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Entscheidungen

Zivilrecht

Wiedereinsetzung, unzuständiges Gericht, RA-Micro, Büroversehen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Schleswig, Beschl. v. 13.10.2022 – 7 U 160/22

Leitsatz des Gerichts: 1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nur gewährt, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Dabei muss sich die Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Es gilt der berufsbedingt strenge Sorgfaltsmaßstab, sodass insoweit regelmäßig eine Fristversäumnis verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre.
2. Die Berufungsschrift darf nicht beim Ausgangsgericht, sondern muss beim zuständigen Berufungsgericht (in diesem Fall beim OLG Schleswig) eingelegt werden. Ein Rechtsanwalt hat durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht.
3. Seit dem 01.01.2022 müssen vorbereitende Schriftsätze gemäß § 130 d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gemäß § 130 a Abs. 5 S. 2 ZPO wird dem Absender nach der Übermittlung eine "automatisierte Bestätigung“ über den Zeitpunkt des Eingangs mitgeteilt.
4. Das Fristenwesen einer Anwaltskanzlei muss sicherstellen, dass dem Rechtsanwalt die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittelfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden und zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich an das zuständige Gericht rechtzeitig hinausgehen. Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst dann als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Weisung, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders nochmals und abschließend selbstständig überprüft wird. Das Erfordernis der allabendlichen Fristenkontrolle hat gerade den Sinn, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Einhaltung von Fristen auszuschließen.
5. Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle darf nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware (hier "RA-Micro“) erfolgen, sondern erfordert auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte. Das Büropersonal ist bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift anzuweisen, in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier "RA-Micro“) das zuständige Berufungsgericht einzupflegen.
6. Die Ursächlichkeit einer falschen Gerichtsadressierung entfällt lediglich dann, wenn ein an sich schuldhaftes Verhalten sich wegen eines Fehlers des unzuständigen Gerichts nicht entscheidend auswirkt. Kausalität wäre in diesem Fall nur dann nicht gegeben, wenn die Fristversäumnis bei pflichtgemäßer Weiterleitung des Schreibens an das zuständige Gericht vermieden worden wäre. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang erwartet werden konnte.


In pp.

1. Der Antrag des Klägers vom 20.09.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist wird als unbegründet zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das am 12.08.2022 verkündete und am 15.08.2022 zugestellte Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist beim zuständigen Oberlandesgericht Schleswig eingegangen ist.
3. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung einschließlich der notwendigen Auslagen der Streithelferin.
4. Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf 15.903,04 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadenersatz aufgrund eines behaupteten Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich am ...2020 in N. ereignet haben soll. Dabei soll der Porsche Panamera 4S (amtliches Kennzeichen ..., Erstzulassung ...2009), den seine Ehefrau von seinem Bruder erworben haben will, beschädigt worden sein. Die Ehefrau des Klägers hat sämtliche Ansprüche an den Kläger abgetreten. Der Kläger beantragt Schadenersatz in Höhe von insgesamt 15.903,04 €.

Die Beklagte zu 2. bestreitet den Unfallhergang mit Nichtwissen. Die Beklagte zu 1. hat behauptet, dass es sich um einen gestellten Unfall gehandelt haben soll und dass der Kilometerstand bei dem Porsche Panamera manipuliert worden sei.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 12.08.2022 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Nach der Überzeugung des Landgerichts handelte es sich nicht um einen Verkehrsunfall, weil der Kläger mit der Beschädigung des Fahrzeuges einverstanden gewesen sei. Das Urteil wurde am 15.08.2022 zugestellt.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben gegen dieses Urteil am 15.09.2022 (16:39 Uhr) zunächst Berufung beim unzuständigen Landgericht Kiel eingelegt (Bl. 255 GA). Nachdem das Landgericht Kiel am Nachmittag des Folgetages (16.09.2022) die Prozessbevollmächtigten des Klägers auf die Unzuständigkeit hingewiesen hat, wurde die Berufungsschrift (die das Datum vom 14.09.2022 trägt; Bl. 246 GA) am Dienstag, den 20.09.2022 (17:47 Uhr) beim zuständigen Oberlandesgericht Schleswig eingereicht. Gleichzeitig beantragten die Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 20.09.2022 unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten D1 vom 19.9.2022 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist. Eine weitere eidesstattliche Versicherung der Büroangestellten D1 vom 11.10.2022 wurde mit Schriftsatz vom 11.10.2022 nachgereicht (Bl. 289 ff. GA).

