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Entscheidungen

Gebühren

Haftprüfungstermin, Terminsvertreter, Grundgebühr, Verfahrensgebühr, Terminsgebühr

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Tiergarten, Beschl. v. 14.10.2022 - (278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22)

Eigener Leitsatz: Für den nur für die Wahrnehmung eines Haftprüfungstermins bestellten Pflichtverteidiger entsteht nicht nur die Terminsgebühr. Es entstehen auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr.


Amtsgericht Tiergarten

Beschluss vom 14.10.2022

278 Ds) 265 Js 277/22 (110/22)

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte pp.

wird auf die Erinnerung des Rechtsanwalts pp2 vom 13.09.2022 gegen die Kostenfestsetzungsentscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 12.08.2022 die Kostenfestsetzung insoweit aufgehoben, als Grund- und Verfahrensgebühr gemäß Nummern 4101 und 4105 VV RVG sowie die Auslagenpauschale gemäß Nummer 7022 VV RVG zuzüglich der jeweils darauf entfallenden Umsatzsteuer abgesetzt wurden.
Es wird die dem Verteidiger Rechtsanwalt pp2 aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung auf weitere Gebühren und Auslagen in Höhe von 491,47 Euro festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Dem am 12.07.2022 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten vom 19.04.2022 festgenommenen Beschuldigten —zwischenzeitlich Verurteilten- pp. wurde mit Beschluss vom 12.07.2022 antragsgemäß Rechtsanwalt pp1 gemäß § 140 Abs.1 Nr. 4 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Aufgrund Haftprüfungsantrags des Verteidigers Rechtsanwalt pp1.vom 13.07.2022 beraumte das Amtsgericht Tiergarten —Ermittlungsrichter- einen Haftprüfungstermin auf den 28.07.2022, 10.00 Uhr, an, welcher mit dem Verteidigerbüro abgesprochen worden war.

Zu dem Haftprüfungstermin am 28.07.2022 erschien Rechtsanwalt pp2., der erklärte, Rechtsanwalt pp1. sei verhindert, und der seine Beiordnung für den Termin beantragte. Daraufhin bestellte das Amtsgericht Tiergarten Rechtsanwalt pp2. gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO für den Haftprüfungstermin am 28.07.2022 zum Pflichtverteidiger und ordnete zugleich an, dass die Beiordnung mit dem Termin endet. Eine Anordnung, wonach Gebühren und Auslagen nicht doppelt entstehen, erfolgte nicht, auch gab Rechtsanwalt pp2. keine entsprechende Verzichtserklärung ab.

Im Rahmen des Haftprüfungstermins am 28.07.2022, dem gemäß Vortrag des Verteidigers Rechtsanwalt pp2. eine vorherige Akteneinsicht durch ihn vorangegangen war, beantragte Rechtsanwalt pp2. die Aufhebung, hilfsweise die Außervollzugsetzung des Haftbefehls, begründete diesen Antrag mit mehreren Argumenten und überreichte eine Zustellungs- und Ladungsvollmacht für Rechtsanwalt pp1.

Das Amtsgericht beschloss jedoch -dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend- Haftfortdauer.

Mit Schriftsatz vom 28.07.2022 beantragte Rechtsanwalt pp2., Gebühren und Auslagen i.H.v. 709,24 Euro incl. Umsatzsteuer festzusetzen. Im Einzelnen machte er
— eine Grundgebühr mit Zuschlag gemäß Nr. 4101 VV RVG i.H.v. 216,00 Euro,
— eine Verfahrensgebühr mit Zuschlag gemäß Nr. 4105 VV RVG i.H.v. 177,00 EUR,
— eine Terminsgebühr mit Zuschlag gemäß Nr. 4103 VV RVG i.H.v. 183,00 EUR sowie
— die Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG i.H.v. 20,00 Euro geltend, mithin 596,00 Euro zuzüglich Umsatzsteuer i.H.v. 113,24 Euro.

Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht Tiergarten setzte am 12.08.2022 die dem Verteidiger Rechtsanwalt pp2. aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung abweichend von dem Antrag auf lediglich 217,77 Euro fest. Dabei setzte sie die Grundgebühr gemäß Nr. 4101 VV RVG, die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4105 VV RVG sowie die Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG zuzüglich der jeweils hierauf entfallenden Umsatzsteuer ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Beiordnung des Rechtsanwalts pp2. ausdrücklich und einschränkend nur für den an am 28.07.2022 stattfindenden Haftprüfungstermin erfolgte und gemäß Beschluss auch an diesem Tag endete. Auch sei dem Hauptverhandlungsprotokoll zu entnehmen, dass durch Rechtsanwalt pp.2 - aufgrund der Verhinderung des „Vollverteidigers" Rechtsanwalt pp1. -ausdrücklich die Beiordnung (nur) für diesen Terminstag beantragt habe. Mithin sei ausschließlich die Terminsgebühr Nr. 4103 W RVG zzgl. Umsatzsteuer erstattungsfähig.

Gegen diese Absetzung legte Rechtsanwalt pp2. mit Schriftsatz vom 13.09.2022 Erinnerung ein.

Die Bezirksrevisoren bei dem Kammergericht nahmen dahingehend Stellung, dass die Erinnerung als unbegründet zu verwerfen sei, da der Rechtsanwalt pp2. dem Angeklagten lediglich für den Haftprüfungstermin am 28.07.2022 beigeordnet worden sei. Eine vollumfängliche Beiordnung liege nach Aktenlage nicht vor. Die Informationsbeschaffung für die Teilnahme an diesem Termin sei im Rahmen der unmittelbaren Vorbereitung auf diesen Termin entstanden und daher mit der Gebühr abgegolten.

