Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kiel, Beschl. v. 14.01.2022 - 5 Qs 95/21
Eigener Leitsatz: Die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge i. S. d. § 140 Abs. 2 StPO ist im Wege einer Gesamtbetrachtung aller ggf. zu erwartenden Rechtsfolgen zu ermitteln. Somit kommt es für die Beurteilung der Gesamtwirkung der Strafe lediglich darauf an, ob im hiesigen Verfahren mit einer (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung zu rechnen ist.
5 Qs 95/21
Landgericht Kiel
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger
wegen des Verdachts des besonders schweren Fall des Diebstahls
hat das Landgericht Kiel - 5. große Strafkammer (zugleich Schwurgericht III) und Kammer für Bußgeldsachen - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am 14. Januar 2022 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kiel vom 27.08.2021, durch den eine Beiordnung von Rechtsanwalt Ayka9 als Pflichtverteidiger abgelehnt worden ist, wird dieser aufgehoben.
Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt Atilla A. Ayka9 als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegen vor.
Zwar vermag die Kammer im Hinblick auf die zwei angeklagten Taten im hiesigen Verfahren für sich genommen noch keinen Fall der notwendigen Verteidigung zu erkennen. Insbesondere ist die Sach- und Rechtslage nicht als schwierig einzuordnen, da es um zwei einfache Ladendieb-stähle geht, die der Angeschuldigte vor Ort gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten jeweils eingeräumt hat. Gleiches gilt für die Schwere der Tat und der zu erwartenden Rechtsfolge. Das Gewicht der wegen der zwei angeklagten Taten zu erwartenden Rechtsfolge ist nicht derart schwer, als das ein Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO vorliegt.
Jedoch erachtet die Kammer die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Hinblick auf alle übrigen Umstände für erforderlich.
Das Landgericht Kiel hat den Angeschuldigten am 23.09.2021 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt (Az. 4 Ns 589 Js 47183/18), dessen Vollstreckung nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Das Urteil ist derzeit noch nicht rechtskräftig. Gegen dieses ist Revision eingelegt worden. Da die dem Angeschuldigten im hiesigen Verfahren vorgeworfenen Taten am 06.03.2021 und am 12.03.2021 begangen worden sein sollen, wäre das obige Urteil grundsätzlich gesamtstrafenfähig.
Zwar ist ungewiss, ob der Angeschuldigte bis zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht bereits rechtskräftig verurteilt worden ist. Doch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge i. S. d. § 140 Abs. 2 StPO ist im Wege einer Gesamtbetrachtung aller ggf. zu erwartenden Rechtsfolgen zu ermitteln (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 140, Rn. 23). Somit kommt es für die Beurteilung der Gesamtwirkung der Strafe lediglich darauf an, ob im hiesigen Verfahren mit einer (nachträglichen) Gesamtstrafenbildung zu rechnen ist. Dies ist hier der Fall. Das Amtsgericht Kiel hat insbesondere noch keinen Hauptverhandlungstermin anberaumt. Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände ist zu erwarten, dass bis zur letzten tatrichterlichen Sachentscheidung im hiesigen Verfahren eine rechtskräftige Verurteilung in dem Verfahren 4 Ns 589 Js 47183/18 erfolgt ist. Dies würde das Gewicht des abzuurteilenden Falles tatsächlich derart erhöhen, dass die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO analog.
Einsender: RA A.A. Aykac, Kiel
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