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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Öffentlicher Verwendung des Hakenkreuzes, Posten auf einer sozialen Internetplattform, Facebook

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Urt. v. 05.10.2022 – 1 Ss 34/22

Eigener Leitsatz: Das Einstellen der Abbildung eines unveränderten Hakenkreuzes in ein Facebook-Profil ist mit dem Schutzzweck des § 86a StGB, der u.a. dem Zweck dient, die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens zu verbannen und ein kommunikatives "Tabu“ zu errichten, nicht vereinbar, weil es keine nur flüchtige Verwendung eines Kennzeichens ist.


In pp.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 29. Juni 2022 (3 Ns 802 Js 22308/21 [15/22]) mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landgerichts Göttingen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Nach einer auf einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gem. § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO anberaumten und durchgeführten Hauptverhandlung sprach das Amtsgericht Osterode am Harz die Angeklagte mit Urteil vom 16. Februar 2022 vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen frei. Die gegen dieses Urteil von der Staatsanwaltschaft Göttingen eingelegte Berufung hat das Landgericht Göttingen mit Urteil vom 29. Juni 2022 verworfen.

Gegen das Berufungsurteil hat die Staatsanwaltschaft Göttingen mit Schriftsatz vom 30. Juni 2022 Revision eingelegt, die sie nach am 22. Juli 2022 erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils mit Schriftsatz vom 27. Juli 2022, eingegangen beim Landgericht Göttingen am 1. August 2022, mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und hat in der Revisionshauptverhandlung beantragt, auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 29. Juni 2022 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückzuverweisen.

Der Verteidiger der Angeklagten hat beantragt, den Revisionsantrag zurückzuweisen.

II.

Die statthafte Revision ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 341 Abs. 1, 344, 345 Abs. 1 StPO).

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Das angefochtene Urteil beruht auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung des § 86a StGB.

Das Landgericht hat unter Ziff. III des Urteils die folgenden Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagte ist Nutzer des sozialen Netzwerks „Facebook“ und unterhält dort unter dem Namen „B. W.“ ein privates Profil, auf dem sie diverse Beiträge postet. Da die Angeklagte beruflich in der Altenpflege tätig ist, aus gesundheitlichen Gründen sich jedoch nicht gegen „Corona“, also das SARS-Cov-2-Virus, impfen lassen kann oder will und deshalb um den Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchtete, hat sie die politische Debatte und Entscheidungsfindung über die Einführung einer allgemeinen oder der sogenannten einrichtungsbezogenen Impfpflicht intensiv verfolgt und mit diversen kritischen, eine Impfpflicht ablehnenden Beiträgen auch in ihrem Facebook-Profil kommentiert.

Insoweit postete sie unter anderem am 14.5.2021 um 16:19 Uhr die nachfolgende Abbildung:

(vgl. dazu: https://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE220035367&st=null&showdoccase=1)

Die Angeklagte, die sich durch eine ihre Berufsgruppe betreffende Impfpflicht diskriminiert sieht, weil ihr hierdurch „Türen verschlossen“ werden, hatte diese Abbildung zuvor an anderer Stelle im Internet gefunden und auf ihr Facebook-Profil übernommen. Mit ihrem Post bezweckte sie, anderen im Sinne einer „Warnung“ ihre Meinung kundzutun, dass Geschichte sich wiederhole, nämlich ihrer Auffassung nach der bundesdeutsche Staat mit Blick auf die Corona-Impfung seine Macht ähnlich rücksichtslos einsetze und die Rechte seiner Bürger missachte wie seinerzeit die nationalsozialistische Diktatur.

Beiträge, die sich inhaltlich an ideologisches Gedankengut der NS-Diktatur anlehnten oder dieses gar ausdrücklich befürworteten oder sonst den Eindruck erwecken konnten, die Angeklagte sympathisiere mit der nationalsozialistischen Ideologie oder deren Protagonisten, hatte die Angeklagte auf ihrem genannten Facebook-Profil nicht eingestellt. Vielmehr lehnt die Angeklagte, die bislang in keiner Weise polizeilich oder gar staatsschutzpolizeilich aufgefallen ist, rechtsradikales Gedankengut nachdrücklich ab.“

Im Rahmen der rechtlichen Würdigung hat die Kammer sodann unter Ziff. IV. des Urteils ausgeführt, dass diese Feststellungen einen Schuldspruch der Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht trügen.

