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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Strafvollstreckung, vollstreckungsrechtliche Lage

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 19.09.2022 - 3 Qs 104/22

Eigener Leitsatz: Im Vollstreckungsverfahren hat die Dauer der noch zu vollstreckenden Strafe außer Betracht zu bleiben. Für die Bestellung eines Pflichtverteidigers maßgeblich ist hier vielmehr, ob die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Widerrufs-. Und Beschwerdeverfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufwirft, die Aktenkenntnis erfordern oder über die regelmäßig auftretenden Probleme hinausgehen.


Landgericht Halle

3 Qs 104/22

Beschluss

In dem Bewährungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger: Rechtsanwalt Funck, Braunschweig

wegen vorsätzlicher Körperverletzung

hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Halle — Beschwerdekammer — durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am 19.09.2022 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 18.08.2022 — Az.: 304 BRs 46/16 —aufgehoben.
Dem Verurteilten wird im Verfahren über den von der Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 13.04.2022 beantragten Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung Rechtsanwalt Funck aus Braunschweig als Pflichtverteidiger bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 06.10.2015 — Az.: 304 Ls 173 Js 29325/12 — in der Fassung des Urteils des Landgerichts Halle vom 05.07.2016 — Az.: 8c Ns 144/15 — wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Das Urteil ist seit dem 13.07.2016 rechtskräftig.

Nachdem der Verurteilte erneut straffällig geworden und deshalb mit Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 15.06.2018 — Az.: 304 Ls 561 Js 10016/16 in der Fassung des Urteils des Landgerichts Halle vom 03.07.20219 — Az.: 8c Ns 125/18 -, welches seit dem 03.12.2019 rechtskräftig ist, wegen einer am 08.07.2016 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung und wegen eines am 31.08.2016 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten, deren Vollstreckung wiederum zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden war, verlängerte das Amtsgericht Halle (Saale) mit Beschluss vom 27.10.2020 die Bewährungszeit um ein Jahr und sechs Monate auf insgesamt vier Jahre und sechs Monate.

Am 06.07.2019 beging der Verurteilte ein fahrlässiges Fahren ohne Fahrerlaubnis und wurde deswegen mit Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 08.10.2020 — Az.: 304 Cs 363 Js 27431/19 — in der Fassung des Urteils des Landgerichts Halle vom 18.06.2021 — Az.: 8c Ns 2/21 — zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verurteilt. Das Urteil ist seit dem 13.10.2021 rechtskräftig.

Mit Verfügung vom 13.04.2022 beantragte die Staatsanwaltschaft Halle, die Strafaussetzung im Hinblick auf die erneute Straffälligkeit vom 06.07.2019 zu widerrufen. Wegen dieser Tat und eines weiteren anhängigen Strafverfahrens bestehe die Besorgnis, dass der Verurteilte weitere Straftaten begehen werde. Auch sei der Verurteilte der "Wohnsitzauflage" nie nachgekommen.
Das Amtsgericht Halle (Saale) hörte den Verurteilten mit Schreiben vom 21.07.2021 zum beantragten Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung an.

Daraufhin beantragte der Verurteilte mit Schreiben seines Verteidigers vom 02.08.2022, ihm seinen Verteidiger analog § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Mit Beschluss vom 18.08.2022 wies das Amtsgericht Halle (Saale) den Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zurück. Zur Begründung verwies es darauf, dass hier der Bewährungswiderruf in Bezug auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten drohe, die sogar deutlich unter der Grenze von einem Jahr einer zu erwartenden Freiheitsstrafe liege, ab der im Erkenntnisverfahren in der Regel ein Pflichtverteidiger zu bestellen sei. Auch die Sach- und Rechtslage sei nicht als so schwierig zu qualifizieren, dass ausnahmsweise die Mitwirkung eines Verteidigers als notwendig anzusehen sei, da die Prüfung eines etwaigen Widerrufs allein nach den Voraussetzungen des § 56f StGB erfolge und nicht so schwierig sei, dass der Verurteilte seine Rechte selbst nicht wahrnehmen könne.

Gegen diesen Beschluss, der seinem Verteidiger am 23.08.2022 zugestellt wurde, legte der Verurteilte mit anwaltlichem Schreiben vom 25.08.2022, das am selben Tag beim Amtsgericht Halle einging, sofortige Beschwerde ein. Diese begründete er zum einen damit, dass im Falle eines Widerrufs auch der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in Bezug auf die gegen den Verurteilten verhängte weitere Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten drohe. Zudem werde der Widerrufsantrag auf eine Nachverurteilung wegen eines Fahrlässigkeitsdeliktes nicht einschlägiger Art mit einem geringen Schuldgehalt gestützt, was in zahllosen Vollstreckungsfällen vergleichbarer Art nicht zu einem Widerruf führe. Daher könne nicht von einem routinemäßigen und einfach gelagerten Vollstreckungsfall gesprochen werden.