Der Kläger meint, die Berufungsfrist sei unverschuldet versäumt worden. Es habe sich lediglich um einen „Anklick-Fehler“ der ansonsten stets weisungsgemäß und fehlerfrei arbeitenden Rechtsanwaltsfachangestellten D1 gehandelt. Letztere sei am Nachmittag des 15.9.2022 in Vertretung der teilzeitbeschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten W1 (35 Wochenstunden) unter deren elektronischer Kennung (Benutzername ...) und entsprechender Nutzung von deren Mitarbeiterkarte (registriert bei der Notarkammer) tätig geworden. Die Angestellte D1 sei mit der elektronischen Übersendung der Berufungsschrift beauftragt gewesen und habe dabei übersehen, dass der Berufungsschriftsatz vom 14.09.2022 an das OLG Schleswig adressiert war und deshalb eigentlich über das beA-Postfach an das OLG Schleswig zu senden gewesen wäre. In der entsprechenden Anwaltssoftware (RA-Micro) sei aber das zuständige Oberlandesgericht Schleswig nicht eingepflegt gewesen, sondern nur das Landgericht Kiel als das „im Berufsalltag (der Kanzlei K1) am häufigsten vorkommende Berufungsgericht“. Auch bei der anschließenden weisungsgemäßen Zugangskontrolle habe die Fachangestellte D1 nicht realisiert, dass die elektronische Zustellung an das unzuständige Landgericht Kiel erfolgt war. Die allabendliche Fristenendkontrolle sei zeit- und situationsbedingt mit der ohnehin durchgeführten Zugangskontrolle zusammengefallen, sodass sich für die Fachangestellte D1 auch daraus keine Auffälligkeit ergeben habe. In der ergänzenden eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten D1 vom 11.10.2022 heißt es, dass die Ausgangskontrolle am späten Nachmittag des 15.9.2022 (16.39 Uhr) mit der weisungsgemäß vorzunehmenden allabendlichen Fristenendkontrolle „nahezu“ zusammenfiel, weil Herr Rechtsanwalt K1 aufgrund einer Fortbildungsveranstaltung das Büro an dem Tag bereits um 17.00 Uhr verlassen musste. Es handle sich - so die Prozessbevollmächtigten des Klägers - deshalb lediglich um einen unglücklichen inhaltlichen Irrtum einer ansonsten stets fehlerfrei arbeitenden Bürokraft.

Mit Verfügung vom 26.09.2022 hat der Senat den Beklagten aufgegeben, abschließend zu dem Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers bis zum 11.10.2022 Stellung zu nehmen. Beide Beklagte haben beantragt, die Berufung des Klägers wegen der Fristversäumnis als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 11.10.2022 hat der Kläger eine ergänzende eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten D1 eingereicht.

II.

