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Entscheidungen

Gebühren

Ersatz von Auslagen, Kopien, Ausdrucke, Gerichtakte, Darlegungslast, Beweislast

Gericht / Entscheidungsdatum: BGH, Beschl. v. 12.09.1919 - 3 BGs 293/19

Eigener Leitsatz: 1. Der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten kann verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren.
2. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller. Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist, wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.


Bundesgerichtshof

Ermittlungsrichter

3 BGs 293/19

BESCHLUSS

vom

12. September 2019

in dem Ermittlungsverfahren

gegen pp.

1. Die Erinnerung des Pflichtverteidigers des Beschuldigten gegen den Beschluss des Rechtspflegers des Bundesgerichtshofs vom 1. Juli 2019 wird als unbegründet verworfen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

Der Erinnerungsführer pp.beantragte am 6. Mai 2019 die Erstattung von Kopierkosten in Höhe von 1.785,85 € in Form einer Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 RVG zzgl. hierauf entfallender Umsatzsteuer nach Nr. 7008 RVG. Zur Begründung führte er aus, dass sämtliche ihm im März 2019 in Form einer elektronischen Hilfsakte durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof überlassenen Bestandteile der Verfahrensakte bis einschließlich Band 5 durch ihn ausgedruckt worden seien, um seinen Mandanten „über den Stand der Ermittlungen zu informieren“ (Schriftsatz vom 6. Mai 2019, S. 1). Dies sei „zur Wahrung der Verteidigungsrechte“ seines Mandanten erforderlich geworden, da die Bundesanwaltschaft erklärte habe, diesem einen Laptop mit der elektronischen Hilfsakte erst nach Anklageerhebung zur Verfügung stellen zu wollen.

Nach Anhörung der Kostenprüfungsbeamtin des Bundesgerichtshofs wies der Rechtspfleger den Erinnerungsführer darauf hin, dass dieser einer Darlegungs- und Beweislast für die Notwendigkeit eines vollständigen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten unterliege (Schreiben vom 26. Juni 2019). Mit Beschluss vom 1. Juli 2019 wurde der Antrag des Erinnerungsführers auf „Erstattung umfangreicher Kopierauslagen aus der Bundeskasse“ zurückgewiesen; die Entscheidung wurde diesem am 11. Juli 2019 zustellt.

Hiergegen hat der Erinnerungsführer unter dem 23. Juli 2019 Erinnerung eingelegt. Zur Begründung hat er abermals die unterbliebene frühzeitige Bereitstellung eines Laptops durch die Anklagebehörde angeführt und ergänzt, dass die Justizvollzugsanstalt es ihm untersagt habe, seinen eigenen Laptop zu Verteidigergesprächen mitzubringen (Schriftsatz vom 9. August 2019). Dem Gebot eines ressourcenschonenden Umgangs habe er dadurch Rechnung getragen, dass ausschließlich schwarz-weiß-Kopien gefertigt worden seien. Auch habe er die Bundesanwaltschaft bereits im März darauf hingewiesen, dass er – im Falle weiterer Verzögerungen bei der Bereitstellung eines Laptops – selbst „für den Mandanten die Akten kopieren“ werde (a.a.O., S. 2).

Der Generalbundesanwalt hat im Erinnerungsverfahren mitgeteilt, dass dem Beschuldigten. – entsprechend einer schriftlichen Ankündigung vom 8. Mai 2019 – mit Verfügung vom 9. Juli 2019 ein Laptop zur Verfügung gestellt wurde; am 12. September 2019 wurde das Passwort für die Dateien übersandt. Seit dem 25. Juli 2019 verfügt der Beschuldigte über die Akte in digitalisierter Form.

