Gericht / Entscheidungsdatum: AG Wedding, Urt. v. 31.08.2022 20 C 350/20
Eigener Leitsatz: In Abweichung von der grundsätzlichen Beweislastverteilung wird in den sogenannten Waschstraßenfällen von der Schädigung auf die Pflichtverletzung der Betreiberin geschlossen, wenn der Geschädigte darlegt und beweist, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich der Betreiberin herrührt. Dieser Anscheinsbeweis kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn feststeht, dass der Schaden nur durch den automatisierten Waschvorgang in der Waschstraße selbst verursacht worden sein kann, also keine andere Schadensursache in Betracht kommt.
In pp.
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche nach der Benutzung einer Fahrzeugwaschanlage.
Der Kläger befuhr am 8.5.2020 mit dem Fahrzeug Volkswagen SUV905, Fahrgestellnummer: pp. die Waschanlage in der pp.. deren Betreiberin die Beklagte ist. Der Kläger ist Leasingnehmer und unmittelbarer Besitzer des streitgegenständlichen Fahrzeuges. Im Anschluss an den Waschvorgang meldete der Kläger einer Mitarbeiterin der Beklagten einen Schaden und ein Schadensprotokoll wurde ausgefüllt. Diesbezüglich wird auf die Anlage K2, Blatt 13-14 d.A. verwiesen. Es wurden Fotos von dem streitgegenständlichen Fahrzeug gefertigt. Diesbezüglich wird auf Bl. 71-75 d.A. verwiesen. Der Kläger holte einen Kostenvoranschlag ein, wonach die voraussichtlichen Reparaturkosten 1.856,70 netto betragen. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten lehnte eine Regulierung des Schadens ab.
Mit Schreiben vom 10.6.2020 unter Fristsetzung bis zum 20.6.2020 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zur Zahlung von 1.856,70 auf.
Mit Schreiben vom 29.3.2021 sowie E-Mail vom 6.4.2021 ermächtigte der Leasinggeber des streitgegenständlichen Fahrzeuges den Kläger zur Geltendmachung des Schadens im eigenen Namen und auf eigene Rechnung.
Der Kläger behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vor dem Befahren der Waschanlage unbeschädigt gewesen sei. Nach dem Waschvorgang hätten sich mehrere Kratzer auf der Beifahrerseite (Kotflügel und Beifahrertür) sowie 2 kleinere Kratzer an der Fahrertür befunden. Es würde sich um einen frischen Schaden handeln, da beim Darüberfahren mit dem Finger Reste der Lackoberfläche an dem Finger zurückbleiben würden. Außerdem würden die Kratzmuster den Bewegungen der Reinigungsrollen der Waschanlage folgen. Dies würde sich aus dem Schadensprotokoll ergeben, welches von dem Mitarbeiter der Beklagten zusammen mit dem Kläger ausgefüllt worden sei. Eine Mitarbeiterin der Beklagten hätte bestätigt, dass es sich um einen frischen Schaden handeln würde, der durch die Waschanlage entstanden sei.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.856,70 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.6.2020 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger (über die bezifferte Forderung aus dem Klageantrag zu 1 hinaus) sämtliche Schäden, die ihm in Zukunft aus dem Vorfall vom 8.5.2020 entstehen, insbesondere die Erstattung der MwSt. nach Reparatur, Nutzungsausfallentschädigung für die Dauer der vorfallbedingten Reparatur sowie angemessene Wertminderung, zu ersetzen;
3. die Beklagte ferner zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren 334,75 nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 21.6.2020 zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass die Waschanlage an dem streitgegenständlichen Tag sowie an den Tagen zuvor und danach einwandfrei funktioniert habe und es zu keiner Beschädigung oder Beanstandung gekommen sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin Frau pp. sowie des Zeugen Herrn pp. Diesbezüglich wird auf die Protokolle der Beweisaufnahme aus der mündlichen Verhandlung vom 18.1.2022, Blatt 157-158 d.A. sowie 12.7.2022, Blatt 167-169 d.A. verwiesen. Der Kläger hat aus Gründen der Waffengleichheit Parteivernehmung beantragt. Die Beklagte hat einer Parteivernehmung des Klägers widersprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze und Anlagen sowie auf die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 23.2.2021, 18.1.2022 und 12.7.2022 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
Dem Kläger steht weder aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 631 BGB noch aus § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.856,70 zu.
Voraussetzung hierfür wäre, dass die Beklagte eine ihr obliegende Pflicht verletzt hätte und dass diese Pflichtverletzung zu einem Schaden an dem klägerischen Fahrzeug geführt hätte.
