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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Gesamtstrafe, Zeitpunkt der Bestellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Karlsruhe, Beschl. v. 16.09.2022 - 6 Qs 41/22

Eigener Leitsatz: 1. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung unter anderem dann vor, wenn wegen der Schwere der drohenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Dies bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen.
2. § 141 StPO setzt nicht voraus, dass der Beschuldigte förmlich durch Eröffnung des Tatvorwurfs gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO Kenntnis von einem gegen ihn laufenden Ermittlungsverfahren erlangt hat.


6 Qs 41/22

Landgericht Karlsruhe

Beschluss

In pp.

wegen Betruges

hier: sofortige Beschwerde des Beschuldigten

hat das Landgericht Karlsruhe - 6. Große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 16. September 2022 . beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschuldigten pp. wird der die Bestellung eines Pflichtverteidigers ablehnende Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 11. August 2022 aufgehoben.
Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten hierin entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere auch formwirksam eingelegt, da § 32d Satz 2 StPO für die Einlegung des Rechtsmittels der Beschwerde die Übermittlung als elektronisches Dokument nicht zwingend vorschreibt.

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Ent-scheidung.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung unter anderem dann vor, wenn wegen der Schwere der drohenden Rechtsfolgen die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Dies bestimmt sich nicht lediglich nach der im konkreten Verfahren zu erwartenden Rechtsfolge, sondern es haben auch sonstige schwerwiegende Nachteile wie beispielsweise ein drohender Bewährungswiderruf in die Entscheidung mit einzufließen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., Rn. 23c zu § 140 m. w. N.).

Hier liegt dem Beschuldigten ein Betrugsdelikt vom 02.08.2021 mit einem Schaden von 72,00 EUR zur Last. Zur Tatzeit stand der Beschuldigte jedoch ausweislich des Auszugs aus dem Bundeszentralregister zweifach unter Bewährung, nämlich zum einen einschlägig hinsichtlich der Freiheitsstrafe von 10 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 16.05.2019, rechtskräftig 'seit dem 24.05.2019, wegen Betrugs in 8 Fällen (Bewährungszeit: 3 Jahre) und zum anderen hinsichtlich der Freiheitsstrafe von 4 Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Alfeld (Leine) vom 12.01.2016 wegen vorsätzlicher Körperverletzung (Bewährungszeit verlängert bis zum 27.09.2021). Da im letztgenannten Bewährungsverfahren die Bewährungszeit bereits einmal verlängert worden ist und, im erstgenannten Bewährungsverfahren ein einschlägiger Verstoß vorliegt, erscheint im Falle einer Verurteilung ein Bewährungswiderruf in beiden Verfahren nicht fernliegend.

Hinzu kommt, dass gegen den Beschuldigten, wie durch den Verteidiger teilweise unter Nennung der jeweiligen Aktenzeichen mitgeteilt wurde und wie aus zahlreichen Mitteilungen des Bundeszentralregisters zur Ausschreibung des Beschuldigten zur Aufenthaltsermittlung ersichtlich ist, weitere Ermittlungsverfahren jedenfalls bei den Staatsanwaltschaften Hildesheim, Arnsberg, Schweinfurt, Münster, Neuruppin, Duisburg, Leipzig, Gera, Bochum, Trier; Hamburg, Lübeck, Köln, Mönchengladbach, Frankfurt am Main, Dresden, Oldenburg, Weiden i. d. Oberpfalz, Osnabrück, Aurich, Göttingen, Kiel, Itzehoe, Hechingen und Aschaffenburg sowie Strafverfahren bei den Amtsgerichten Elze und Leipzig geführt werden, so dass dem Beschuldigten insgesamt ein erhebliches Strafübel droht und der Bewährungswiderruf in beiden Bewährungsverfahren umso wahrscheinlicher erscheint.

Dem Beschuldigten drohen daher - unter anderem wegen des vorliegenden Verfahrens - in der Gesamtschau schwerwiegende Rechtsnachteile, so dass gemäß § 140 Abs. 2 StPO die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

Gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO war ihm daher Auf seinen Antrag bereits im jetzigen Verfahrensstadium ein Pflichtverteidiger zu bestellen. Laut Mitteilung des POK pp. vom 17.02.2022 war der Beschuldigte anlässlich einer Kontrolle vorn selben Tage am Hauptbahnhof in Hamm weder mit einer Beschuldigtenvernehmung noch mit der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (unter anderem) im vorliegenden, seiner Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung Zugrundeliegenden Verfahren einverstanden. Spätestens mit der diesbezüglichen Nachfrage ist ihm der Tatvorwurf eröffnet worden, so dass ihm auf seinen ausdrücklichen Antrag gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO unverzüglich ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist (vgl. im Übrigen auch BeckOK StPO/Krawczyk, 44. Ed. 1.7.2022, Rn. 4 zu § 141 zum Ausreichen einer Kenntniserlangung vom Ermittlungsverfahren auf andere Weise als durch förmliche Eröffnung des Tatvorwurfs gemäß § 136 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Im Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger ist zugleich die Erklärung des bisherigen Wahlverteidigers zu sehen, das Wahlmandat solle mit der Bestellung zum Pflichtverteidiger enden, so dass die ursprüngliche Mandatierung der Pflichtverteidigerbestellung nicht entgegensteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., Rn. 40 zu § 142).

Da ein wichtiger Grund, welcher der Bestellung des vom Beschuldigten benannten Verteidigers entgegen steht, nicht ersichtlich ist, war ihm gemäß § 142 Abs. 5•Satz 3 StPO antragsgemäß Rechtsanwalt pp. beizuordnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus der analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA J. R. Funck, Braunschweig

Anmerkung:


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