1. Der Antrag des Klägers vom 20.09.2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist ist unbegründet, weil keine Tatsachen vorliegen, wonach der Kläger ohne Verschulden an der Wahrung der Frist gehindert war. Bei der einmonatigen Berufungsfrist handelt es sich um eine Notfrist (§ 517 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nach § 233 S. 1 ZPO nur gewährt, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Dabei muss sich eine Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Hinsichtlich des zuzurechnenden anwaltlichen Verschuldens gilt der übliche, also berufsbedingt strenge Sorgfaltsmaßstab, sodass insoweit regelmäßig eine Fristversäumnis verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., § 233 Rn. 13 mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 22.11.1984, VII ZR 160/84, NJW 1985, 1710 - 1711). Die Berufungsschrift muss gemäß § 519 Abs. 1 ZPO nicht beim Ausgangsgericht, sondern beim zuständigen Berufungsgericht (in diesem Fall beim OLG Schleswig) eingelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Einhaltung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (BGH, Beschlüsse vom 09.05.2017, VIII ZB 5/16, NJW-RR 2017, 953, Rn. 8; vom 04.09.2018, VIII ZB 70/17, NJW-RR 2018, 1325, Rn. 13 jeweils m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte muss außerdem sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittelfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden und zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich an das zuständige Gericht rechtzeitig hinausgehen. Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst dann als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbstständig überprüft wird (ständige Rechtsprechung des BGH, Fortführung BGH vom 17. 1.2012, VI ZB 11/11, VersR 2012, 1009; Beschlüsse vom 07.01.2015, VI ZB 14/14; vom 9.12.2014, VI ZB 42/13, juris; vom 4.11.2014, VIII ZB 438/14, NJW 2015, 253 f., Rn. 8; vom 26.02.2015, III ZB 55/14, juris, Rn. 8 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass im Büro seines Prozessbevollmächtigten hinreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen worden sind, welche die rechtzeitige Zustellung der Berufung innerhalb der Berufungsfrist an das zuständige Gericht sichergestellt hätten.

Seit dem 01.01.2022 müssen vorbereitende Schriftsätze gemäß § 130 d ZPO als elektronisches Dokument eingereicht werden. Gemäß § 130 a Abs. 5 S. 2 ZPO wird dem Absender nach der Übermittlung eine „automatisierte Bestätigung“ über den Zeitpunkt des Eingangs mitgeteilt. Die Rechtsanwaltsfachangestellte D1 hat zwar in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 19.09.2022 (Bl. 257 GA) erklärt, sie habe diese Eingangsbestätigung (vgl. das Dokument Bl. 255 GA) kontrolliert. Offenbar ist ihr bei dieser Kontrolle fahrlässig nicht aufgefallen, dass in dem entsprechenden Prüfprotokoll vom 15.09.2022, 16:39 Uhr (Bl. 256 GA) das unzuständige Landgericht Kiel vermerkt war. Von einer nochmaligen allabendlichen Fristenkontrolle war zunächst in der eidesstattlichen Versicherung der Angestellten D1 vom 19.09.2022 nichts zu lesen. Erst in der nachgereichten eidesstattlichen Versicherung vom 11.10.22 (Bl. 290 GA) heißt es, sie habe die weisungsgemäß vorzunehmende Fristenendkontrolle „wohl gegen 17.00 Uhr noch einmal über unsere Anwaltssoftware überprüft“.

Es ist schon nicht glaubhaft, dass die Zugangskontrolle anhand der „automatisierten Bestätigung“ gemäß § 130 a Abs. 5 S. 2 ZPO - wie der Anwalt des Klägers vorträgt - „zeit- wie situationsbedingt“ mit der zwingend erforderlichen allabendlichen Fristen- und Erledigungskontrolle zusammengefallen sein soll. Unstreitig erfolgte die fehlerhafte Übersendung der Berufungsschrift an das unzuständige Landgericht Kiel bereits am Nachmittag des 15.09.2022 (einem Donnerstag) um 16:39 Uhr (Bl. 255 GA). Zu diesem Zeitpunkt dürfte der Bürotag für die klägerischen Prozessbevollmächtigten noch nicht zu Ende gewesen sein. Ausweislich der Homepage ist das Anwaltsbüro K1 donnerstags jeweils bis 18.00 Uhr besetzt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Herr Rechtsanwalt K1 wegen einer Fortbildung das Büro bereits um 17.00 Uhr verlassen müsste. Das Erfordernis der allabendliche Fristenkontrolle hat gerade den Sinn, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Einhaltung von Fristen auszuschließen.

Im Übrigen liegen auch Organisationsfehler im Büro der klägerischen Prozessbevollmächtigten vor.