Zwar bestünde zunächst kein Zweifel daran, dass das auf dem unteren Gesundheitspass abgebildete Hakenkreuz ein Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 1 StGB sei, da dieses das Parteiabzeichen der NSDAP und damit einer nationalsozialistischen Organisation im Sinne von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB sei, auf welchen § 86a Abs. 1 StGB verweise. Auch sei der von der Angeklagten gepostete Beitrag ein Inhalt, der dieses Kennzeichen enthalte, und die Angeklagte habe das Kennzeichen in einem von ihr verbreiteten Inhalt verwendet, da das Facebook-Profil der Angeklagten, das diesen Inhalt umfasse, für eine unbestimmte größere Anzahl von Facebook-Nutzern einsehbar gewesen sei, so dass die festgestellte Handlung zumindest objektiv dem Wortlaut des Tatbestandes des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB unterfalle.

Gleichwohl sei die festgestellte Handlung keine tatbestandsmäßige Verletzung der genannten Strafnorm. Denn es sei in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass der (zu) weit gefasste Tatbestand einer aus Sinn und Zweck der Norm erwachsenden Begrenzung bedürfe, da die Strafnorm grundsätzlich weder einer inhaltlichen Zustimmung des Täters zu dem von dem Kennzeichen verkörperten Gedankengut noch die konkrete Gefahr einer identifizierenden Wirkung der Verwendung des Kennzeichens voraussetze. Als tatbestandsmäßig würden daher nur Handlungen angesehen, die im Einzelfall geeignet seien, bei objektiven Beobachtern den Eindruck einer Identifikation des Handelnden mit den Zielen der verbotenen Organisation, deren Kennzeichen er verwende, zu erwecken; nicht tatbestandsmäßig seien demgegenüber solche Handlungen, die dem Schutzzweck der Norm erkennbar nicht zuwiderliefen. Im vorliegenden Fall erscheine es geradezu ausgeschlossen, dass ein Betrachter des festgestellten Posts annehmen könne, die Angeklagte sympathisiere mit den Parteizielen der NSDAP, der nationalsozialistischen Gesundheitspolitik oder dem Nationalsozialismus im Allgemeinen. Die Nebeneinanderstellung des Musters eines modernen Gesundheitspasses, der ausschließlich bezwecke, den Inhaber als „Corona-negativ“ auszuweisen, und des Gesundheitspasses aus der NS-Zeit mit dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ könne niemand als Befürwortung des mit dem Hakenkreuz verbundenen Symbolgehalts ansehen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der aus dem Facebook-Profil im Übrigen eindeutig erkennbaren Gegnerschaft der Angeklagten zu der gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik. Vielmehr werde eindeutig der NS-Gesundheitspass als abschreckende, negative Parallele dargestellt, um die vermeintliche Verwerflichkeit der gegenwärtigen Gesundheitspolitik zu brandmarken. Diese Meinung möge weit überzogen und geradezu geschichtsvergessen sein, dies ändere aber nichts daran, dass für einen neutralen Betrachter das mit dem Hakenkreuz versehene Dokument in der hiesigen Veröffentlichung klar für diejenige Haltung bzw. Politik stehe, gegen die sich die Angeklagte wenden wolle. Nach Auffassung der Kammer könne selbst nur ein flüchtiger Betrachter nicht zu dem Eindruck gelangen, der Verfasser des Posts solidarisiere sich in irgendeiner Weise mit nationalsozialistischer Ideologie; warum demgegenüber die Staatsanwaltschaft meine, dass nicht erkennbar sei, ob der Beitrag eine Distanzierung von Methoden der NS-Zeit enthalte, sei für die Kammer rätselhaft. Die vorliegende Fallgestaltung – Impfgegnerin, die öffentlich ein Dokument mit Hakenkreuz abbildet, um gegen vermeintlich „nazi-ähnliches“ Vorgehen der aktuellen (Gesundheits-) Politik zu protestieren – unterscheide sich in keinem wesentlichen Punkt von derjenigen – Linksdemonstrant, der in der Öffentlichkeit einem Polizeibeamten den Hitlergruß zeige und „Sieg Heil!“ rufe, um gegen „nazistische Methoden“ der Polizei zu protestieren –, der der Entscheidung BGHSt 25, 30 zugrunde gelegen habe und in der der BGH es für zumindest naheliegend erachtet habe, dass kein Verstoß gegen § 86a StGB gegeben sei.

Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Im Einzelnen:

Die Kammer hat das auf dem abgebildeten Gesundheitspass aufgedruckte Hakenkreuz zunächst zutreffend als verbotenes Kennzeichen im Sinne der §§ 86a Abs. 1 Satz 1, 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB bewertet (vgl. Steinsiek in: Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl., § 86a, Rn. 6, mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Sie hat jedoch rechtsfehlerhaft angenommen, dass eine teleologische Reduktion des § 86a StGB vorliegend zur Verneinung der Strafbarkeit führt. Die Auslegung des Landgerichts entspricht nicht der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (insbesondere Urteile vom 25. April 1979, 3 StR 89/79, BGHSt 28, 394 - 396, vom 18. Oktober 1972, 3 StR 1/71 I, BGHSt 25, 30 - 35 und vom 1. Oktober 2008, 3 StR 164/08, BGHSt 52, 364 - 376) erfüllt jedes irgendwie geartete Gebrauchmachen von nationalsozialistischen Kennzeichen das Tatbestandsmerkmal des Verwendens. Es kommt nicht darauf an, ob der festgestellten Verwendung des Kennzeichens ein für den Nationalsozialismus werbender Charakter zukommt. Da es sich bei § 86a StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, entfällt eine Bestrafung nach dieser Vorschrift nicht schon deshalb, weil eine mit der Verwendung verbundene konkrete Gefährdung des politischen Friedens oder die naheliegende Möglichkeit einer solchen Gefährdung nicht nachgewiesen werden kann.

Auch in subjektiver Hinsicht sind nur geringe Anforderungen zu stellen. Eine verfassungsgefährdende Absicht ist für eine vorsätzliche Begehung nicht erforderlich; vielmehr genügt das willentliche Gebrauchmachen des Kennzeichens in dem Wissen, dass dieses ein nationalsozialistisches Kennzeichen ist, wobei bedingter Vorsatz ausreicht (OLG Oldenburg, Urteil vom 26. Juli 2010, 1 Ss 103/10, Rn. 13, juris).

Um eine Überdehnung des Tatbestandes des § 86a StGB zu vermeiden, sind jedoch solche Kennzeichenverwendungen vom Tatbestand ausgenommen, die dem Schutzzweck des § 86a StGB „ersichtlich nicht zuwiderlaufen“. Insoweit hat der Bundesgerichtshof die folgenden Schutzzwecke des § 86a StGB formuliert:

Zum einen ist der Schutzzweck dieses Straftatbestandes die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972, 3 StR 1/71 I, Rn. 9, juris, BGHSt 25, 30 - 35; BGH, Urteil vom 15. März 2007, 3 StR 486/06, Rn. 5, juris). Die Vorschrift dient aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden, da auch ein solcher Eindruck und die sich daran anknüpfenden Reaktionen den politischen Frieden empfindlich stören können (BGH, Urteile vom 18. Oktober 1972 und vom 15. März 2007, jew. a.a.O.). Und schließlich soll § 86a StGB verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absicht – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können (BGH, Urteile vom 18. Oktober 1972 und vom 15. März 2007, jew. a.a.O.).

Diese Auslegung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Norm des § 86a StGB die Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen grundsätzlich aus dem Bild des politischen Lebens verbanne und ein kommunikatives „Tabu“ errichte (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18. Mai 2009, 2 BvR 2202/08, Rn. 13, juris).

