Gericht / Entscheidungsdatum: LG Koblenz, Beschl. v. 07.11.2022 9 Qs 74/22
Eigener Leitsatz:
Der Anspruch des gerichtlich bestellten Verteidigers gegen den Beschuldigten auf Zahlung der Wahlverteidigergebühren entfällt nach teilweisem Freispruch oder sonstigem teilweisen Obsiegen des Beschuldigten nicht nur in Höhe des darauf entfallenden Anteils, sondern in Höhe der gesamten gezahlten Pflichtverteidigergebühren.
9_Qs 74122
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger: Rechtsanwalt Markus J. Herzog, Ferdinand-Sauer-bruch-Straße 36, 56073 Koblenz
weiterer Beteiligter -
wegen Diebstahls u.a.
hier: sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 13.10.2022
hat die 9. große Strafkammer des Landgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 07.11.2022 beschlossen:
1.Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten vom 27.10.2022 (BI. 1126 ff. d.A.) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 12.10.2022, Az.: 27 Ls 2010 Js 14017/19, wird als unbegründet verworfen.
2. Der weitere Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
Gründe:
I.
Mit ihrer Anklageschrift vom 14.06.2019 (BI. 112 ff. d.A.) legte die Staatsanwaltschaft Koblenz u.a. der Verurteilten insgesamt sechs Fälle des Diebstahls zur Last, wobei die Taten gewerbsmäßig begangen worden sein sollten.
Der weitere Beteiligte wurde der Verurteilten mit Beschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 08.07.2022 als Pflichtverteidiger beigeordnet (BI. 125 d.A.)
Am 09.09.2020 verhängte das Amtsgericht - Schöffengericht - Koblenz - nach einer Einstellung des Verfahrens gern. § 154 Abs. 2 StPO im Übrigen - gegen die Verurteilte wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen und Diebstahls unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Koblenz vom 15.11.2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten. Wegen eines weiteren versuchten Diebstahls wurde sie darüber hinaus zu einer weiteren Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt (BI. 795 ff. d. A.).
Auf die Berufung der Verurteilten wurde diese mit Urteil des Landgerichts Koblenz vom 07.12.2021 des Diebstahls in drei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und der Urkundenfälschung in zwei weiteren Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Kosten des Berufungsverfahrens wurde einem damals weiteren Mitangeklagten und der Angeklagten auferlegt - dieser jedoch mit Ausnahme ihrer notwendigen Auslagen, die der Staatskasse auferlegt wurden (BI. 977 ff. d. A.; 7 Ns 2010 Js 14017/19). Das Urteil ist seit dem 07.12.2021 rechtskräftig.
Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 10.12.2021 (BI. 1064 ff. d. A.) beantragte der weitere Beteiligte die entstandenen Pflichtverteidigergebühren erster und zweiter Instanz in Höhe von 4.817,54 Euro festzusetzen. Die Kostenfestsetzung erfolgte antragsgemäß (BI. 1071 d. A.) und der Geldbetrag wurde am 19.07.2022 angewiesen (BI. 1072 d. A.).
Mit seinem weiteren Kostenfestsetzungsantrag vom 27.07.2022 beantragte der weitere Beteiligte nunmehr zusätzlich für das Berufungsverfahren Wahlverteidigergebühren in Höhe von 233,24 Euro (insgesamt 919,87 Euro abzüglich der bereits festgesetzten und ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung für die zweite Instanz in Höhe von 686,63 Euro). Zugleich legte der weitere Beteiligte eine Abtretungsvereinbarung vor und beantragte, den genannten Betrag auf das Kanzleikonto auszuzahlen (BI. 1094 ff. d. A.).
Die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Koblenz beantragte in ihrer Stellungnahme vom 23.09.2022 (BI. 1103 f. d. A.) sinngemäß, die Gebühren und Auslagen auf 0,00 Euro festzusetzen, da infolge einer Anrechnung der bereits vom Verteidiger bezogenen Pflichtverteidigervergütung für das Verfahren erster und zweiter Instanz nach § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG kein festzusetzender Betrag mehr verbleibe.
Der weitere Beteiligte erklärte hierzu, die Bezirksrevisorin verstehe die von ihr selbst in Bezug genommene Rechtsprechung und Literatur völlig falsch, die Wahlverteidigervergütung sei höher, als die gezahlte Pflichtverteidigervergütung zuzüglich der beantragten Differenz zur Wahlverteidgervergütung (BI. 1105f. d.A.).
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 13.10.2022 (BI. 1121 ff. d. A.) wies das Amtsgericht Koblenz den Kostenfestsetzungsantrag vom 27.07.2022 zurück. Die ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung sei auf die Wahlanwaltsvergütung anzurechnen. Insoweit werde alleine auf den gesamten Erstattungsbetrag abgestellt, den der Verteidiger aus der Staatskasse erhalten habe - unabhängig davon, für welche Verfahrensabschnitte er diesen Betrag erhalten habe. Der Gesetzgeber habe insoweit in Kauf genommen, dass der Anspruch gemäß §§ 464b, 467 StPO in einem Missverhältnis zu dem bereits aus der Staatskasse erstatteten Pflichtverteidigergebühren für mehrere Instanzen stehen könne. So liege der Fall hier, der Erstattungsbetrag für die Pflichtverteidigervergütung liege weit über dem Erstattungsanspruch der Wahlverteidigervergütung für das Berufungsverfahren. Entsprechend bestünden keine Forderungen gegen die Staatskasse.