Nach den allgemeinen Grundsätzen ist es an dem Geschädigten als Gläubiger darzulegen und zu beweisen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug in der von der Beklagten betriebenen Waschstraße geschädigt worden ist, diese schuldhaft eine ihr obliegende Pflicht verletzt und diese Pflichtverletzung den Schaden verursacht hat. In Abweichung von dieser grundsätzlichen Beweislastverteilung ist in den sogenannten Waschstraßenfällen darüber hinaus anerkannt, dass von der Schädigung auf die Pflichtverletzung der Betreiberin geschlossen werden kann, wenn der Geschädigte darlegt und beweist, dass die Schadensursache allein aus dem Verantwortungsbereich der Betreiberin herrührt. Dieser Anscheinsbeweis kommt jedoch nur dann zum Tragen, wenn feststeht, dass der Schaden nur durch den automatisierten Waschvorgang in der Waschstraße selbst verursacht worden sein kann, also keine andere Schadensursache in Betracht kommt (LG Berlin, Urteil vom 23. 12. 2015 54 S 32/15; OLG Hamm, Urteil vom 12.4.2002 12 U 170/01; LG Essen, Urteil vom 20.11.2008 10 S 300/08; LG Bochum, Urteil vom 27.2.2004 - 10 S 48/03). Ist diese Feststellung nicht möglich, liegt das Risiko der Unaufklärbarkeit der Schadensursache beim Fahrzeugeigentümer.
Der Nachweis der objektiven Pflichtverletzung und der Schadensverursachung ist nach den vorgenannten Grundsätzen durch den Geschädigten erst dann erbracht, wenn feststeht, dass ein Fahrzeug beim Durchfahren einer Waschanlage beschädigt worden ist und weder ein Defekt am Fahrzeug noch ein Fehlverhalten des Benutzers vorliegt.
Eine Schadensursächlichkeit allein aus dem Verantwortungsbereich der Beklagten ist vorliegend jedoch nicht feststellbar. Dem Kläger ist es nicht gelungen den erforderlichen Beweis zu führen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug des Klägers den hier geltend gemachten Schaden nicht bereits bei der Einfahrt in die Waschanlage aufwies.
Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhaltes der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Eine unumstößliche Gewissheit, ob eine Behauptung wahr und erwiesen ist, ist dabei nicht erforderlich. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad einer Gewissheit, der Zweifeln schweigen gebietet. Entscheidend ist, ob der Richter die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann (BGH, Urteil vom 17.2.1970 III ZR 139/67; BGH, Urteil vom 14.1.1993 IX ZR 234/09; BGH, Urteil vom 18.1.2000 VI ZR 375/98). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
1. Die Aussagen der Zeugin pp. sowie des Zeugen pp. sind unergiebig. Beide Zeugen können sich weder an den Kläger noch an das streitgegenständliche Fahrzeug erinnern. Insbesondere können sie keine Aussage dazu treffen, ob die Kratzer frisch gewesen seien. Beide Zeugen haben vielmehr das allgemeine Procedere bei einer Schadensaufnahme beschrieben, wobei sie übereinstimmend erklärt haben, dass sie die Schäden ohne jegliche Wertung aufnehmen und an den Chef weiterleiten. Überdies hat der Zeuge Richard erklärt, dass er nur die Daten vom Kunden aufgenommen hätte, die Schadensbeschreibung auf dem Schadensprotokoll, Blatt 13 d.A., sei nicht seine Handschrift.
2. Soweit der Kläger die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens als Beweis angeboten hat, so bezieht sich dieses Beweisangebot allein darauf, dass der Schaden durch die Waschanlage entstanden sein soll. Diesem Beweisangebot wäre erst in einem zweiten Schritt nachzugehen gewesen, wenn es dem Kläger gelungen wäre, nachzuweisen, dass das Fahrzeug die streitgegenständlichen Beschädigungen nicht bereits bei der Einfahrt in die Waschstraße aufgewiesen hätte.
3. Dem Beweisantrag des Klägers aus der mündlichen Verhandlung vom 12.7.2022 auf Parteivernehmung war nicht stattzugeben. Die Voraussetzungen des § 447 ZPO liegen nicht vor, da die Beklagte eine Vernehmung des Klägers ausdrücklich widersprochen hat. Auch eine Vernehmung von Amts wegen gemäß § 448 ZPO kommt nicht in Betracht. Voraussetzung hierfür ist, dass alle zuvor angebotenen Beweismittel ausgeschöpft sind und diese keinen vollständigen Beweis erbracht haben (BGH, Urteil vom 12.12.2019 III ZR 198/18).