Eine Restriktion des Tatbestandes ist deshalb nur dann vorzunehmen, wenn das Kennzeichen in einer Weise dargestellt wird, die offenkundig zum Zweck der Kritik an der Vereinigung oder der dahinterstehenden Ideologie erfolgt, wenn die Verwendung erkennbar verzerrt, also etwa parodistisch verwendet wird, oder sonst dem Schutzzweck des § 86a StGB erkennbar nicht zuwiderläuft. Für diese Wertung sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm eindeutig nicht berührt wird, ist das Verhalten straflos; sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig, ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt (BGH, Urteil vom 1. Oktober 2008, 3 StR 164/08, Rn. 28f., juris).

Die obergerichtliche Rechtsprechung differenziert vor dem Hintergrund des oben genannten dritten Schutzzweckes (Verhinderung der Wiedereinbürgerung) danach, ob das Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild getreten ist und keine Nachwirkung anzunehmen ist (BGH, Urteil vom 18. Oktober 1972, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. November 1985, Ss 575/18, NJW 1986, 1275).

Im vorliegenden Fall steht der Schutzzweck, das Kennzeichen aus dem politischen Leben zu verbannen, einer teleologischen Reduktion entgegen.

Denn es handelt sich keineswegs um eine nur flüchtige Verwendung des Kennzeichens. Nach den Feststellungen der Kammer hat die Angeklagte den Gesundheitspass mit dem aufgedruckten – und unveränderten – Hakenkreuz in ihr Facebook-Profil eingestellt. Zwar fehlt es an einer Feststellung, wie lange der Post dort sichtbar gewesen ist; jedoch kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass er zumindest einige Zeit dort – jedenfalls für die Facebook-„Freunde“ oder sonstige Personen oder Gruppen, die der Angeklagten auf Facebook folgen – sichtbar gewesen ist. Darüber hinaus besteht bei der Veröffentlichung des Hakenkreuzes im Internet auf der sozialen Plattform Facebook die Gefahr einer zahlenmäßig nicht zu kontrollierenden Verbreitung der Abbildung. So hatten die „Freunde“ bzw. „Follower“ der Angeklagten die Möglichkeit, ihren Post zu „liken“ bzw. ihrerseits wiederum zu posten, mit der Folge, dass das Hakenkreuz dann für deren „Freunde“ und „Follower“ sichtbar gewesen wäre. Schon darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes, auf die sich die Kammer gestützt hat (Urteil vom 18. Oktober 1972, 3 StR 1/71 I, BGHSt 25, 30 - 35). In jenem Fall hatte der Angeklagte die Kennzeichen (Zeigen des sogenannten „Hitlergrußes“ und „Sieg Heil“-Ruf) nur einmalig verwendet, so dass die Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild traten und damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieser Kennzeichen entsprechenden Richtung von vorneherein ausgeschlossen war.

Dass der Post – mag dies auch ohne Zutun der Angeklagten geschehen sein – tatsächlich Breitenwirkung erzielt hat, lässt sich im Übrigen allgemein zugänglichen Quellen entnehmen. So ist der Antwort der Sächsischen Staatsregierung vom 29. November 2021 auf eine kleine Anfrage (Drs. 7/8055) zu entnehmen, dass ein gleicher Post vom 16. Mai 2021 zu einem Ermittlungsverfahren geführt hat. Und in dem Verfassungsschutzbericht 2021 des Landes Baden-Württemberg wird ausgeführt, dass der historische Nationalsozialismus mit seinen Verbrechen gegen Juden mit – hauptsächlich online verbreiteten – Äußerungen wie „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ relativiert würde (Seite 70).

Hinzu kommt, dass sich die Angeklagte in dem tatgegenständlichen Post gerade nicht offensichtlich von der NSDAP oder der dieser zugrundeliegenden Ideologie distanziert hat. Der Bundesgerichtshof hat dies bislang in Fällen angenommen, in denen eine Distanzierung zum Beispiel mittels Durchstreichungen des Kennzeichens, Darstellungen der Zerstörung des betreffenden Kennzeichens oder dessen Kombination mit der üblichen Symbolik aus dem Bereich der Abfallentsorgung („Umweltmännchen“) erfolgt und damit die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck gebracht wird (BGH, Urteil vom 15. März 2007, 3 StR 486/06, juris; weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Anstötz in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 86a, Rn. 21). Eine solche optische Distanzierung ist der tatgegenständlichen Abbildung des Hakenkreuzes indes gerade nicht zu entnehmen.