Die Kostenprüfungsbeamtin hat erklärt, auch eingedenk dieses Vorbringens an ihrer rechtlichen Einschätzung festzuhalten; der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel (§ 56 Abs. 1 Satz 1 RVG) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Dem Erinnerungsführer steht der geltend gemachte Anspruch auf Auslagenerstattung aus § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG in Verbindung mit Nr. 7000 Ziffer 1 lit. a) VV-RVG nicht zu.

1. Hiernach kann der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren. Maßgeblich hierfür ist die Sicht eines verständigen und durchschnittlich erfahrenen Rechtsanwalts (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2005 – X ZB 17/04, NJW 2005, 2317); hierbei sind auch die konkrete Verfahrensart und das Verfahrensstadium zu berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweislast im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragssteller (vgl. KG, Beschluss vom 28.08.2015 - 1 Ws 31/15, BeckRS 2015, 20947; OLG Rostock, Beschluss vom 4. August 2014 - 20 Ws 193/14, DStRE 2015, 313; OLG München, Beschluss vom 3. November 2014 - 4c Ws 18/14, BeckRS 2014, 100126; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. September 2014 - III -1 Ws 247/14, III - 1 Ws 283/14, BeckRS 2014, 18496). Im Einzelnen gilt weiter Folgendes:

a) Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist, wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.

b) Wenn der Akteninhalt vollständig und verlässlich in digitalisierter Form zu einem Zeitpunkt vorliegt, zu dem sich der Pflichtverteidiger noch in den Verfahrensstoff einarbeiten kann, kann dieser regelmäßig auf diese Form der Information über den Akteninhalt verwiesen werden; die Fertigung eines Gesamtaktenausdrucks erweist sich in diesen Fällen als grundsätzlich nicht erforderlich (OLG Köln, Beschluss vom 11. Dezember 2009 - 2 Ws 496/09, BeckRS 2010, 00436; OLG Rostock, Beschluss vom 4. August 2014 - 20 Ws 193/14, BeckRS 2014, 16351; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. August 2014 - III-2 Ws 344/14, BeckRS 2015, 996; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25. August 2015 - 1 Ws 233/15, BeckRS 2015, 18288).

c) Diese Maßgaben finden grundsätzlich auch Anwendung auf Haftsachen. Allerdings ist die vom Rechtsanwalt zu gewährleistende sachgerechte Verteidigung im Lichte der haftspezifischen Beschränkungen des Verteidigermandats des Einzelfalles zu bewerten.

aa) Wird dem inhaftierten Beschuldigten ein Datenträger und ein Wiedergabegerät mit dem der Akteneinsicht unterstehenden Verfahrensstoff in der Justizvollzugsanstalt durch die Anklagebehörde zur Verfügung gestellt, scheidet ein erstattungsfähiger Ausdruck der digitalen Aktenbestandteile für den Mandanten durch den Rechtsanwalt grundsätzlich aus; dies gilt gleichermaßen, wenn die Übergabe eines solchen Datenträgers konkret absehbar ist oder gar unmittelbar bevorsteht.

bb) Dies gilt gleichermaßen, wenn sich der Umfang der Verfahrensakten als überschaubar erweist und der Rechtsanwalt entweder die Akten in Papierform oder aber in digitalisierter Form zur Besprechung in die Justizvollzugsanstalt zum Mandantengespräch verbringen und auf diesem Weise dem Mandanten Kenntnis verschaffen kann.

cc) Ist ein solches Mandantengespräch angesichts des Umfangs oder der Schwierigkeit des Sache im Ausnahmefall nur sinnvoll oder auch tatsächlich nur dann durchführbar, wenn der Mandant die relevanten Aktenteile zuvor selbst gelesen hat, kann der Ausdruck der digitalen Akte insoweit – im Einzelfall auch in größerem Umfang – zur Vorbereitung geboten sein. Wird in diesen Fällen trotz haftspezifischer Beschränkungen durch die Anklagebehörde keine digitalisierte Verfahrensakte zur Verfügung gestellt oder wird dieses erst für einen mit dem Gebot sachgerechter Verteidigung unvereinbaren Termin in Aussicht stellt, so liegt die Notwendigkeit zumindest eines teilweisen Ausdrucks digitalisierter Verfahrensakten zur sachgerechten Verteidigung regelmäßig auf der Hand. In jedem Fall hat der Verteidiger die ihm überlassene Verfahrensakten allerdings auszuwerten und anhand dessen zu entscheiden, welche Aktenteile für das Mandantengespräch in der Justizvollzugsanstalt von Bedeutung sind.

