Gericht / Entscheidungsdatum: LG Rostock, Beschl. v. 02.11.2022 - 11 Qs 126/22 (2)
Eigener Leitsatz:
1. Eine Durchsuchungsanordnung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die erst zur Begründung eines Verdachtes erforderlich sind.
2. Die Durchführung der Durchsuchung fünf einhalb Monate nach ihrer Anordnung ist nicht mehr verhältnismäßig.
11 Qs 126/22 (2)
Landgericht Rostock
Beschluss
In dem Beschwerdeverfahren
des pp.
Rechtsanwalt Maximilian Rakow, Lise-Meitner-Ring 6 b, 18059 Rostock
wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln u.a.
hat das Landgericht Rostock - 1. Strafkammer als Beschwerdekammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Amtsgericht und die Richterin am Landgericht am 2. November 2022 beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Rostock vom 02.12.2021 und die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers am 17.05.2022 rechtswidrig gewesen sind.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
Im Rahmen der Anzeigenerstattung der Zeugin pp. gegen den Beschwerdeführer am 19.06.2020 wegen Körperverletzung zum Nachteil ihres Sohnes hat die Zeugin pp. angegeben, der Beschwerdeführer, ihr ehemaliger Lebensgefährte, dauerhafter Betäubungsmittelkonsument", konsumiere überwiegend Alkohol und. Kokain in regelmäßigen Abständen. Er habe ihr auch mal Cannabis im Wert von 20,- verkauft, woher er die Betäubungsmittel beziehen würde, wisse sie nicht. Daraufhin wurde am 24.07.2020 eine Strafanzeige von Amts wegen gegen den Beschwerdeführer wegen Besitzes und Abgabe von Betäubungsmitteln erstattet, das Verfahren jedoch ohne weitere Ermittlung nach Gewährung rechtlichen Gehörs am 22.02.2021 an die Staatsanwaltschaft Rostock abverfügt. Auf entsprechende Ermittlungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 31.03.2021 wurde die Zeugin pp. am 10.06.2021 zu ihren Angaben aus Juni 2020 ergänzend förmlich vernommen. Zum Erwerb des Cannabis vom Beschwerdeführer hat sie angegeben, dass sie dazu nicht wirklich was wisse", dies schon eine ganze Zeit her sei und sie dazu eigentlich auch nichts sagen wolle. Sie habe für die 20,- ungefähr zwei Gramm Cannabis erhalten, dies sei das einzige Mal gewesen. Ob der Beschwerdeführer auch anderen Personen Betäubungsmittel verkauft habe, wisse sie nicht. Sie habe ihn seit dem Vorfall vor einem Jahr auch nicht mehr gesehen, sie sei sich aber sicher, dass er bis dahin Kokain konsumiert habe. Woher er das Kokain beziehe, wisse sie nicht. Auf die Frage, ob sie wisse, ob und ggf. wo der Beschwerdeführer in seiner Wohnung Betäubungsmittel lagere, verweigerte sie Angaben.
Das Amtsgericht Rostock hat daraufhin mit Beschluss vom 24.06.2021 die Durchsuchung der Wohnung und der Person des Beschwerdeführers angeordnet, um insbesondere Betäubungsmittel, Dealerutensilien, Geld in szenetypischer Stückelung und Aufzeichnungen, die Hinweise auf Betäubungsmittelgeschäfte liefern könnten, aufzufinden. Ohne zwischenzeitliche weitere Ermittlungsmaßnahmen ist fünfeinhalb Monate nach Erlass der Durchsuchungsanordnung festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer umgezogen war, so dass die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Abänderung" des Durchsuchungsbeschlusses beantragt hat. Mit Beschluss vom 02.12.2021, der sich im Wortlaut von der Anordnung aus Juni 2021 lediglich in der Wohnanschrift des Beschuldigten unterschied, hat das Amtsgericht erneut die Durchsuchung angeordnet.
Der Vollzug der Durchsuchungsanordnung vom 02.12.2021 erfolgte am 17.05.2022, mithin fünfeinhalb Monate nach deren Erlass.
II.
Die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 02.12.2021 ist wegen des mit der Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffes und der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG auch nach der am 17.05.2022 erfolgten Durchsuchung mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der prozessualen Maßnahme zulässig (Meyer-Goßner/Schmitt, 65. Auflage, Vor § 296 Rdnr. 18a mwN).
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg:
Vorliegend bestehen bereits durchgreifende Bedenken, dass bei der Durchsuchung aufgrund kriminalistischer Erfahrung die begründete Aussicht bestanden hat, dass der Zweck der Durchsuchung erreicht werden kann. Denn die Durchsuchungsanordnung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die erst zur Begründung eines Verdachtes erforderlich sind (BVerfG StV 2013, 609), sog. Ausforschung. Nach Angaben der Zeugin pp. im Juni 2020 war offenkundig nicht zu erwarten, dass eine Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer Beweismittel für die einmalige Abgabe von zwei Gramm Cannabis erbringen werde. Ebenso wenig war wahrscheinlich, dass bei der Durchsuchung der Wohnung - eineinhalb Jahre nach dem Hinweis der Zeugin - Kokain zum Eigenkonsum aufgefunden werde, zumal über die Regelmäßigkeit, Menge und Lagerung von der Zeugin gerade keine Angaben gemacht worden sind. Angesichts dieser geringen Aussicht auf einen Durchsuchungserfolg hinsichtlich der in Rede stehenden Tatvorwürfe und unter Beachtung der im Beschluss benannten aufzufindenden Beweismittel, liegt es vielmehr nahe, dass die Durchsuchung der Ausforschung der Wohnung gerade erst zur Begründung eines Tatverdachts des Handeltreibens gedient hat. Somit stand die Maßnahme nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftaten und zur Stärke des Tatverdachts (vgl. Mey-er-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 102 StPO, Rn. 15a).
Die Durchsuchungsmaßnahme vom 17.05.2022 ist auch wegen des Zeitablaufs unverhältnismäßig: Ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Straftat infolge Zeitablaufs kann die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen lassen (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1997 - 2 BvR 1992/92). Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermag und damit unzulässig ist (vgl. BVerfGE aaO, Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 105 StPO, Rn. 8a). Nach Maßgabe objektiver Kriterien wie beispielsweise Art des Tatverdachts und Schwierigkeit der Ermittlungen kann der Durchsuchungsbeschluss auch schon früher seine rechtfertigende Wirkung verlieren (Meyer-Goßner/Schmitt/Köhler, 65. Auflage, § 105 StPO, Rn. 8a). So liegt es hier: Angesichts der einfachen Sachlage und der in Rede stehenden Straftaten der Abgabe von Cannabis in geringer Menge in einem Fall und Besitz von Kokain zum Eigenbedarf ist hier bereits nach fünfeinhalb Monaten die rechtfertigende Wirkung der Anordnung entfallen. Dies erst recht, da nach dem Durchsuchungsbeschluss vom 24.06.2021 zuvor bereits fünfeinhalb Monate verstrichen waren, mithin insgesamt 11 Monate seit Erlass der ersten Durchsuchungsanordnung.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 Abs. 1 StPO analog.
Einsender: RA M. Rakow, Rostock
Anmerkung:
Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".