Aber auch die Wertung der Kammer, „die Nebeneinanderstellung des Musters eines modernen Gesundheitspasses, der ausschließlich bezwecke, den Inhaber als „Corona-negativ“ auszuweisen, und des Gesundheitspasses aus der NS-Zeit mit dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ könne niemand als Befürwortung des mit dem Hakenkreuz verbundenen Symbolgehalts ansehen, schon gar nicht vor dem Hintergrund der aus dem Facebook-Profil im Übrigen eindeutig erkennbaren Gegnerschaft der Angeklagten zu der gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik“, ist keineswegs so eindeutig, wie die Kammer meint. Wie sich die Einstellung der Angeklagten zu den Werten und Zielen der NSDAP verhält, ob sie diese ablehnt oder befürwortet, ergibt sich aus dem Post selbst nicht. Das Hakenkreuz ist unverändert dargestellt. Aus dem Textzusatz „Die Geschichte wiederholt sich. Das Drehbuch wird immer billiger“ kann nicht nur – wie die Kammer meint – der Schluss gezogen werden, dass damit der mit dem Hakenkreuz verbundene Symbolgehalt abgelehnt werde. Diese Wertung setzt zum einen das Wissen voraus, dass die Angeklagte Impfgegnerin bzw. Gegnerin der aktuellen Coronapolitik ist. Zum anderen erfordert sie die Kenntnis, dass die Angeklagte die Ideologie der Nationalsozialisten sowie deren Symbole ablehnt. Beide Umstände ergeben sich aus dem Post selbst nicht. Die Worte „immer billiger“ implizieren auch, dass das damalige Drehbuch (im Dritten Reich) weniger billig, mithin nicht ganz so schlecht wie heute war. Die Kammer hat nicht bedacht, dass für die Freunde und Follower der Angeklagten auf deren Facebook-Startseite im sogenannten „Feed“ zunächst nur der fragliche Post der Angeklagten – zusammen mit weiteren neuesten Nachrichten und Posts anderer Personen – angezeigt wird. Um nachzuvollziehen, welcher Art die weiteren Posts der Angeklagten sind – aus denen sich nach den Feststellungen der Kammer ihre Gegnerschaft zur gegenwärtigen Corona- bzw. Impfpolitik ergibt –, bedarf es eines Aktivwerdens des Betrachters, indem er das Profil der Angeklagten aufruft, um deren „timeline“ (früher: Facebook-Chronik) zu sehen. Die Feststellung der Kammer, die Angeklagte grenze sich von nationalsozialistischem Gedankengut ab, ergibt sich weder aus dem Post selbst noch aus den weiteren Posts in ihrer „timeline“, sondern beruht offenbar auf ihrer Einlassung in der Hauptverhandlung.

Aufgrund der aufgezeigten Rechtsfehler ist das Urteil gemäß § 353 Abs. 1 StPO mitsamt den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Göttingen zurückzuverweisen.

Für das weitere Verfahren merkt der Senat lediglich vorsorglich an, dass die (bisherigen) Feststellungen der Kammer zur Motivation der Angeklagten allgemeinkundigen Tatsachen widersprechen. Denn zur Tatzeit im Mai 2021 gab es im politischen Raum noch keine Diskussion über eine staatliche Impfpflicht; eine solche wurde vielmehr von der damaligen Regierung ausdrücklich abgelehnt. Erst nach der Bundestagswahl im September 2021 wurde eine Impfpflicht diskutiert und eine einrichtungsbezogene Impfpflicht für Pflegepersonal am 10. Dezember 2021 mit Wirkung ab März 2022 beschlossen.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich der der Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen) ist dem Landgericht vorzubehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.


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