II.

Die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten ist gemäß §§ 142 Abs. 7 S. 1, 311 StPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

In einem Strafvollstreckungsverfahren liegt entsprechend § 140 Abs. 2 StPO ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, wenn die Schwere des Vollstreckungsfalls für den Verurteilten, besondere Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebieten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage, § 140 Rn. 33, Krafczyk in: Beck'scher Online-Kommentar zur StPO, 44. Edition 01.07.2022, § 140 Rn. 51; OLG Celle, Beschluss vom 03. 12 2019 — 2 Ws 352/19 - 2 Ws 355/19 —, Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 25. 03. 2019 — 2 Ws 156/19 —, Rn. 4, jeweils zitiert nach juris). Dabei sind die Voraussetzungen einschränkend auszulegen, da im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich in deutlich geringerem Maße als im Erkenntnisverfahren ein Bedürfnis für die Mitwirkung eines Verteidigers besteht, da Tatschwere und Rechtsfolgen bereits feststehen (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.., OLG Celle a.a.O.., OLG Koblenz a.a.O.., s. a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 02. 05. 2002 —2 BvR 613/02 —, Rn. 11, zitiert nach juris).

Nach diesen Maßstäben liegt hier zwar nicht allein deswegen ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, weil sich das Verfahren über den Bewährungswiderruf auf eine Freiheitsstrafe von neun Monaten bezieht. Bei der Entscheidung, ob wegen der Schwere des Vollstreckungsfalles ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, hat die Dauer der nach einem Bewährungswiderruf zu vollstreckenden Strafe außer Betracht zu bleiben (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.11.2021 — 1 Ws 278/21 —, Rn. 7, m. w. N., zitiert nach juris). Selbst im Erkenntnisverfahren gilt im Übrigen in der Regel erst eine Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe als ausreichend schwere Rechtsfolge, um für sich genommen die Beiordnung eines Verteidigers zu erfordern (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.. Rn. 23).

Maßgeblich ist hier vielmehr, ob die vollstreckungsrechtliche Lage schwierig ist. Das ist dann der Fall, wenn das Widerrufs-. Und Beschwerdeverfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Fragen aufwirft, die Aktenkenntnis erfordern oder über die regelmäßig auftretenden Probleme hinausgehen (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 17.11. 2021 —1 Ws 123/21 (S) Rn. 4; KG Berlin, Beschluss vom 14.09.2005 — 1 AR 951/05 - 5 Ws 399/05 —, Rn. 8; jeweils zitiert nach juris). Davon geht die Kammer hier allerdings aus. Zu beachten ist, dass nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft der Widerruf der Strafaussetzung auf die Begehung eines nicht einschlägigen, fahrlässig und — vor Verlängerung der Bewährungszeit —nur wenige Tage vor Ablauf der ursprünglichen Bewährungszeit begangenen Bagatelldelikts gestützt werden soll. Dabei führte die erste Nachverurteilung wegen einer nur drei Tage nach der zweitinstanzlichen Bewährungsverurteilung begangenen einschlägigen Tat, nämlich einer vorsätzlichen Körperverletzung, sowie eines weiteren, nur wenige Wochen später begangenen Verbrechens nur zu einer Verlängerung der Bewährungszeit. Inwieweit das der jetzigen Nachverurteilung zu Grunde liegende Delikt denkbar geringen Gewichts — allein oder unter Berücksichtigung der der ersten rechtskräftigen Nachverurteilung zu Grunde liegenden Delikte — geeignet ist, die Ausgangsprognose in Frage zu stellen und auch, inwieweit bei der Prognose, wie von der Staatsanwaltschaft in den Raum gestellt, die bisher noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen weiteren gegen den Verurteilten geführten Strafverfahren Berücksichtigung finden dürfen, ist eine Frage, die über das hinausgeht, was in Verfahren wegen eines möglichen Bewährungswiderrufs nach § 56f StGB regelmäßig zu prüfen ist. Es handelt sich um eine in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht schwierige Frage, die Aktenkenntnis zum zeitlichen Ablauf der Ereignisse und juristisches Fachwissen voraussetzt, das der Verurteilte nicht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA J. R, Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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