Es fehlt es an der Darlegung und Glaubhaftmachung einer entsprechenden und detaillierten anwaltlichen Weisung für die Durchführung der erforderlichen allabendlichen Ausgangskontrolle. Es ist nicht vorgetragen, wann und mit welchem Inhalt die Büroangestellten angewiesen worden sein sollten, die tägliche allabendliche Fristenkontrolle durchzuführen. Es liegt auf der Hand, dass eine wirksame Kontrolle nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware erfolgen kann (wie sie offenbar durch die Angestellte D1 gem. Erklärung vom 11.10.2022 durchgeführt worden ist), sondern selbstverständlich auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte erfordert. Bei einer solchen Überprüfung hatte der Zuständigkeitsfehler spätestens entdeckt werden können und müssen. Schließlich war in der Berufungsschrift vom 14.09.2022 (Bl. 246 GA) das zuständige Oberlandesgericht Schleswig ausdrücklich als Adressat genannt.

Außerdem wäre der Fehler - worauf die Beklagte zu 1. zu Recht hinweist - vermieden worden, wenn bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier „RA-Micro“) das zuständige Oberlandesgericht Schleswig als mögliches Berufungsgericht eingepflegt gewesen wäre. Insoweit wäre eine entsprechende Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber seinem Büropersonal erforderlich gewesen (BGH, Beschluss vom 09.12.2014, VI ZB 42/13, juris Rn. 8 m.w.N.). Schließlich dürfte es auch fehlerhaft gewesen sein, dass die in Vollzeit tätige Fachangestellte D1 unstreitig nicht über eine eigene beA-Mitarbeiterkarte verfügte und deshalb unter dem Namen ihrer Kollegin (W1) die elektronische Versendung der Berufungsschrift veranlasst hat.

Die falsche Adressierung der Berufungsschrift ist für die Fristversäumnis auch kausal geworden. Eine Ursächlichkeit entfällt lediglich dann, wenn ein an sich schuldhaftes Verhalten sich wegen eines Fehlers des Gerichts nicht entscheidend auswirkt. Kausalität wäre in diesem Fall nur dann nicht gegeben, wenn die Fristversäumnis bei pflichtgemäßer Weiterleitung des Schreibens an das zuständige Gericht vermieden worden wäre. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn die fristgerechte Weiterleitung an das zuständige Gericht im ordentlichen Geschäftsgang erwartet werden konnte (Zöller-Greger, a.a.O., § 233, Rn. 21 mit Hinweis auf BGH, Beschluss vom 14.12.2010, VIII ZB 20/09, NJW 2011, 683 ff., 684). Das Landgericht Kiel war insoweit nicht gehalten, den erst am Donnerstag, den 15.09.2022, um 16:39 Uhr per beA dort eingereichten Schriftsatz des Klägers noch am gleichen Tage an das zuständige Oberlandesgericht Schleswig weiterzuleiten. Vielmehr durfte das Landgericht Kiel das Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers erst am nächsten Geschäftstag (Freitag, 16.09.2022) im ordentlichen Geschäftsgang darauf hinweisen, dass die Berufung beim zuständigen Oberlandesgericht Schleswig einzulegen gewesen wäre. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist aber schon abgelaufen.

Im Ergebnis ist das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers vom 20.09.2022 damit zwar zulässig (die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 1 ZPO ist eingehalten) aber unbegründet, weil die Berufungsfrist hier schuldhaft versäumt worden ist und der Kläger sich das Verhalten seiner Anwälte zurechnen lassen muss.

2. Gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht innerhalb der gesetzlichen Form und Frist eingelegt worden ist. Das ist hier der Fall. Die Berufungsfrist beträgt gemäß § 517 ZPO einen Monat und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils (hier ab dem 15.08.2022). Die Berufungsfrist war deshalb am Donnerstag, den 15.09.2022, 24:00 Uhr abgelaufen. Binnen dieser Frist ist die Berufungsschrift unstreitig nicht bei dem zuständigen Oberlandesgericht Schleswig eingelegt worden. Die Berufung ist erst am 20.09.2022 um 17:44 Uhr - und damit verspätet - beim Berufungsgericht eingegangen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 GKG.


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