Zwar waren die zuvor angebotenen Beweismittel in Form der Vernehmung der genannten Zeugen ausgeschöpft. Da diese jedoch unergiebig waren, fehlt es an der 2. Voraussetzung des § 448 ZPO. Die nach pflichtgemäßem Ermessen vom Gericht anzuordnende Parteivernehmung von Amts wegen setzt grundsätzlich das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Behauptungen der beweisbelasteten Partei aufgrund des bisherigen Verhandlungsergebnisses bei einer non-liquet-Situation im Übrigen voraus. Dieser Anbeweis kann sich aus einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder aus dem sonstigen Verhandlungsinhalt, insbesondere aus einer Anhörung nach § 141 ZPO oder aus Ausführungen der Partei nach § 137 IV ZPO ergeben (stRspr, vgl. zB Senat BGHZ 186, 152 [155] = NJW 2010, 3292 Rn. 15; BGH NJW-RR 2003, 1002 [1003]; BGHZ 150, 334 [342] = NJW 2002, 2247; BGH NJW 1999, 363 [364] mwN; Zöller/Greger, § 448 Rn. 4).
An einem solchen Anbeweis fehlt es hier. Entgegen der Auffassung der Kläger war für die Schaffung eines solchen Anbeweis auch nicht eine Parteianhörung gemäß § 141 ZPO durchzuführen. Eine Parteianhörung dient nicht als Beweismittel, sondern hierdurch soll die Klärung, Konkretisierung oder Ergänzung des Sachverhaltes ermöglicht werden (siehe hierzu Lange: Parteianhörung und Parteivernehmung in NJW 2002, 476). Einer solchen Klärung des Sachverhaltes bedurfte es vorliegend nicht. Hierbei ist folgendes zu berücksichtigen: § 148 ZPO will und darf nicht die beweisbelastet Partei von den Folgen der Beweisfälligkeit befreien. Ihr Zweck besteht vielmehr darin, wenn nach dem Ergebnis der Verhandlung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der streitigen Behauptung spricht und andere Erkenntnisquellen nicht mehr zur Verfügung stehen, dem Gericht ein Mittel zur Gewinnung der letzten Klarheit an die Hand zu geben (Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., 2020, § 448 Rn. 2)
Soweit es an einem solchen Anbeweis fehlt, ist nach der Rechtsprechung des BGH zu prüfen ob eine Vernehmung des Klägers gemäß § 448 ZPO nach Maßgabe der Rechtsprechung zu den sogenannten Vier-Augen-Gesprächen (Waffengleichheit) durchzuführen ist (BGH, Urteil vom 12.12.2019 III ZR 198/18). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass eine Partei benachteiligt sein kann, wenn ein Gespräch zwischen ihr und dem Zeugen der Gegenpartei stattgefunden hat, sodass aus Gründen der Waffengleichheit eine Parteivernehmung von Amts wegen zu erfolgen hat. Hiermit ist der vorliegende Fall jedoch nicht vergleichbar. Weder unmittelbar vor der Einfahrt in die Waschstraße noch bei der Befahrung der Waschstraße selbst war die Beklagte oder ein Zeuge der Beklagten anwesend. Müsste die Beklagte, die bei dem klägerseits behaupteten Schadensfall weder anwesend war noch diesen wahrgenommen hat, in diesen Fällen stets und immer eine Parteivernehmung der klagenden Seite hinnehmen, so geriete sie ihrerseits regelmäßig in eine zivilprozessual kaum zu rechtfertigenden Beweisnot. Denn Sinn und Zweck des §§ 448 ZPO ist es gerade, die austarierten Regeln über die Darlegungs- und Beweislast über eine gleichsam voraussetzungslose Parteivernehmung von Amts wegen nicht leerlaufen zu lassen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger in Ermangelung eines anderweitig geeigneten Beweismittels von vornherein beweislos gestellt wird, zumal er hier auch bereits Zeugen benannt hatte. Überdies ist es anerkanntes Recht, dass es prozessual grundsätzlich jedermann freisteht, mittels einer Zession sich selbst zum Zeugen in eigener Sache zu machen. Hiervon hat der Kläger aber keinen Gebrauch gemacht.
II.
Mangels Pflichtverletzung der Beklagten besteht auch kein Feststellungsanspruch, dahingehend, dass die Beklagte für sämtliche weiteren Schäden auf dem Schadensereignis einzustehen hat. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen unter Punkt I verwiesen.
III.
Mangels Hauptanspruch besteht auch kein Anspruch auf den begehrten neben Ansprüche, namentlich Verzugszinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
IV.
Die Nebenentscheidung beruhen auf den §§ 91, 708 Nummer 11, 711 ZPO.
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Anmerkung:
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