cc) Sämtliche hierfür maßgebende, gerade auch haftspezifischen Umstände sind im Auslagenerstattungsverfahren vorzutragen. Hierzu zählen neben den Zusagen der Staatsanwaltschaft auch, dass die Verfahrensakten durch den Rechtsanwalt vor dem Ausdrucken selbst durchgesehen und vor diesem Hintergrund als für die Verteidigungsvorbereitung bedeutsam angesehen worden sind; schließlich sind Datum und Anzahl tatsächlich durchgeführter oder geplanter Besprechungstermine in der Justizvollzugsanstalt mitzuteilen.

2. Gemessen an diesen rechtlichen Maßgaben musste dem Rechtsmittel hier der Erfolg versagt werden.

a) Zwar drängt sich angesichts des verstrichenen Zeitraums von März bis Juli 2019 auf, dass für den Erinnerungsführer zur Vorbereitung einer sachgerechten Verteidigung die Notwendigkeit eines jedenfalls teilweisen Ausdrucks der Ermittlungsakte bestand. Ihm war es eingedenk des erheblichen Verfahrensumfangs und mit Blick auf das in Haftsachen besondere Geltung beanspruchende Gebot zügiger Verfahrensführung nicht zumutbar, von März 2019 bis zur Überlassung des Datenträgers im Juli 2019 zuzuwarten und erst dann in verfahrensvorbereitende Gespräche einzutreten, die sein Mandant in dem hier umfangreichen Verfahren anhand eigener Aktenlektüre vorbereiten konnte.

b) Der Antragssteller begehrt aber weiterhin – trotz wiederholten Hinweises durch den Rechtspfleger – ohne jede Form der Substantiierung die Erstattung eines pauschalen Ausdrucks der gesamten digitalisierten Verfahrensakte zur Verfahrensvorbereitung für seinen inhaftierten Mandanten. Das erweist sich hier als unzureichend. Schon zu dem maßgebenden Umstand, dass er – zumindest – das Gebot kostenschonender Prozessführung durch eine Durchsicht der Verfahrensakten bedacht und selbst differenziert bewertet hat, was konkret als Besprechungsgrundlage erforderlich sein wird, trägt der Erinnerungsführer nicht vor. Es bleibt ferner offen, ob und an wie vielen Tagen in der Zeit nach der Übersendung der digitalisierten Verfahrensakten überhaupt Besprechungstermine stattgefunden haben oder auch nur geplant waren. Überdies ist gerichtsbekannt, dass die Verfahrensakten einen nicht unerheblichen Anteil gerichtlicher Anordnungen nach § 162 StPO sowie anwaltliche Schriftsätze enthalten, bei denen sich die Notwendigkeit einer Erörterung mit dem Mandanten nicht ohne Weiteres erschließt.

c) Eine vom Erinnerungsführer behauptete Ungleichbehandlung besteht nicht. Eine Auslagenerstattung für den Ausdruck digitaler Verfahrensakten durch notwendige Verteidiger von inhaftierten Mitbeschuldigten wurde weder zugesagt noch vorgenommen (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. März 2019 – 3 BGs 61/19).

d) Schließlich ist vor dem Hintergrund der vorstehend dargelegten Erwägungen im konkreten Einzelfall auch nicht ersichtlich, dass durch die vollständige Versagung der begehrten Auslagenerstattung die Berufsausübungsfreiheit des Erinnerungsführers gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sein könnte.


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