dieser Antrag wird ebenfalls zurückgewiesen, soweit die Klägerin eine Zahlung von 150,00 an sich selbst beansprucht, weil dieser Betrag nicht näher begründet wird.
3. Schließlich ist das Urteil des Landgerichts auch dahin abzuändern, dass die von der Klägerin begehrte Feststellung getroffen wird. Auch insoweit ist ihre Klage zulässig und begründet, wie sich aus den Ausführungen unter Ziff. 1 ergibt.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.
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