II.

Die Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung vom 12.08.2022 ist zulässig und begründet.

Zwar teilt das Gericht die Auffassung, dass ein bloßer sogenannter „Terminsvertreter" im Rahmen eines Hauptverhandlungstermins für den Fall, dass der eigentliche originäre Verteidiger verhindert ist, in der Regel lediglich die Terminsgebühr i.S.d. Nummern 4114, 4115 VV RVG geltend machen kann, nicht aber eine Grundgebühr sowie eine Verfahrensgebühr sowie eine Postpauschale nebst Umsatzsteuer. In der Praxis wird dies in aller Regel abgesichert durch eine entsprechende Verzichtserklärung des Terminsvertreters und eine entsprechende Einschränkung in dem ergehenden Beiordnungsbeschluss.

Vorliegend geht es jedoch um die Wahrnehmung eines Haftprüfungstermins. Anders als bei einer meist auf einen Terminstag einer mehrtätigen Hauptverhandlung oder auch nur eine kurze Zeitspanne eines mehrstündigen Hauptverhandlungstermins beschränkten Vertretung des originären Verteidigers, bei welcher der Terminsvertreter in aller Regel lediglich mit einem sehr begrenzten Prozessstoff konfrontiert wird, ohne dass es einer gründlichen um umfassenden Einarbeitung in die Sache bedarf, zumal essentielle Dinge in solchen lediglich mit einem Terminsvertreter besetzten Hauptverhandlungsterminen in der Praxis —in ausdrücklicher oder stillschweigender Übereinkunft mit den übrigen Verfahrensbeteiligten- in der Regel nicht erörtert werden, muss der für einen Haftprüfungstermin beigeordnete Verteidiger den gesamten Akteninhalt beherrschen, um Stellung nehmen zu können sowohl zum Bestehen eines dringenden Tatverdachtes gegen den Mandanten als auch zum Vorliegen eines Haftgrundes (vgl. zutreffend LG Magdeburg, Entscheidung vom 19.03.2018, Az. 25 Qs 14/18, zit. nach juris).

Eine solche gründliche Einarbeitung in den Fall ist durch die Terminsgebühr nach Nr. 4103 VV RVG ersichtlich nicht abgegolten. Vielmehr ist für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall die Grundgebühr - hier mit Zuschlag gemäß Nr. 4101 VV RVG - und für die über die bloße Terminsteilnahme hinausgehende Tätigkeit im, (Ermittlungs-)Verfahren - u.a. vorliegend die umfassende Akteneinsichtnahme- die Verfahrensgebühr —hier mit Zuschlag gemäß Nr. 4105 VV RVG- vorgesehen.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Beiordnung vorliegend auf entsprechenden Antrag des Rechtsanwalts pp2. ausdrücklich lediglich für den Haftprüfungstermin und zeitlich auf diesen beschränkt erfolgte.

Jedoch ist auch ein Pflichtverteidiger, der nur für einen Tag bzw. einen Termin bestellt ist, für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut, sodass es auch angesichts der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als bloße Einzeltätigkeit - hier nach Nr. 4103 VV RVG - nicht in Betracht kommt (vgl. LG Magdeburg, Beschluss vom 16,07.2021, Az. 21 Qs 53/21, 21 Qs 54/21, zit. nach juris).

Dies mag Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen (vgl. dazu wiederum LG Magdeburg, Entscheidung vom 19.03.2018, Az. 25 Qs 14/18), denen jedoch nach Auffassung des Gerichts durch Terminsabsprachen mit dem originär bestellten Verteidiger und im Falle dessen dann doch kurzfristig eintretender Verhinderung ggf. nach Möglichkeit mit einer Terminsverlegung begegnet werden kann, soweit nicht eine Beiordnung des Vertreters für den Termin nur mit der Maßgabe, dass Gebühren nicht mehrfach entstehen, möglich sein sollte, etwa weil der Vertreter des originär bestellten Verteidigers nicht zu einer entsprechenden Verzichtserklärung bereit ist, und soweit nicht der Beschuldigte auf die Teilnahme eines Verteidigers an dem Haftprüfungstermin verzichtet, was er durchaus tun kann, denn die Anwesenheit des Verteidigers ist nur erforderlich, wenn der Beschuldigte nicht vorgeführt worden ist (vgl. dazu § 118a Abs.2 S. 3 StPO und Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 118b Rn. 3).

Soweit jedoch ein Haftprüfungstermin mit dem originär bestellten Verteidiger nicht möglich sein sollte und für den Haftprüfungstermin ein anderer Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beigeordnet wird, ist die Auslösung aller Gebührentatbestände wie für den originären Verteidiger hinzunehmen (vgl. LG Magdeburg, Entscheidung vom 19.03.2018, Az. 25 Qs 14/18)

Somit ist die Erinnerung des Verteidigers Rechtsanwalt pp2. im vollen Umfange begründet, weshalb zu seinen Gunsten weitere 491,47 Euro aus der Landeskasse festzusetzen waren.

III.

Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt. Die Beschwerde muss binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der Frist bei Gericht eingeht.


Einsender: RA A. Funck, Berlin

Anmerkung:


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