Gegen diesen Beschluss, der ihm am 24.10.2022 zugestellt wurde (BI. 1124 d. A.), legte der weitere Beteiligte mit seinem Schreiben vom 27.10.2022 (BI. 1126 ff. d. A.), eingegangen bei dem Amtsgericht Koblenz am gleichen Tag (BI. 1133 d. A.) sofortige Beschwerde ein. Er führte hierbei im Wesentlichen und sinngemäß aus, § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG habe das Ziel, dass ein Beschuldigter insgesamt nicht mehr als die Gebühren eines Wahlverteidigers zu zahlen haben solle. Die fiktive Wahlverteidigervergütung sei für das gesamte Verfahren zu berechnen und der ausgezahlten Pflichtverteidigervergütung für das gesamte Verfahren zuzüglich der zur Erstattung angemeldeten notwendigen Auslagen gegenüberzustellen. Ein Erstattungsanspruch betreffend die notwendigen Auslagen entfalle dann, wenn die ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung für das gesamte Verfahren zuzüglich der zur Erstattung angemeldeten notwendigen Auslagen die fiktive Wahlverteidigervergütung für das gesamte Verfahren übersteigen.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 02.11.2022 (27 Ls 2010 Js 14017/19; Bf. 1134 f. d. A.) hat dieses der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen".
II.
Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten ist gemäß den §§ 464b Satz 3, 311 Abs. 2 Satz 1 StPO, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPfIG zulässig und insbesondere fristgerecht erhoben worden. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Amtsgericht Koblenz den Antrag des weiteren Beteiligten auf Festsetzung einer Wahiverteidigervergütung zurückgewiesen.
Die mit dem Kostenfestsetzungsantrag geltend gemachte Vergütung für den Berufungsrechtszug ist tatsächlich angefallen, jedoch ist von dem geltend gemachten Betrag in Höhe von noch 233,24 Euro die dem Verteidiger bereits ausgezahlte Pflichtverteidigervergütung in Abzug zu bringen. Da diese die geltend gemachte Wahlverteidigervergütung um ein Vielfaches übersteigt, war die aus-zuzahlende Vergütung im Ergebnis auf 0,00 Euro festzusetzen.
Zwar war der Verteidiger der Verurteilten zum Pflichtverteidiger bestellt und auch im Berufungsrechtszug als solcher tätig, doch ist wegen der Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 2 Satz 1 RVG es möglich, anstatt der dem Verteidiger zustehenden Pflichtverteidigergebühren für das Verfahren zweiter Instanz für letzteres Wahlverteidigergebühren auf Grundlage der vom Landgericht Koblenz getroffenen Kostengrundentscheidung zu Lasten der Staatskasse abzurechnen.
Denn nach § 52 Abs. 1 1. Halbsatz RVG kann auch der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt von dem Beschuldigten die Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers verlangen, wenn und soweit dem Beschuldigten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht (§ 52 Abs. 2 Satz 1 RVG).
Dies ist hier geschehen.
Der dem Verurteilten gerichtlich beigeordnete Verteidiger hat auf Grundlage der Kostengrundentscheidung des Landgerichts Koblenz mit seinem Kostenfestsetzungsantrag - nach Abtretung eines vermeintlich bestehenden Anspruchs des Verurteilten - eine Wahlverteidigervergütung beansprucht und hiermit das sich aus § 52 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz RVG ergebende Wahlrecht ausgeübt.
In § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG ist allerdings weiter geregelt, dass der Anspruch des Verteidigers gegen den Beschuldigten insoweit entfällt, als die Staatskasse Gebühren gezahlt hat.
Hier hat die Staatskasse bereits eine Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 4.817,54 Euro an den Verteidiger ausgezahlt, die die nunmehr geltend gemachte Wahlverteidigervergütung übersteigen.
Die durch diese Regelung erfolgte Verrechnung der Vergütungsansprüche hat ihren sachlichen Grund in dem Umstand, dass es sich bei der an den Pflichtverteidiger gezahlte Vergütung um Kosten des Verfahrens handelt, die der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung zu tragen hat und hinsichtlich derer ein Zahlungsanspruch der Staatskasse gegen den Beschuldigten besteht (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021, § 52 Rdnr. 15 m. w. N.). Durch die Regelung des § 52 Abs. 1 Satz 2 RVG wird mithin lediglich eine ansonsten erforderliche ausdrückliche Aufrechnungserklärung der Staatskasse obsolet.
Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten war daher als unbegründet zu verwerfen.
Einsender: RA M. Herzog, Koblenz
Anmerkung:
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