Gericht / Entscheidungsdatum: LG Regensburg, Beschl. v. 09.09.2022 - 5 Qs 157/22
Eigener Leitsatz: 1. Es besteht schon eine schwierige Rechtslage, wenn divergierende obergerichtliche zu einer Rechtsfrage vorliegen, ohne dass bislang der BGH dazu entschieden hat (im Hinblick auf die Frage der Volksverhetzung für ein Profilbild, auf dem der gelbe Stern mit der Aufschrift "Ungeimpft abgebildet ist.
2. Eine schwierige Rechtslage besteht wohl auch, wenn eine Verständigung erörtert wird.
3. Bei der Beurteilung der Schwere der Rechtsfolge sind in die Beurteilung ggf. durch eine Verurteilung drohende Nebenfolgen einzubeziehen.
Landgericht Regensburg
5 Qs 157/22
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen Volksverhetzung
erlässt das Landgericht Regensburg - 5. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 9. September 2022 folgenden
Beschluss
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers pp. wird der Beschluss des Amtsgerichts Cham vom 25.08.2022, mit dem die Beiordnung von RA pp. als Pflichtverteidiger abgelehnt wurde, aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer wird RA pp. als Pflichtverteidiger bestellt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die unterbliebene Beiordnung seines Verteidigers als Pflichtverteidiger.
Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Bundeswehr, dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren liegen disziplinarische Ermittlungen des 8./Feldjägerregiment 3 zugrunde, welches das Verfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 33 Absatz 3 WDO an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat.
Das Amtsgericht Cham erließ am 21.06.2022 auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Dem Strafbefehl lagen zwei Beiträge des Beschwerdeführers in seinem öffentlich einsehbaren Facebook Account zugrunde. Einerseits habe er als Profilbild ein Bild von sich mit seiner Frau und Aufschrift Masken weg für ALLE!" und einen gelben Stern mit der Aufschrift UNGE-IMPFT" benutzt, andererseits habe er einen Beitrag geteilt, auf dem eine ikonenhafte Abbildung Adolf Hitlers, die Jahreszahl 1935 und die Aufschrift Juden sollten nur noch Zugang zu ihrem Arbeitsplatz zu Lebensmittelgeschäften Drogerien und Apotheken haben" neben einem Bild des zum damaligen Zeitpunkt designierten Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach, der Jahreszahl 2021 und der Aufschrift: Ungeimpfte sollten nur noch Zugang zu ihrem Arbeitsplatz, zu Lebensmittelgeschäften. Drogerien und Apotheken haben" zu sehen gewesen seien. Gegen den Strafbefehl legte der Beschwerdeführer über seine damalige Verteidigerin rechtzeitig Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 13.06.2022 erbat die Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Durchführung von disziplinarischen Ermittlungen Einsicht in die Strafakte.
Am 25.08.2022 fand ein Termin zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Cham statt. Der nunmehr aktuelle Wahlverteidiger, Rechtsanwalt pp. beantragte seine Beiordnung als Pflichtverteidiger und kündigte an, für den Fall seiner Bestellung das Wahlrnandat niederzulegen. Die Voraussetzungen nach § 140 Abs. 2 StPO lägen vor, wegen der Schwierigkeit der Rechtslage und wegen der wegen der zu erwartenden Rechtsfolgen, es laufe parallel gegen den Mandanten ein Disziplinarverfahren. Das Amtsgericht Cham lehnte im Termin nach Anhörung der Staatsanwaltschaft den Antrag, Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger beizuordnen, durch Beschluss ab. Ein Fall der notwendigen Verteidigung liege nicht vor, die Mitwirkung eines Verteidigers sei nicht wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten. Es sei zudem nicht ersichtlich, dass der Angeklagte sich nicht selbst verteidigen könne.
Mit Schreiben vom 26.08.2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag. legte der Beschwerde-führer über seinen Wahlverteidiger Beschwerde gegen den Beschluss vom 25.08.2022 ein. Zur Begründung wurde angeführt, die Rechtslage sei als schwierig zu beurteilen, da nicht abschließend geklärt sei, ob die dem Strafbefehl zugrunde liegende Verhaltensweise, ihre Erwiesenheit einmal unterstellt, als Volksverhetzung strafbar sei. Eine abschließende Entscheidung zu dieser Frage läge weder vom Bundesgerichtshof noch vom Bundesverfassungsgericht vor. Eine einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung sei bislang nicht feststellbar. Daneben sei auch die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge gegeben. Darunter fielen auch sonstige schwerwiegende Nachteile, die der Beschwerdeführer infolge der Verurteilung zu gewärtigen habe. Der Beschwerdeführer sei derzeit noch Zeitsoldat bei der Bundeswehr, das Dienstverhältnis werde in der 35. Kalenderwoche 2022 beendet sein. Aufgrund soldatenversorgungsrechtlicher Bestimmungen habe der Beschwerdeführer grundsätzlich Anspruch auf Übergangsgebührnisse für die Dauer von 5 Jahren nach Ausscheiden aus der Bundeswehr. Gegen den Beschwerdeführer sei jedoch ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts eines Dienstvergehens aufgrund des auch dem Strafverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts anhängig. Als Disziplinarmaßnahme im Falle einer Verurteilung käme eine Kürzung sowie im schlimmsten Fall sogar die vollständige Aberkennung des Anspruchs auf Bezug von Übergangsgebührnissen in Betracht. Zwar sei der Ausgang des strafrechtlichen Verfahrens für das disziplinarische rechtliche Verfahren nicht präjudiziell im eigentlichen Sinne, einer strafrechtlichen Verurteilung käme jedoch selbstverständlich im Rahmen des Disziplinarverfahrens ganz erhebliche Bedeutung zu. Im Übrigen sei eine Beiordnung als Pflichtverteidiger auch deswegen geboten, da im Termin vom 25.08.2022 ein Rechtsgespräch geführt worden sei, deren Inhalt die Vorsitzende im Protokoll nicht wiedergegeben habe, obwohl seitens des Verteidigers ausdrücklich nachgefragt worden sei. ob sie die Bekanntgabe der Tatsache, es habe ein Rechtsgespräch stattgefunden, als ausreichend erachte. Bereits allein wegen der Verletzung der Dokumentation- und Hinweispflicht des Gerichts im Hinblick auf den Inhalt des Verständigungsgespräches sei ein Fall der notwendigen Verteidigung zwingend gegeben. Der Angeklagte sei zwingend auf die Mitwirkung eines Verteidigers angewiesen, da das Gericht selbst offensichtlich nicht bereit sei, ihn über den Inhalt des Verständigungsgespräches zu informieren.
Das Amtsgericht verfügte am 29.08.2022 die Vorlage an das Beschwerdegericht. Mit Verfügung vom 05.09.2022 beantragte die Staatsanwaltschaft, die sofortige Beschwerde gegen den Be-schluss des Amtsgerichts Cham als unbegründet zu verwerfen.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und führt in der Sache zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cham ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO die sofortige Beschwerde statthaft. Die Bezeichnung als Beschwerde" ist unschädlich, § 300 StPO. Die Frist des § 311 Abs. 1 StPO ist gewahrt. nachdem das Rechtsmittel am Tag nach Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses bei Gericht eingegangen ist. Eine Abhilfebefugnis des Erstgerichts besteht nicht, § 311 Abs. 3 StPO.
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Aus Sicht der Kammer liegt ein Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO vor.
a) Es besteht wohl schon eine schwierige Rechtslage. Eine solche liegt unter anderem vor, wenn bei Anwendung materiellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden werden müssen, regelmäßig auch wenn die Möglichkeit einer Verständigung erörtert wird (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 140 StPO Rn. 28). Jedenfalls im Hinblick auf das Profilbild, auf dem der gelbe Stern mit der Aufschrift Ungeimpft" abgebildet war, liegen mit den verteidigerseits zitierten Urteilen des BayObLG und des OLG Saarbrücken (vgl. BayObLG. Beschluss vom 25.06.2020, 205 StRR 240/20; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 8. März 2021. Ss 72/2020 (2/21)) aktuelle, divergierende Entscheidungen hinsichtlich der Strafbarkeit als Volksverhetzung nach § 130 StGB vor, ohne dass bislang der Bundesgerichtshof dazu entschieden hat. Zudem wurde im Termin am 25.08.2022 jedenfalls nach der Darstellung des Verteidigers die Möglichkeit einer Verständigung erörtert.
b) Jedenfalls die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen begründet im hiesigen Fall jedoch die Notwendigkeit der Verteidigung. Der Beschwerdeführer ist Angehöriger der Bundeswehr. Bereits die Anzeige des gegenständlichen Sachverhalts erfolgte durch diese, zudem läuft ersichtlich ein Disziplinarverfahren gegen den Beschwerdeführer, nachdem die Wehrdisziplinaranwaltschaft dies mit Schreiben vom 13.06.2022 mitteilte und Einsicht in die Strafakte beantragte. Angesichts des Akteneinsichtsgesuchs ist es aus Sicht der Kammer auch naheliegend, dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft dem Verlauf und dem Ausgang des Strafverfahrens eine gewisse Bedeutung zumisst, wie seitens der Verteidigung dargelegt wurde. Es liegt mithin auf der Hand, dass dem Beschwerdeführer möglicherweise aufgrund des Strafverfahrens schwerwiegende andere Nach-teile, namentlich die Kürzung oder der Wegfall der Übergangsgebührnisse drohen. Auch solche Konsequenzen sind jedoch in die Beurteilung der Schwere der drohenden Rechtsfolgen miteinzubeziehen (vgl. Meyer-Go ßner/Schmitt § 140 Rn. 23c).
c) Die Beiordnung ist auch nicht deswegen entbehrlich, weil der Beschwerdeführer bereits verteidigt ist: Der Wahlverteidiger hat bereits mit Antragstellung erklärt. das Wahlmandat für den Fall der Beiordnung niederzulegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO analog.
Einsender: RA H. Miek,Sulzbach-Rosenberg
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